Schwarz und weiß

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Ein Buch über die deutsche Ska-Szene

Mit „Ska im Transit“ erscheint dieser Tage das erste umfassende Buch über die deutsche Ska-Szene, recherchiert von zwei Menschen, die seit Jahrzehnten in und für diese Szene leben: zum einen Matzge von Pork Pie Records, zum anderen Emma Steel, die einst am legendären, in den Neunzigern die Szene repräsentierenden Skin Up-Fanzine beteiligt war. Ich stellte den beiden einige Fragen zur Entstehungsgeschichte des Buchs und zum Stand der Dinge in Sachen Ska in Deutschland.

Wie kamt ihr auf die Idee, so ein Buch zu schreiben?

Emma Steel:
Es gab unseres Wissens nach noch kein Buch über die deutsche Ska-Szene. Aufgrund der Teilung des Landes bis 1989 hatten wir auch eine Entwicklung, die es so in keinem anderen Land gab, wir hatten also etwas Besonderes zu erzählen. Als der Ska nach Deutschland kam, traf er auf unterschiedliche Regimes, ganz verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation, der Verbreitung und der Produktion in Sachen Musik. Auch das Aufeinandertreffen der beiden „Welten“ nach der Wiedervereinigung versprach sehr spannende Antworten.

Matzge aka Matt Ska: Also ich hatte aus Labelsicht ursprünglich an so etwas wie eine deutsche Version dieser „Compact 2Tone Story“ gedacht, ein Buch über die 2Tone-Ska-Ära in einer Box zusammen mit vier CDs. Nun ist es ein aufwendig gestaltetes Buch mit einer Bonus-CD geworden, auf der man die Songs unserer Interviewpartner hören kann, während man sich deren unterschiedlichste Einblicke, garniert mit lustigen Anekdoten, unglaublichen Fotos und Fanzine-Faksimiles reinziehen kann.

Was macht ihr, was habt ihr früher in der Szene gemacht?

Emma Steel:
Ich habe ab der Nummer 6 beim Skintonic Fanzine mitgemacht, dann nach der Wiedervereinigung das Fanzine Oi!Reka rausgebracht, dessen Redaktion aus Ostlern und Westlern bestand, meines Wissens eines der ersten, wenn nicht das erste Ost/West Fanzine überhaupt. Dann haben das Skintonic und das Oi!Reka fusioniert und so entstand das Skin Up-Magazin auf semiprofessioneller Basis. Zehn Jahre Arbeit in der Szene für die Szene, allein über 50 Ausgaben der Zines. Anfangs gab es noch nicht so viele Fanzines und als Mittel der Verbreitung von Informationen aus der Szene war das extrem wichtig. Da war ja noch nichts mit Internet und Social Media oder so. Nach dem Fall der Mauer war der Bedarf nach Infos und Austausch wieder riesig und das Oi!Reka hat mit seinen Berichten über Ost und West eine Rolle gespielt, die für ein so kleines Zine ziemlich bedeutend war. Jedenfalls wird mir das noch heute von früheren Lesern so berichtet.

Matt Ska:[/b] Seit 1983 bin ich sozusagen „Plattenboss“ und Toningenieur, damals im Wesentlichen noch Punk-mäßig unterwegs. Mit meinem damaligen Bandkollegen Jörg Fukking haben wir im 4-Spur-Kellerstudio den legendären „Stimmungssampler“, also „20 schäumende Stimmungshits“ mit DIE Ärzte, Suurbiers und DIE TOTEN HOSEN produziert. Daraus ist dann das Vielklang-Label mit eigenem Tonstudio entstanden, in dem wir neben Bands wie MIMMI’S oder DIE GOLDENEN ZITRONEN später auch viele Ska-Produktionen gemacht haben, von SKAOS über EL BOSSO bis BAD MANNERS oder Derrick Morgan. 1989 gab es das erste deutsche Ska-Festival im Berliner Quartier Latin mit BLECHREIZ, THE BUTLERS, YEBO und SKAOS. Da ich bereits Anfang der Achtziger auf 2Tone-Ska abgefahren bin, war ich total begeistert, dass es inzwischen so viele tolle Ska-Bands in Deutschland gab. Am nächsten Tag beschloss ich, den ersten deutschen Ska-Sampler zusammenzustellen – „Ska... Ska... Skandal No. 1“, was so spannend war, dass ich dann auch gleich das Label Pork Pie gegründet habe, das ausschließlich Ska veröffentlichen sollte. Und das mache ich, nach der Vielklang-Zeit inzwischen als One-Man-Show, seit fast dreißig Jahren immer noch mit viel Spaß.

