NEGATION

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Vernunftbegabte Wesen

DIE NEGATION, das sind Sänger Michael Laur de Manos (THE HEARTBREAK MOTEL), Gitarrist Marcel Sasse (BENEATH THE WHEEL), Bassist Alan Kassab (ZERO MENTALITY) und Drummer Christian Bass (HEAVEN SHALL BURN). „Herrschaft der Vernunft“, im Mai erschienen, ist das erste Album des Vierers, der so ganz anders klingt, als man das angesichts der bisherigen bzw. anderen Bands de Beteiligten vermuten könnte. Und weil „Vernunft“ so ein schönes Stichwort ist, stellte ich Michael dazu Fragen.

Muss man vor der „Herrschaft der Vernunft“ Angst haben? Die Zeile „Die Herrschaft der Vernunft. Ein Königreich der Angst“ findet sich im Text zum Titelsong.

Die Herrschaft der Vernunft ist wie eine Art Lähmung. Wir entscheiden uns täglich, inwieweit wir das zulassen, wie sehr wir uns ausbremsen lassen oder ob wir der Angst einen Nährboden geben wollen. Ich bin ein kleines funktionierendes Rädchen in diesem Wahnsinn. Gehe täglich zur Arbeit, habe Ängste und Zweifel, aber an manchen Tagen entscheide ich mich gegen meine eigene Furcht. Die Angst ist nach wie vor ein funktionierendes Instrument, um uns kontrollieren zu können. Es funktioniert sehr einfach, wir spüren es sogar kaum. Lässt man sich aber mal ein paar Meter zurückfallen, partizipiert nicht weiter, oder ist vorübergehend defekt, fällt uns eventuell auf, wie sehr wir uns selbst etwas vormachen. Ich persönlich springe da hin und her, wie ein Fähnchen im Wind. Wenn die Kräfte da sind, sehe ich glasklar. An anderen Tagen bin ich schwach und lasse mich mitreißen. Ich glaube für uns alles zu sprechen, wenn ich sage, dass wir gewisse Grundprinzipien vertreten und eine kritische Haltung gegenüber dem innehaben, was wir täglich sehen und hören müssen, aber die Angst ist eben ein nicht sichtbares Gift, welches uns alle immer wieder vergiftet.

Das Zeitalter der Aufklärung wird im Englischen auch als „Age of Reason“ bezeichnet, reason steht in diesem Fall für Vernunft. Welche Werte der Aufklärung haltet ihr für wichtig?

Es ist wichtig, für sich das richtige Gleichgewicht zu finden. Meine kompromisslose Haltung hat mich in der Vergangenheit um einiges gebracht. Ständig mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, war da eher unproduktiv, aber etwas davon sollte man sich doch bewahren. Ein Beispiel, welches ich gerne geben möchte: Wir sind alle vegan und Vegetarier, aber du wirst nicht eine Zeile finden, die das thematisiert. Diese für mich äußerst wichtige Sache ist mittlerweile mitten in der Gesellschaft angekommen, und wir haben nun die Wahl, ob wir das Richtige tun wollen. Natürlich empfinde ich es als notwendig, vegan zu leben, aber ich knalle es niemandem vor den Schädel. Ich lebe mittlerweile so an die zwanzig Jahre vegan, und ich musste mir so einiges deswegen anhören. Von Schwuchtel bis Nazi war wirklich alles dabei. Ich kann nur lachen, wenn ich heute daran zurückdenke, aber damals war es irgendwie belastend. Überhaupt nicht lachen kann ich darüber, wenn Menschen andere verurteilen, weil sie sich eben aussuchen wollen, wen sie lieben und wen nicht. Da gibt es auch keinen Kompromiss bei mir. Gleichgültig Tiere in sich reinzustopfen, der Ignoranz zu frönen und sich keinen Kopf zu machen, finde ich nicht annähernd so schlimm, wie menschenverachtende Verhaltensweisen an den Tag zu legen und Menschen zu hassen, nur weil sie Liebe für jemanden in sich tragen. Es ist wichtig, den zeitlichen Aspekt zu berücksichtigen, zeitnahe Probleme anzusprechen. Meine persönliche Empfindung ist einfach, dass Homophobie gerade aufs Tapet gebracht werden muss.

Eltern fordern den wilden Punk-Nachwuchs gerne mal auf, doch endlich mal vernünftig zu sein: „Junge, komm doch mal zur Vernunft! So rumzulaufen, dieses Rebellieren, das bringt doch nix!“

Also meine Familie ist einiges gewohnt. Wir sitzen heutzutage zusammen und lachen gemeinsam darüber. Wir wissen einfach, dass sie alles richtig gemacht haben. Meine Mutter sagt mir heute, dass ich ihr einigen Kummer bereitet hätte, aber sie froh ist, dass ich keiner dieser Spießer geworden bin und mich nicht allem unterwerfe. Bis auf Marcel haben wir ja alle schon lange die dreißig geknackt, unsere Eltern hatten Zeit, sich damit abzufinden. Das werden Marcels Eltern zwangsläufig wohl auch schon längst akzeptiert haben.

