LULU UND DIE EINHORNFARM

Foto

Die ideale Schwiegertochter

Lulu, auch bekannt unter dem Namen Luise Fuckface oder wahlweise Funface als Frontfrau von THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM, ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten im deutschen Punk. Lulu nimmt kein Blatt vor den Mund. Ihr anzüglicher Humor geht bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus. Lulu ist die ideale Schwiegertochter. Aus diesem Grund war es längst überfällig, der 31-jährigen gebürtigen Berlinerin einige Fragen zu stellen.

Euer Album „Ihr seid alle scheiße“ wurde im Ox-Fanzine #128 verrissen. Unter anderem steht darin geschrieben: „Da höre ich eine Sängerin, die anscheinend ihre Tabletten zu früh abgesetzt hat, ein infantiles Geplärre ...“ Wie fühlt sich das an?


Ich denke, der Rezensent ist ein Hurensohn. Aber sag ihm das nicht. Davon abgesehen wurde so oft schlecht über das geschrieben, was ich mache ... es ist mir tatsächlich einfach egal.

Ist das wirklich so? Haben dich Worte nicht schon mal verletzt?

Am Anfang hat mich das total verletzt. Ich bin ja sehr spätpubertär und hatte immer einen Struggle mit mir und war wirklich sehr unsicher. Da hat mich das natürlich getroffen. Aber irgendwann ist mir eben klar geworden, dass das, was ich mache, für viele schon hart nervig ist. Mittlerweile komme ich drauf klar.

Küchenpsychologie: Bist du so frech geworden aufgrund von Komplexen? Warst du der Klassenclown?

Nein. Ich war nie der Klassenclown. Ich war und bin eher ruhig im normalen Leben. Auf der Bühne kompensiere ich das eben. Aber ich bin im Grunde kein richtiger Assi, ich bin wohl eher ein Fake-Assi.

Hast du manchmal das Gefühl, du könntest dadurch vom Fake-Assi zum echten Assi werden? Vielleicht wirkt sich das ja nach einer Weile wie eine Suggestion auf die eigene Persönlichkeit aus. Oder ist es einfach eine Rolle?

Ich überlege gerade ... aber nein, eigentlich nicht. Nein, eine Rolle ist es auch nicht. Es ist eine Facette, die ich dann und wann raushole. Aber für einen richtigen Assi bin ich zu nett. Ich halte mich gerne an Regeln. Ich hasse es, über eine rote Ampel zu gehen.

Auch wenn kein Auto kommt und du nachts besoffen unterwegs bist?

Ja, immer!

Das hätte ich dir nicht zugetraut.

Ich mach’s ja trotzdem manchmal. Aber ich fühle mich schlecht dabei.

Wie und wo bist du aufgewachsen?

Ich bin im Speckgürtel von Berlin mit Mama und Oma aufgewachsen. Sehr idyllisch. Ich bin total das Mamakind.

Einen Vater gab es nicht?

Einen Vater gibt es. Ich bin mit ihm auf Facebook befreundet. Ich würde jetzt aber nicht sagen, dass er viel Einfluss als Vater auf mich hatte. Als Kind fand ich das kacke, aber irgendwann hat mir das nicht mehr wirklich gefehlt. Mama hat das an sich ganz gut gemacht.

Wie reagiert deine Mutter auf deine Musik und deine Texte?

Die findet das super. Mama ist stolz.

Wann kam bei dir der „Bruch“? Vom Idyllischen zum Verdorbenen? Gab es dafür einen speziellen Auslöser oder vielleicht sogar ein Schlüsselerlebnis?

Ich wollte das immer machen, aber ich hatte einfach einen riesigen Stock im Arsch. Irgendwann habe ich ein Mädchen namens Schrüppe kennen gelernt und war sofort verliebt. Die hat sich alles getraut und ich fand das super. Mit der habe ich dann auch die Crackhuren gegründet. Ich hatte die Ideen und sie hat das gemacht, was ich mich nicht getraut habe.

Hat eine deiner beiden Bands Priorität für dich?

Crackhuren über alles. Das sind meine besten Freunde und ich liebe sie sehr.

Sind die Boys von der Einhornfarm eifersüchtig?

Na ja, zwei der Boys von der Einhornfarm sind ja bei den Crackhuren. Und der Drummer fährt uns meistens. Also sind wir so oder so zusammen.

Und irgendwann wolltest du musikalisch auch richtigen Punk machen?

Ja. Das Lulu-Album ist genau das, was ich selbst gerne hören wollen würde. Bei den Crackhuren kann ich mehr Quatsch machen. Das ist musikalisch flexibler.

Zum Thema Crackhuren: Wie viele Leute kamen und gingen? Gab es viel Zickenkrieg?

Oh, es waren schon einige. Ich habe das nicht im Kopf. Und klar gab es mit der einen oder anderen auch Stress. Jetzt sind wir nur noch vier Girls und das ist sehr entspannt. Wenig Drama. Fast schon unheimlich das Ganze.

