CRIMSON GHOSTS

Foto

Noch immer nicht menschlich

Sie kommen aus Köln und machen Horrorpunk. Und sie haben tatsächlich so ein bisschen Horror bewältigen müssen, nachdem vor geraumer Zeit ihr Schlagzeuger Reverend aus gesundheitlichen Gründen die Trommelstöcke abgab und sich die Suche nach einem Nachfolger als extrem kompliziert erwies. Acht Jahre dauerte es daher, bis CRIMSON GHOSTS endlich ein neues Album aufnehmen konnten. Jetzt ist „Yet Not Human“ fertig. Bassist und Songschreiber Andreas alias Jackal blickt zurück und nach vorne und erklärt uns seine musikalische Geisterwelt.

Andreas, ihr habt 2001 angefangen mit CRIMSON GHOSTS. Euer Veröffentlichungsrhythmus war, beginnend mit eurem ersten Album „Leaving The Tomb“, in den ersten Jahren beachtlich: 2005, 2006, 2008, 2010.


Genau. Das war für uns der ganz normale Workflow: Wenn die eine Platte fertig war, dann wurde direkt an der nächsten gearbeitet.

Nun habt ihr für die neue Platte „Yet Not Human“ acht Jahre gebraucht.

Ja. 2010 kam „Generation Gore“ raus. Damit waren wir damals ein bisschen unterwegs und haben es bei Konzerten vorgestellt. Und da zeichnete sich schon ab, dass mit unserem Schlagzeuger Reverend irgendetwas nicht stimmte. Er hatte ständig Probleme mit den Handgelenken und konnte hier und da mal ein paar Wochen nicht proben. Irgendwann mussten wir auch Auftritte absagen. Und dann kam der Zeitpunkt, an dem wir eigentlich mit den Aufnahmen für das jetzige Album beginnen wollten. Das war so 2015 und wir dachten, dass es das mit den Verzögerungen gewesen sei. Aber es ging dann auf einmal gar nicht mehr. Damals kam es vor, dass wir im Proberaum oder im Studio waren und der Reverend nach kurzer Zeit aufhören musste, weil die Schmerzen zu stark wurden. Wir mussten die Aufnahmen für die Platte schließlich abbrechen. Er ging dann zwar zu einem neuen Doc, um noch etwas zu probieren, aber es half nichts. Was wir damals nicht wussten: Unsere Konzerte, die im Winter folgten, sollten seine letzten sein. Er hatte sich für die noch mal extrem mit Medikamenten fit gemacht, um sie durchzustehen und verkündete uns danach seinen Ausstieg.

Ein Schock?

Ja. Uns ging damals wirklich die Düse. Wir wussten zeitweise nicht, ob wir die Band auflösen würden. Schließlich ist er ja auch der Bruder unseres Sängers und Teil des Gründungs-Line-ups. Und die Live-Abstinenz sowie die ganze Unsicherheit generell – das nagte alles an unserer Substanz als Band. Aber er selber sagte uns, dass wir weitermachen sollten. Tja, und dann ging die elende Suche eben los. Eine Suche, die im Kölner Umfeld alles andere als leicht war. Hier einen Schlagzeuger zu finden, ist echt hart.

Warum?

Erstens: Entweder kamen Leute, die gut spielen konnten, aber keine Zeit hatten. Oder es waren Kandidaten, die Zeit hatten, aber nicht spielen konnten. Das dauerte. Zweitens: Wir hatten zwischendurch ja auch schon zwei neue Schlagzeuger – einen für ein halbes, einen für ein ganzes Jahr. Bis sie feststellten, dass Band und Privates sich für sie doch nicht miteinander vereinbaren lassen. Und ehe wir es merkten, waren wieder zwei Jahre ins Land gezogen.

Jetzt habt ihr mit Old Nick einen neuen Drummer.

Genau. Und mit ihm sind wir total zufrieden. Er kann nämlich nicht nur gut Schlagzeug spielen, er kann auch gut singen. So wie früher der Reverend. Wie sind also bester Dinge.

Habt ihr für ihn sicherheitshalber einen Vertrag aufgesetzt, der ihn an euch bindet?

Haha, wir waren kurz davor. Ernsthaft. Aber wir haben es dann dabei belassen, ihn einfach zu fragen, ob bei ihm in Sachen Familienplanung in absehbarer Zeit etwas ansteht. Er verneinte. Und seitdem er im vergangenen Februar zu uns kam, sind denn auch gleich 26 neue Songs entstanden. Der Junge gibt echt Gas und fordert uns, haha. Er sagte uns, dass er von jeder Probe mit zwei bis drei neuen Songs nach Hause gehen wollte. Das ist etwas ganz anderes als all die Labertaschen von Bewerbern, mit denen wir vor ihm zu tun hatten.

Wodurch zeichnen sich denn solche „Labertaschen“ aus?