„In der formalen Logik versteht man unter Negation üblicherweise die Satzverneinung, also eine Operation, durch die der Wahrheitswert einer Aussage (eines Satzes) in sein Gegenteil gekehrt wird.“ Was verneint DIE NEGATION? Am Ende „Gott“, wenn ich mir den Text von „Von Hyänen“ so durchlese?

Ich fühle mich einfach häufig, als würde ich, mit dem Rücken zur Wand stehend, darauf warten, dass irgendwer abdrückt. Das sind dann die schwachen Momente, von denen ich anfänglich sprach. Sich den Gegebenheiten unterzuordnen tut weh, solange du weißt, was mit dir passiert. Minimieren wir das Ganze jetzt mal auf ein paar wenige Aspekte, so kommen wir doch immer wieder bei Gott, alteingesessenen Traditionen, den Banken und weiteren mächtigen Institutionen an. Ich habe meinen Frieden mit dem Berufsleben und damit verbundenen Kompromissen gemacht, aber ich lasse mir von keiner Institution vorschreiben, an was ich zu glauben habe. Wie in „Von Hyänen“ schon angedeutet, wir sind für uns selbst verantwortlich und keine Marionetten eines mystischen Energiefelds. Es gibt keinen Gott, nur Menschen mit einem viel zu großen Ego oder Menschen ohne die Kraft, an sich selbst zu glauben.

Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg – hat euer Track „Scheusal von Oldenburg“ möglicherweise etwas mit der AfD-Politikerin zu tun?

Natürlich ist sie die der Dreh- und Angelpunkt von „Scheusal von Oldenburg“. Sie soll als Grundlage dienen, um zu verdeutlichen, welche Alternative ein erschreckend hoher Anteil der Bevölkerung in Deutschland in Betracht ziehen würde, um eine Veränderung herbeizuführen. „Scheusal von Oldenburg“ ist für mich neben „Monolith aus Scheiße“ so etwas wie ein persönlicher Titelsong. Diese beiden Stücke bringen meine ureigensten Ängste und Befürchtungen am ehesten auf den Punkt.

Wie und warum und mit wem ging das los mit DIE NEGATION?

Die Idee für diese Band habe ich schon lange in meinem Kopf gehabt. Alan und ich hatten auch schon häufiger darüber geredet, ob wir nicht wieder gemeinsam Musik machen sollten. Eines Tages saßen wir mit Christian zusammen, haben bei Limo und Bier festgestellt, dass wir eine ziemlich ähnliche Vorstellung von einer Punkband haben, die mit unseren bisherigen Bands überhaupt nicht zu vergleichen wäre. Zunächst spielte mein Bruder Julian Gitarre und hat mit uns die Single zu „Das Versteck“ aufgenommen. Er wollte sich aber seinem Abschluss und seiner eigenen Band ORBIT THE EARTH widmen. Irgendwann fiel mir Marcel ein. Ein veganes Abendessen und ein bisschen Bier hat gereicht. Da war er direkt an Bord. Er brachte auch genau den richtigen Wind in die Sache, weil wir gar nicht genau wussten, welches Tempo wir an den Tag legen wollten, um beispielsweise ein Album zu erarbeiten und aufzunehmen. Eine riesige Bereicherung. Julian ist ein wirklich kreatives Köpfchen, aber nicht mit dem Herzen dabei gewesen. Momentan hilft er trotzdem aus, wo er nur kann. Am Schlagzeug, bei den bisherigen audio-visuellen Beiträgen. Also gehört er hier auch erwähnt.

Musikalisch ist eure neue Band schon deutlich anders als eure bisherigen. Ein Bruch, ein anderer Aspekt, ein neuer Weg? Wer und was hat euch dabei inspiriert?

Das ist für mich wirklich die schwierigste Frage, warum eigentlich nicht schon eher? Ich wollte schon immer eine Band haben, welche meine Liebe zu kritischem Hardcore-Punk erfüllen würde. In der Vergangenheit habe ich vor allem mit Julian kurzlebige Projekte gestartet. Singles veröffentlicht und die Bands wieder aufgelöst. Es dauerte einfach, bis die richtigen Leute zeitgleich Bock darauf hatten. Das Ganze fühlte sich echt gut und richtig an und war für mich eine sehr positive Überraschung. Die Grundidee war einfach. Es sollte furios und kompromisslos sein. Ich liebe Bands wie CATHARSIS oder CURSED, welche rein musikalisch jetzt gar nicht besonders ähnlich sind, aber von der Idee her, wie ich finde.

Welchen Raum wird DIE NEGATION in eurem Leben einnehmen? Droht das typische Schicksal des „Allstar-Nebenprojekts“, weil immer die Hauptbands wichtiger sind?

Ich freue mich einfach, eine Band zu haben, bei der sich alles richtig anfühlt. Ich stecke da alles rein. Die anderen toben sich noch in anderen Bands aus, ja. In welcher Intensität wir jetzt Touren werden, weiß ich gerade nicht. Jedenfalls ist DIE NEGATION kein Nebenprojekt. Wir arbeiten in unseren Köpfen schon an weiterem Material. Die bisherigen Shows waren allesamt purer Spaß. Wir haben Bock.