Satan Sightseeing

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Black Metal-Spuren in Oslo

Auslandseinsatz fürs Ox-Fanzine. Ein langes Wochenende in Norwegen, genauer gesagt in der Hauptstadt Oslo. Der Auftrag: eine Reportage über das Underground-Label Fysisk Format schreiben, das dieses Jahr zehnten Geburtstag feiert und so geniale Bands wie THE GOOD, THE BAD & THE ZUGLY, BEACHHEADS, ONDT BLOD, KORRUPT oder HARABALL herausbringt. Die meisten sind in Deutschland weitgehend unbekannt. Berühmt-berüchtigt sind dagegen Black-Metal-Bands wie MAYHEM, BURZUM oder GORGOROTH, die in den Neunzigern Schlagzeilen durch Mord und Totschlag, abgefackelte Kirchen und satanistische Rituale machten. Die norwegische Geschichte dieser gruseligen Metal-Spielart ist weltweit einmalig und begegnet einem in Oslo an jeder Ecke.

Der ist gleich hier nebenan gewesen“, sagt mein Gastgeber Eivind Imingen, als ich ihn auf den früheren Plattenladen Helvete (norwegisch: Hölle) anspreche. In den Neunzigern Hauptquartier und Treffpunkt der Black-Metal-Szene von Oslo. Betrieben von Øystein Aarseth aka Euronymous, Gitarrist der norwegischen Black-Metal-Band MAYHEM. „Kann ich dir gerne zeigen.“ Wir machen uns auf dem Weg. Vorbei am Knast von Oslo in ein gediegenes Wohnviertel, in dem man die Zentrale von Satan auf Erden nicht vermuten würde, in der Schweigaards Gata Nummer 10. Heute ist dort wieder ein Plattenladen, er heißt Noseblod Records. Der Raum im Erdgeschoss ist bis an die Decke vollgestopft mit Ware. Alles, was das Black-Metal-Herz begehrt: Platten, CDs, Kassetten-Demos, Shirts, Patronengürtel oder Aufnäher. Besonders exklusiv sind die Relikte der Neunziger Jahre, die für gesalzene Preise verhökert werden. Die private Plattensammlung von Euronymous, alte Plakate und Demos von seiner Band MAYHEM, ausrangierte Peitschen oder Ketten.

Euronymous war Gründer und Inhaber des Labels Deathlike Silence Productions und Dreh- und Angelpunkt der Szene. Er prägte den einzigartigen Stil des norwegischen Black Metal mit seiner Corpsepaint, den Brandstiftungen und der Verweigerung allen kommerziellen Zwängen gegenüber. Auf einem alten Helvete-Plakat steht ganz unten in kleiner Schrift geschrieben: „Wer den Konkurrenten Hot Records boykottiert, bekommt satten Rabatt auf alle Platten im Helvete“.

1993 wurde Euronymous von seinem früheren Freund und damaligen Bassisten Varg „Count Grishnackh“ Vikernes, einziger Musiker der Black-Metal-Band BURZUM, mit 23 Messerstichen getötet. Die genauen Motive liegen nach wie vor im Dunkeln, weil Vikernes vor Gericht später verschiedene Versionen der Geschichte erzählte. Neben Euronymous’ kommunistischer Gesinnung sowie dessen angeblicher Homosexualität wurden als Motive auch Geldschulden und Vikernes’ damalige Freundin angeführt. Zuletzt behauptete Vikernes, ihn aus Notwehr getötet zu haben. 1994 wurde Vikernes wegen des Mordes an Euronymous, Brandstiftung an mehreren norwegischen Kirchen sowie des Besitzes von Sprengstoff zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt. Damals ein Rekord in Norwegen. Vikernes galt lange in Norwegen als das personifizierte Böse, abgelöst erst von dem Attentäter Anders Breivik, der vor sieben Jahren 77 Kinder und Jugendliche bei einem Zeltlagers der Jugendorganisation AUF der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet erschoss. Vikernes wurde 2009 auf Bewährung entlassen, im Knast hatte er sich inzwischen zum strammen Nazi entwickelt. Er lebt seit Jahren mit Frau und Kindern in einem Wald in Frankreich und produziert von dort aus YouTube-Videos, in denen er unter anderem seine Fans auf den Dritten Weltkrieg vorbereitet und Tricks zum Überleben ohne Strom verrät.

Der Ort, an dem der Mord an Euronymous damals passierte, ist vom ehemaligen Helvete-Standort nur ein paar Blocks entfernt, in der Tøyengata, die Rückseite eines Wohnblocks aus rotem Backstein, Modell früher sozialer Wohnungsbau. Euronymous lebte damals im dritten Stock. Die Balkons sind nachträglich angebaut. Fahrräder und Kinderspielzeug im Innenhof. Sieht nach perfekter Familienidylle aus. Dort erinnert heute nichts mehr an den blutigen Mord. Keine Blumen, keine Graffitis oder andere Hinterlassenschaften von Black-Metal-Fans. Es pilgern aber immer wieder Anhänger von MAYHEM dorthin und versammeln sich dort, erzählt mein Begleiter Eivind. Für ihn gehört Black Metal zum Kulturgut von Norwegen. Eine Metal-Spielart, die in Norwegen erfunden und kultiviert wurde, bevor sie verwässert wurde und mittlerweile weltweit Anhänger hat.

