TOM MESS

Foto© by Tom Mess

Tapferer Einzelkämpfer

Und es gibt sie noch, Musiker, die Musik der Musik wegen machen, sich ihre kleine Nische suchen, und ab- und eintauchen in die Welt selbstgemachter Klänge. Alltagsfluchten. Einfach zur Klampfe greifen und rauslassen, was Seele und Schultern belastet.

Tom Mess, ein tapferer Einzelkämpfer aus Karlsruhe, ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Glaube an sich, die Kraft der Musik und an gute Songs einem immer wieder motiviert und anspornt weiterzumachen. Nach einigen Jahren Punkrock, ersten Gehversuchen im Fahrwasser von Chuck Ragen und Tim Barry bahnt sich mit dem 2014er-Werk „Ford“ eine Rückkehr zum Fullband-Modus an, was nun mit dem vollwertigen D.I.Y.-Album, „Forget Everything (And Rock)“ weiter an Kontur gewinnt. Alternative-Country-Nerds und Fans von geschmeidigem Americana-Rock mit Punk-Roots, aufgepasst: das ist euer Mann!

Tom, das neue Album „Forget Everything (And Rock)“ ist im Vergleich mit seinem Vorgänger ein echter Quantensprung in puncto Griffigkeit und Feeling und vom Sound her deutlich selbstbewusster. Vor allem der „Full Band-Modus“ überzeugt. Wie kam das zustande?


Als es nach „Ford“ etwas ruhiger wurde, hatte ich Lust auf Songs, die noch etwas mehr rocken. Angedacht waren zuerst nur drei bis vier Stücke, aber nach und nach kamen mehr dazu. Und schon länger hatte ich dieses Foto von Dieter Blümner als mögliches Cover im Kopf. So probierte ich also in Photoshop aus, ob es was taugt – fast zeitgleich schrieb ich an dem gleichnamigen Song, „Forget everything“, und ja, manchmal kommt irgendwie alles zusammen und es passt dann, also das Cover, der Name, die Lyrics und die Stimmung vom Album. Es war nichts geplant. Es ist einfach so entstanden. Leider entsteht nicht alles so automatisch. Und der Titel bedeutet genau das, was es übersetzt heißt: Vergiss alles um dich herum und mach Musik!

War also rückblickend das „One man and his guitar“-Prinzip doch nicht so zielführend?

Ich spiele ja immer noch genauso viele Shows solo wie mit Band, aber mit reinen Akustikalben ist es irgendwann einfach gut. Geändert hatte sich das aber alles erst, als ich nach zig Homerecording-Jahren endlich Matthias Müller inklusive Studio gefunden hatte. So nehmen Matze und ich seit 2014 alles zusammen auf, also nur wir zwei in seinem Studio. In meinen Solo-Jahren vor 2014 bin ich ab und an schon an Grenzen gestoßen, aber nicht so sehr, dass es mich jetzt extrem gestört hätte. Ich meine, dass man nicht alles umsetzen kann, ist klar, aber mancher Song verlangt förmlich nach mehr, etwa langsame Dreivierteltakt-Nummern können solo sehr zäh bis extrem langweilig rüberkommen und die rockigen rocken eben nicht ganz so dolle. Es war also eine logische Konsequenz. Mal solo, mal mit Band, das ist perfekt! Ich bin flexibel und kann machen, was ich will.

Hast du ernsthaft überlegt, das Album nur digital rauszubringen – objektive Gründe, gerade für „kleine“ Künstler gibt es leider zur Genüge. Oder musste es schlichtweg im amtlichen Format erscheinen?

Da gab es von Anfang an keine Zweifel: Vinyl! Weil Vinyl bleibt, wenn von uns nix mehr übrig ist. Aber natürlich gibt’s das Album auch digital und auf CD.

Und wie stemmt man Produktion, Vertrieb und Co. als Einzelkämpfer, ohne große Verluste an Geld, Nerven und Zeit zu riskieren?

Verluste sind von vornherein einkalkuliert. Die Lebenszeit ist eher das, was mich dann ab und an zweifeln lässt, gerade mit Nachwuchs. Die ganze Herangehensweise hat sich aber seither stark verändert. Ich arbeite langsamer und weniger, dafür konzentrierter und effektiver, denke ich. Und mit Red Lounge Records habe ich einen guten Partner. Da die Stückzahlen und Verkäufe überschaubar sind, mache ich die meisten Sachen ums Album wie Promo oder Videos alles selbst. Und ich liebe Artwork, ich würde das nie aus der Hand geben, wobei ich dieses Mal, und das zum allerersten Mal ever, ein fremdes Coverfoto benutzt habe, auch um Lebenszeit einzusparen, haha. Ich bedrucke übrigens auch meine Shirts selbst.

Wie nachdenklich-melancholisch bist du privat? Ist Musik deine Flucht aus dem Alltag?

Sehr und ja. Ich bin schon mal etwas abwesend und lächle selten, haha. Und die Zeit zum Musizieren ist ganz klar ein Ausgleich wie für andere wohl Laufen. Nur weil Laufen oder Sport gesund ist, ist es ja nicht weniger eine Art Flucht, würde ich sagen. Ich meine, wenn ich mich meinen negativen Gedanken stelle oder diese versuche zu nutzen, also in einen Text packe, macht der Scheiß sogar Spaß. Aber egal, wie schön man sich die Flucht redet, man schaut dabei ja meistens eher weg als vor oder zurück. Was Fliehen zu einer schlechten Eigenschaft macht, zumindest im Volksmund, aber wenn man immer wieder zurückkommt, gestärkt und ruhiger, dann hilft das ja wiederum allen.

Welche Künstler inspirieren oder motivieren dich, zu Beginn deiner Solokarriere und heutzutage?

DRAG THE RIVER sind seit 2008, als die Solo-Schiene bei mir losging, für mich die Band überhaupt. Als Zweites muss ich die heimlichen Alternative-Country-Götter THE WEIGHT aus den Staaten nennen, die es leider schon seit 2008 nicht mehr gibt, aber die haben mich extrem fürs neue Album motiviert. Und John Moreland natürlich, den ich, glaube ich, seit 2010 höre. Auf die Idee gebracht, solo zu spielen, haben mich mit Sicherheit Mr. Chuck Ragan beziehungsweise RUMBLESEAT. Und Tim Barrys erste Deutschlandtour so um 2006, das war damals was Neues für uns. HOW I LEFT sollte man sich noch anhören, da sind zwei von meiner alten Band dabei, auch sehr inspirierend!

Fühlst du dich jetzt, da das Album draußen ist, schon wieder inspiriert, neue Songs zu schreiben, oder brauchst du erst mal ein wenig Abstand?

Normalerweise tut sich danach ein kleines bis mittelgroßes Loch auf, diesmal hatte ich, allerdings schon wieder neue Songs fertig, bevor die Platten gepresst waren. Wahrscheinlich, weil ich mir vornahm, erst mal eine kleine Pause zu machen. In ferner Zukunft möchte ich mal eine richtige Country-Rock-Scheibe machen und mir eine Pedal Steel kaufen, haha.