MOUTH

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Wochenendzeitreise

MOUTH aus Köln gibt es bereits seit dem Jahr 2000, allerdings haben sie ganze neun Jahre bis zur ersten Veröffentlichung gebraucht. Dann bekam man ganze acht Jahre wieder nicht wirklich etwas vom Krautrock-Trio zu hören, bis der für ihre Verhältnisse sintflutartige Veröffentlichungsregen begann. Zuerst gab es 2017 „Vortex“ auf BluNoise, dann 2018 „Floating“ und „Live ’71“ auf Tonzonen. Was da los ist, kann Mastermind Christian Koller ganz genau erklären.

18 Jahre MOUTH, zwei ewig lange Phasen ohne Veröffentlichungen und dann plötzlich geht es richtig rund? Da muss man doch mal nachfragen.


Ja, das erklärt sich größtenteils aus unserer Bandgeschichte, deswegen will ich hier mal einen kurzen Überblick geben. Irgendwie reicht unsere Geschichte bis ins Jahr 1994 zurück, zumindest kenne ich seitdem unseren Bassisten und wir haben in verschiedenen Konstellationen und Bands zusammen musiziert. MOUTH gegründet haben wir dann im Jahr 2000. Am Anfang ging alles dann auch recht schnell, wir haben viel live gespielt, unter anderem im MTC in Köln. Zu dieser Zeit haben wir auch ziemlich viel aufgenommen und an diverse Labels verschickt, aber nie hat es wirklich gepasst.

Was könnte der Grund dafür gewesen sein?

Ich denke, dass wir nie so wirklich in eine Schublade gepasst haben. Wir sind immer als Exoten betrachtet worden; die Leute fanden uns interessant, aber wir klangen dann eben doch nicht so wie das, was die Labels haben wollten. Es lässt sich wohl daraus erklären, dass zu Anfang des Jahrtausends ein Sound, wie wir ihn spielen, nun wirklich gar nicht angesagt war.

Aber ihr habt früher doch deutlich anders geklungen.

Na ja, anders schon, aber irgendwie auch nicht. Wie gesagt, Prog- oder Krautrock, das hat damals nun wirklich fast niemanden interessiert. Die Situation änderte sich erst ein wenig, als sich plötzlich andere Veröffentlichungswege auftaten. In unserem Fall war es MySpace, das unsere Musik über einige Umwege zu Guido Lucas brachte. Dem Gründer von BluNoise und Inhaber des BluBox-Tonstudios gefielen unsere Aufnahmen derart, dass er mit uns unbedingt ein Album machen wollte. Das war 2007. Allerdings dauerte es dann nochmal weitere zwei Jahre bis zur Veröffentlichung unseres live eingespielten Erstlings „Rhizome“.

Dann hätte es also richtig losgehen können?

Ja, hätte. Aber wie das nunmal so ist. Besetzungswechsel, Zeitprobleme ... Zu dieser Zeit, also 2011, habe ich mir ein kleines Studio eingerichtet und wir spielten häufig Support-Shows für etwas bekanntere Acts, aber wirklich vorwärts wollte es nicht gehen. Von einer Entwicklung lässt sich deshalb gar nicht sprechen, da wir als Band nur noch rumgejammt haben. Wobei die Aufnahmen aus dieser Zeit letztendlich das Grundgerüst der beiden Alben von 2017 und 2018 bilden.

Also, was lange währt...

Ja, so ungefähr. Wie gesagt, alle Songs von „Vortex“ und „Floating“ beruhen auf Aufnahmen aus dem Jahr 2012. Sozusagen sind damals die Skizzen entstanden, das Material, das ich immer mit nach Hause genommen habe. So habe ich letztendlich immer gearbeitet. Rumjammen, aufnehmen, das Zeug mit nach Hause nehmen und dann irgendwann mal schauen, was sich daraus machen lässt. Das hat allerdings auch zur Folge, dass die Songs häufig erst in der eigentlichen Produktion entstehen, wobei es da auch wieder Unterschiede gibt, denn die poppigeren Songs werden eher klassisch ausgearbeitet.

Das wirft aber schnell die Frage auf, warum die beiden letzten Platten, also „Vortex“ und „Floating“, doch recht unterschiedlich klingen, wenn sie zur selben Zeit entstanden sind.

Ja klar, das ist eine berechtigte Frage, die aber ganz leicht zu beantworten ist. Wir haben nämlich einfach nur geschaut, was zusammenpasst und was nicht. Die Überlegung, ein Doppelalbum zu machen, stand auch im Raum, aber das haben wir denn wieder verworfen, weil ich selbst gar kein Freund davon bin, zumal darauf den einzelnen Songs schlichtweg zu wenig Raum gegeben wird. Zwei einzelne Alben stellten sich somit als sinnvoll heraus. Zwei Alben, die zusammengehören, sich aber auch gegenüberstehen. „Floating“ und „Vortex“ lassen sich als Ying-Yang-Einheit begreifen, wobei „Vortex“ die dunkle Seite repräsentiert, denn dieses Album hat deutlich mehr Doom- und Prog-Elemente; „Floating“ hingegen klingt deutlich leichter, poppiger sogar, es ist eben mit viel höherer Krautrock-Affinität angelegt.

Okay, und warum sind die beiden Scheiben auf zwei unterschiedlichen Labels rausgekommen?

Wie gesagt, das Material stand soweit, aber Babypausen und allerlei anderes verhinderten eine direkte Veröffentlichung, bis ich dann 2015 mit dem leider unlängst verstorbenen Guido Lucas alle Songs gemixt habe. Das aber dauerte auch wieder ganze zwei Jahre, daher kam „Vortex“ auch erst 2017 raus. Nun hat der plötzliche Tod von Guido eine weitere Veröffentlichung auf BluNoise verhindert, aber wir hatten „Floating“ eben noch in petto. Da hatten wir den Gedanken, mit diesen Aufnahmen vielleicht noch jemand anderes anfixen zu können. So habe ich die Aufnahmen einfach mal rumgeschickt, Dirk von Tonzonen Records hat sie dann auch irgendwie und irgendwo geliket, wie das so ist, und nach zwanzig Minuten Kommunikation waren wir uns schon einig, dass „Floating“ auf Tonzonen erscheinen wird.

Tja, ginge das mal immer so einfach. Eingangs sagtest du, dass in den Nullerjahren kaum bis gar kein ernsthaftes Interesse an eurem Sound bestanden habe – warum ist das plötzlich doch ein wenig anders?

Ich denke, das ist nicht ganz leicht. Ich müsste dafür bis tief in die Neunziger zurückgehen, denn bereits da hatte sich nach vorne gewandte Rockmusik ja irgendwie ausgelaufen, nur haben es die meisten Leute noch nicht gemerkt. Es hat eben lange gedauert, bis die Leute wieder rangekommen sind. Wir merken es daran, dass wir ein Publikum ab Mitte dreißig aufwärts haben. Das ganze „Back to the Roots“-Ding bietet vielen Leuten eine Komfortzone, dort fühlen sie sich wohl. Dieser Trend war schon eine ganze Weile da, aber erst in den letzten Jahren blühte er richtig auf, wohl deshalb, weil viele Menschen doch recht uninspiriert und gelangweilt sind. Daher flüchten sie in die Vergangenheit. Gepaart ist diese Flucht mit einer gesteigerten Sehnsucht nach Einfachheit, die im erweiterten Sinne sogar in einer Flucht aus der Realität münden kann. Lass es mich in unserem Fall als „Wochenendzeitreise“ bezeichnen.