MISSSTAND

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Anti-alles, ein Leben lang

Frühjahr 2010, ich spiele in der Arena Wien mit meiner Gitarre bewaffnet vor den KAFKAS. Mit dabei ist unter anderem noch diese relativ junge, mir bis dahin unbekannte Deutschpunk-Band aus dem Umland von Klagenfurt namens MISSSTAND. Schon damals sind ihre Songs melodisch, politisch und schnell, schon damals ist der Gig extrem energiegeladen, schon damals geht es gleich am nächsten Tag weiter zu einer Show nach Deutschland, schließlich sind die Jungs auf Tour. Und nun, sieben Jahre, unzählige Konzerte und zwei Alben später, kommt auf Aggressive Punk Produktionen die dritte Platte der Brüder Mani (Gitarre) und Patze (Bass) sowie Drummer Dani raus. Patze beantwortete meine Fragen dazu.

Patze, „Ein guter Tag für den Punkrock, ein schlechter Tag für alles andere“, schrieb jemand auf Facebook, als Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Wie seht ihr das, lebt Punkrock von politischen Missständen?

Ich finde es irgendwie immer etwas befremdlich, wenn behauptet wird, dass es gute Seiten hat, wenn ein Rassist und Sexist zum Präsidenten gewählt wird. Ganz egal, in welchem Land, es ist ja schließlich nicht so, als würde es solche Wahlergebnisse hier nicht geben. Auch sollte nicht vergessen werden, dass es soziale Ungerechtigkeiten und die Ausgrenzung von Minderheiten ja vor der Wahl Trumps ebenfalls schon gab. Ich glaube, dass politische Inhalte im Punkrock als Reaktion auf diese Missstände zu verstehen sind, aber nicht zwingend davon leben.

Ihr selbst seid ja meist hochpolitisch, singt über Rassismus, die Polizei, Religion, Antisemitismus, seid quasi anti-alles, wie ihr es auf eurem neuen Album auch selbst ausdrückt. Wie lebt ihr das im Alltag?

Wir sind alle auf dem Land aufgewachsen und wohnen zum Teil auch noch dort. Ich glaube, dass es durchaus Unterschiede zwischen dem Leben auf dem Land und dem Leben in der Stadt gibt. Hier wirst du doch noch wesentlich öfter mit dieser konservativen Kleinbürgerlichkeit konfrontiert als in Städten. Wir schreiben über Dinge, die uns persönlich bewegen oder ankotzen. Die Texte, die wir schreiben, resultieren also einfach aus eigenen Erfahrungen und Beobachtungen.

Wie entstehen eure Songs, wie einigt ihr euch auf die Themen?

Wir verbringen viel Zeit miteinander, meistens kommt dann jemand mit einer Textidee an, über die wir dann sprechen. Zu längeren Diskussionen kommt es inhaltlich eigentlich eher selten, wenn doch, dann geht es um einzelne Formulierungen. Uns ist jedoch durchaus wichtig, dass unsere politischen Songs Gehalt haben und sich auch jeder von uns damit identifizieren kann. Anders ist es natürlich bei persönlichen Texten.

Also sind nicht alle Songs politisch. Mit was beschäftigt ihr euch thematisch sonst so?

Wir haben auf diesem Album auch einige Songs, die sich eher mit persönlichen Themen beschäftigen. Ich finde, auf deine Beispiele bezogen, dass es sehr schwierig ist, gute Texte über das Trinken und die Liebe zu schreiben, auch wenn das eigentlich einfach klingt. Da gibt es einige Bands, die das definitiv besser können als wir. Ein Punkrock-Konzeptalbum über Katzen fände ich übrigens großartig und es wäre ein Pflichtkauf, haha.

Euer neues Album heißt „I can’t relax in Hinterland“. Warum?

Wie bereits erwähnt, kommen wir aus kleinen Dörfern mit 300 Einwohnern. In den letzten Jahren ist der Großteil unserer Freunde in Großstädte gezogen, was auf lange Sicht schon auch mal zu Frustration führen kann. Während wir an dem Album gearbeitet haben, haben wir irgendwann bemerkt, dass sich viele Songs thematisch um genau diese Entwicklung drehen. Daher fanden wir den Albumtitel ganz passend. Angelehnt ist der Titel übrigens an eine Initiative, die sich „I can’t relax in Deutschland“ nannte und sich mit nationalistischen Tendenzen in der Popkultur beschäftigt hat.

Nach zwei Alben in Eigenproduktion seid ihr nun auf Aggressive Punk Produktionen gelandet. Sind Neuauflagen der ersten beiden Scheiben geplant?

Die CD-Version des neuen Albums wird als Doppelalbum erscheinen, als Bonus-Disk wird unser letztes Album „Die netten Jahre sind vorbei“ beiliegen, das seit kurzem ausverkauft ist. Auf Vinyl sind jedoch derzeit keine Neuauflagen geplant.

