TROTTEL

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Punk und Hardcore in Ungarn

Tamás Rupaszov, Bassist und Gründer der wohl bekanntesten ungarischen D.I.Y.-(Progressive-)Punkband TROTTEL und seit 1992 Betreiber von Trottel Records, ist ohne Frage ein rastloser Aktivist. Bereits in den Achtzigern brachte er noch in der Illegalität Veröffentlichungen auf Tape unters Volk. Auch wenn seine Aktivitäten bis heute vom widerspenstigen Geist des Punk und des Undergrounds geprägt sind, ist er stets auf Veränderung und Entwicklung bedacht gewesen, nicht zuletzt stilistisch, was sich sowohl an der Band als auch im Portfolio des Labels zeigt. Während TROTTEL derzeit ruhen, stellt das Label gerade mit zahlreichen neuen Releases wieder diverse Brücken zur Vergangenheit her – sowohl zur eigenen als auch zu der von Punk und Hardcore in Ungarn generell. In relativ kurzer Folge erschienen via Trottel Records auf Vinyl die drei „Pajtás Daloljunk“-Compilations „HC (Magyar Hardcore 1984-1988)“, „Y (Magyar Punk 1983-1987)“ und „X (Magyar Punk 1982-1986)“ (angelehnt an die „Pajtás Daloljunk“-Tape-Reihe der Mittachtziger), gefolgt von einer Aufarbeitung des Frühwerks der Budapester Punk-Legende ETA. Folgendes überarbeitetes und erweitertes Interview mit Rupaszov wurde ursprünglich von Martin Suicide für das tschechische Punk-Online-Magazin kidsandheroes.com geführt.

Tamás, wie und wann ging es mit Punk in Ungarn los?


Es begann Ende der Siebziger, als ich noch viel zu jung dafür war, mit der Band SPIONS. Die große Explosion aber fand Anfang der Achtziger statt. Plötzlich gründeten sich unzählige Bands. Hauptsächlich in Budapest, aber es gab auch ein paar in anderen Städten.

Gab es von Anfang an Druck von den Behörden oder starke Repressionen seitens der Polizei? Wie waren deine persönlichen Erfahrung als Punk im „totalitären“ Ungarn?

Soweit ich weiß, wurden die paar Konzerte der SPIONS alle abgebrochen und die Band verließ Ungarn bald danach. Als ich zum Punk kam, waren sie also längst im Ausland. Ich denke, die Polizei wie auch die Jugendbehörden wussten anfangs überhaupt nicht, was das sein soll und wie man damit umgehen könnte. Es gab Konzerte, sowie mehr und mehr junge Punks, es gab Skandale und auch bald junge Polizisten undercover im Publikum. Ich fing 1981 an, in einer Band namens ROTTENS zu spielen, da war ich 15. Gleich unser zweites Konzert wurde von einem Journalisten gefilmt und sogar im Fernsehen ausgestrahlt, in irgendeinem Jugendprogramm. Aber die Polizei hatte das wohl auch gesehen. Kurz danach wurden wir vorgeladen und zu den Texten und unseren Aktivitäten gegen den Staat befragt. Die Bandmitglieder waren aber alle zu jung, um belangt werden zu können, mit Ausnahme des Sängers. Der war 19 und wurde auch gleich verhaftet. Ähnliches passierte allen Bands damals, alle landeten irgendwann bei Verhören, wurden registriert und überwacht. Zum Zusammenbruch kam es aber, als 1983 die Band CPG von Szeged nach Budapest zog und ein paar extrem skandalöse Konzerte spielte, 1984 schließlich ihren Prozess hatte und für längere Zeit im Gefängnis landete. Danach gab es erst einmal eine ziemlich ruhige Phase, in der viele aus der Szene Ungarn verließen oder es zumindest versuchten, und andere wiederum mussten zur Armee. Die zweite Hälfte der Achtziger war dann bedeutend ruhiger, auch weil die Texte der Bands nicht mehr so direkt politisch waren. Vermutlich weil wir alle ein wenig älter geworden waren und niemand im Knast enden wollte. Neben der Punk-Szene gab es zu meiner Zeit auch noch eher Kunst und New Wave zugeneigte Leute, mit diversen interessanten, ja objektiv besseren Bands wie KONTROLL, URH oder BIZOTTSÁG, die auf ihre Weise intellektuell und zudem etwas älter waren, von der Polizei aber genauso verfolgt wurden wie die jüngeren Punks. 1983 drehte die Französin Lucile Chaufour einen kurzen Underground-Dokumentarfilm auf Super 8 namens „T’34 – Le râle des genêts“. Das ist auch die einzige Dokumentation dieser Ära. 2012 machte sie mit „East Punk Memories“ noch einen zweiten Film zu dem Thema, mit all den Leuten, die damals noch Teenager waren. Sie sang übrigens auch auf dem TROTTEL-Album „The Same Story Goes On The Castle On The Peak“ von 1992.

