TALCO

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Ein Miteinander des Verschiedenen

Ihre Musik umfasst seit jeher Punk, Ska, Folklore und überhaupt alle möglichen schrägen Klänge – und steht somit symbolisch für das, was heutzutage unerreichbar scheint: ein Miteinander des Verschiedenen. Und eben weil ein großer Teil der Menschheit offenbar nicht bereit ist, sich auf das Fremde, das Andere einzulassen, klingen die Texte von TALCO auch so ganz anders als diese Musik drumherum: Sie sind wütend, traurig, melancholisch, mahnend, sarkastisch, manchmal todernst. Auch auf dem neuen Album „And The Winner Isn’t“ ist das der Fall. Frontmann Tomaso „Dema“ De Mattia erklärt uns das Konzept dahinter.

Dema, euer neues Album trägt den Titel „And The Winner Isn’t“. Das hört sich schwer nach Sozialkritik, politischer Kritik und somit traditionell nach TALCO an.


Richtig. Wir haben uns mit diesem Album auf den Egoismus der Menschen und ihr Bedürfnis nach Popularität, Ansehen und persönlicher Erfüllung konzentriert. Das Wesen des Menschen ist ja der Ausgangspunkt für alle Politik und deren Entwicklung. Schlussendlich sind also sein Egoismus und der Drang, die Dinge für seinen eigenen Vorteil zu missbrauchen, die Basis für die heutige Politik und für die Wirtschaftskrise, die überall herrscht. Eine Krise, die zudem durch den Neoliberalismus, den niemand mehr beachtet, weil er bereits in jedermanns Leben fest verankert ist, begünstigt wird.

Das war jetzt fast schon eine wissenschaftliche Abhandlung. Lass uns das mal simpler machen: Warum dieser Albumtitel?

Weißt du: Zum ersten Mal, seitdem ich Songs schreibe, bemerkte ich vor „And The Winner Isn’t“ einen riesigen Unterschied im Vergleich zu den vorhergehenden Alben. Nicht musikalisch, sondern emotional. Es geht um die Gefühle, die ich früher hatte, als ich gerade damit anfing, Texte zu schreiben. Ich fühlte seinerzeit Optimismus in Bezug auf die Welt. Ich kritisierte diese Welt zwar und wusste, dass eine Veränderung hin zum Guten weit entfernt war. Aber: Ich hatte Hoffnung. Jetzt ist das anders. Und „And The Winner Isn’t“ verleiht meinem Unbehagen und Pessimismus, der Enttäuschung und dem mittlerweile kaum noch vorhandenen Glauben an die Menschheit und deren Natur Ausdruck. Es geht heutzutage nur noch um einen Wettlauf in Sachen Unmoral, Banalität und Erfolg im Zeitalter von Fernsehern, Computern und Smartphones, bei dem jeder wie ein Gewinner aussieht, es aber nicht ist.

Seitdem ihr Ende 2015 euer bislang letztes Album „Silent town“ veröffentlicht habt, wählten sich die Briten aus der EU, wurde Trump US-Präsident und nahm der Terror im Namen der Religion weiter zu. Was hat sich bei euch, in Italien, verändert?

Nichts, haha! Und im neuen Song „Onda Immobile“ sprechen wir genau darüber. Wir erfahren gerade am eigenen Leib die Folgen von 40 Jahren Regierung durch die alte katholische Volkspartei Democrazia Cristiana und 30 weiteren Jahren Berlusconi-Regierung. Sie haben Italien nicht nur zu einem armen Land gemacht, sondern auch den Verfall von Moral begünstigt und zu Korruption geführt. Es ist eine starre politische Statik entstanden, in deren Rahmen derjenige, der gerade an der Macht ist, im Bedarfsfall einfach die Partei wechselt, um weiter zu regieren. Als ob das noch nicht genug wäre, kam noch eine uralte italienische Pest dazu: Wann immer sich die Italiener in ihrer Historie in einer politischen Krise befanden, schafften sie sich ihren Führer, wendeten sich dem zu –und wuschen sich hinterher die Hände in Unschuld: Mussolini, Andreotti, Craxi, Berlusconi, Renzi ... Und jetzt ist es eben Zeit für die Intoleranz und Arroganz der Movimento 5, die zu Populismus und politischer Apathie geführt haben. In vielen Städten, die von dieser aus einer Bürgerbewegung heraus gegründeten, sehr ablehnend gegenüber Europa eingestellten Partei regiert werden, entpuppt sich das Gerangel um eine neue politische Führerschaft schlichtweg als dumm, intolerant und vollkommen nutzlos.

