EMPOWERMENT

Foto

Wut und Attitüde

Die Kombination von wuchtigem Hardcore mit Deutschpunk-Texten war schon immer das Markenzeichen von EMPOWERMENT. Anzuecken mit Wut und Attitüde ist das zentrale Anliegen der Jungs aus Stuttgart. Gegen Faschismus, Ausgrenzung und Homophobie. Für Individualität und Zusammenhalt in der Szene. Ihr neues Album „Bengalo“ bringen EMPOWERMENT beim BOYSETSFIRE-Label End Hits Records heraus und darauf haben sie ihren Stil noch einmal auf den Punkt gebracht, erklärt Sänger Jürgen „Jogges“ Krist.

Warum habt ihr euer neues Album „Bengalo“ getauft?


Wir wollten einen Namen, der gefährlich klingt und der jedem ein Begriff ist. Ein Bengalo ist verboten, böse und verpönt. Bengalos werden im Fernsehen auch nie gezeigt. Aber im Grunde sind mit Bengalos pure Emotionen verbunden. Ich selbst gehe auch ins Stadion, bin zwar kein Ultra, aber ich bekomme das natürlich immer mit. Das macht mir dann auch Spaß, und das ist für mich auch der Ursprung von Punk, zu provozieren und an Grenzen zu gehen. Wir fanden diesen Begriff einfach passend. Ein Bengalo ist der Underdog unter den Lichtern. Das findet jeder interessant, aber gesehen werden will niemand damit. Das repräsentiert für mich das Rauhe, für das Punk und Hardcore stehen, und damit man das nicht vergisst, leuchtet eben dieses sehr starke Licht. Da waren wir uns alle sehr schnell einig, dass es ein sehr cooler Titel ist. Das gilt übrigens nicht nur für die Fußballszene, auch in der Antifa wird immer wieder mal mit Bengalos für Bilder geposet.

Für welchen Verein schlägt dein Herz?

VfB Stuttgart natürlich. Schon als Kind hat mich mein Onkel dazu gebracht. Als ich dann aber angefangen habe, Punk und Hardcore zu hören, habe ich einige Jahre pausiert. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese ganzen Vollprolls und rechtsoffenen Typen, die es leider immer noch in der Fankurve gibt. Mit denen konnte ich nichts anfangen und ich habe mich für ein paar Jahre zurückgezogen. Aber irgendwann habe ich meine alte Liebe wiederentdeckt, besitze inzwischen eine Dauerkarte und gehe mit meinen Jungs wieder regelmäßig ins Stadion.

Die letzten Wochen waren ja geprägt von der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Ich persönlich hatte aber dieses Jahr überhaupt keine Lust, die Spiele zu verfolgen, weil mir die Stimmung momentan zu nationalistisch aufgeheizt ist. Frei nach dem Motto: Wer unsere Hymne nicht mitsingt, darf nicht mitspielen. Wie hast du das empfunden?

Mir ging es genauso. Ich kann Fahnenschwingen nicht ertragen. Ich finde, da schwingt immer gleich so ein ekelhafter Nationalstolz mit. Klar, ich schaue mir die Spiele der deutschen Mannschaft schon an, aber wenn der VfB verliert, ist der Ärger größer. Da rege ich mich über eine Niederlage schon auf. Der Rechtsruck wird ja in ganz Europa immer krasser, deshalb ist es für mich auch kein Wunder, dass diese Entwicklung sich auch im Fußball abzeichnet. Schon vor zwei Jahren, bei der letzten Europameisterschaft, hat doch Alexander Gauland von der AfD Jérôme Boateng beleidigt und gemeint, niemand wolle den als Nachbarn haben. Und dann noch die Diskussion um die Kinderbilder von Boateng und Gündoğan auf der Kinderschokolade-Verpackung. Das fand ich schon sehr krass. Für mich totale Nationalistenscheiße.

Mit „161“ habt ihr ja auch einen antifaschistischen Fußballsong geschrieben. Worum geht’s in dem Song?