Du erscheinst ja auch im Film, hast aber bisher vermieden, ihn dir anzusehen.

Vergangenheitsaufbereitung ist natürlich eine schwierige und hier auch sehr persönliche Sache.

Aber du veröffentlichst andererseits gerade Vinyl-Compilations mit einer Unmenge an ausgegrabenem Material. Was ist die Geschichte dahinter?

„Pajtás daloljunk“ ist ein altes kommunistisches Jugendlied, und wir starteten Mitte der Achtziger unter dem Titel eine Serie mit ungarischem Punk auf illegal vertriebenen Kassetten. Zu jener Zeit hatte ich keinen Pass, ich konnte das Land bis 1989 nicht verlassen, und begann daher zusammen mit der damaligen TROTTEL-Sängerin Ildikó mit Leuten auf der ganzen Welt zu korrespondieren. Wir wurden Teil der internationalen D.I.Y.-Punk-Szene und all das weckte in uns eine extreme Leidenschaft, als wir sahen, dass Punks weltweit etwas taten, kleine Radioshows, Fanzines, Underground-Labels und so weiter betrieben. Und das wollten wir auch! Wir bekamen riesige Mengen von Magazinen und Musik zugeschickt, Pakete von überall. Natürlich stets vorher geöffnet durch die Staatsmacht. Also beschlossen wir, diese Compilations zu machen und sie außerhalb Ungarns zu verbreiten. Wir vervielfältigten die Tapes zu Hause mit einem Hitachi-Doppel-Kassettendeck, gestalteten die Cover von Hand und fotokopierten sie dann. In den Achtzigern war die Vervielfältigung per Druck verboten, also gingen wir zu verschiedenen Kopierläden und machten jeweils nur ein paar Blätter. So entstanden zwischen 1985 und 1994 vier Tapes, wobei das Letzte schon offiziell auf Trottel Records erschien. Die Vinyl-Serie geht zwar auf diese Compilations zurück, ist aber keine Vinyl-Version der alten Veröffentlichungen. Damals haben wir die aktuell zu der Zeit existierenden Bands abgebildet. Auf den ersten beiden LPs, „Pajtás Daloljunk X“ und „Y“, finden sich aber auch viele Bands der frühen Achtziger, von denen nie etwas erschienen ist. Bands wie T’34, KOORDINÁCIÓ B oder INVÁZIO 84, aber auch Tracks vom allerersten Konzert des ersten Line-ups von TROTTEL im Frühjahr 1982. In sehr schlechter Qualität ... Aber natürlich dokumentiert das auch, was nach 35 Jahren noch auf alten Bändern übrig ist, zumal diese Bands schon damals einen schlechten Live-Sound hatten. „Pajtás Daloljunk Y“ beinhaltet beispielsweise frühe Demoaufnahmen von wichtigen Bands wie QSS oder KRETENS, neben RIZIKÒ FUCKTOR, KAISER UND KÖNIG oder HERPESZ. Auf „Pajtás Daloljunk HC (Magyar Hardcore 1984-1988)“ versammelt sich hingegen die frühe Hardcore-Szene, darunter auch MARINA REVUE, bei denen ich in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Besetzung von TROTTEL spielte, sowie unter anderem LEUKÉMIA, BANDANAS, PSYCHO oder AMD. Die kommende vierte LP spannt den Bogen von 1981 bis 1988 und enthält glücklicherweise neben Bands aus der Hauptstadt auch solche aus Eger, Nyiregyháza oder Szombathel. Mit ETA veröffentliche ich demnächst zudem eine der legendären frühen ungarischen Punkbands, gegründet 1980. Sie spielten bald mehr oder weniger regelmäßig in Budapest und waren schon ziemlich populär, als sie wegen der permanenten Polizeiprobleme 1982 vorerst aufgaben. Seither haben Generationen von Punks die gleichen schlechten Live-Mitschnitte gehört, die vom Publikum gemacht wurden. Wir haben nun einen Originalmitschnitt von der Band, restauriert im Studio des Gitarristen, was nicht nur der erste ETA-Release ist, sondern wahrscheinlich auch der einzige überhaupt in guter Qualität, was Punk von Anfang der Achtziger in Ungarn betrifft.

