DIRK BERNEMANN

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Ich hab Klara kotzen sehen

Ein Samstagabend Anfang Juni. Der im Westfälischen aufgewachsene und heute in Berlin lebende Autor Dirk Bernemann sitzt in einem Hotel in Frankfurt und beantwortet die Fragen, die ihm der in Graz lebende Ox-Schreiber gerade gemailt hat. Warum? Weil es nach 14 Büchern in 13 Jahren und unzähligen Lesungen im gesamten deutschsprachigen Raum nun wirklich Zeit dafür wurde. Außerdem ist da ja auch noch „Klara“, dieses Buch, das er gemeinsam mit Jan Off und Jörkk Mechenbier geschrieben hat.

Dirk, wer ist Klara?


In erster Linie ist Klara eine Romanfigur. Eine, die im Laufe des letzten Jahres immer mehr Gestalt angenommen hat. Wie viele gute Romanfiguren hat sie sich irgendwann verselbstständigt.

Hat sie einen realen Hintergrund oder ist sie reine Fiktion?

Meine Klara ist eine Mischung. Wie so oft ist mein literarisches Personal eine Mischung aus Realität und Fantasie, aber nie eine real existierende Person. Es sind eher Eindrücke, die ich von verschiedenen Personen wahrgenommen habe, die ich dann in Klara vereinigt habe.

Jan Off, Großmeister der Underground-Literatur, Jörkk Mechenbier, Ex-Ox-Praktikant, heute Rockstar, und du. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich glaube, erstmals kam die Idee, etwas literarisch zusammen zu machen, Anfang 2017 auf. Dann verging Zeit. Und noch mehr Zeit. Plötzlich war das Buch fertig. Genauer kann ich das gerade auch nicht erklären, aber der ganze Prozess der Entstehung dieses Buches war arbeitsreich, anstrengend und schön.

Was sagst du zu dem, was entstanden ist im Gesamten? Wie findest du die Texte der Kollegen, ihre Herangehensweise an die Person, das Thema „Klara“?

Gute Literatur zeichnet aus, dass man sie nicht so leicht beschreiben kann, sondern eher eine subtile Empfindung dazu hat. Ich bin davon überzeugt, dass es bei „Klara“ um eine Themenvielfalt geht, die man nicht in ein paar lapidaren Sätzen abhandeln kann. Die Texte der Kollegen finde ich beide großartig. Wir ergänzen uns gut, obwohl es kaum Absprachen gab. Wir haben „Klara“ mit ungefähr zehn Eigenschaften bestückt und am Ende dann die drei Texte in die Reihenfolge gebracht, die jetzt im Buch zu lesen ist.

Euer Buch erscheint im Ventil Verlag, der ja auch die meisten von Jan Offs Büchern rauskommen. Eine für dich einmalige Angelegenheit?

Das wird sich zeigen. Das Programm von Ventil finde ich ziemlich gut. Ein Verlag, der seit Jahren eine positive Außenwirkung auf mich hat. Die Zusammenarbeit war dann auch sehr professionell. Seit Jahren veröffentliche ich meine Bücher sonst beim Unsichtbar Verlag, wo ich auch gut klarkomme und die Zusammenarbeit stimmt.

„Klara“ ist ja nicht dein erstes Gemeinschaftsprojekt. Zuvor gab es im Unsichtbar Verlag „Du schaffst das“ gemeinsam mit Jens Goldbach. Was hat es damit auf sich?

Mit dem Künstler Jens Goldbach arbeite ich regelmäßig musikalisch, aber auch literarisch zusammen. „Du schaffst das“ ist ein medienkritischer Unterhaltungsroman, den wir aus unzähligen Perspektiven verfasst haben. Das Buch basiert auf einem einmaligen Vorfall in einer großen deutschen Fernsehshow vor acht Jahren und beschäftigt sich mit allen Begleitumständen, die dieser Vorfall mit sich gebracht hat. Das Buch hat einfach auch zu viele Aspekte, um diese Frage nicht rahmensprengend zu beantworten. Aber es hebt sich, allein durch die Zusammenarbeit mit Jens und durch meine in dem Buch verwendete Sprache, schon sehr stark von meinem Restoutput ab.

Dein erstes Buch „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“, das ja auch schon drei Nachfolger, ein Theaterstück und eine Comic-Version nach sich gezogen hat, erreichte schnell Kultstatus. Wie lange zehrt man als Autor von so etwas? Und ist das wirklich immer gut?

Ich habe ja schon ein paar Jahre zuvor geschrieben und Musik gemacht. „Unschuld“ habe ich 2002 geschrieben und es ist 2005 erschienen. Es hat irgendwie ganz schön Aufsehen erregt, dieses kleine, nicht mal 100 Seiten starke Büchlein. Im Verlauf weiterer Veröffentlichungen werde ich bis heute immer wieder an diesem Ding gemessen. Sowohl von Lesern als auch von der Presse. Fluch und Segen gleichermaßen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Wahrnehmung auf mich als Autor nicht nur auf meine kommerziell erfolgreichsten Sachen beschränkt.