Hassen dich ehemalige Mitglieder im Nachhinein und betrachten eure weitere Existenz mit Missgunst?

Ja, da gibt es wahrscheinlich ein paar. Also mindestens eine. Mit ihr kommuniziere ich auch nur über Anwälte. Aber mit den anderen ist es eigentlich gechillt. Ich bin eben die Mama und kümmere mich um alle und will immer, dass es allen gut geht. Es gibt an sich keinen wirklichen Grund, mich zu hassen. Ich benehme mich anderen gegenüber nicht wie ein Arschloch.

War es tatsächlich so schwierig, ein Label für das Einhornfarm-Album zu finden?

Ja, war es. Viele fanden es interessant, aber es war ihnen dann doch zu hart. Richtige Weicheier.

Hatten die Angst um ihre Reputation?

Ich habe keine Ahnung. Vielleicht war es ihnen auch zu sexistisch.

Ist es das?

Klar. Männer werden da schon ziemlich reduziert.

Wo ist das Problem?

Also ich sehe da kein Problem. Aber ich denke, es ist für viele immer noch schwierig, wenn Frauen über Sex und Fäkalien sprechen. Und dann schreie ich auch noch so rum.

Wie steht es um den Sinn für Humor innerhalb der Punk-Szene?

Nicht vorhanden. Es gibt wahnsinnig viele Spießer im Punk.

Nenne mal drei bis fünf Beispiele für Nicht-Spießer.

Hm. Im Grunde interessiere ich mich gar nicht für Punk. Als Band fallen mir spontan DIE SHITLERS ein. Die scheißen einfach so hart auf alles.

Für was interessierst du dich denn dann, wenn nicht für Punk?

Für Schminke und Pferde.

Warum glaube ich dir das nicht?

Vielen Dank. Aber es stimmt. Ich liebe Pferde und Schminke. Kann ich nix gegen machen.

Hast du einen Beruf gelernt oder irgendetwas studiert?

Ich bin gelernte Bürokauffrau und studiere gerade Informationswissenschaften. Völlig lame.

Warum hast du diese Richtung eingeschlagen, wenn sie lame ist?

Weil ich eben irgendwas machen wollte. Ist ja schon eine Weile her. Aber Informationswissenschaften interessieren mich schon.

Heiraten, Kind und Eigenheim – ist das für dich eine Option?

Leider nein. Die Idee finde ich schön. Aber in der Praxis ist es nicht mein Ding.

Wohnst du alleine?

Ich wohne seit einem Jahr alleine. In einer Platte in Berlin-Lichtenberg. Ghetto.

Denkst du manchmal über das Altern nach? Und wie machst du das auf Tour, wenn der Kater mittlerweile zwei Tage dauert?

Später wohne ich mit vielen Katzen zusammen. Das ist mein Plan. Und was den Kater auf Tour betrifft: Kontersaufen ... aber länger als zwei Tage darf dann eine Tour auch nicht gehen.

Magst du Katzen?

Ich mag Tiere allgemein. Aber Katzen sind schon lässig.

„Wenn das Leben dir nur Zitronen gibt, mach Limonade draus“ – bist du ein optimistischer Mensch?

Nein. Die Textzeile soll ja ein Witz sein. Ich hasse solche Leute. „Gude Laune!?“ Kotz.

Bist du melancholisch? Du wirkst sehr gelassen in der Öffentlichkeit.

Nein, bin ich eigentlich auch nicht. Ich bin schon relativ entspannt. Das ist ja das Schöne am Älterwerden. Man scheißt einfach auf alles. Aber ich bin nun mal auch nah am Wasser gebaut. Ich heule eigentlich immer. Egal, ob ich fröhlich oder traurig bin.

Ich hätte dich nicht so sensibel eingeschätzt.

Doch sehr. Ich bin auch sehr empathisch. Ich kann mich in alles reindenken und bin oft für andere mit traurig.

Bist du von Zeit zu Zeit mit Menschen konfrontiert, die keinerlei Sinn für Empathie haben? Und wie reagierst du darauf?

Ja, und das macht mich wütend.

Würdest du dich selbst als Feministin bezeichnen?

Ja, denke schon. Aber eigentlich denke ich darüber nicht nach. Ich finde es generell ätzend, wenn jemand anders behandelt wird, nur weil er irgendwie ist. Ich definiere mich nicht über mein Geschlecht. Boah, bin ich ein Hippie – fällt mir gerade auf, wenn ich mich hier reden höre.

Eine Frage zu Berlin: Stehst du drauf?

Nein. Berlin nervt. Es ist laut und die Leute sind assi.

Mal darüber nachgedacht, dort abzuhauen?

Ich komme halt aus Berlin und ohne kann ich auch nicht. Berlin verwöhnt einen schon hart. Aber ich habe schon oft darüber nachgedacht, hier abzuhauen. Aber ich weiß nicht wohin. Leipzig vielleicht.

Womit hängt die Entwicklung zusammen, dass man in Berlin als „Touri“ beschimpft wird, sobald man offenbart, dass man von außerhalb kommt?