Dadurch, dass du ihnen im Vorfeld der Listening-Session ein paar Songs zuschickst, von denen sie sich einen oder zwei zum gemeinsamen Proben draufschaffen sollen. Und sie sagen dann: „Alles klar. Kein Problem.“ Und dann gehen sie halbherzig an die Sache ran. So nach dem Motto: „Ist ja nur Punk. Ist ja einfach. Das kriege ich schon hin.“ Tja, und im Proberaum sitzen sie da – und stellen fest, dass das doch nicht ganz so einfach und eben nicht nur Punkrock ist. Sondern dass es ganz schön schnell zur Sache gehen kann und manche Songs auch mal länger dauern. Da ist Kondition nötig. In jedem einzelnen Fall hat sich seinerzeit gezeigt: Viele Leute überschätzen sich selber. Oder sie unterschätzen das, was andere leisten. Wir hatten mehrere Kandidaten, die nicht mal einen halben Song hinbekommen haben. Und das kann ich nicht verstehen. Ich würde mich da in Grund und Boden schämen.

Nun ist euer neues Album ja glücklicherweise doch noch fertig geworden. Es enthält viele in Songs verpackte Horrorgeschichten und es heißt „Yet Not Human“, „Noch immer nicht menschlich“. Das könnte über Zombies, Werwölfe und Vampire hinaus auch als politisch-gesellschaftliche Aussage zum Status quo der Welt verstanden werden: Der Mensch ist immer noch nicht menschlich geworden in seinem Handeln.

Das stimmt. In diesem Fall ging es uns bei der Titelwahl allerdings erst mal nur um uns selbst. Noch ehe der Reverend ausstieg, hatten wir nämlich eine Diskussion um unsere Bühnenoutfits. Es war klar: Das Kunstblut und all die Latex-Sachen würden wegfallen, unter anderem weil unser Bassist Monstro sagte, er könne mit all diesen Dingen nicht mehr spielen. Also sagten wir uns: Okay! Und scheiß auf unser Image. Wir machen auch so weiter – und sind trotz der fehlenden Maskerade immer noch nicht wirklich menschlich. Aber im Laufe der Zeit erkannten wir, dass man diesen Satz auch auf ganz andere Situationen anwenden kann: Auf die Situation nach Reverends Ausstieg. Auf die politische Situation im Land. Auf persönliche Situationen. Insofern ist es wirklich ein umfassender Titel für das Album.

Thorsten Wilms alias Rod Usher von euren Genrekollegen THE OTHER sagte mir einmal, wenn er auf die Maskerade verzichtete, wäre seine Band nur noch eine gewöhnliche Rockband. Ihr scheint das anders zu sehen.

Jein. Denn man kann, so wie wir, da auch viel mit der Beleuchtung bei Konzerten machen. Außerdem ist die Musik in diesem Genre an sich ja durchaus besonders. Daher ist eine Band ohne Maskerade nicht gleich eine normale Rockband. Aber ich gebe zu, dass ich die Sache mit dem Schminken für die Bühne für mich selber weiter bis zu einem gewissen Grad durchziehe. Der Horror-Aspekt muss bleiben. Ich will nicht ganz darauf verzichten und habe kleine, effektvolle Dinge am Start – also Kontaktlinsen oder ein fahl geschminktes Gesicht. Mir fiel diese Entscheidung damals auch am schwersten von uns allen, denn das Schminken vor einem Auftritt ist für mich immer wie ein Umschalten. Diese Dreiviertelstunde im Backstageraum, in der ich mich verwandele, ist für mich wichtig, um auf der Bühne eine andere Person zu sein.

Du schreibst die meisten Songs für die Band. Wo holst du die Inspiration zu all diesen Schauergeschichten her? Beim „The Walking Dead“-Serien-Binge-Watching?

Haha, nein. Das würde nicht klappen. Zumal „Walking Dead“, wenn du die Serie schon ansprichst, für mich ohnehin Fluch und Segen gleichermaßen ist. Die erste Staffel war großartig. Aber irgendwann bin ich ausgestiegen, denn: Zombies müssen meiner Meinung nach das sein, was sie schon immer waren: Eine Bedrohung für die Menschen. Und kein stöhnendes Beiwerk, wie das mittlerweile eben bei „The Walking Dead“ der Fall ist. Nein, die Inspiration zu den Songs hole ich mir anders. So nebenbei. Nicht durch einen Film oder ein Buch. Ich hole sie mir durch Gespräche mit anderen Menschen über einen Film oder über ein Buch. Erst dadurch kommen einem andere, interessantere Gedanken. Ansonsten wäre ein Song wie „Don’t follow“ nur ein weiterer über einen mordenden Werwolf. So aber ist es ein Stück über jemanden, der weiß, dass er ein Werwolf ist – und der flüchtet, um nicht seine Geliebte umzubringen. Ich versuche immer, meine Texte so zu schreiben, wie andere sie nicht schreiben würden. Oder nimm ein Stück wie „Ego sum qui intus habitat“. Darin geht es um Exorzismus und Besessenheit. Und darauf bin ich wiederum gekommen, weil ich mich selber mit diesem Thema beschäftige, seitdem ich – unter anderen durch den realen Fall der Studentin Anneliese Michel – davon hörte, dass Exorzismen heutzutage noch immer durchgeführt werden.