FLO HAYLER

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Noch ein Buch über die RAMONES

Bücher über die RAMONES gibt es Dutzende. Und jetzt auch noch eines von Flo Hayler, Musikjournalist aus Berlin, Betreiber des Kreuzberger RAMONES-Museums und – altersbedingt – ein später Hardcore-Fan, der in den letzten Jahren vor der Auflösung 1996 kaum eine Show ausließ. In „RAMONES – Eine Lebensgeschichte“ zeichnet er die Historie der Band anhand von eigenen Erinnerungen, Recherchen, Fotos und Memorabilien aus seiner Sammlung detailgenau nach. Deshalb dieses Interview, ergänzt durch ein Kapitel aus dem Buch.

Zunächst: Die RAMONES sind die beste Band der Welt, weil ...


... DIE ÄRZTE vergessen haben, auf den Titel ein Patent anzumelden.

Flo, dein Buch heißt „Ramones. Eine Lebensgeschichte“. Wann ist dir erstmals bewusst geworden, dass andere Menschen in deinem Leben kommen und gehen, aber die RAMONES immer bleiben?

Ich bin jetzt 45 und tatsächlich gleicht mein bisheriges Leben mehr einer Reise, auf der mich einige Leute eine sehr lange, manche eine sehr kurze Wegstrecke begleitet haben. Trotzdem gibt es natürlich Konstanten, auf die ich nicht verzichten kann oder will, weil sie mir Halt geben und mich nicht nur bedingungslos unterstützen, sondern wenn nötig auch kritisieren: meine Familie, meine Freunde, meine Mitarbeiter. Die Musik spielt natürlich ebenfalls eine Rolle, wenn auch nicht mehr eine so zentrale wie vielleicht noch vor zehn Jahren. Aber das sind nicht nur die RAMONES. Die waren zwar von Anfang an dabei und ich höre ihre Songs wirklich oft und gerne, aber darüber hinaus gibt es noch so einige andere Bands und Künstler, von denen ich mittlerweile behaupten würde, dass sie für immer ein Teil von mir bleiben werden. Die RIVERBOAT GAMBLERS zum Beispiel. Oder die Songs von Jack Dalrymple. Ein Genie, der Typ.

Dein Buch ist kein nüchternes Sachbuch, sondern verquickt Autobiografisches und die Geschichte der Band. Warum dieses Vorgehen, das auch schnell – nicht bei dir! – als eitle Selbstdarstellerei rüberkommen kann, ich denke an das schlimme Buch „Tee mit Madonna, Cognac mit Ron Wood: Ich hatte sie alle!“. Wie hast du das vermieden?

Ich hasse Cognac und Tee trinke ich nur, wenn ich krank bin. Wenn du mir also so kommst, sage ich: Ich habe mit den Bands immer nur Bier gesoffen. Oder Wasser. Oder mal einen Wein mit PLACEBO. Das hat in den betreffenden Artikeln sicher auch hier und da eine Rolle gespielt, aber mit den RAMONES haben wir so viele Tage und Abende verbracht, dass da mehr rüberkam als bei einem kurzen Plausch vor dem Kamin. Und es sind ja nicht nur die Erlebnisse oder Gespräche mit der Band, sondern die Konzertreisen an sich. Jeder, der sich mal für mehr als einen Tag an den Tour-Trek einer Band gehängt hat, weiß, wie intensiv so eine Reise ist. In jeder Hinsicht. Mir ging es darum, das damalige Lebensgefühl zu vermitteln, die Aufregung, den uns umgebenden Wahnsinn, die Infrastruktur, unter der wir gereist sind – ohne Billigflieger und Internet, sondern mit Bahntickets aus dem Reisebüro und Autos, die schon lange keinen TÜV mehr hatten. Das war genauso prägend wie die Momente mit den RAMONES, die uns zu einer Zeit unseres Lebens ernst und für voll nahmen, in der uns alle anderen nur ausgelacht haben.