Deine Geschichten sind oft verstörend, die Charaktere mit sich und dem Leben hadernde Menschen am Rande des Abgrunds. Warum? Wie viel Fiktion steckt da drin, wie viel Beobachtung, wie viel Dirk Bernemann selbst?

Das variiert total. Zuweilen bin ich von Themen, die überhaupt nicht zu meiner Lebensrealität gehören, derart geflasht, dass ich mich literarisch damit befassen muss, um zu verstehen, was das eigentlich ist. Im Allgemeinen aber ist immer ein großer Prozentteil meiner eigenen Wahrnehmung in den Texten lesbar. Nicht durch meine Augen, aber durch die Augen meiner Figuren. Es geht also nicht ohne Realität, aber auch nie ohne Fiktion.

Schreiben, warum eigentlich? Warum nicht Punkrock oder Synchronschwimmen?

Schreiben ist ein innerer Drang, dem ich ständig folgen muss, um nicht unglücklich zu werden. Das klingt total pathetisch, aber es ist leider wahr. Es ist wie die Dokumentation der Welt, um die Welt zu verstehen. Punkrock ist so ein seltsames Wort, das ich, je mehr ich weiß, immer weniger mit etwas füllen kann, das wirklich Substanz hat. Vielleicht ist das genau Punkrock? Und ja, mein Faible für Synchronschwimmen ist ungebrochen. Eine Sportart, die neben Fußball und Kampfsport zu meinen Favoriten gehört.

Wie kamst du zur Literatur, wie kamst du dazu, überhaupt zu veröffentlichen?

Über die Musik. Ich habe angefangen, Texte für Bands zu schreiben, habe dann selbst eine gegründet und irgendwann gemerkt, dass Songtexte mir einerseits liegen, aber andererseits irgendwie mehr Content in mir blubbert, der nach Artikulation verlangt. Diese Längen erforderten Literatur als Ausdruck. Dass das dann sofort relativ erfolgreich war, war der langen harten Schule zuvor, aber auch einer Menge Glück geschuldet.

Du bist viel unterwegs, um zu lesen. Weil du musst oder weil du Bock hast?

Geht so, war mal mehr. Ich bin auch in einem Alter, wo ich auch mal gerne zu Hause bin. Es macht natürlich Spaß, seine Sachen vor Publikum zu lesen, aber der Drang war schon mal größer.

Was erlebt man so da draußen als Literatur-Reisender?

Alles und nichts. Es gibt viele Skurrilitäten, die ich am Rande von Lesungen erlebt habe. Vielleicht mal drei Beispiele: Leute lassen sich Bücher für Verstorbene signieren. Oder man liest vor fünf zahlenden Gästen, von denen einer während der Lesung eine Art epileptischen Anfall bekommt, der Rettungsdienst ihn mitnehmen will, er aber darauf besteht zu bleiben und das auch auf eigene Verantwortung darf. Oder der Veranstalter kocht selbst dergestalt gut, dass man gerne einen weiteren Tag bei ihm bleibt, nur um noch einmal da zu essen.

Aber davon leben? Nein, danke?

Teilweise ja. Zum Glück habe ich eine ganz okaye Ausbildung und kann zum Ausgleich noch andere Dinge arbeiten.

Du hast ja auch bereits Theaterstücke geschrieben. Ist in dieser Richtung mehr von dir zu erwarten? In „Klara“ schilderst du die Idee, einen Eisstand als Theaterbühne zu verwenden, steckt da ein wahrer Gedanke dahinter?

Theater fasziniert mich seit jeher wegen der Komplexität. Eine Story live zu erzählen, mit wenigen Mitteln und in begrenzter Zeit. Ich suche immer nach Inspiration für so was. „Bella Noir“, mein erstes eigenes Stück, wurde in München uraufgeführt und ja, die Arbeit daran war so schön, dass ich so etwas gerne noch mal machen würde.

Du arbeitest aktuell an einem neuen Projekt, Musik ist im Spiel. Um was genau geht es und warum?

Genau, daraus habe ich bereits bei den letzten Lesungen vorgelesen. Das ist ein Projekt, wo ich über die Musik schreibe, die mich seit Jahren berührt und inspiriert. Ich kann mir vorstellen, dass irgendwann ein Buch daraus wird. Es handelt sich um Kurztexte, in denen das Gefühl, das Musik in mir provoziert hat, thematisiert wird. Teilweise sehr autobiografisch, teilweise aber komplett abstrahiert. Wenn das irgendwann fertig ist, sage ich Bescheid. Es ist ein Sammelsurium von Eindrücken, die alle mit meiner musikalischen Sozialisation verbunden sind. Die Frage nach dem Warum hab ich mir nicht so genau gestellt, aber ich glaube, es ist an der Zeit, mal ein bisschen aus meiner Komfortzone hervorzutreten und über mich zu berichten. Vielleicht ist das ja interessant, auf jeden Fall hinterlässt es bei mir ein gutes Gefühl.