Wann hat das mit Ska in BRD und DDR angefangen, oder andersherum: Gab es analog zu der Szene in UK auch entsprechende Bands in den Sechzigern und Siebzigern in Deutschland? Oder war das jenseits des Aufgreifens von Ska-Rhythmen von „normalen“ Bands erst ab den Achtzigern irgendwann ein Thema?

Emma Steel:
Klar gab es die Offbeat-Hits von Desmond Dekker und Co. auch bei uns in den Sechzigern schon in den Charts, auch in deutschsprachigen Versionen. Für die meisten ging es aber erst in den Achtzigern los, da zu diesem Zeitpunkt mit dem 2Tone der Offbeat von der Insel rüberschwappte und das Interesse an Ska geweckt wurde. Diese Initialisierung trifft übrigens auf Ost wie West gleichermaßen zu. Ich selbst habe mich erst für Ska und die damit verbundene Skinhead-Szene mit der Entstehung von S.H.A.R.P. so richtig erwärmen können.

Matt Ska: Ich habe Ska quasi dreimal für mich entdeckt. Erstmalig durch besagten Desmond Dekker in den Sechzigern oder Bluebeat-Schlager mit deutschem Subtext, dann Ende der Siebziger mit MADNESS und SPECIALS die volle 2Tone-Packung, und dann wieder Ende der Achtziger in der international entstehenden „Third Wave Ska“-Ära. Dazwischen wurde natürlich „Pogo in Togo“ getanzt und bruttosozialproduktmäßig in die Hände gespuckt.

Was hat es mit dem Titel „Ska im Transit“ auf sich? Das Cover zeigt die Berliner Mauer. Geht es im Buch also speziell um die Berliner Szene?

Emma Steel:
Ska im Transit bedeutet für mich so was wie Ska im Umbruch, also die Entwicklung dieser Musikrichtung seit ihrem großen Durchbruch in den Achtzigern auf beiden Seiten der Mauer. Wie hat sich die Musik hier etabliert, wie unter komplett anderen Vorzeichen weiterentwickelt und welche Auswirkungen hatte die Maueröffnung auf die Szene? Kein Titel könnte das alles besser zusammenfassen.

Matt Ska: Im Buch geht es um die gesamte Ska-Szene in Deutschland. Damals gab es eine starke Szene nicht nur im östlichen Berlin oder der DDR, sondern gerade auch im Westen der BRD – Skankin’ Around Xmas Tree Festival, Moskito Promotion, THE BRACES – und einige der besten Bands kamen aus Süddeutschland, wie THE BUSTERS, NO SPORTS, SKAOS. Aber die Mauer ist einfach das stärkste Symbol für die beiden Staaten und die anschließende Wiedervereinigung.

Wie seid ihr auf die Interviewpartner gekommen? Und warum habt ihr das im Wesentlichen nur in Interviewform gemacht?

Emma Steel:
Die Interviewpartner sollten hauptsächlich Personen sein, die die Zeit vor und nach der sogenannten Wende erlebt haben, um beides vergleichen zu können. Wir haben uns bemüht, ein möglichst großes Gleichgewicht zwischen Ost und West zu schaffen, was uns nicht ganz gelungen ist, weil die Szene im Westen wesentlich größer war. Warum Interviews? Weil das direkte Gespräch am meisten bringt. Dadurch, dass wir allen die selben Fragen gestellt haben, konnten wir die Antworten im direkten Vergleich gegenüber stellen.

Matt Ska: Mit der Interviewform haben wir eben auch ein Format gefunden, das die verschiedenen Blickwinkel unserer Interviewpartner ohne irgendwelche durch uns verursachten redaktionellen „Filter“ oder Interpretationen viel authentischer rüberkommen lässt.

Was ist das Besondere an der deutschen Ska- und Rudeboy-Szene im Vergleich zu anderen Ländern?

