BLECHREIZ

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Das Ska-Gemeinschafts-Gen

35 Jahre auf dem Buckel und immer noch verschwitzt vom Tanzen wie am ersten Tag – das sind BLECHREIZ aus Berlin. Faktisch 1983 in Südberlin als Schülerband gegründet, avancierten sie vor allem durch ihre witzige Bühnenshow zur Crème de la Crème der deutschen Ska-Szene. Ein Jubiläum, das wir mit einigen Fragen abrunden möchten. Bassist Matthias resümierte mit uns gemeinsam.

Matthias, wer ist heute noch an Bord, der euren Zehn-Personen-Dampfer damals schon mit antrieb?


Was die Besetzung angeht, so ist das wie bei allen größeren Bands. Wir haben mehrere Phasen durchlaufen. Bei der Gründung, quasi als Schulhof-Thema 1983, waren wir drei, von denen heute nur ich übrig bin. So richtig als Band kann man uns eigentlich erst seit 1987 ansehen, mit Prüfer und Maggus als Sänger und den ersten Auftritten außerhalb von Schulhöfen und Jugendclubs. Es gab Veränderungen eigentlich nur auf den Positionen Gitarre, Drums und bei den Bläsern – bis auf Rühl, unser Saxer seit 1985. Bei der Reunion 2007, nach gut elf Jahren, war es die gleiche Besetzung wie die in den Neunzigern. Erst in den letzten Jahren gab es wieder ein paar wenige Wechsel.

Demnächst erscheint das Buch „Ska im Transit“, die inoffizielle Geschichte der deutschen Ska-Szene sozusagen. Na da werdet ihr ja reichlich drinnen vertreten sein? Habt ihr für uns noch eine heitere Anekdote, die es nicht ins Buch geschafft hat?

Jede Menge. Aber da das Buch noch nicht raus ist und die Autoren da sicher bis zum Schluss die eine oder andere Geschichte aus Jugendschutzgründen oder wegen anderer sinistrer Gedanken rein- oder rausgenommen haben, ist das gar nicht einfach zu beantworten. Wir könnten von der leeren Saftflasche erzählen, die einem von uns während eines Gigs als Pinkelgefäß diente, den verschiedenen Gerüchten über den Beruf unseres Saxofonisten, damals in Argentinien, dem ersten Echo, den wir wegen der erwartbaren Kommerzialisierung verschiedener Inhalte in den folgenden Jahrzehnten damals abgelehnt respektive zurückgegeben hatten, und so manche andere Story, die wahr oder unwahr ist.

Ihr wart ja auch schon beteiligt an den legendären „Ska ... Ska ... Skandal!“-Samplern. Von daher seid ihr die Fachleute schlechthin: Ist die Atmosphäre zwischen den einzelnen Ska-Bands eine andere als beispielsweise im Punk, wo es doch etliche verschiedene Genres und Ansichten gibt? Gibt es eine Art von Gemeinschafts-Gen?

Natürlich gibt es eine eingeschworene Gemeinde, sei es bei Bands, Produzenten, Veranstaltern oder anderen Akteuren der Szene. Gerade in den vielen Jahren baut sich jede Menge Gemeinschaftsgefühl auf. Ich glaube, dass es hier – schon alleine wegen der Menge und Vielfalt der Charaktere bei jeder einzelnen Band – alle Formen des Miteinanders gibt. Das ist dann regional oder je nach Altersstufen natürlich enger. Es gab in unserer Pause neue, jüngere Ska-Bands, mit denen wir eher weniger Kontakt haben. Wir sind mit denen in Berlin sicher dicker als mit denen in München. Schon weil wir uns hier öfter über den Weg laufen. Aber das Gemeinschafts-Gen ist vielleicht mehr ausgeprägt als bei anderen Musikstilen, weil Ska eine Nischenmusik ist und Punk oder Techno eine richtig lange Historie hat. Aber sonst dürfte es ganz ähnlich wie bei den Punks zugehen.

Deshalb gleich die nächste Frage passend dazu: Wie schaffen es die Ska-Bands, bei so großer Personenzahl derart homogen zu wirken, während man bei manchen Punkrock-Trios schon Probleme miteinander hat?

Das ist sicher der Vorteil: Bei der Anzahl fällt der einzelne Irrsinn nicht so auf. Es tritt sich mehr fest und man hat auch mehr Auswahl, wenn man mit einem aus der Band vielleicht nicht so eng ist.

„Don’t fight – Dance!“ ist ein Motto von euch. Während unverdächtige Bands mit sehr großem Publikum immer ahnen, dass es auch politische Wirrköpfe unter ihren Zuschauern gibt, fühlt man sich bei Ska-Konzerten immer irgendwie auf der richtigen Seite.

Das stimmt schon. Zumindest ist das bei unseren Konzerten meist so gewesen. Aber wir hatten natürlich auch Momente, in denen nicht das gesamte Publikum mit unserer Anti-Nazi-Haltung einverstanden schien.

Die Bewegung „Skinheads Against Racial Prejudice“ wurde damals auch von euch maßgeblich mit vorangetrieben. Warum ist diese gute Idee einfach im neuen Jahrtausend versickert?

Vor allem ist die Gleichung „Skin ist gleich Fascho“, die vor allem in den Neunzigern in den Medien grassierte, längst passé. Das ist sicher ein Verdienst aller, die SHARP mitgetragen haben. Auch viele Dokumentationen, seien es Bücher, Filme etc., haben dazu in den Neunzigern beigetragen. Damit hat die Bewegung ja quasi das erreicht, wofür sie entstand. Das heißt nicht, dass es nicht auch noch viele extreme Haltungen unter Skinheads oder Ska-Fans geben mag. Auch Rassismus ist doch letztlich ein gesellschaftliches Problem, aktuell mehr denn je. Aber diese Gleichung ist nun aus den meisten Köpfen raus.

Einer eurer Songs von 1994 heißt „She’s got a new tattoo“. Das waren noch Zeiten, als so etwas erwähnenswert war, heute wird man ohne Tattoo schon fast schräg angesehen. Oder ist man als Ska-Anhänger froh, mit Porkpie-Hut und Anzug bei so etwas nicht mitmachen zu müssen?

Ja, das hat sich wirklich geändert. Wir warten noch auf den ersten Kanzler, der seine Tattoos in Parlamentsreden zeigt. Aber nicht alle in der Band haben Tattoos und nicht alle tragen Anzüge, haha. Nur die Menge an Tattoos hat bei uns aktuell sicher nicht zugenommen. Entweder ist kaum noch Platz oder die Grundlage ist zu schwabbelig geworden, haha

Euer geringer Release-Output ist verwunderlich, zumal ihr ja vor Kreativität fast platzt.

Das hat Gründe. Es gibt eine Menge toller „Layouts“. Nur diese Songs fertig zu komponieren, aufnehmen und so weiter, ist für uns heute schwieriger als früher. Jetzt muss ich mich nicht nur mit meiner Frau abstimmen, um das Wochenende im Studio zu verbringen, auch die Kids haben Ansprüche und unsere Jobs sind ja inzwischen auch umfangreicher geworden. Wir waren und sind eben nie eine Profiband gewesen und wollten das auch nicht. Familie, Jobs und mittlerweile auch Entspannungsphasen spielen eine größere Rolle. Aber sag niemals nie. Denn Lust an der Musik und neue Ideen gehören zu uns und unserem Leben.