161 ist der Code für Anti-Fascist Action. Nach den Buchstaben im Alphabet. Das steht für die antifaschistische Aktion und fürs Lautsein. Das wollte ich unbedingt in diesen Song reinpacken. Wir machen auch im Stadion das Maul auf, selbst wenn wir nicht so viele sind. Wenn sich jemand radikal äußert oder homophobe Sprüche loslässt, gehen wir hin und sagen ihm: „Halt einfach die Fresse!“ Da scheuen wir die Konfrontation nicht. Der Song soll einfach ein Mutmacher sein, denn klar, beim FC St. Pauli ist der Tenor eindeutig links im Stadion, aber beim VfB kommen einfach auch viele Bauern von außerhalb ins Stadion, die „Du Schwuchtel!“ oder „Du Jude“ brüllen. Für die ist das ein völlig normales Schimpfwort. Da wird vom „Quotenneger“ gesprochen, wenn Antonio Rüdiger eingewechselt wird oder so. Da platzt mir einfach der Kragen.

„Bengalo“ klingt für mich wie klassischer New York Hardcore mit deutschen Texten. Deshalb Stu York? Stuttgart-New York?

Genau. Bands wie AGNOSTIC FRONT, MADBALL oder CRO-MAGS hatten schon immer einen Rieseneinfluss auf mein Leben. Die ganzen alten New-York-Hardcore-Bands. Wir wollten aber einfach deutsche Texte verwenden, weil ich mit meiner eigenen Sprache einfach tiefer reingehen kann. Natürlich kann ich zwar Englisch, aber so treffsicher kann ich nicht mit Wortspielen umgehen. Das ist für mich mit der deutschen Sprache besser möglich. Dadurch kommt einfach eine klarere Message rüber. Wir hören zwar alle unterschiedliche Musik, aber New York Hardcore ist irgendwie der Konsens, der uns alle verbindet. Ich finde, unsere neue Platte klingt auch noch mal mehr nach MERAUDER. Das Album ist ziemlich mächtig geworden. Und der Begriff Stu York ist schon zu Zeiten unserer alten Band SIDEKICK entstanden. Das war Ende der Neunziger. Und seit zwei Jahren etwa kultivieren wir dieses Stu York so richtig. Wir werden auch immer wieder darauf angesprochen, weil die Leute es als sehr witziges Wortspiel empfinden.

Eure Musik wurzelt eindeutig im Hardcore, eure Texte könnten aber auch von einer klassischen Deutschpunk-Band stammen. Eine ungewöhnliche Kombination ...

Es gab ja schon ein paar Bands, die das genauso gemacht haben. Allen voran HAMMERHEAD oder DEVIL INSIDE aus Berlin vor ein paar Jahren. Für uns ist es aber momentan ein kleines Alleinstellungsmerkmal, über das wir sehr froh sind. Das gibt uns so einen besonderen Touch. Ich selbst wurde mit Deutschpunk sozialisiert und mir ist es auch total wichtig, dass wir punkig klingen. Dass unsere Songs angriffslustig und wütend klingen.

Mittendrin zwischen all den Hardcore-Tracks findet sich plötzlich ein Deutschrap-Song: „Mensch ist Mensch“. Wie kam es dazu? Und wer rappt da?

Das ist Roger Rekless, der Frontmann von GWLT aus München. Hauptberuflich ist er Moderator beim BR-Jugendkanal Puls. Uns war es wichtig, relativ viele Features auf der Platte zu haben, ich weiß allerdings gar nicht warum. Und wir haben geschaut, zu welchem Stück Rogers Stimme gut passen würde. Davor gibt es den Track „Von Mensch zu Mensch“, ein Refugees-Welcome-Song, der uns wahnsinnig wichtig ist. Und wir haben uns gesagt: Es wäre total geil, wenn Roger in diesem Ruhepart rappen würde. Und es hat uns dann so gut gefallen, was er dazu gemacht hat, dass wir einen eigenen Song daraus gemacht haben. Und wir sind total zufrieden damit. Also eigentlich gehören die beiden Songs thematisch zusammen.

Gibt es noch andere Gäste auf dem Album?

