SILVERSTEIN

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Mehr als nur zwölf neue Songs

Musiker leben davon, ihr Innerstes nach außen zu kehren und ihre Zuhörer auch an ihrem Leid teilhaben zu lassen. Je tiefer das Tal, das durchschritten wird, umso größer ist die Erleichterung, wenn die Dämonen endlich besiegt und die neuen Songs im Kasten sind. Für Shane Told, den Sänger von SILVERSTEIN, die mit Songs wie „My heroine“ oder „Smile in your sleep“ zu Post-Hardcore-Szenegrößen wurden, bedeutete das neue Album „Dead Reflection“ auf jeden Fall mehr als nur zwölf neue Songs, die geschrieben werden mussten. Es war eine Katharsis, die ihm neuen Mut und neue Perspektiven gegeben hat. Über all das und wie es ihm jetzt geht, berichtet er im Interview.

Shane, neben deiner Tätigkeit als Sänger für SILVERSTEIN betreibst du auch den Podcast „Lead Singer Syndrome“, bei dem du die Sänger anderer Bands interviewst. Woher kam die Idee dafür?

Da wir ja als Band viel unterwegs sind, bleibt automatisch auch immer etwas Zeit, in der wir nicht auf der Bühne stehen oder zum Beispiel Interviews geben müssen. Wir haben so viele Leute kennen gelernt, die ich super interessant finde. Des Weiteren bin ich ein riesiger Fan von Podcasts, also kleinen Geschichten, die jeder aufnehmen und die man eigentlich überall hören kann. Ich habe irgendwann auf Tour damit angefangen, die Sänger befreundeter Bands zu interviewen und mit ihnen über dies und jenes zu philosophieren.

Welche Episode hat dir bist jetzt am besten gefallen?

Mittlerweile bin ich schon bei Folge 84 und neben John Joseph von CRO-MAGS, Matt Pryor von GET UP KIDS oder Ben Barlow von NECK DEEP war auch eines meiner großen Vorbilder dabei: Fat Mike von NOFX. Da war ich vorher sogar ein wenig nervös, weil ich mal gehört habe, dass er nicht so gerne Interviews gibt.

Die Idee hinter deinem Podcast klingt sehr interessant. Ein Sänger interviewt andere Sänger und kann so auf einer ganz anderen Ebene mit ihnen interagieren. So ein Format müsste doch viel persönlicher sein als ein stinknormales Interview mit einem Journalisten, den du nicht mal kennst, oder?

Es hängt viel von der Person ab, mit der ich mich unterhalte. Ich versuche, in meinem Podcast nicht besonders investigativ zu sein oder gar zu persönlich zu werden. Wenn alles gut läuft, entsteht ein lockeres Gespräch unter Kollegen, an dem dann hoffentlich der eine oder andere etwas Spaß hat und bei dem vielleicht Dinge angesprochen werden, die vorher noch nicht Thema waren.

Wie ist es jetzt für dich, selber Interviews für deine Band SILVERSTEIN zu geben? Gab es Momente, in denen du dir gesagt hast, dass die Musik ja eigentlich für sich selbst spricht und die Leute lieber genauer hinhören sollten, anstatt dass sie deine Ansichten in den Songs suchen?

Nein, diesen Moment habe ich bis jetzt noch nicht erlebt. Wir haben das große Glück, von unserer Musik leben zu können. Ich weiß, dass ich meine sehr persönlichen Texte manchmal auch erklären muss. Das ist auch ein wenig Teil des Verarbeitungsprozesses, der schon beim Songwriting anfängt. Interviews werden erst schwierig, wenn man zum fünften Mal hintereinander die gleiche Frage beantworten muss. Aber wie gesagt, bis jetzt gab es da noch keine Probleme und ich genieße es ehrlich gesagt auch, über die Band, unsere Musik und vor allem die neue Platte zu sprechen.

Als ich euer neues Album „Dead Reflection“ gehört und das Cover betrachtet habe, habe ich mich gefragt: Gibt es hier eine Verbindung zum SILVERSTEIN-Album „Discovering The Waterfront“?

Außer dem Artwork mit den Reflexen im Wasser besteht tatsächlich keine direkte Verbindung zwischen diesen zwei Platten. Es liegen mehr als 14 Jahre dazwischen. Wir haben uns menschlich und vor allem musikalisch weiterentwickelt. Was die Inhalte der Texte angeht, kann ich sagen, dass es mir im Vorfeld der Aufnahmen zu „Dead Reflection“ psychisch so schlecht ging, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich war antriebslos, depressiv und fühlte mich allein. Nichts war es mehr wert, dafür morgens aus dem Bett zu steigen. Das hat dazu geführt, dass diese Zeit auch für die Leute um mich herum zu einer großen Herausforderung wurde.

Hast du denn rückblickend das Gefühl, dass das Schreiben der Texte für „Dead Reflection“ dir dabei helfen konnte, diese schlimme Zeit zu überstehen?

