VENI, VIDI, WHISKY

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Teil 4 aus der flüssigen Reihe: „Alles ist gut, bis du es aufmachst!“

Trends? Auch die gibt es bei Whisky, allerdings schlagen diese aufgrund der langen Lagerungszeiten meist erst im Faultiertempo mit einer Verzögerung von etwa drei Jahren auf. Wenn also ein Brennmeister eine tolle neue Idee hat, macht er und lässt sie mindestens 36 Monate reifen, um dann nachzuschauen, ob sie eine gute oder doch eine eher dämliche war. Bis dahin ist es Schroedingers Whisky (grandios und gleichzeitig furchtbar).

Ein Trend, der in den letzten Jahren verstärkt zu bemerken war, ist die Vermarktung „neuer“ Sorten unter Fantasienamen. Was erst einmal nur harmlos nach Marketingstrategie klingt, die sich jemand hat einfallen lassen, weil der Sohn vom Brennmeister eben ein Praktikum in einer Werbeagentur absolvieren musste, hat vielmehr logische Gründe. Der Wegfall der Altersangabe kann häufig seinen Ursprung in der zurückliegenden Rezession haben. Auf einem Whisky mit Kunstnamen wird sich niemals eine Altersangabe finden, sicher ist lediglich, dass er älter als drei Jahre sein muss.

Einige Destillen mussten seinerzeit schließen und hatten nach der Wiedereröffnung einfach keine älteren Lagerbestände mehr, auf die sie zurückgreifen könnten. Andere, die die Flaute überstanden haben, mussten in Zeiten schwächerer Absätze (Whisky war ähnlich wie Punk nie tot, aber einigermaßen „out“) ihre Produktion zurückfahren und haben mit anziehendem Boom ebenfalls keine ausreichenden Bestände mehr, die für eine große Menge des 15- oder 18-Jährigen ausreichen würde. Mal eben die Produktion hochfahren, um ein paar alte Klassikerplatten nachzupressen, wie bei einem Label, funktioniert bei Whisky nicht. Die Reaktionszeiten der Beschleunigung liegen hier im Bereich eines Öltankers. Da das „Wasser des Lebens“ derzeit angesagt ist, könnte man seine zehn Jahre alten Bestände zwar restlos abverkaufen, müsste aber wiederum seine älteren Lagerungen streichen, für die es ebenfalls Abnehmer gibt, die einen ganz anderen Anspruch an den Geschmack einer längeren Lagerung pflegen und dafür auch gerne den entsprechenden Preis bezahlen. Ein wenig wie langfristige Fanpflege, bei der man niemanden verprellen will. Anhänger obskurer Weltverschwörungstheorien werden zwar behaupten, dass das oberste Ziel die Vermarktung älterer und damit teurer Jahrgänge ist, allerdings ist damit auch ein nicht unerhebliches Risiko verbunden, weil niemand sicher voraussagen kann, ob es in zwanzig oder dreißig Jahren dafür überhaupt einen zahlungsfähigen Absatzmarkt gibt, oder ob die nächste Krise nicht dafür sorgt, dass der Laden in fünf Jahren pleite ist.

Ein weiterer beliebter Trend war und ist das Sherryfinish! Das macht so lange Spaß, bis man davon ein halbes Dutzend durch hat. Einen Whisky zum Abschluss noch kurz für ein oder zwei Jahre in ein ehemaliges Sherryfass umzufüllen, damit er eine fruchtige Kirschnote annimmt, war für einige Zeit hip und gut für Brenner, die sich nicht ganz sicher waren, ob ihr Stoff auch so zu etwas taugt. Irgendwann wird man dieser Sache ähnlich der x-ten RAMONES-Cover-, Pop-Punk- oder D-Beat-Band überdrüssig. „Ach, schon wieder eine Sherrynote, gähn.“ Wer sich wirklich traut, lässt seinen Stoff ausschließlich in Sherry- oder Olorosofässern reifen. Wenn wir schon dabei sind: Ein Sherryfass ist ein Fass, in dem vorher Sherry gereift ist. So weit, so gut. Kennst du jemanden, der ernsthaft Sherry trinkt? Selbst ältere Damen sind heute längst auf Gin und anderen Edelsprit umgestiegen, was nicht verwunderlich ist, wenn man selber mal einen Sherry in nüchternem Zustand probiert hat. Woher stammen also all diese Fässer, wenn den doch kaum jemand trinkt? Die Antwort lautet „Essig“. Das wenigste wird tatsächlich Sherry, das meiste hingegen direkt zu Essig verarbeitet. Ob jetzt der Bedarf an Fässern oder der an Essig ausschlaggebend war, wer will das schon so genau wissen?