ETA waren 1985 ja auch auf der französischen Compilation „Vilag Lazadoi Harcra Fel“ vertreten. Erschienen in den Achtzigern weitere Platten mit ungarischem Punk neben dieser?

Diese EP, zusammengestellt von Lucile Chaufour, ist das einzige offizielle Dokument aus den frühen Achtzigern. Die Bands hatten damals entweder schon eigene Aufnahmen oder wir gingen zu ihren Proben und nahmen dort etwas auf. TROTTEL zum Beispiel sind weder im Film noch auf der Compilation, weil unser Drummer zu der Zeit, der zweiten Hälfte von 1983, gerade Ungarn gen Österreich verlassen hatte und dort im Flüchtlingslager festsaß. Wir fanden aber so schnell keinen neuen. Es gab ein paar ungarische Bands, die auf internationalen Compilations enthalten waren, wie VÁGTÁZÓ HALOTTKÉMEK beziehungsweise VHK 1981 auf „Fix Planet!“ von Ata Tak, falls man die zu Punk zählen will. Aber auch TROTTEL, zum Beispiel auf „1984 The Third“ von 1987 auf New Wave Records. Aber ansonsten gab es nichts, erst wieder Ende der Achtziger, als die erste VHK-LP in Deutschland erschien. Oder dann 1989 die TROTTEL-12“ „Borderline Syndrôme“ in Frankreich und die erste AURORA-EP, ebenfalls in Westdeutschland, wie auch ihre erste LP „Viszlát Iván“.

Für viele war die erste Begegnung mit einer ungarischen Band der BIKINI-Track auf dem berühmten „World Class Punk“-Sampler auf ROIR von 1984. Waren sie wirklich Teil der damaligen Punk-Szene?

BIKINI wurden von vierzig Jahre alten Rockern gegründet, die vorher in diversen klassischen Hardrock-Bands gespielt hatten. Sie hatten alle schon eine Karriere als Musiker hinter sich. Da Punk für mich nie nur Musik war und auch bis heute ist, kann ich das nicht Punk nennen. Besonders wenn zur gleichen Zeit ein paar Punks meiner Generation im Gefängnis saßen. Ich würde nie sagen, dass die BIKINI-Alben uninteressant wären, aber sie wurden eben ganz offiziell auf einem staatlich betriebenen Label veröffentlicht. BIKINI-Scheiben war übrigens auch im Ungarischen Kulturzentrum in Ost-Berlin erhältlich. Für Punks aus anderen Ostblock-Ländern erschien Budapest in den Achtzigern ja wie ein Punk-Paradies, mit Shops, in denen man Punk-Zeug kaufen konnte, und internationalen Shows.

