35 Jahre später: GANG OF FOUR - Songs Of The Free (LP, EMI, 1982)

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Das dritte Album der Post-Punk-Marxisten aus Leeds öffnet die Tür weit in Richtung Punk-Disco und tanzbare Grooves. Hinter Rhythmusmonstern wie „We live as we dream, alone“, bei dem die neue Bassistin Sara Lee, die Gründungsmitglied Dave Allen ablöste, einen Dancefloor-kompatiblen Basssound perfektionierte, verbergen sich weiter die sozialkritischen Themen von GANG OF FOUR mit Verweisen auf die Isolation des Industriearbeiters im Song „We live as we dream, alone“: „Everybody is in too many pieces / No-man’s land surrounds our desires / To crack the shell we mix with others / Some lie in the arms of lovers“. Der Songtitel griff ein Textstelle aus Joseph Conrads Roman „Heart of Darkness“ (1899) auf, der auch als Vorlage für den Film „Apocalypse Now“ (1979) von Francis Ford Coppola diente. „We live as we dream, alone“ ist eine marxistische Parabel auf die Isolation und Vereinsamung des modernen Industriearbeiters. Leeds war in jeder Hinsicht prägend für die Attitüde der Band: Industriestadt, Arbeiterklasse, Gewerkschaften, Demonstrationen gegen die National Front, Straßenschlachten mit der Polizei, Übergriffe der NF auf Pubs, in denen auch verwandte Bands wie die MEKONS und DELTA 5 spielten.

Harte GANG OF FOUR-Fans rieben sich kontrovers an einem Song wie „I love a man in a uniform“, der fast wie eine cheesy Disco-Nummer daherkam, direkt geparkt zwischen „Heart of glass“ von BLONDIE und den SPARKS. Doch exakt diesen Sound griffen später Bands wie BLOC PARTY, THE RAPTURE oder THE FUTUREHEADS auf. Die Geburtsstunde des marxistischen Dancefloors schlägt auf diesem Album. Der Gitarrensound von Andy Gill erreicht auf „Songs Of The Free“ seinen Zenit innerhalb des Gesamtwerks von GANG OF FOUR.

Die Band räumt komplett auf mit jedweder Form von ungehemmten Kapitalismus und der damit einhergehenden emotionalen Vereinsamung der Verlierer dieses System und seiner Auswüchse: „Making money is making sense / The right to get rich is in the constitution / You and I, we are satellites, it’s a shame“ (aus „Life! It’s a shame“). Die Band prangerte die hegemonistischen Übergriffe der USA auf Großbritannien an, daher rührt der Verweis auf „satellites“ in dem Song. Im Unterschied zu vielen artverwandten Bands dieser Zeit, die aus der Sicht des Opfers diese Verhältnisse kritisierten, nahmen GANG OF FOUR die Perspektive derer ein, die es anzuprangern galt – der Imperialisten, Kapitalisten, derjenigen, die die Regeln diktierten –, deshalb auch der sarkastische Albumtitel „Songs Of The Free“. Die politischen Botschaften dieses Albums sind – trotz zahlreicher subtil gesetzter Verweise – unzweifelhaft. Die Welt tanzt dazu am Abgrund, oder wie es Sänger Jon King ausdrückte: „We make music to dance to and shout and get drunk to.“