INVSN

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Noch lange nicht am Ende

Kein Musiker hat die schwedische Punk- und Indie-Szene maßgeblicher beeinflusst als Dennis Lyxzén. Mit REFUSED und vor allem dem Album „The Shape Of Punk To Come“ hat er Hardcore-Geschichte geschrieben und mit kleineren Projekten wie AC4 fortgeführt. Mit THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY hat er den Garagenrock auf ein neues Level gehoben und mit INVSN seit ein paar Jahren ein neues Eisen im Feuer. Nachdem Dennis Lyxzén den Namen für dieses Post-Punk-Projekt schon drei Mal geändert hat, erscheint jetzt mit „The Beautiful Stories“ das zweite Album unter dem Etikett INVSN. Ein Moment der Kontinuität. Im Interview erzählt der Mann aus der Würzburger Partnerstadt Umeå, dass seine Schaffenskraft noch lange nicht vorbei ist.

Dennis, das neue INVSN-Album fällt gleich mit der Tür ins Haus. Was steckt hinter dem ersten Song „Immer zu“?

Ich habe angefangen, einen Song über Macht und Machtmissbrauch zu schreiben. Und weil seit dem letzten Album unsere Bassistin Sara und Christina an den Keyboards immer mehr singen, hatte ich die Idee für einen Track, bei dem sie die Lead Vocals übernehmen sollen. Also habe ich den Text geändert, damit er aus der Perspektive einer Frau auf männlich dominierte Machtstrukturen schaut. Es geht in dem Song also um die zerstörerische Kraft der männlichen Identität.

Im Sound von INVSN erkenne ich eine Menge Bands wie THE CURE oder JOY DIVISION. Warum ist dir der kalte Sound der Achtziger so nah?

Ich liebe einfach Musik, ich bin ein echter Musiknerd. Mit INVSN machen wir schon seit ein paar Jahren diesen Post-Punk-Sound. Bands wie THE CURE, NEW ORDER oder JOY DIVISION liebe ich schon ewig. Es hat sich für mich musikalisch also wie eine völlig natürliche Entwicklung angefühlt. Es gibt viele Elemente aus dieser Zeit in unserem Sound, wir versuchen aber nicht, eine Retro-Band zu sein, kein Eighties-Throwback. Wir verwenden Versatzstücke daraus und wollen etwas Neues schaffen, das sehr frisch klingt. Aber ja, Parallelen zu diesen Post-Punk-Bands kann ich nicht leugnen.

Wie seid ihr überhaupt auf diesen Sound gekommen? Das Projekt startete ja unter dem Namen THE LOST PATROL als Solo-Projekt von dir. Das klang vor 13 Jahren noch viel mehr nach Folk beziehungsweise Singer/Songwriter.

Zusammen mit André und Anders hatte ich das Projekt THE LOST PATROL BAND und daraus hat sich dann irgendwann INVASIONEN entwickelt. Und aus der Perspektive eines Musiknerds war das wirklich eine lustige Entwicklung. Erst dieser Seventies-Punk-Powerpop-Sound und dann sind wir irgendwann in den Achtzigern mit diesem Post-Punk-Sound gelandet. Ich habe mein ganzes Leben lang Punk und Hardcore gehört und war sowieso immer großer Fan von Musik. Ich finde es grundsätzlich interessant, wenn Leute etwas Existierendes nehmen und dem Ganzen eine eigene Note verpassen. Viele dieser Bands wie JOY DIVISION oder BAUHAUS sind als Punkbands gestartet und haben dann erst ihren ganz eigenen Sound entfaltet. Das ist auch das Ziel von INVSN. Wir waren alle in Punk- und Hardcore-Bands und wollen uns weiterentwickeln.

Wie spricht man INVSN eigentlich richtig aus? Auf Englisch oder wie im Deutschen?

Erst haben wir den schwedischen Begriff INVASIONEN verwendet. Sprich: „Inwaschonen“. Dann haben wir die deutsche Aussprache verwendet, aber auch die englische Abkürzung INVSN. Weil wir inzwischen nicht mehr auf Schwedisch singen, ist alles okay, es gibt keine richtige oder falsche Aussprache.

Unter dem Namen INVASIONEN, damals noch ohne Abkürzung, habt ihr zwei Alben auf Schwedisch ausschließlich in Schweden veröffentlicht. Warum habt ihr jetzt eure Strategie geändert?