Erinnerst du dich an westliche Bands, die Ungarn damals besuchten?

Nur an ein paar. Wenn ich mich recht erinnere, kam 1985 eine schräge österreichische Kunstpunk-Band namens DRAHDIWABERL, die wirklich vor 2.000 Leuten spielten. Auch mein erstes BLURT-Konzert in einem kleinen Studenten-Klub ist mir noch in guter Erinnerung. Auf jeden Fall spielten DIE TOTEN HOSEN. Wir hatten ein großes Konzert mit der deutschen Band NORMAHL und ab 1987 fingen wir auch an, Bands für kleine Shows einzuladen. Wie GENOSSEN aus Westdeutschland. Deren Konzert endete für uns allerdings nicht so gut, denn etwa fünfzig Nazis warteten auf mich und meine Band, wir mussten fliehen und sie verfolgten uns, bis wir doch noch in einem Trabant entkamen, diesem kleinen ostdeutschen Gefährt aus Pappe. 1988 eröffnete dann in Budapest das legendäre Fekete Lyuk, also Schwarzes Loch, der erste osteuropäische Underground-Klub. Für uns war es eine Art Heimat, wir probten dort und ich organisierte Shows mit ausländischen Bands von 1988 bis 1993. Die ersten waren PARABELLUM und HAINE BRIGADE aus Frankreich, mit denen wir noch in drei anderen ungarischen Städten spielten, danach wurden es mehr und mehr.

Gab es auch Kontakte zu Punks aus anderen Ostblock-Ländern?

Ich korrespondierte wie gesagt ab 1985 mit der ganzen Welt. Ich konnte zwar niemand persönlich treffen, war aber in Kontakt mit Leuten, Fanzine-Machern und so weiter aus dem Osten. Später, als ich meinen Pass bekam und wir mit TROTTEL ab 1989 touren konnten, lernte ich manche Punks kennen, weil sie Konzerte für uns in Polen oder der Tschechoslowakei organisierten. Mit einigen bin ich heute noch in Kontakt, wie Michał Hałabura vom Label Nikt Nic Nie Wie aus Polen oder Martin Valášek aus der ČSSR, der Malárie Records macht. Martin organisierte damals die erste TROTTEL-Tour dort, aber auch letztes Jahr noch ein paar Konzerte meines Folk-Punk-Projekts PAPRIKAPAPRIKA.

Wie sah es eigentlich damals mit Drogen in Ungarn aus?

