Dafür / dagegen: Plattensammlung decluttern?

Foto

Einmal Erworbenes bleibt für immer – viele von uns haben Verlustängste, was ihre Plattensammlung betrifft. Was, wenn man genau diese Platte doch noch mal hören will? Wenn man zu billig verkauft? Dann besser gar nicht. Andere misten gnadenlos aus, was nicht gehört wird, muss gehen. Wir diskutieren die Gewissensbisse.

Dafür


Es könnte auch bei Ihrem Freund sein. Hinter verschlossenen Türen ächzen unzählbare Regalmeter unter der Last von Schallplatten, die sich danach sehnen, wieder einmal aus der Enge ihrer Behausung gezogen und liebevoll zwischen den Handflächen balanciert auf den Plattenteller gelegt zu werden. Doch das geschieht nicht. Zwar verweilt ihr Halter gelegentlich vor ihnen, entscheidet sich dann aber doch für eine andere, der das Glück zuteil wird, wenigstens einmal pro Jahrzehnt erwählt zu werden. Besserung ist nicht in Sicht, vielmehr werden unentwegt neue Konkurrenten herbeigeschafft. Eine komplizierte Berechnung – in der die Anzahl der Platten, die durchschnittlich pro Tag gehörten Alben und die Differenz in Tagen zum letztmaligen Hören eine wichtige Rolle spielten und dann eine Wahrscheinlichkeit ergab, ob sie je wieder gehört würden – nahm den betroffenen Platten die letzte Hoffnung. Ihr Besitzer müsste seine Lebenserwartung deutlich übertreffen, um noch einmal erhört zu werden. Schauen Sie nicht weg, sprechen Sie Betroffene an und helfen ihnen! Eile ist geboten, wenn ein Statiker in die Wohnung geholt wird. Bringen Sie dem Hilfebedürftigen bei, dass die Hingabe zur Musik ein Lernprozess ist, Fehler dazugehören, manch mangelnde Qualität erst später erkannt wird und Geschmack sich verändert. Also verkaufen, verschenken, andere glücklich machen und Ballast loswerden. Weisen Sie ihn auch darauf hin, dass Erinnerungen und Emotionen nicht an ein Stück Plastik gebunden sind, sie bleiben einem, auch wenn die Schallplatte geht. Das Auftürmen von ungehörtem Vinyl ist kein Ausdruck von Liebe zur Musik, sondern von Sammelwut. Zeigt sich Uneinsichtigkeit, brüllen Sie, dass schon Fromm die Gier als Ergebnis einer inneren Leere erkannt habe. Geduldigere Helfer entfernen einige Alben und fragen den Betroffenen fünf Jahre später, ob er deren Fehlen bemerkt habe.

Simon Brüggemann

Dagegen

Ja, ich gestehe: Ich sammle keine Platten, ich horte sie. Und mein Musikzimmer halte ich schon lange nicht mehr in dem Maße in Ordnung, wie ich mir das wünschen würde. Ständig kommen neue dazu, der Job bringt es mit sich, und dass die Ehefrau bei einem Tonträgergroßhandel arbeitet und damit auch sie an der Quelle sitzt, verschärft die häusliche Situation – zwei Menschen, zwei Sammlungen – noch zusätzlich. Doch nun die Sinnfrage zu stellen – „Welche Platten brauche, höre ich wirklich noch?“ –, ist keine Option. Ich werfe ja auch keine alten Fotos weg. Als ich neulich mal meine Singles umschichtete, Zeug aus den Neunzigern, war ich verwundert, wie viele der Platten ich wiedererkannte, obwohl ich die zuletzt vor 25 Jahren in der Hand hatte. Ich wusste teilweise noch, wann und wo ich die gekauft oder geschenkt bekommen hatte. Davon soll ich mich trennen, nur weil die zugegebenermaßen seit damals nie wieder gehört habe und womöglich auch nie wieder hören werde? Nö. Die wird behalten. Und die anderen alle auch. Die Zimmerdecken in meinem Haus sind recht stabil, wie ich neulich bei der Badrenovierung feststellte, und sowieso, zur Not wird in den trockenen Keller ausgelagert. Und überhaupt, verkaufen, was soll das bringen? Ich habe im Gegensatz zu vielen anderen nie gesammelt im Sinne von „Investieren“ – hier limitiert, da farbig, am besten alle Versionen, makelloses Cover, nur einmal gespielt. Nein, meine Platten sind gepflegte Gebrauchsgegenstände mit vor allem emotionalem Wert, und die bleiben, bis zum Schluss. Oder falls ich mal so dringend Geld brauche, dass ich da rangehen muss. In der Zwischenzeit wäre mir eher mit mehr Zeit und Platz und einem neuen Expedit-Regal (oder wie immer die jetzt heißen) geholfen, um endlich wieder Ordnung reinzubekommen und die Postkisten voller Neuzugänge wegzusortieren. Gut möglich, dass dabei dann ein paar Doubletten auftauchen – die würde ich verkaufen ...