So banal es vielleicht klingen mag, aber ja, das Schreiben der Songs war der Grund für mich, dass ich mich gewissen Dingen stellen musste. Ich musste mich selbst wieder motivieren und nach vorne schauen. Doch habe ich das erst geschafft, als ich meine Gedanken aufgeschrieben hatte. Jeder Song auf der Platte beschäftigt sich mit diesen Themen.

Ist es nicht seltsam, dass wir uns in Zeiten von Social Media und einer rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit allein fühlen können? Schließlich können wir ja jederzeit nach Hilfe rufen und bekomme direkt eine Antwort in Form von Kommentaren oder traurigen Smileys.

Glaub mir, die netten Kommentare unter einem hochgeladenen Foto bei Instagram sorgen nicht für eine 180-Grad-Umkehr meiner Gefühle. Ich war in der Situation so mit mir selbst beschäftigt, dass ich verschiedene Dinge auch gar nicht wahrgenommen habe. Mal davon abgesehen, dass auch lieb gemeinte Kommentare von Fremden niemals die gleiche Bedeutung haben können, wie vernünftige Gespräche mit Freunden oder Familie.

Hast du während dieser Zeit auch deine Entscheidung bereut, Musiker geworden zu sein? Schließlich steht ihr ja auch unter einem gewissen Erfolgsdruck.

Eigentlich war es ja keine Entscheidung für die Musik und gegen einen geregelten Bürojob. Wir haben vor zirka 16 Jahren angefangen, zu touren und Platten aufzunehmen, als wir noch keine Jobs brauchten. Danach hat sich ja alles irgendwie von allein entwickelt und dazu geführt, dass das jetzt mein Job ist, mit dem ich meine Familie ernähren kann. Ich sehe es eher als Privileg an, dass ich etwas schreiben kann, das dann auch noch andere Menschen interessiert – und ihnen vielleicht in manchen Situationen auch hilft.

Kannst du mir etwas über die Rolle eures neusten Bandmitglieds Paul Rousseau, der 2013 zur Band stieß, beim Schreiben von „Dead Reflection“ erzählen? Schließlich ist er neben dir zu einem eurer Hauptsongwriter geworden.

Wir hatten großes Glück, dass Paul nach dem Weggang von Neil Boshart bei uns eingestiegen ist. Er kam zur ersten Probe auch direkt mit neuen Ideen für Songs, die wir dann schon auf „I Am Alive In Everything I Touch“ verwendet haben. Er ist ein bedeutender Impulsgeber für „Dead Reflection“ gewesen, der mit seinen musikalischen Ideen sehr wichtig für SILVERSTEIN ist.

Im September und Oktober 2017 spielt ihr eine „For The Fans“-Tour, exklusiv in Deutschland und ausschließlich in kleineren Läden. Die Fans können vor der Show sogar eure Setlist bestimmen ...

Wir haben den Leuten hier super viel zu verdanken. In all den Jahren, die wir mit SILVERSTEIN unterwegs waren, konnten wir sicher sein, dass die Konzerte in Deutschland immer richtig gut werden, dass wir uns auf die Fans verlassen können. Das haben wir nirgendwo auf der Welt so gespürt wie hier. Ein anderer Grund für die vielen kleinen Konzerte im ganzen Land ist die Tatsache, dass viele Leute oft sehr weit fahren mussten, um uns zu sehen. Wir wollen uns mit diesen Konzerten dafür bedanken und da ist es nur fair, wenn wir jetzt mal zu den Leuten hinkommen, statt dass sie stundenlang zu uns fahren müssen.

Ihr seid mittlerweile seit 17 Jahren als Band unterwegs und habt in der Zeit mehr als zehn Platten veröffentlicht, mit Post-Hardcore-Klassikern wie „Smile in your sleep“ oder „My heroine“. Würdet ihr euch schon zu Veteranen des eigentlich noch jungen Genres zählen? Schließlich gibt es nicht wenige Bands, die von eurer Musik beeinflusst wurden.

Wie ich gerade schon mal gesagt habe, sind ein paar Dinge um uns passiert, die wir so nicht wirklich wahrgenommen haben. Klar haben wir gemerkt, dass wir mehr Aufmerksamkeit bekommen haben und auch in größeren Clubs spielen. Wir sind sehr angetan davon, wie sich alles entwickelt hat. Ich unterhalte mich sowieso gerne mit den Bands und Leuten, mit denen wir unterwegs sind. Und da ist es mittlerweile auch ein paar mal passiert, dass einige ankommen und erzählen, dass sie unsere Musik beeinflusst hat. Das macht mich natürlich sehr stolz. Wenn ich kann, schaue ich mir dann auch direkt die Auftritte dieser Bands an und gebe ihnen mein Feedback. Aber auch nur, wenn sie mich auch danach fragen. Ich will mich ja schließlich niemandem aufdrängen.