HOLD STEADY

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Die letzte wahre Rock’n’Roll-Band

Die Freude war groß, als THE HOLD STEADY nach einer Reihe von Konzerten in New York bekannt gaben, ein ähnliches Wochenende im März 2018 in London zu veranstalten. Als weitere Überraschung gibt es mittlerweile die ersten vier neuen Songs seit über vier Jahren, und nicht zuletzt veröffentlichte Sänger Craig Finn 2017 ein sehr gutes Soloalbum.

Einige Monate vor den Auftritten in London absolvierte die Band bereits vier ausverkaufte Konzerte in New York und veröffentlichte die (digitale) Single „Entitlement crew“, mit „A snake in the shower“ als B-Seite. Am Montag vor dem ersten London-Auftritt folgten mit „Esther“ und „Eureka“ zwei weitere neue Songs. Ginge es nach Craig Finn, bleibt diese Form der Veröffentlichungen, zumindest für die Band, in der nächsten Zeit bestehen: „Ich mag es, Songs als eine Art Single zu veröffentlichen. Die meisten Menschen hören sowieso keine Alben mehr. Für HOLD STEADY ergibt diese Veröffentlichungspolitik einfach Sinn. Für meine Solosachen werde ich aber weiterhin Alben bevorzugen.“


„Entitlement crew“ wagt dabei einen nostalgischen Blick auf die eigene Jugend. Das Stück spielt auf einer Party, aber der Protagonist spürt nicht mehr dasselbe wie früher, viel mehr fragt er sich, was mit seinen Freunden passiert ist. Es ist ein interessanter Aspekt im HOLD STEADY-Universum. Eine sehr lange Zeit waren Partys in Finns Texten verbunden mit Spaß, einem Aufbegehren, später immerhin noch eine gute Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag. Nun heißt es in dem Song: „I hate all the party people.“ Etwas hat sich geändert, sowohl bei der Person in dem Song als auch bei Finn selbst: „Ich bin sicherlich ruhiger geworden. Das erlaubt mir eine andere Sicht auf die interessanten Dinge, als alles im Aufruhr war. Ich glaube aber auch, dass sich unsere Erinnerungen im Laufe der Zeit verändern. Ich bin jetzt 46 Jahre alt und blicke sicherlich anders auf mein eigenes 16-jähriges Ich, als ich es vor zwanzig Jahren getan habe.“

Jedoch ist nicht alles neu in den neuen HOLD STEADY-Songs. In fast jedem der genannten Lieder gibt es weiterhin eine geografische Einordnung, an denen das Setting des Songs spielt. Warum das so ist, erklärt Finn folgendermaßen: „Ich liebte immer spezifische Lieder. Außerdem bin ich verrückt nach Geografie und Landkarten. Einen Song an einem bestimmten Ort spielen zu lassen, hilft mir, die Geschichte dahinter zu erkennen. Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass der Hörer sich so mehr in den Bann ziehen lässt. Vor allem, wenn er schon mal an diesem Ort war. Natürlich muss der Song aber auch ohne Ortskenntnis funktionieren.“

Bei den neuen Stücken ist auch der 2010 ausgestiegene Pianist Franz Nicolay wieder zu hören. Nicht als Gastmusiker, sondern erneut als festes Bandmitglied. Auf der Bühne wird Craig Finn nicht müde zu betonen, dass das jetzige Line-up mit sechs Mann das beste ist, welches die Band jemals hatte. Spätestens beim Stück „Esther“ mit seinem durchzogenen Orgelthema wird dem Hörer bewusst, warum diese Aussage stimmt. „Franz spielt seit 2016 wieder mit uns und ich bin darüber sehr, sehr glücklich“, erklärt Craig im Gespräch noch einmal.

Live wirken die neuen Songs grooviger als auf der Aufnahme, ansonsten überwiegt besonders bei „Entitlement crew“ und „A snake in the shower“ eine nostalgische Nähe zu den Großtaten ihrer Alben „Separation Sunday“ und „Boys And Girls In America“, während vor allem „Esther“ an Finns letztes Soloalbum „We All Want The Same Things“ anschließt. Nicht verwunderlich, steckt mit Josh Kaufman doch derselbe Produzent hinter beiden Projekten. Gibt es einen Unterschied im Schreibprozess für die Band oder solo?„Egal ob für die Band oder nicht, ein Song entsteht immer auf dieselbe Art. Ich denke über einen Zeile oder eine Geschichte nach und daraus entwickelt sich der Rest. Bei HOLD STEADY schreibe ich die Texte hauptsächlich alleine. Beim letzten Soloalbum habe ich viel mit Josh Kaufmann zusammengearbeitet. Wir unterhielten uns häufig über die Rohfassungen der Lieder und wohin sich die Stücke entwickeln sollten. In beiden Fällen ist die wichtigste Frage, ob die Geschichte hinter dem Song es wert ist erzählt zu werden.“

