35 Jahre später: ANTIDOTE - Thou Shalt Not Kill (7“, Antidote, 1983)

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1983 formte sich entscheidend der Sound, den man noch heute als typischen NYHC klassifiziert. THE ABUSED, CAUSE FOR ALARM und AGNOSTIC FRONT legten mit ihren allesamt in jenem Jahr erschienenen Debüt-EPs das Fundament für den betont toughen Hardcore dieser Stadt. Radikaler und deutlich ausgereifter gingen jedoch ANTIDOTE den Schritt in die Richtung eines Stils, den später Bands wie CRO-MAGS und JUDGE fortführen sollten. Gelegentliche Geschwindigkeitsreduzierung und Breaks nahmen in ihrem aggressiven und wütenden NYHC eine prominentere Stellung ein, und die Krishna-beeinflusste Band spielte dies in einer konfrontativen Kompromisslosigkeit, die in dieser Intensität damals nur noch NEGATIVE APPROACH aufbrachten. Robb Nunzio nimmt sich mit seinem Gitarrenspiel, das zwar nie ausufernd wird, die Zeit, um eigene Akzente zu setzen, und man erkennt, warum dieser BLACK FLAG als wichtigsten Einfluss benennt. ANTIDOTE sind weit von den hölzernen, polternden AGNOSTIC FRONT entfernt, und die zwar rohe, aber wuchtige und jedes Instrument ausreichend zur Geltung bringende Produktion ist ein Glücksfall für ein Frühwerk des NYHC.

Mit Louie Rivera als Sänger besaß man zudem den ultimativen Trumpf und einen der besten Shouter dieses Stils, der aber nur diese EP einsang. Er fegt wie eine räudige Töle durch die Songs, er keift, kläfft, knurrt, grunzt, bellt und blafft, fortwährend die Intonation changierend. Ein hartnäckiger, dir nachlaufender Streuner, der sich zurückfallen lässt und plötzlich wieder vorprescht, bei dem man nie sicher ist, ob er sich im nächsten Moment nicht in deiner Wade verbeißt. ANTIDOTE bellen in „Foreign job lot“ auch gegen Immigranten, welche US Bürger*innen aufgrund ihrer niedrigeren Löhne die Jobs wegnehmen würden. Das kommt ohne expliziten Rassismus aus, und verschiedene Bandmitglieder haben es im Rückblick als peinliche, letztlich aber zu vernachlässigende Dummheit und Ignoranz der Jugend abgetan. Doch es fügt sich bedauerlicherweise in das Gesamtbild des damaligen Hardcore in NYC ein, dessen Protagonisten zwar selber oft eine jüngere Migrationsgeschichte aufwiesen und der Unterschicht angehörten, aber durch (unterschwellig) fremdenfeindliche und sozialchauvinistische Statements auffielen, während die betonte Männlichkeit mit Homophobie einherging. Differenzierung war keine besondere Stärke des NYHC, der sich lieber in einer ominösen Beschwörung von Unity und Brotherhood erging und ein Weltbild propagierte, das die Einfachheit der Musik oft noch zu unterbieten wusste. Eine fesselnde, neunminütige Hardcore-Eruption ist die erste ANTIDOTE-EP aber definitiv.