Die linke Politik, die sich in euren Texten spiegelt, ist heutzutage als Gegenstück zum stetig wachsenden Rechtspopulismus vielleicht so wichtig wie nie. In Deutschland aber werden Menschen, die „links“ denken und handeln, spätestens seit den Protesten gegen G20 in Hamburg mehr und mehr kriminalisiert und gar mit rechtsradikalen Gewalttätern verglichen. Wie ist die Situation für die Linke in Italien – beziehungsweise habt ihr als linke Band mehr Probleme als früher?

Die italienische Linke hörte nach dem G8-Gipfel 2001 auf zu existieren. Überhaupt brachen damals viele politische Bewegungen zusammen. Und ich sehe darin eine große Parallele zu G20: Der Staat und seine Institutionen kriminalisierten seinerzeit all diese Bewegungen, indem sie nur die Gewalt, die von ihnen ausging, hervorhoben. Und zwar ohne dabei zu hinterfragen, warum es zu dieser Gewalt kam. Zudem wurde gezielt an die vermeintliche Moral des Durchschnittsbürgers appelliert, um Empörung zu erzeugen. Und der kennt die Hintergründe nicht. Es ist ja immer so: Die kulturellen und gesellschaftlichen Aspekte, die zu derlei Kundgebungen führen, werden ausgeblendet und gar nicht berücksichtigt. Es ist der bekannte Weg, Kritik, die am Status Quo rütteln möchte, zu diskreditieren. Dieser Weg wird seit Jahrhunderten beschritten.

Ganz ehrlich: Wünschst du dir manchmal, du könntest irgendwann einmal ein Album aufnehmen, das einfach nur Songs über Liebe, Trinken und Rock’n’Roll enthält?

Nun, ich bin es so sehr gewohnt, über solche Themen zu schreiben, dass es mir schwer fällt, auch nur daran zu denken, dass es eines Tages einmal anders sein könnte, haha. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich das anfangen sollte. Aber machen wir uns nichts vor: Das wird ohnehin nicht passieren. Ich sehe keine Veränderungen oder plötzlichen Verbesserungen am Horizont.

Euer neuer Song „Bomaye“ ist dem Boxer Muhammad Ali gewidmet. Was denkst du: Würde Ali in der heutigen Welt den gleichen Erfolg haben wie damals?

Schwer zu sagen. Das Boxen hat sich schließlich in vielerlei Hinsicht verändert – sowohl auf technischer Ebene, also in Bezug auf Kraft und Geschwindigkeit, als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Was Ali als Person angeht, kann man meiner Meinung nach aber durchaus davon ausgehen, dass sein Geist und Wille, ein freier, unabhängiger und die Gesellschaft durchaus irritierender Mensch zu sein, zweifellos auch heutzutage eine große Rolle spielen würde.

Das Stück „Lungo la macraba stanza“ kritisiert moderne Technik und Trash-TV. Wie weit sind TALCO als Independent-Band trotzdem von neuen Technologien abhängig?

Technologie an sich ist ja nicht negativ. Sie entwickelt sich eben genau so, wie die Menschen sie nutzen. Gut erklärt wird das in der Science-Fiction-Fernsehserie „Black Mirror“, die neben der Lehre des Philosophen Michél Focault eine Inspiration für diesen Song war. In „Lungo la macraba stanza“ geht es ja um die Auswirkungen von Technologie auf das Leben. Wenn beispielsweise ich, als Dema von TALCO, beschließe, eines unserer Konzerte zu filmen und das entsprechende Video hinterher zur Promotion einsetze, um die Band bekannter zu machen, dann glaube ich nicht, dass das ein unmoralischer Einsatz von Technologie ist. Technologie wird unmoralisch und negativ, sobald die Menschen sie als Kontrollmittel einsetzen. Daher erzählt der Song ja auch eine Geschichte, die an „Black Mirror“ erinnert und die dem Thema des Albums entspricht: Der Sprecher einer Reality-Show, bei der die Spieler Popularitätspunkte gewinnen, wenn sie jemanden filmen, der sich falsch verhält oder einen Fehler macht, wird unfreiwillig zum Opfer seiner eigenen Idee. Er wird plötzlich verfolgt von Leuten, die ihn filmen, um selber das Spiel zu gewinnen.

Wie vor- und umsichtig nutzt ihr moderne Technologie denn für eure eigenen Belange?

Wir bemühen uns, sie sparsam einzusetzen. Wir promoten Alben, Shows und einige unserer wichtigen persönlichen Momente als Band auf den Social-Media-Kanälen und versuchen dabei, uns an wesentliche Grundlagen der Moral zu halten. Sprich: Wir bleiben bei der Wahrheit und verbreiten keine idiotischen Fakes.

Apropos „Fake: „La Veritá“ ist ein Lied über Manipulation durch Journalisten und so genannte Influencer im Internet, also Personen, die ob ihrer Popularität und großen Reichweite mitunter verbreiten können, was sie wollen, ohne dass es vom Großteil der User hinterfragt wird. Wann seid ihr selber zuletzt einer solchen Art von Manipulation aufgesessen?