Nun bist du selbst Musikjournalist und da ist es eine normale bis gesunde Haltung, bei allem Fantum eine gewisse professionelle Distanz zu Musikern und Bands zu wahren. Bei den typischen KELLY FAMILY-Fans etwa gruselt einen doch so Hardcore-Fantum. Wie reflektiert oder unreflektiert bist du, wenn es um die vier aus New York geht?

Mir war es stets ein Gräuel, wenn ich Artikel gelesen habe, die in der ersten Person verfasst waren, vor allem im Musikjournalismus. Sowohl bei unclesally*s als auch im Visions hieß es immer „Wir“, und nie „Ich“, so wie beispielsweise im Intro. Entsprechend ätzend fand ich es auch, hier und da ins „Ich“ abtauchen zu müssen, einfach weil damals niemand anderes dabei war. Oder weil ich eine Situation durch meine verklärte Sichtweise betrachte, rein subjektiv. So wie das Kapitel über mein erstes RAMONES-Konzert. Da hatte ich niemanden an meiner Seite, den ich im Nachhinein hätte fragen können: Sag mal, wie habe ich eigentlich ausgesehen, mit dem Stiefelabdruck des einen Stagedivers im Gesicht? Mein Lektor hat mich aber ermutigt, hin und wieder mal die erste Person Singular zu benutzen, statt immer nur den Plural, und ich denke, das hat auch ganz gut funktioniert. Wichtig war mir aber vor allem zu erzählen, was für nette, zuvorkommende, freundliche und mitunter fürsorgliche Typen die RAMONES waren. Dass sie eben nicht – oder nicht nur – dieser zerstrittene, missgünstige Haufen waren, als der sie so oft dargestellt werden. Für uns Fans waren sie genau das, was wir in ihnen gesehen haben: eine Gang, noch dazu eine echt lustige. Das war nicht gespielt, das war echt.

RAMONES-Bücher gibt es mittlerweile eine Menge. Kannst du sagen, wie viele es sind? Und welches sind deine drei liebsten?

Keine Ahnung, wie viele es sind, aber es sind einige gute dabei: zunächst natürlich das Standardwerk: „On the Road with the Ramones“ von Tourmanager Monte A. Melnick. Von vorne bis hinten einfach nur großartig. Danny Fields’ Fotoband „My Ramones“ ist ebenfalls essentiell. Und als obskure Krönung würde ich das Buch von Johnny Ramones Ex-Freundin Cynthia Whitney vorschlagen, „Too Tough to Love“. Mehr Rechtschreibfehler als in allen Ox-Ausgaben zusammen, aber extrem unterhaltsam.

Und welche waren für die Recherche zu deinem Buch am hilfreichsten?

Das wichtigste Tool bei meinen Recherchen war mein Archiv. All die Presseartikel, Poster, Flyer, Pässe, die im Museum hängen oder in irgendwelche Aktenordner sortiert sind. Und natürlich all die Gespräche, die ich im Laufe der Jahre geführt habe, von den Bandmitgliedern über deren Familien und Crew-Mitgliedern bis hin zu Schulfreunden, Weggefährten, Produzenten, Fotografen und Fans. Bezüglich der Bücher bestand die Herausforderung vor allem darin, Fakt von Fiktion zu trennen und sich auf das zu stützen, was tatsächlich belegbar oder zumindest am wahrscheinlichsten ist. Im Grunde habe ich mit meinem Projekt also alle anderen Quellen lektoriert, von diversen Autobiografien über Filmdokus und Fan- oder Technik-Websites bis zu Wikipedia. Wer also wissen will, wie „Pet sematary“ wirklich entstand, sollte die Finger von Google lassen.

Gab es ein Detail, dessen Entdeckung dich als Hardcore-Fanboy noch überrascht hat?

