Femme fatale, „Garbo des Punk“ und Junkie

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Zum 30. Todestag von Nico

„Ich glaube nicht, dass ich noch böse Erfahrungen machen kann. Ich habe sie alle hinter mir. Mir ist klar, dass man stirbt und dann tot ist.“ (Nico, 1974)

Christa Päffgen, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Nico, gehört zu den tragischen Gestalten des Rock’n’Roll und den Ahnen des Punkrock. Sie starb nicht wie andere Legenden in jungen Jahren und auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, sondern lange nach ihren Erfolgen im Alter von knapp fünfzig als Drogenwrack auf Ibiza, wo man jene Frau „lediglich“ für einen einfachen Junkie hielt und nicht die einstige VELVET UNDERGROUND-Frontfrau Nico in ihr erkannte. Ein unschöner Tod für eine einst schöne Frau, die für Coco Chanel modelte und einen Auftritt in Federico Fellinis Kultfilm „La dolce vita“ hatte. Es war zynischer Weise fast genau zwanzig Jahre nach ihrem ersten Schuss, dass sie an den Folgen des Heroinkonsums starb.

Auf Wunsch von Andy Warhol, der sie gleich in mehreren Filmen zeigte, wurde sie Mitglied von VELVET UNDERGROUND – ohne jemals von den anderen in der Band als gleichwertiges Mitglied anerkannt zu werden – und avancierte nach dem Bruch mit der Band und Warhols Factory im Rahmen eines Imagewechsels zu einer Ikone der frühen Punk- und Gothic-Szene. Ihr Stil beeinflusste Bands und Musiker wie SIOUXSIE AND THE BANSHEES, Patti Smith und NEW ORDER. Mit dem amerikanischen DOORS-Sänger Jim Morrison verband sie nicht nur eine Seelenverwandtschaft und der gemeinsame Drogenkonsum, sondern eine klischeehaft-theatralisch geschlossene Blutsbrüderschaft in der amerikanischen Wüste. In Anlehnung an Jimmy Hendrix’ Version von „Stars and stripes“ sang sie alle drei Strophen des Deutschlandlieds in Form eines Trauermarsches und widmete dies den Gründungsmitgliedern der RAF, Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Ein Versuch der Provokation, der ihr in Deutschland von der linken Szene übel genommen wurde und auf Unverständnis stieß. Sie war ein Weltstar – ständig auf Tour und auf der Suche nach Heroin für den nächsten Schuss ...

Nach all ihren Exzessen in Paris, London und New York fand ihre Asche die letzte Ruhe in Berlin, wo sie auch große Erfolge gefeiert hatte und vom Publikum geliebt worden war. Sie wurde auf dem kleinen, gruseligen Friedhof Grunewald-Forst (dem sogenannten Selbstmörderfriedhof) beigesetzt – im selben Grab wie ihre Mutter. Der etwas abgelegene Friedhof im Grunewald, der im Bezirk Wannsee liegt, einem sehr bürgerlichen Stadtteil von Berlin, soll mittelfristig wieder der Natur zugeführt werden. Neben ihr liegt hier unter anderem noch Harald Sawade, der durch seine Rollen in den Sechziger-Jahre-Verfilmungen der Edgar Wallace-Romane bekannt wurde. Ihr ehemaliger Lebensgefährte Lüül (AGITATION FREE, 17 HIPPIES) veranlasste die Überführung ihrer Asche und die Beerdigung in Berlin im kleinen Kreis. Lüül begründete diesen Schritt mit einer Tagebuchaufzeichnung von ihr. Im Freundeskreis von Nico war dieser Schritt aber sehr umstritten. Neben Lüül nahmen ein weiterer ehemaliger Liebhaber von ihr sowie die Bandkollegen ihrer letzten Band, ihr Sohn und ihr Manager an der Zeremonie teil.

Der Musiker James Young, der ebenfalls bei jener Feier war, erinnert sich später in seinem Buch „Nico. Reise in die Finsternis: Die letzten Jahre einer Rock-Legende“: „Der Gedenkstein, den Demetrius (Rockmusikmanager Alan Wise) bestellt hatte, war nicht fertig, es gab nur ein kleines Schild, auf dem stand: Päffgen 16.10.1938 – 18.7.1988. [...] Le Kid erschien mit der Urne in einer Hand und einem Ghettoblaster in der anderen, Prediger Mike sprach ein paar Worte aus der ‚Bhagawadgita‘ – er hatte Nico gekannt, es gab keinen Anlass für fromme Sprüche. Dann senkte Le Kid die Urne ins Grab, stellte den Kassettenrekorder auf den Boden und schaltete ihn ein. Es war eine Aufnahme von Nicos Song ‚Mütterlein‘.“ Der Song war sicherlich sehr passend gewählt, weil er den Wunsch der Wiedervereinigung mit der eigenen Mutter im Tod zum Thema hat. An der Beerdigung ihrer eigenen Mutter hatte sie wegen eines Drogenentzugs nicht teilnehmen können. Nun wurde ihre Asche auch an der Seite ihrer Mutter beigesetzt. Die Einahmen aus einem Gedenkkonzert für Nico flossen dann direkt in den Drogenkonsum ihres – mit dem französischen Schauspieler Alain Delon gezeugten – Sohnes Le Kid, wie man ihn in ihrem Kreis nur nannte.

Im Gegensatz zu anderen einstigen Rockgrößen ist ihr Grab nie wirklich zu einer Pilgerstätte geworden. Abgesehen von kleineren Mitbringseln einzelner Fans – wie einem Engel mit Kopfhörern – ist ihr Grab unscheinbar und unterscheidet sich kaum von denen der anderen. Dies könnte sich jetzt ändern. Anläßlich des dreißigsten Todestages kommt ein neuer Film über die letzten Jahre ihres Lebens ins deutschsprachige Kino – „Nico, 1988“ (Italien/Belgien 2017) von Susanna Nicchiarelli.