Gleich nach Alkohol ging ich mit 16 für ein paar Jahre zu Klebstoff über. Ich erinnere mich noch, wie ein Freund einen 25-Liter-Kanister voll Klebstoff stahl: großartig, wir hatten alle Stoff für ein paar Wochen! Das war nicht ohne Risiko, denn manche verloren echt den Verstand und stülpten sich die Tüte mit dem Klebstoff über den Kopf. Der war aber extrem stark, eigentlich für Schuster, um die Sohlen zu kleben, also schwer zu entfernen, und so verloren sie ihren Iro. Wir haben dann natürlich alles probiert, was sonst noch schädlich sein könnte. Alle Arten von Tabletten, auch zusammen mit Alkohol. Dann kam Mohn-Tee. Du hast Sträuße im Blumenladen gekauft, die Mohnblüten enthielten. Das war unverdächtig, denn du hättest sie ja verschenken können. Dann wurden die getrockneten Mohnblüten zerrieben und Tee draus gekocht. Stank ekelhaft und schmeckte schrecklich, hatte aber gute Effekte. In der zweiten Hälfte der Achtziger sind mehr und mehr Leute gleich aufs Land gefahren und haben den frischen Mohn geerntet. Man presste diesen weißen Saft aus, trocknete ihn, versetzte es mit Wasser und injizierte das Gemisch. Das war eine Spur härter – ich habe das nie probiert. Viele wurden so von Opium abhängig, starben daran oder wechselten später zu Heroin. Parallel haben wir damals aber auch Gras für uns entdeckt. Es gab überall im Land Hanffelder – vor allem Nutzhanf für industrielle Zwecke. Aber manchmal brachte er doch die gewünschte Wirkung. Wenn so ein Feld entdeckt wurde, strömte man mit Bus oder Bahn oder sonst wie herbei und konnte mit riesigen Säcken voller Gras zurückkommen, genug für Wochen. Wenn es nicht so gut war, musste man eben viel rauchen und es stank wie verbrannter Gulasch. Aber es war kostenlos. Die Polizei ahnte anfangs nichts und wir hatten ein paar schöne Jahre. Dann stoppten sie das mit den Feldern, auch mit dem Mohn. Aber es wuchs auch eine Menge wilder Hanf, den wir auf Tour einfach am Wegesrand ernteten und zu Hause testeten. Andere haben damals über Verwandte oder Freunde Rezepte bezogen und sich mit Medikamenten aller Art versorgt, teils mit Amphetaminen. Oder man ist gleich in Apotheken eingebrochen und hat die Morphium-Ampullen geklaut. LSD und Speed lernte ich aber erst in den Neunzigern kennen. Ich kannte allerdings auch jemand, der hat sich Wodka gespritzt!

Du hast in einer Diskussion zur „Warschauer Punk Pakt“-Ausstellung, die 2017 in Leipzig zu sehen war, zum Erstaunen vieler gesagt, dass das Auftauchen der ersten Skinheads kein sich irgendwie absetzendes politisches Statement darstellte, sondern diese sich im Gegenteil mit Teilen der Punk-Bewegung nationalistische und rassistische Einstellungen teilten.

Da wir zum Sowjet-Block gehörten und Teil der internationalen sozialistischen Gemeinschaft waren, durfte es keinen Platz für nationale Gefühle geben. Genau deswegen hatte wiederum fast jede Bewegung dieser Zeit auf gewisse Weise auch einen „nationalen Aspekt“. Von der Tanzhaus-Bewegung der Siebziger, über die Rocker beziehungsweise Csöves bis hin zu Punk Anfang der Achtziger. Sich „ungarisch“ zu fühlen und zu einem Volkstanz-Abend zu gehen, damit bezog man bereits Position gegen die Sowjet-Unterdrückung. Die ersten Skinheads von 1982/83 gehörten ursprünglich zu den allerersten Punks und hatten genug davon, dass immer mehr Kids zu Punks wurden. Um sich zu unterscheiden, schnitten sie sich die Haare ab, wurden zu Skins und fingen an, die gerade dazugekommenen jüngsten Punks zu verprügeln. Im Film über T’34 wurden Skins und Punks noch zusammen gefilmt, weil sie da noch gemeinsam ihrer Wege gingen. Erst 1985/86 näherten sich die Skinheads einerseits der extremen Rechten und Teile der Punks auf der anderen Seite dem Anarchismus. In den späten Achtzigern wurde es dann mit den Skinheads immer krimineller, denn sie attackierten Araber oder Schwarze, einige landeten deswegen auch im Knast. Danach entwickelte sich aus der Skin-Bewegung das, was sie heute „Nationalen Rock“ nennen. Das erlebte seinen großen legalen Aufschwung mit der ersten christlich-rechten Regierung Ende der Neunziger und später vor allem durch die Zusammenarbeit mit der extrem rechten Partei Jobbik. Es gibt zwar auch heute noch Hardcore-Nazi-Skins, die mit Gewehren in den Wäldern trainieren, aber das ist die absolute Minderheit. Auch Punk war in den Achtzigern ziemlich rechts, teils als Antwort auf die kommunistische Repression, in den Neunzigern bewegte es sich ins Unpolitische. Die heutige Punk-Generation hat sich von dieser Anti-links-Ideologie allerdings größtenteils verabschiedet und orientiert sich an eher linken D.I.Y.-Ideen.