Der Labeldeal kam ja nicht wirklich überraschend, oder? Wie ist eure Vorgeschichte mit dem Label?

Auch wenn wir in den letzten Jahren immer mal wieder mit Aggropunk zu tun hatten, war das für uns ehrlich gesagt doch etwas überraschend. 2013 hatten wir die Möglichkeit, einen Song zum letzten Aggropunk-Sampler beizusteuern, was für uns damals schon echt großartig war. Kennen gelernt habe ich Matze danach zufällig auf dem Ruhrpott Rodeo, wo wir uns relativ lange unterhalten haben. Später haben wir uns dann auch immer mal wieder zufällig auf Konzerten getroffen, woraufhin er uns 2015 auf die Aggropunk-Tour eingeladen hat. Nach der Tour meinte er, dass wir ihm unsere neuen Songs schicken sollen, wenn sie fertig sind. Das haben wir dann auch getan und einen Tag später die positive Rückmeldung erhalten. Wir sind echt wahnsinnig froh, dass das alles geklappt hat. Matze ist ein echt großartiger Typ und wir hätten uns nichts Besseres vorstellen können.

Auf dem letzten Album hattet ihr Gastsänger von KOTZREIZ oder auch ALARMSIGNAL, dieses Mal habt ihr FAHNENFLUCHT am Start. Alles Weggefährten mittlerweile, oder? Wer wäre ansonsten Wunschkandidat?

Das sind alles Bands, die wir musikalisch wie menschlich total schätzen und mit denen wir seit Jahren immer wieder zu tun haben. Wenn wir mit ihnen zusammen spielen, wissen wir im Vorfeld schon, dass der Abend definitiv spaßig wird. Das Geile daran war auch, dass keine der Bands lange gezögert hat. Das bedeutet uns echt viel, da wir selbst auch Fans sind. Vielleicht fragen wir fürs nächste Album ja mal Gigi D’Agostino für ein Feature an, haha.

Wie wär’s zum Beispiel mit ANTILOPEN GANG? Die sind ja auch anti-alles und MISSSTAND-Fans.

Haha! Fans wäre jetzt auf jeden Fall übertrieben, aber wir waren vor kurzem in Wien auf einem ANTILOPEN GANG-Konzert. Fabi von KOTZREIZ spielt da aktuell Gitarre und so kam es dann wohl dazu, dass sie in „Verliebt“ statt der SLIME-Referenz gesungen haben: „Ich ging schlecht gelaunt auf das MISSSTAND-Konzert.“ Das fanden wir auf jeden Fall ganz witzig. Später haben sie uns dann noch nach backstage eingeladen, wo wir den Kuchen mit ANTILOPEN GANG-Logo weggegessen haben. Total nette Leute. An uns soll es auf jeden Fall nicht scheitern.

Auf eurem Album habt ihr auch den Song „Zwischen abgewrackt und glücklich“. Eine Hommage an eure Grazer Kollegen ANTIMANIFEST?

Ganz genau. ANTIMANIFEST haben ja den Song „Zwischen abgefuckt und glücklich“, der auch auf unserer gemeinsamen Split-7“ drauf war. Mit ihnen verbindet uns ja nicht nur eine Bandfreundschaft. Mittlerweile wohnen tatsächlich zwei Drittel von MISSSTAND mit zwei Drittel von ANTIMANIFEST zusammen. Als die uns letztens Mal live mit einem Cover von einem unserer Songs überrascht haben, wollten wir die auch mal überraschen.

Euer Label bezeichnet eure Platte vorab schon als „Deutschpunk-Album des Jahres“. Dabei kommt ihr aus Österreich, einem Land wo es ja nicht wirklich eine Szene für diese Musik gibt. Wie seht ihr das?

Auch wenn es in Österreich definitiv eine kleinere Deutschpunk-Szene gibt, können wir uns nicht beschweren. Es gibt doch in jeder Ecke hier coole Menschen, die Konzerte veranstalten und Konzerte besuchen. Aber mit Deutschland ist das natürlich nicht vergleichbar. Deutschpunk-Bands gibt es hier tatsächlich nur eine Handvoll.

Ihr seid viel unterwegs, fahrt schon einmal 1.000 Kilometer für ein Festival oder eine Einzelshow. Wie ist das nach all den Jahren immer noch geil?

Wir sind einfach froh darüber, dass wir das Ganze überhaupt machen können. Für uns ist es nicht selbstverständlich, dass wir vierzig oder fünfzig Shows im Jahr spielen und so viel herumkommen können. Dafür sitzt man gerne einmal an einem Wochenende zwanzig Stunden im Auto. Wir verstehen uns auch richtig gut, da wird uns nicht so schnell langweilig. Mittlerweile haben wir auch schon extrem viele gute Leute durch diese Band kennen gelernt, da gibt es nichts Besseres, als die immer wieder einmal irgendwo zu treffen. Außerdem ist Punk natürlich nach wie vor das Geilste für uns.