Erst mit dem dritten Album haben wir auf Englisch gesungen und den Namen mit INVSN abgekürzt. Wir fanden bereits das zweite Album sehr gelungen und wollten auch eine englische Version davon herausbringen. Wir haben aber den Plan, ein existierendes Album mit neuen Texten zu veröffentlichen, wieder verworfen. Stattdessen haben wir ein komplett neues Album veröffentlicht. Wir haben mit THE LOST PATROL BAND angefangen, um Spaß zu haben und ein paar Shows zu spielen, aber mit der zweiten Platte von INVASIONEN wurde daraus meine Hauptband. Deshalb hatte ich das Gefühl, die Musik ist gut genug für jeden, nicht nur in Schweden. Also wollten wir die Platten weltweit veröffentlichen. Und mit der dritten Platte hatten wir dann auch das richtige Label dafür. Natürlich hätten wir auch weiter auf Schwedisch veröffentlichen können, aber als Texter möchte ich, dass jeder ohne Probleme versteht, wovon ich singe. Und es hat natürlich einen viel internationaleren Appeal, auf Englisch zu singen.

Egal, ob REFUSED, AC4 oder THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY, jede deiner Bands hat einen politischen Aspekt. Welcher ist es bei INVSN?

In meiner Jugend hat Politik nie eine große Rolle gespielt. Ich komme nicht aus einer liberalen Akademiker-Familie, sondern aus der Working Class. Da wurde nie großartig über Politik geredet. Dann habe ich aber Punkrock für mich entdeckt und das hat mich politisiert, und alles, worüber ich Texte schreibe, ist eine Reflexion meiner Persönlichkeit. Deshalb haben sogar Platten von mir, die vordergründig unpolitisch sind, zumindest einen politischen Unterton. Auch die neue INVSN-Platte transportiert meine sehr persönliche Sicht auf die Welt. Es geht dabei mehr um eine existentielle Idee, als um die Forderung, den Kapitalismus zu zerstören. Ein Song wie „Immer zu“ behandelt zwar die Abschaffung des patriarchalen Systems, aber sonst geht es mehr darum, wie gesellschaftliche Strukturen unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen. Die Platte hat also definitiv eine politische Agenda, wie alle meine Platten.

Ich finde deine Botschaft diesmal sehr abstrakt, dabei gäbe es gerade in dieser Zeit genug Dinge, die man offen anprangern könnte.

Es ist großartig, dass viele Punkbands deshalb auch kein Blatt vor den Mund nehmen. Und ich tue das auch immer noch, wenn wir mit REFUSED auf die Bühne gehen. Auf der letzten INVSN-Platte gibt es einen Song Namens „Our blood“, der den Aufschwung von Rechten und Rassismus thematisiert. Und auf dem aktuellen Album gibt es den Song „The distance“, der von der Angst vor Flüchtlingen und dem Bau von Grenzen erzählt. Aber natürlich sind viele Texte auf „The Beautiful Stories“ eher abstrakt. Wenn du seit 25 Jahren Texte schreibst, suchst du auch neue Herausforderungen in deiner Ausdrucksweise. Und außerdem ist Musik für mich auch eine künstlerische Ausdrucksform, nicht nur ein politisches Sprachrohr. Ich schätze beide Ideen, aber manchmal muss eben Musik auch mal nur Kunst sein. Und manchmal will man eben ein bisschen poetischer sein, als nur „Fuck the system“ zu schreien. Man muss immer die richtige Balance finden.

Warst du eigentlich jemals aktives Mitglied in einer politischen Partei?

Vor vielen Jahren war ich mal Mitglied der SAC, einer anarcho-syndikalistischen Jugendorganisation in Schweden. Ich hatte mit REFUSED Mitte der Neunziger viel Kontakt zu solchen Gruppen. Ich selbst wollte aber nie Politiker werden, ich bin interessiert an Politik als künstlerischem Ausdruck, mit dem man vielleicht eine bessere Welt erschaffen kann. Wo es keine Kompromisse gibt, wo man nicht mit anderen Politikern herumdiskutieren muss. Dadurch bleibt dein Geist immer frei und kann unabhängig und frei denken, um echte Alternativen aufzuzeigen. Deshalb liebe ich Musik und Kunst. Viele meiner politischen Ideen sind nicht rational, passen vielleicht sogar nicht in diese Welt und sind eher romantisch oder revolutionär. Aber deshalb ist Musik für mich der perfekte Weg, um mich auszudrücken.