Emma Steel:
Das Besondere, wie schon erwähnt, ist die Teilung. Ska erreicht in den Achtzigern die BRD, es gibt sofort den Aufbau einer Infrastruktur mit eigenen Medien, einer Musikproduktion, Merchandising-Kram und so weiter. Ska erreicht die DDR zum gleichen Zeitpunkt über dieselben Wege, aber die Musikszene ist stärker kontrolliert, Kommunikation viel schwieriger, alles ist viel improvisierter. Dann kommt die Wiedervereinigung der beiden Szenen, die sich separat entwickelt haben. Welche Auswirkungen hat das, wie unterschiedlich empfinden die verschiedenen Menschen die gleiche Situation? Das war spannend. Es gibt kaum zweimal die gleichen Antworten in den Interviews.

Gibt es denn „den“ Klischee-Ska-Fan, so wie es „den“ Punk gibt? Also rein vom Äußerlichen her?

Emma Steel:
Nach wie vor trägt der gestylete Rude Boy gerne Karos, Anzug, Hütchen, der smarte Skin eben eher Ben Sherman und so weiter, aber natürlich hören auch „Stinos“ und Hippies Ska.

Matt Ska: Es gibt ja eigentlich noch nicht einmal „den“ Ska als einzelne Musikrichtung. Ska, Rocksteady, Bluebeat, Skinhead-Reggae, 2Tone-Ska oder Skapunk, da herrscht nicht immer Einigkeit. Ein Skapunk-Fan würde zum Beispiel nicht unbedingt auf ein Reggae-Konzert gehen und erst recht keine Rasta-Klamotten tragen.

Gab es Unterschiede bei den Antworten zwischen Musikern und anderen Machern, wie Labelmanagern oder Bookern, gab es grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen bei Leuten aus Ost- oder West-Deutschland?

Emma Steel:
Unterschiedliche Sichtweisen zwischen Ost und West gab es häufig. Während Leander von MESSER BANZANI in Leipzig in der schwarzen Szene aufgewachsen ist und nie verstanden hat, warum die Wessis das für so super exotisch gehalten haben, bekamen schwarze Bandmitglieder von Westbands im Osten schon mal aufs Maul. Manche haben das Verhalten der jeweils anderen für arrogant gehalten – die Arroganz gab es auf beiden Seiten –, andere hatten gar keine Probleme und fühlten sich sofort wohl. Für viele war die Maueröffnung der Beginn einer spannenden Entdeckungsreise in bis dahin unbekannte Gefilde. Es gab ein Bedürfnis nach Information und Austausch, das die Szene hat boomen lassen. Da unterscheiden sich die Aussagen der verschiedenen Macher nur wenig.

Matt Ska: Es haben auch die meisten unserer „Macher“ irgendwann mal selber in einer Band gespielt – nicht unbedingt in einer Ska-Band –, aber trotzdem gibt es da kaum grundsätzliche Unterschiede zu den Musikern, die wir interviewt haben.

Welche Rolle spielte in den Neunzigern S.H.A.R.P., die Bewegung „Skinheads against racical prejudice“?

Emma Steel:
Für mich war S.H.A.R.P. sehr wichtig und für viele andere auch. Nach den ausländerfeindlichen Übergriffen in Rostock und Hoyerswerda waren für die Medien sofort die Buhmänner ausgemacht – die Skinheads. Und selbstverständlich waren in deren Darstellung alle Skinheads Nazis. Die applaudierenden Biederbürger und die DVUler und Republikaner im Anzug wurden völlig außer Acht gelassen. Also war es wichtig, sich abzugrenzen und klar zu machen, dass es einen Rechtsruck in der Bevölkerung allgemein gab und diejenigen Skinheads, die schwarze Musik hörten, nicht unbedingt prädestiniert sind, Schwarzen auf die Fresse zu hauen. Wir wurden nicht müde, das in den blödesten Fernseh- und Radiosendungen zu wiederholen und in Interviews zu betonen. Wir haben auch selbst Demos von Skinheads gegen Rassismus organisiert.

Matt Ska: Ohne S.H.A.R.P. wäre wohl niemals so eine starke Ska-Welle in Deutschland möglich gewesen. Und es wirkt ja auch bis heute nach. Es gibt nach meiner Kenntnis bis heute keine Grauzonen-Ska-Bands. So was wäre unvorstellbar. Und auch im Publikum hätten Faschos keine Chance.

Gerade Punkbands haben gerne mal einen Alibi-Ska-Song im Programm. Wie spannungsreich oder -arm ist das Verhältnis „richtiger“ Ska-Fans und -Bands dazu über die Jahre?