Wie habt ihr – aus einer Punk-Perspektive – den Systemwechsel 1989 gesehen?

Ich kann das nur aus meiner Sicht beantworten, ich weiß auch nicht, ob es so etwas wie eine generelle Punk-Perspektive gibt. Ab 1987 hatte man schon das Gefühl, dass das System nicht mehr lange durchhält. Ich versuchte weiter jedes Jahr, einen Pass zu bekommen, aber es wurde immer abgelehnt. Ansonsten hatten wir aber nie direkt Ärger, trotz all dieser illegalen Aktivitäten in Bezug auf Fanzines, politische Pamphlete, Musik ... Wir lebten dann sogar außerhalb von Budapest in einem großen Haus der Demokratischen Opposition. Der Eigentümer betrieb einen illegalen und trotzdem sehr bekannten Verlag sowie eine alternative Theatergruppe. Vor jedem Nationalfeiertag – dem Tag der Befreiung am 4. April oder am 15. März, Tag der Revolution, oder am 23. Oktober, dem Jahrestag des Aufstands von 1956 – stand die Geheimpolizei auf der Straße gegenüber und hörte uns ab. Wir verwendeten dann ein paar Tage eine Art blumige Geheimsprache, das war alles. Es war keine extreme Diktatur, aber trotzdem wollten wir, dass es endlich vorbei ist, denn es war so heuchlerisch und lächerlich. Außerdem wurde die Nachfrage nach den Tapes immer größer und es war schwer, das weiterhin illegal zu bedienen. Allerdings kannte ich den Westen schon ein wenig und wusste, dass der Wechsel uns kein großartig neues und wirklich gutes System bringen würde. Für mich waren Reisen und eine freie Presse das Wichtigste. Die demokratische Opposition, hauptsächlich Intellektuelle, und die Leute um sie herum waren aktiv, aber ansonsten kann man nicht sagen, dass die Gesellschaft so stark für die Systemveränderung eintrat. Klar, jeder mochte die Idee, anstelle von Trabant und Škoda gute westliche Autos zu fahren oder wie im Westen konsumieren zu können, aber politisch waren sie inaktiv. Ende der Achtziger starteten ein paar Organisationen, aus denen dann die ersten Parteien wurden. Wie die nationalistische Jugendbewegung, aus der die regierende Fidesz-Partei mit Orbán hervorging. Das war ursprünglich eine ziemliche große Studentenbewegung damals, in ganz Ungarn. Da waren sie noch nicht rechts, sondern hatten sogar eine anarchistische Strömung. Aber es kam zum Systemwechsel, weil die Kommunisten aufgaben und einen Deal mit der Opposition machten. Zu der Zeit, 1989, konnten wir mit TROTTEL dann schon touren. Eines Tages kamen wir aus Richtung Österreich zurück und da sah das Landesschild plötzlich anders aus: bei Volksrepublik Ungarn war „Volks“ übermalt worden.

TROTTEL waren da schon relativ bekannt. Skizziere doch mal den langen Weg der Band ...