Warum steht hier eigentlich nichts über Blended Whiskys? Nicht, dass bisher jemand gefragt hätte, aber das Thema steht immer im Raum und es wird gerne von Händlern ins Spiel gebracht, dass es auch tolle Whiskys gibt, die keine Single Malts sind. Das ist richtig, aber im Verhältnis so selten wie Black-Metal-Bands, die mit mehr als drei Gehirnzellen ausgestattet sind. Was heißen soll: Ja, es gibt sie, aber du musst schon wirklich danach suchen. Blends, die aus zig verschiedenen Single Malts zusammengemischt werden, sind hohe Kunst, schmecken aber eben auch immer gleich, ähnlich wie die Burger einer beliebigen Fastfood-Kette, die weltweit nach demselben Rezept hergestellt werden. Sie sind die Radiomusik unter den Whiskys, gefällig, rund, Mainstream. Extreme suchst du hier zumeist vergebens, was du finden wirst, ist solides Handwerk von Masterblendern, die Experten darin sind, dir immer dasselbe Ergebnis zu liefern. Die Diskussion, ob es nicht schwerer ist, aus einem Grundstoff einen hervorragenden Single Malt herzustellen oder aber aus zig sich stets verändernden Einzelzutaten stets ein und denselben Geschmack zu kreieren, kann man durchaus führen, muss man aber nicht, weil es ebenso sinnlos ist wie die hypothetische Debatte darüber, wer in einem Battle zwischen Batman, Godzilla, Spiderman und der Grünen Laterne gewinnen würde. Wer gerne jedes Jahr an denselben Urlaubsort fährt, weil ihm unbekannte Dinge Unbehagen bereiten, oder wer ausschließlich MOTÖRHEAD-Platten sammelt, der ist bei Blends gut und sicher aufgehoben, wer aber neugierig ist, der wird sich höchstwahrscheinlich schnell langweilen oder aber zwangsläufig zum Experten, wenn es darum geht, aus dem Gros der Massenplörre die wenigen tauglichen herauszufischen, bei denen es wirklich etwas zu entdecken gibt. Andererseits verdanken wir der Massenware Blended Whiskys überhaupt, dass einige Destillen, von denen ein paar ausschließlich für diesen Zweck brannten, überhaupt überleben konnten, sowie das Phänomen der „unabhängigen Abfüller“, zu denen wir ausführlicher in der nächsten Folge kommen werden.

Amrut – Fusion

Eine der definitiv sehr wenigen erfreulichen Kollateralschäden aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft dürfte die Existenz der Amrut-Brennerei im indischen Bangalore sein. Wer meint, dass Inder nur schlechte Software und Callcenter können, ist ein elender Vollhonk (möglicherweise auch noch Schlimmeres). Der Fusion überrascht mit einer angenehmen Komplexität aus dunkler Fruchtigkeit und einem leichten Torfrauch, der darüber liegt, ohne alles zu überdecken. In der Nase wirkt er zuerst viel heller, frischer und verträgt auch ein wenig Wasser. Was ihn perfekt macht, ist der warme Abgang im Mund, der extrem lange anhält – ein perfekter Begleiter für einen Ritt mit NEUROSIS. Ebenfalls zu empfehlen ist übrigens der Peated aus demselben Hause, der einem gepflegten Islay verdammt nahe kommt. Paul John ist übrigens die andere indische Brennerei, bei der man im Gegensatz zum Sikkim nicht erblindet.

Bulleit – 95 Rye

Ein exquisites Gebräu aus Roggen in einer geschmackvollen Verpackung, die einer Feldflasche nachempfunden ist. Moment mal, Roggen? Wer aufgepasst hat, wird sich erinnern, dass im zweiten Teil stand, dass Whisky nur aus Gerste gemacht wird. Das war natürlich gelogen und ein Test, wobei erstaunlicherweise keiner widersprochen hat. Theoretisch geht jedes Getreide, ja sogar Mais wurde schon von einer Destille im Fränkischen ausprobiert. Dieser Whisky schmeckte tatsächlich nach Mais, aber wohl doch nicht so gut, dass er in Serie ging. Der amerikanische Bulleit ist value for money, den es für knapp zwanzig Euro gibt. Ein würziger Kollege, der an Spätherbstbäckereien bei Oma in der Küche erinnert, vor allem Stollen, dunkelste Kirschen und ganz viel Aprikose. Er ist zwar nicht sonderlich komplex, dafür aber laaaang anhaltend und wohlig warm, wie Sirup, der den ganzen Rachen ausfüllt. Passend zu WOLFBRIGADE, die auch nicht sonderlich virtuos, aber effektiv arbeiten.

Mackmyra – Brukswhisky

Dieser Schwede, der quasi als „Schnapsidee“ von ein paar Freunden geboren wurde, hat alles, was eine Band wie LEATHERFACE ausmacht. Sonnig, fröhlich, aber dann doch diese Komplexität der Gitarren und diese Tiefe. Der Bruks kommt in einer sommerlichen Aufmachung mit schön bedruckter Flasche und passendem Karton, die der Nase vollkommen entsprechen. Eine Frühlingswiese voller Blumen, Zitrusfrüchte und viel frisches Obst. Im Mund ist er hingegen schön komplex, mit Nüssen, etwas Marzipan und einer unerwarteten Schärfe. Der leichte Abgang verlangt recht schnell nach einem Nachschlag. Ein perfekter Sommerwhisky für lange Nächte auf dem Hausdach. Dass Mackmyra für den MOTÖRHEAD-Whisky auserkoren wurde, kommt nicht von ungefähr, allerdings ist der deutlich teurer, immer noch gut, aber nicht so aufregend wie die Hausmarke. Bei dieser Brennerei lohnt es sich definitiv, tiefer zu graben, auch weil sich der Hype in Grenzen hält.