Emma Steel:
Ich finde, dass es in den Achtzigern mehr Ska-Puristen mit striktem Dresscode ab als heute. Dabei war Deutschland im Vergleich zu England in der Hinsicht ja gar nix. Die konnten sich dort stundenlang über Hemden unterhalten, wehe, du hattest nicht die richtige Jeans an, und bei Nightern war nur der was wert, der die tollsten Raris aufgelegt hat.

Matt Ska: Ich war Anfang der Achtziger Jahre eher in Punk-Kreisen unterwegs. Insofern hatte ich da nie Berührungsängste oder Vorbehalte. Musikalisch war das auch eine sehr offene Zeit mit ganz vielen neuen musikalischen Entwicklungen von Punk über New Wave, inklusive eben auch Ska. Und in den wenigen Läden, die Klamotten aus England hatten, gab’a alles, was das Herz begehrte, egal ob für Rockabillies, Skinheads oder Punks. Trotzdem war das damals weit mehr als nur ein Modeding – es ging schon auch um eine Szenezugehörigkeit.

Wie steht es heute um die Ska-Szene hier wie in Europa? Welche Labels, Fanzines, Websites und Festivals muss man kennen?

Emma Steel:
Wichtige Festivals sind This is Ska in Rosslau, Riverside Stomp in Mainz, Dynamite in Leipzig, SKA im Westend Dortmund, Berlin Ska City in der Hauptstadt. An Labels sind Pork Pie und Grover Records zu nennen. Fanzines gibt es kaum noch welche. Die Ska-Szene in Deutschland und deren Zukunft wird von vielen sehr unterschiedlich gesehen. Ich finde, es gibt eine Kontinuität, aber ein Vitaminstoß würde dem Ska gut tun. Was Neues an Einflüssen, was Frisches an Bands. Schön finde ich, dass öfter Soul und Mod-Sound Einzug beim Ska erhalten. Aber da muss noch mehr kommen, wenn das Ganze nicht nur überleben, sondern auch spannend bleiben soll. Ska erlebt gerade einen Aufschwung in Asien, ist immer noch in Lateinamerika präsent, in Nordamerika und vielen europäischen Ländern noch ein Thema, aber es fehlt so ein bisschen der Wow-Effekt.

Matt Ska: Man sieht eine klare Entwicklung hin zu großen Festivals, was ja nicht nur Ska-Festivals betrifft. Vor einigen Jahren wäre es zum Beispiel undenkbar gewesen, mehr als ein Ska-Festival mit vierstelligen Besucherzahlen zu veranstalten. Dafür gab es mehr gut besuchte Clubkonzerte. Inzwischen hat sich das umgekehrt und wir haben – ich glaube, es sind sechs – reine Ska-Festivals, aber eine reine Clubtour gestaltet sich zunehmend als schwierig für die Bands. Bei den Fanzines oder Magazinen gibt es inzwischen als gedruckte Ausgaben nur noch wenige, die die Ska-Druckfahne ein bisschen hochhalten, aber immer in friedlicher Koexistenz mit Punk und/oder anderen anverwandten Musikrichtungen wie natürlich die Klassiker Ox und Plastic Bomb und neuerdings das Chelsea’s Choice. Es gibt aber noch ein paar reine Ska-Zine-Blogs wie zum Beispiel „Der Dude Goes Ska“ oder reggae-steady-ska.com.

Für Einsteiger: Welche drei deutschen Ska-Platten muss man kennen/haben?

Emma Steel:
Eine von EL BOSSO, weil Kult mit deutschen Texten, eine von RING DING, weil der internationalste unter den deutschen Musikern, ein von THE FRITS, weil das die deutschen SPECIALS sind.

Matt Ska: Für mich ganz klar: die Samplerreihe „Ska... Ska... Skandal“, weil da zwei Drittel unserer Interviewpartner für unser Buch mit ihren Bands vertreten sind und der erste Teil 1989 auch ein wichtiger Meilenstein für die deutsche Ska-Szene war. Außerdem „Catchthisbeat“ von SKAOS, weil es das erste One-Artist-Album auf Pork Pie war und einige ihrer bekanntesten Songs enthält, und last but not least „Ruder Than Rude“ von THE BUSTERS, weil das auch ein absoluter Klassiker ist. Außerdem gebe ich Emma Steel mit ihrer ebenfalls hervorragenden Auswahl recht.