Wie sieht es denn gerade aus mit THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY? Habt ihr euch aufgelöst oder macht ihr nur eine lange Pause?

Ich wünschte, ich könnte dir eine klare Antwort geben. Wir haben schon lange Zeit kein Konzert mehr gespielt. Aber wir stehen immer in Kontakt und unterhalten uns. Meine Tür steht immer offen für T(I)NC-Shows. Aus meiner Sicht machen wir gerade eine sehr lange anhaltende Pause. Einige Leute in der Band denken aber, wir haben uns aufgelöst. Wir hatten eine großartige Zeit, es war immer eine tolle Band. Wie gesagt, ich bin sofort bereit weiterzumachen, wenn die anderen das auch wollen.

Ein bisschen konkreter sieht es ja bei REFUSED aus. Mit „Freedom“ ist vor zwei Jahren ein neues Album erschienen. Wie geht’s da weiter?

Im Januar und Februar haben wir die letzten Shows zum neuen Album gespielt. Wir waren mit SICK OF IT ALL in Australien unterwegs. Diesen Sommer spielen wir auf zwei Festivals in Schweden und in Norwegen. Und nach dem Sommer beginnen wir mit der Arbeit an einem neuen Album. Das ist der Plan. Meine größte Aufmerksamkeit wird dieses Jahr INVSN genießen und irgendwann 2018 wird dann hoffentlich eine neue REFUSED-Scheibe herauskommen. Das hängt davon ab, wie das Songwriting läuft.

Hast du mal darüber nachgedacht, all das auch in einem Buch zu verarbeiten?

Vor einigen Jahren habe ich ein Buch über REFUSED geschrieben. Aber dann kamen wir wieder zusammen und es wäre peinlich gewesen, so ein wütendes Buch über REFUSED zu veröffentlichen. Also wollte ich es natürlich umschreiben, aber ich hatte noch nicht die Zeit dazu. Ich habe also schon die Ambition zu schreiben, aber dann müssten meine Tage mehr als 24 Stunden haben. Außerdem bin ich gut darin, Musik zu machen, und es macht mir immer noch Riesenspaß. Deshalb beansprucht das auch den Großteil meiner Zeit.

Das heißt, du hast eine unveröffentlichte REFUSED-Biografie in der Schublade? Kommt die irgendwann doch heraus?

Ich wollte ein Buch darüber schreiben, was wir in den Neunziger gemacht haben. Alle Bandbiografien enden in der Regel im Desaster, aber hauptsächlich wegen Sex, Drogen und Alkohol. Das gleiche ist auch bei REFUSED passiert, allerdings waren wir eine Straight-Edge-Band. Deshalb wollte ich einfach aufschreiben, wie die Situation so schnell so schlecht werden konnte und woran die Band letztendlich zerbrochen ist. Wir leiden unter den gleichen Konsequenzen wie alle anderen aufgelösten Bands auch. Und das, obwohl wir aus diesem D.I.Y.-Background und der Punk- und Hardcore-Kultur kommen. Es ist eine sehr interessante Geschichte und irgendwann werde ich sicher auch die Zeit haben, sie zu erzählen.

Wenn man alle Bands betrachtet, mit denen du schon Platten veröffentlicht hast, ist es erstaunlich, wie schnell du den Sound und die Besetzung immer wieder gewechselt hast. Man könnte fast meinen, du langweilst dich schnell.

Ich bin ein sehr unruhiger Mensch. Ich will mich immer weiterbewegen und neue Dinge ausprobieren. Alle Bands, in denen ich war, haben sich auch immer weiterentwickelt. T(I)NC haben als Garagerock-Band angefangen und waren am Ende eine merkwürdige Jam-Heavy-Rockband. Damit ich mich nicht langweile, müssen sich die Dinge verändern. Ich bin einfach neugierig. Ich liebe es, wenn die Leute meine Musik mögen, aber ich war schon immer mehr am künstlerischen Ausdruck als am kommerziellen Aspekt interessiert. Vielleicht hätte ich mal zwei Platten am Stück machen sollen, die ähnlich klingen, um einen Sound zu etablieren. Aber dann bin ich immer weitergegangen und habe ein neues Projekt ausprobiert. Ich fühle, dass ich noch lange nicht fertig bin, ich habe noch jede Menge Musik in mir.