Das erste Konzert des ersten Line-ups von TROTTEL war wie dokumentiert im Frühling 1982. Wir gründeten die Band, nachdem der Sänger meiner ersten Band Ende 1981 verhaftet wurde. Nach einem längeren Break formierte sich die Band 1985 erneut. Das war der Anfang der D.I.Y.-Periode und sowohl musikalisch als auch ideologisch weitaus interessanter als das, was wir mit 15 oder 16 gemacht hatten. Unser erstes Demotape haben wir 1986 veröffentlicht, das war bereits etwas komplexerer Punk, so Richtung SUBHUMANS. Dann machten wir 1989 unsere Europatour und nahmen die erste Platte in Frankreich auf. Die Musik wurde immer komischer, war ab 1992 dann nur noch instrumental und auch noch abgedrehter mit allen möglichen Progressive- und Psychedelic-Einflüssen. Im Laufe der Neunziger wurde es mehr und mehr experimentell. Ab 1999 sogar mit Keyboards und von da ging es an in alle möglichen Richtungen, bis heute. Die Presse und die Leute gaben uns stets neue Genrebezeichnungen, aber ich denke, TROTTEL sind einfach eine eklektische Band. Mit einer Punk-Haltung, die heutige Punks vielleicht nicht Punk nennen würden, aber das ist egal. Wir hatten eine Menge Line-ups und es erschienen elf sehr unterschiedliche Alben, aber immer mit der gleichen Kraft, Energie und Motivation, wie ich hoffe.

Wie war das, als ihr auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs aufgetreten seid? Und wie seid ihr dann an Labels wie X-Mist und Gougnaf gekommen, die eure ersten LPs rausbrachten?

Wir hatten ja schon eine Menge Kontakte. Wir warteten lediglich noch auf meinen Pass, um endlich reisen zu können. Ende 1988 freundete ich mich mich jemandem an, der das Label Bondage Records betrieb, Heimat legendärer französischer Bands wie BÉRURIER NOIR, und ich stellte ihm TROTTEL vor, wohl wissend, dass er eher lustige, simplere Sachen mag. Er sagte dann auch, er wäre nicht interessiert, aber er hätte einen Freund, der das Label Gougnaf Mouvement machte und verrückt genug dafür wäre. Und so war es auch. Dort kam unsere erste Platte raus, „Borderline Syndrôme“. Gougnaf war damals das zweitgrößte alternative Label in Frankreich, es gab also ein wenig Promotion und schließlich Konzerte. Unser erster Gig war am 4. Februar 1989 in Berlin, als Auftakt einer drei Monate langen Tour durch ganz Westeuropa. Wir kamen in Ost-Berlin mit dem Zug an, denn unser Van, ein ostdeutscher Barkas, war schon in Budapest zusammengebrochen. Am Bahnhof in Ost-Berlin holte uns ein West-Berliner Freund des Drummers ab und wir fuhren durch den berühmten Checkpoint Charlie, durch die Berliner Mauer über die Grenze von Ost und West. Um es kurz zu machen: es war dunkel und sehr, sehr eigenartig. Der ersten Tour folgte im gleichen Jahr eine nächste über zwei Monate und wir nahmen die EP „Your Sincere Innocence“ in Frankreich auf. Aber zu dem Zeitpunkt brach Gougnaf zusammen und wir mussten ein neues sympathisches Label finden. So kamen wir zu X-Mist in Deutschland, die dann auch 1991 noch unsere Doppel-LP „The Final Salute In The Name Of Human Misery“ veröffentlichten. 1992 gründete ich Trottel Records und veröffentliche seitdem die TROTTEL-Alben selbst, manchmal in Kooperation mit Nikt Nic Nie Wie aus Polen, Malárie Records aus Tschechien oder Amanita Records aus Frankreich.

Spielt ihr noch live und gibt es Pläne für neue Releases?

Im letzten Jahr hatten wir nur zwei größere Shows. Auch weil ich vor ein paar Jahren PAPRIKAPAPRIKA gründete, ein Power-Folk-Punk-Trio, mit dem zu touren bedeutend einfacher ist, vor allem wegen des geringeren Equipments. Ich habe zudem zu viele andere Projekte im Kopf, um an ein neues TROTTEL-Album zu denken. Der letzte Release war 2013 die „Psychedelic Sound Exploration“-Live-DVD, es wäre also langsam Zeit für eine neue Platte.

Wie ist, um den Bogen zu schließen, dein Verhältnis zur heutigen Punk-Szene in Ungarn?