Haha, keine Ahnung. Ich finde Leute ätzend, die sich einen drauf abwichsen, aus Berlin zu kommen. Sehr nervig

Meist sind es Zugezogene.

Ja. Sehr lächerlich.

„Essen, Ficken, Fernsehngucken“ – achtest du eigentlich auf deine Ernährung?

Leider nicht wirklich. Doch manchmal habe ich solche Phasen. Immerhin gehe ich nicht zu McDonald’s und habe seit Jahren auch keine Tiefkühlpizza mehr gegessen. Aber ich liebe Essen. Essen ist das Beste auf der Welt. Am besten so richtig billigen China-Scheiß, wenn ich verkatert bin. Und dann vollgefressen rumliegen. Mit viel Glutamat im Darm.

Wie reagieren eigentlich Kerle auf dich? Sind die eingeschüchtert? Welcher Typ Mann entspricht deinem Beuteschema?

Ja, die sind oft eingeschüchtert. Manche denken, dass sie mich beleidigen können, weil ich ja auch so asozial daherrede, aber sorry ... welche Frau steht da schon drauf? Ich bin ein Opfer-Magnet. Alle meine Ex-Freunde sind mehr oder weniger depressiv. Also ist das wohl mein Beuteschema. Ich bin eigentlich auch lieber in keiner Beziehung.

Ich hatte mich auf deinen Rat hin bei einer Dating-Seite angemeldet und darüber nun eine Freundschaft Plus kennen gelernt mit Betonung auf Freundschaft. Das war wirklich eine überraschend positive Erfahrung.

Cool, das freut mich. Ich habe zur Zeit keine Lust auf Dates. Dafür bin ich viel zu faul. Dieses Daten und Abchecken ist so anstrengend. Momentan muss ich mal ein bisschen chillen und mich um mich selbst kümmern.

Wie reagieren Frauen in der Regel auf dich? Finden die gut, was du machst? Wie sind deine Erfahrungen?

Ja, schon überwiegend positiv. Frauen und ich sind cool miteinander. Ich freue mich auch immer, wenn Frauen da sind. Also ich bin sehr gerne mit meinen Girls unterwegs und freue mich, wenn ich eine überreden kann, auch bei den Einhörnern mitzufahren. Nur mit Jungs ist es ätzend und ich muss mich immer alleine schminken. Ich bin auch mit allen Freundinnen und Frauen von meinen Boys cool. Das finde ich sehr wichtig.

Eine Freundin von mir war mit ihren Girls auf einem Festival. Sie haben sich im Verlauf der Tage völlig in die Haare gekriegt. Das tat mir sehr leid, zumal sie sich so sehr darauf gefreut hatte. Sie meinte, beim nächsten Mal fährt sie nur noch mit Kerlen. Aber ich vermute, das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, wenn ich bedenke, wie regelmäßig ich Stress mit männlichen Kumpels habe. Es liegt an den Charakteren und nicht am Geschlecht.

Ja, eben. Also ich finde meine Boys teilweise tussiger und zickiger als die Mädchen.

Hast du schon mal einen richtig guten männlichen Freund gehabt, mit dem du zuvor nichts Sexuelles hattest?

Ja, aber eher weniger. Echi, mein Bassist, zum Beispiel.

Gibt es Promis, die du geil findest? Bei denen du sagst, die hätte ich gerne in meiner Bude sitzen, wenn ich als alte Katzenlady ende.

Geil im Sinne von sexy?

Viel mehr kann man ja über solche Personen ja meist nicht aussagen. Also einigen wir uns auf sexy.

Mal nachdenken ... Florian David Fitz, ich steh so krass auf ihn. Aber hauptsächlich in der Rolle als Dr. Meier in „Doctor’s Diary“.

Gibt es auch Punker, die du sexy findest?

Nein, ich glaube nicht. Außer Martin Seeliger von den SHITLERS.

Traumtyp?

Definitiv. Wir haben geheiratet vor drei Jahren. Oder zwei. Weiß nicht mehr so genau.

Und bringt er es noch? Sexuell?

Keine Ahnung. Wir haben es nicht ausprobiert.

Gute Basis für eine funktionierende Ehe.

Auf jeden Fall. Sex macht doch voll viele Sachen kompliziert.

Von Archi von der TERRORGRUPPE würde ich mich trotzdem sofort knallen lassen.

Echt? Ich nicht. Aber der ist auch so etwas wie mein Papa.

Ist er ein guter Manager?

Ja. Sehr. Aber er ist es ja nicht mehr, seitdem er wieder mit TERRORGRUPPE unterwegs ist. Er produziert aber noch. Und ich kann ihn immer noch anrufen, wenn irgendwas ist. Das ist toll. Ein guter Papa.

Eine letzte Frage: Wird es neue Alben geben?

Wir machen gerade das neue Crackhuren-Album. Ganz langsam aber. Ende des Jahres wollen wir mal gucken, ob wir mit den Einhörnern noch mal was hinbekommen. Ich würde uns ja gerne umbenennen.