Zum Beispiel Marcel von ABFUKK und SNIFFING GLUE, Matti von NASTY, dann ist Florian von AYS dabei oder Cansu von der Stuttgarter Band BODEN, um nur ein paar zu nennen. Weil über die ganzen Jahre so viele Freundschaften entstanden sind und uns der Zusammenhalt in der Szene wichtig ist, war es uns auch ein Anliegen, das nach außen zu tragen. Wir sind eine Einheit und wir wollen das mit unserem Release für die Ewigkeit festhalten.

Mir ist noch der Song „Die Söhnin“ aufgefallen. Geht es da um Geschlechterrollen?

Der Titel „Die Söhnin“ ist mir schon ganz lange im Kopf herumgeschwirrt. Ich hatte mir vorgenommen, wenn ich irgendwann mal ein Buch schreibe, wird es „Die Söhnin“ heißen. Ich finde einfach total interessant, was man als Kind von seinen Eltern mitgegeben bekommt. Wie man seine Rolle als Junge oder als Mädchen auszufüllen hat. Da finde ich einiges cheesy und unnötig und wünsche mir, dass sich diese verkrusteten Vorstellungen auflösen. Ich selbst bin seit vier Monaten Vater und lehne es strikt ab, dass Jungs Hellblau und Mädchen Rosa tragen müssen. Dass Jungs zum Fußball und Mädchen zum Ballett gehen. Ich finde es wichtig, dass alle da völlig frei sind.

Womit ihr auch feste Vorstellungen aufbrechen wollt, ist das Albumcover. Das ist sehr poppig und zeigt eine junge Frau mit gestricktem Mundschutz. Das könnte auch von einem Act aus den Charts stammen, finde ich ...

Achtziger Jahre haben mir schon einige gesagt. Wir wollen natürlich immer ein Stück weit provozieren. Wir wollen immer Anstöße geben und das Unerwartete machen. Zum Beispiel einen Song mit prolligen Texten schreiben wie „Die Söhnin“. Wir wollen immer Strukturen auflösen und Mauern einreißen. Wir spielen auch total gern mit den unterschiedlichsten Bands zusammen, wenn die Attitude passt. Das ist für mich ein Anspruch in meinem Leben, unerwartete Dinge zu tun. Wir wollten ein schönes Cover, das aber trotzdem Widerstand repräsentiert. Und zwar in allen Farben. Wir wollten jemanden, der einen ganz klaren und ausdrucksstarken Blick hat. Deshalb haben wir Anna gefragt, die schreibt für ihr feministisches Fanzine Femtrail in Stuttgart. Wir mögen sie total, was sie tut und wofür sie steht. Und so konnten wir einmal mehr den Zusammenhalt von Leuten aus Stuttgart zeigen. Und wir haben uns total gefreut, dass sie sofort zugesagt hat.

Auch ungewöhnlich bei EMPOWERMENT ist, dass ihr euch von Social Media-Kanälen fernhaltet. Ihr habt keine Facebook-Seite, nur einen Blog. Warum?

Das haben wir von Anfang an so gehandhabt. Manchmal ist das auch eine Bürde, aber wir wollen damit zeigen, dass es auch ohne geht, dass dieses Network of Friends funktioniert. Dass wir trotzdem Konzerte spielen und einen gewissen Erfolg haben können, obwohl wir nur einen popeligen Blog haben. Bis jetzt ist es ganz gut gegangen und natürlich kam jetzt bei dem neuen Album die Frage auf: Wollt ihr eure Internetpräsenz nicht ein bisschen aufbessern? Aber wir bleiben dabei und ich fände es total fake, wenn wir jetzt einfach zu Facebook gehen würden. Es ist zwar manchmal anstrengend, aber es funktioniert. Das steht für mich auch für Entschleunigung, und ich finde es wichtig, sich manchmal auf etwas Ursprüngliches zurückzubesinnen. An eine Zeit zu denken, in der nicht immer alles sofort verfügbar war. Jetzt ist immer gleich alles auf dem Handy präsent. Aber was ist das dann wert? Ich selbst hatte bis vor zwei Jahren auch kein Smartphone. Wenn uns als Band jemand finden will, dann findet er uns. Wir schaffen das auch ohne Social Media. Gebt euch ein bisschen Mühe, uns zu entdecken. Das ist die Message dahinter.