Da meine Band und das Label mit klassischem Punk seit langem nichts mehr zu tun hatten, habe ich auch mit der aktuellen Szene als aktives Mitglied nichts mehr zu tun. Irgendwie hat sich da auch über die letzten zwanzig Jahre musikalisch nichts mehr entwickelt, während ich mit meinem eklektischen Geschmack weiter und weiter ging. Damals wie heute gilt: musikalische Klischees, mit Spaß und ohne viel Bedeutung. Da ist nichts falsch dran, aber das langweilte mich schon vor Ewigkeiten. Da Punk für mich nicht nur Musik, sondern vor allem zugleich eine Haltung ist, fühle ich mich der Underground-Szene in Polen, Tschechien, Kroatien oder Frankreich viel näher. Es gab natürlich auch in Ungarn kleine interessante Initiativen, wie die junge Noise-Szene. Oder ein, zwei Punk-Läden wie etwa Dürer Pince, ein illegaler Klub und Proberaum in Budapest, betrieben vom ersten TIZEDES-Gitarristen, sowie eine kleine, aber sympathische Hardcore-Szene mit Bands wie LIBERAL YOUTH oder TISZTÁN A CÉL FELÉ aus Eger, die ich auch auf Trottel Records veröffentlicht habe. Aber so etwas interessiert viele Punks heute nicht mehr unbedingt.

 

Mehr Lesen zu „Punk im Osten“: Warschauer Punk Pakt - Punk im Ostblock 1977-1989
Alexander Pehlemann (Hg.)
(Ventil Verlag, ca. 300 S., 25,00 Euro)

„I wanna go over the Berlin Wall“, sang Johnny Rotten im SEX PISTOLS-Hit „Holidays in the sun“. Als der Song am 14.10.1977 erschien, war Punk längst durch den Eisernen Vorhang gesickert, fast zeitgleich markierte die slowenische Band PANKRTI mit ihrer ersten Show den Durchbruch von Punk in der sozialistischen Öffentlichkeit. Im gleichen Jahr gründeten sich in Ungarn die Konzept-Kunst-Band SPIONS sowie in Polen die WALEK DZEDZEJ PANK BEND und KSU – „Warschauer Punk Pakt“ erscheint also zum 40. Geburtstag des Ostblock-Punk. Im Buch werden die Szenen aller Länder in ihrer Entwicklung bis zum Systemkollaps 1989 vorgestellt, mit Bandporträts und Reviews wichtiger Veröffentlichungen. Ergänzt werden die umfangreichen lexikalischen Einträge durch Texte zu übergreifenden Themen wie Frauen im Ostpunk, Kunst vs. Punk, Repression und Toleranz, Antikommunismus und Rechtspunk, Punk im Film usw. Eine Auswahldiskographie schließt jedes Länderporträt dieses Osteuropa-Punk-Nachschlagewerkes ab.

 

Diskografie

„Die Trottel“ (MC, Trottel, 1987) • „Your Sincere Innocence“ (7“, X-Mist, 1989) • „Borderline Syndrôme“ (LP, Gougnaf Mouvement, 1989) • „In Concerto A Torino“ (MC, On A Faim!, 1989) • „The Final Salute In The Name Of Human Misery“ (LP, X-Mist, 1991) • „The Same Story Goes On The Castle On The Peak“ (LP, Trottel, 1992) • „It’s Up To You“ (7“, Trottel/Malárie, 1995) • „The Stolen Garden“ (LP, Trottel, 1995) • „Troxx Tracks“ (LP, Trottel/Nikt Nic Nie Wie, 1997) • „Interference“ (LP, Bahia Music, 1999) • „Fluid“ (LP, Trottel, 2000) • „A Trottel Stereodram Experience“ (LP, Trottel, 2002) • „One Step Ahead“ (CD, Trottel, 2008) • „Embryo“ (CD, Trottel, 2010)