Erzählenswerte Geschichten gibt es auf Finns drittem Soloalbum „We All Want The Same Things“ zur genüge. Da wäre das Eröffnungsstück „Jester & June“, über einen ersten Drogendeal. Ein ähnliches Thema greift „God in Chicago“ auf. Der Handel mit Drogen und seine Folgen sind ein immer wiederkehrendes Thema auf dem Album. „Ich finde es interessant, künstlich erzeugte Höhen und Tiefen zu beschreiben. Meistens ist die spannendere Geschichte der Kauf von Substanzen als der eigentliche Konsum. Es gibt eine Art Ehrenkodex bei Dealern, der tief in ein illegales Wirtschaftssystem blicken lässt. Und es herrschen bestimme Rituale während eines Deals, ähnlich einem Gottesdienst, worüber ich ebenfalls viel geschrieben habe. Diese Punkte dienen als Leitfaden zu einer größeren Story“, sagt Craig Finn dazu.

Deswegen wird Finn, trotz der aktuellen Weltlage, nicht anfangen, politische Songs zu schreiben. Allerdings kann, wer will, in „We All Want The Same Things“ durchaus eine politische Haltung erkennen. Es ist ein Album über Menschen, die straucheln und versuchen, sich durchs Leben zu schlagen. „Ich wollte ein einfühlsames Album machen, über Menschen, die vielleicht nicht außergewöhnlich sind, aber die versuchen, in einer modernen Welt zu überleben, und dabei lernen, den Kopf über Wasser zu halten. Wir leben in einer geteilten Welt. Ich glaube, die Geschichten auf dem Album sind auf eine natürliche Weise politisch. Der Mut und das Durchhaltevermögen, derer es bedarf, durch das Leben zu gehen – spirituell, emotional, finanziell – in Zeiten wie diesen. Darum geht es.“

Wenn Craig Finn über seine Songs spricht, betont er stets die Geschichte, die ein Stück benötigt, um erzählt zu werden. Eine lose Aneinanderreihung von Wörtern, nur um ein Lied fertig zu haben, existiert im Schaffen von Finn nicht. In der Art zu schreiben ist er (dem jungen) Bruce Springsteen nicht unähnlich. Besonders vom letzten Soloalbum kann sich der Hörer eher an Kurzgeschichten erinnert fühlen als an herkömmliche Songs. Was also inspiriert den Texter Finn – und spielen Romane dabei eine Rolle? „Ein Song kann von überall herkommen. Oft sind es tatsächlich Romane, manchmal aber auch einfach Sätze, die ich irgendwo aufgeschnappt habe. Wenn ich toure, mache ich häufig lange Spaziergänge, auch das inspiriert mich. Aber Bücher sind schon meine favorisierte Inspirationsquelle – wie eine Geschichte sich langsam entwickelt.“

HOLD STEADY werden niemals langweilig. Ist eine Show vorbei, soll sofort die nächste kommen. Drei Konzerte in London reichen nicht aus, um das Bedürfnis nach dieser Band zu stillen. Selbst nicht, wenn sich das halbe Publikum am letzten Abend, bei der Zugabe „Killer parties“ auf der Bühne neben der weiterspielenden Band wiederfindet. Es ist eine Flucht aus dem Alltag. Denn wie Craig Finn es auf jedem Konzert erzählt, HOLD STEADY bestehen nicht bloß aus sechs Bandmitgliedern, sondern aus der Essenz und der Verbindung, die zwischen Band, den Texten, der Musik und nicht zuletzt dem Publikum auf einem Konzert entsteht. Das macht diese Band besonders, weil in dem Moment, in dem das Licht ausgeht und das Intro zu einem Lied ertönt, jeder Einzelne im Saal etwas Besonderes ist. Das macht HOLD STEADY zu einer der letzten wahren Rock’n’Roll-Bands!

Leider werden die Fans auf dem europäischen Festland noch länger auf eine Tour warten müssen. Zuletzt spielten HOLD STEADY viermal hintereinander in Chicago, in New York und dreimal in London. „Ich mag diese Wochenenden. Sie erlauben es uns, uns auf die Musik zu konzentrieren und nicht Zeit und Energie mit Reisen zu verlieren. Wir werden diese Form sicherlich auch in der Zukunft beibehalten. Gerne auch in Deutschland oder anderswo. Wir schließen nichts aus und sind offen für alle Angebote.“ Auch mit Finns Soloprojekt gab es bisher keine Ambitionen in Europa. Dabei tourte Finn in den USA mit John K. Samson von THE WEAKERTHANS, der zumindest in Deutschland eine gute Fanbasis hat. Würde sich eine Fortsetzung da nicht anbieten? „Mit John zu touren war eine fantastische Erfahrung. Ich liebe seine Musik. Im Moment gibt es keine Pläne, in Europa zu touren. Aber ich würde wirklich gerne rüberkommen. Offensichtlich war ich wenig in Deutschland unterwegs in der letzten Zeit, obwohl ich es immer mochte, wenn ich da war. Hoffentlich klappt es bald einmal.“