Eine konkrete Situation kann ich dir nicht nennen. Wir haben eben irgendwann festgestellt, dass es im Internet an vielen Stellen ganz einfach nicht um eindeutige Information geht. Und warum? Weil der Drang nach Aufmerksamkeit, den viele Menschen hegen, ein wahres Babel des Schwachsinns ausgelöst hat. Das Internet wird nicht mehr – so wie ich es eigentlich sehe – als Möglichkeit betrachtet, mehr Freiheit zu erlangen und gute Ideen und Gedanken auszutauschen. Es wurde stattdessen ein Paradebeispiel dafür, wie die Menschen sich nur um ihr eigenes Leben kümmern. Und all diese Blogger, Influencer und miesen Reporter sind schließlich die krassesten Konsequenzen dieses Verfalls. Irgendetwas zu erzählen oder von sich mitzuteilen, ist für die Menschen das Wichtigste geworden. Ob es dann wahr oder falsch ist, spielt keine Rolle.

Welche Songs sind für dich die persönlichen Schlüsselsongs auf „And The Winner Isn’t“?

Da gibt es drei Stück: Erstens: „Silent Avenue“. Das ist wahrscheinlich das autobiographischste Lied, das ich je geschrieben habe. Ich bin in meinem Leben bislang sowohl guten Freunden als auch großen Arschlöchern begegnet. Ich erfuhr Zuneigung und wurde verletzt. Und genau darum geht es in diesem Song. Zweitens „Domingo Road“. Dieses Stück handelt davon, dass ich den Fußball neben der Musik als einzige Sache ansehe, die – trotz allem Business und Kommerz – nah an eine Religion herankommt. Und drittens „Matematica Idea“. Ein Song, der von meiner Überzeugung handelt, dass eine Punkband wie wir sich immer simpel, klar und direkt äußern muss. Ich werde immer versuchen, keine nutzlose, komplizierte Rhetorik oder unverständliche Slogans in einem TALCO-Song zu verwenden. Vielleicht schaffe ich es nicht. Aber ich werde es zumindest versuchen. Denn ich hasse es. Und zu viele Bands handeln anders. Das ist ignorant.

„And The Winner Isn’t“ ist bereits das siebte TALCO-Album. Ihr gehört somit zum musikalischen Establishment. Wie würdest du den Status der Band im eigenen Land beschreiben?

Wir spielen nur sehr wenige Shows in Italien. So sechs oder sieben pro Jahr. Und ich gestehe, dass das vollkommen okay für mich ist, haha. Aber im Ernst: Ohne unsere erste Deutschland-Tour, die wir vor ein paar Jahren absolvierten, hätten wir ganz sicher keine sieben Alben herausbringen können. Uns nur auf Italien zu beschränken – das hätte nicht funktioniert. Entsprechend ist es zwar so, dass wir mittlerweile durchaus mehr Anfragen für Konzerte in unserer Heimat bekommen als früher. Aber wenn wir – wie derzeit – eine Tournee planen, wollen wir zunächst einmal den Fans in jenen Ländern Anerkennung zollen und Priorität einräumen, in denen uns geholfen wurde, das zu erreichen, was wir sind und wovon wir in unserer Anfangszeit nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Und zu diesen Ländern gehört Italien eben ganz sicher nicht.

Zwischen den Alben „Silent Town“ und „And The Winner Isn’t“ wolltest du ein Buch veröffentlichen. Was ist daraus geworden?

Um ehrlich zu sein: Ich arbeite immer noch daran, haha. Und das nicht, weil ich faul wäre. Sondern weil ich zwischen dem Schreiben von neuen Songs, dem Touren, dem Drehen von Videoclips und dem Spielen in meinen anderen Bands, die ich neben TALCO noch habe, schlichtweg nicht genug Zeit dafür finde. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum es mit dem Buch bislang noch nichts geworden ist: Ich will nichts überstürzen. Ich will nicht schlecht und schlampig arbeiten. Da würde ich mir selbst gegenüber nicht ehrlich sein. Ich setze mir daher auch nie irgendwelche Fristen für dieses Projekt ... Was das Buch angeht, kann ich letztlich nur Eines sagen: Es fehlen noch ungefähr drei Kapitel. Und immerhin: Ich habe das Gefühl, dass es dieses Jahr herauskommen wird.

Dann nenne den Ox-Lesern doch bitte abschließend noch ein paar gute Bands aus dem Genre „Punk und Artverwandtes“, die nicht TALCO, GIUDA oder LOS FASTIDIOS heißen.

Da gibt es zum einen MALEDUCAZIONE ALCOLICA. Die heben sich wirklich auf gute Art und Weise von allen anderen Ska-Punkbands ab. Und zum anderen, wenn es um Hardcore geht, empfehle ich SLANDER.