Bei Noseblod Records hat Eivind den schrägsten Merchandise-Artikel gekauft, den ich jemals gesehen habe: eine schwarze Kerze in Form der von Vikernes niedergebrannten Fantoft-Stabkirche in Bergen. Zum nochmaligen Abbrennen zu Hause mit einem schönen Glas Rotwein. Die spinnen, die Norweger. Im Keller des ehemaligen Helvete-Plattenladens haben die jetzigen Betreiber eine Art Museumsraum eingerichtet: ein Altar, diverse umgedrehte Kreuze und selbstgemalte Horrorbilder von Euronymous sind dort zu sehen. Und natürlich der weltbekannte Schriftzug in dünnen Lettern an der unverputzten Wand. Ein bisschen gruselig ist das schon. In einem Gästebuch haben sich Black-Metal-Fans aus aller Welt verewigt: „Burn Your Local Church!“ ist da unter anderem zu lesen.

Die Geschichte von MAYHEM und BURZUM ist immer noch Kult. Vor allem nach dem Buch „Lords Of Chaos“, das erstmals 1998 in englischer Sprache erschienen ist. Geschrieben von Michael Moynihan von der Band BLOOD AXIS und Didrik Søderlind, damals Journalist der Zeitschrift Playboy in Norwegen. Kein Wunder, dass der Schmöker extrem reißerisch aufgemacht ist. Vor allem die Geschichte von MAYHEM-Sänger Per Yngve „Dead“ Ohlin, einem Schweden, der 1988 eingestiegen ist. Dead vergrub Kleidungsstücke für Monate, um bei Auftritten verfallene Lumpen tragen zu können. Außerdem trug er einen verwesenden Raben in einem Plastikbeutel herum, denn er wollte vor jedem Lied „den Duft des Todes einatmen“. Privat praktizierte er „Hungerrituale“ und bei Konzerten schnitt er sich seine Arme auf. 1991 erschoss sich Dead. Laut „Lords of Chaos“ gab Varg Vikernes an, dass er Dead die Munition zugesandt habe, die dieser bei seinem Suizid benutzte.

Das Buch wurde schon immer sehr kontrovers diskutiert, sowohl in der deutschen Presse als auch in szenespezifischen Zeitschriften. Und auch die Black-Metal-Szene selbst sieht das Buch inzwischen kritisch. Bassist Jørn Stubberud aka Necrobutcher, einziges verbliebenes Gründungsmitglied, hat deshalb ein eigenes Buch über die Geschichte von MAYHEM geschrieben, um ein paar Fakten aus der wilden Zeit geradezurücken. Unter dem Titel „The Death Archives: Mayhem 1984-94“ zeichnet er ein Bild von seiner Band, das MAYHEM durchaus auch entmystifiziert und als ganz normale Jungs darstellt. Erschienen ist es übrigens im Buchverlag des früheren SONIC YOUTH-Frontmanns Thurston Moore. Im September 2017 ist eine bezahlbare Taschenbuch-Ausgabe auf Englisch erschienen.

Inzwischen gibt es sogar eine moderierte Bustour für-Black Metal-Touristen in und um Oslo. Guide ist Anders Odden, der 1988 aus dem Dunstkreis von MAYHEM heraus die Band CADAVER gründete. Später war er Live-Gitarrist für APOPTYGMA BERZERK, CELTIC FROST und SATYRICON. Die Route führt unter anderem zur Holmenkollen Kapelle, am 23. August 1992 angezündet und 1996 wiederaufgebaut. Für diese Sightseeingtour ist leider keine Zeit. Wir beschließen unseren Trip in die Hölle mit einem Burger. „Illegal Burger“ heißt der Laden und aus den Lautsprechern dröhnt brülllaut Reggae-Musik. Wir studieren die Speisekarte und plötzlich steht die Bedienung vor uns. Eine schwarzhaarige, exotische junge Frau im hautengen BURZUM-T-Shirt. Das gibt’s doch nicht! „Hörst du wirklich BURZUM?“, frage ich sie. „Natürlich, das ist doch wundervolle Musik“, sagt sie. „Wir Mexikaner stehen auf Black Metal“, sagt sie noch und rauscht ab, um unsere Bestellung an die Küche weiterzugeben.

Die blutige Geschichte des Black Metal in Norwegen wird wohl für immer lebendig bleiben. Wohl auch deshalb hat längst Hollywood angebissen. Vice Films, Insurgent Media, Chimney Pot und 20th Century Fox haben sich zusammengetan und „Lords of Chaos“ gemeinsam mit Regisseur Jonas Åkerlund verfilmt. Rory Culkin, der Bruder von Macaulay Culkin, übernimmt die Hauptrolle als Euronymous. Im Januar lief er auf dem Sundance Film Festival und kommt noch dieses Jahr in Norwegen in die Kinos. Die Black-Metal-Szene winkt jetzt schon ab ...