Viele. Zum Beispiel, dass sich das Leben der vier Gründungsmitglieder vor den RAMONES in einem Radius von vielleicht fünf Blocks abspielte. Wer einmal die täglichen Wege von Johnny, Joey, Dee Dee und Tommy abgelaufen ist, von den Birchwood Towers zur Forest Hills Highschool, der weiß, wie die auf ihre Texte kamen. Oder wie all die Möbel und Sportgeräte, die in einem Lager in Queens aufeinandergestapelt sind, einmal in Joeys Apartment gepasst haben sollen? So groß war das doch gar nicht.

... und weshalb braucht der RAMONES-Fan auch noch dein Buch?

Weil es genauso sein Buch hätte sein können. Im Grunde sind die Geschichten auf jeden übertragbar, für den die Musik einer Band mehr bedeutet als das Geräusch, das aus dem Radio kommt. Das gilt auch für Kelly-Fans.

Über die RAMONES wird immer gesagt – auch im Vorwort zu deinem Buch –, dass sie zwar mit die Ersten waren, es finanziell aber nie so für sie gelohnt habe wie für die Punkbands nach ihnen. Wird das einfach so kolportiert oder gibt es auch Zahlen, die das belegen? Wie lebten die denn nach dem Ende der Band und davor? Arme Hungerleider oder letztlich doch halbe Rockstars? Oder wo ist das ganze Geld hin und wohin fließt das heute, in Zeiten von H&M-Shirts?

Die RAMONES waren immer eine Band, die – wie Marky Ramone es nennt – Kapitalismus mit „großem K“ buchstabiert haben. Schon als sich die Band gründete, wollten die Mitglieder nichts anderes, als sich nach dem ersten Album und den ersten Hits möglichst schnell zur Ruhe setzen zu können. Johnny Ramone hat immer gesagt: Ich will eine Million verdienen, danach ist Schluss. Entsprechend offensiv hat sich die Band auch vermarktet, und entsprechend brutal haben sie Raubbau am eigenen Körper betrieben, mit mehr als hundert Konzerten pro Jahr. So wie die meisten Bands heute auch, haben sich die RAMONES aus den Merchandise-Erlösen und Konzertgagen finanziert. Wie reich die Mitglieder am Ende wirklich waren? Unterschiedlich, würde ich sagen. Aber ehrlich gesagt ist mir das genauso herzlich egal wie die Frage, wer heute vom Namen und Logo profitiert. Die RAMONES sind wichtiger als das Geld, das mit ihnen verdient wird. Oder wurde.

Dein Buch strotzt vor Fotos. Der Fachmann erkennt, dass das Schreiben eines Buches nichts ist gegen das Abklären von Fotorechten. Wie hast du das bewältigt? War es da hilfreich, einen Verlagsdeal mit dem „Major“ Random House zu haben?

Zunächst bezeichne ich das „Buch“ lieber als Katalog, denn im Grunde ist es die ausformulierte Version der RAMONES-Geschichte, wie sie anhand von mehr als 1.000 Exponaten im Ramones-Museum erzählt wird, wenn auch mit dem einen oder anderen chronologischen Bruch. Die meisten der Bilder zeigen dann auch Exponate aus dem Museum. Alles andere stammt von Fotografen, die mich seit Jahren unterstützen: Danny Fields, George DuBose, Roberta Bayley. Als ich denen erzählt habe, dass ich den Plunder mal geballt in einem Printprodukt zusammenfassen will, waren die sofort dabei. Mit Danny Fields habe ich jedes einzelne Foto genau analysiert, bevor es beschriftet wurde, und George DuBose hat mir in seinem Kölner Zuhause einen Karton mit RAMONES-Dias und zwei Stullen hingestellt, damit ich bei der Suche nach unveröffentlichtem Material nicht verhungere. Um Lücken zu füllen, habe ich Fotos bei Agenturen gekauft oder direkt bei den Fotografen bestellt. Der Verlag hat dabei überhaupt keine Rolle gespielt. DIY, verstehste?

Wird es eigentlich auch eine englische Version geben?

Mal sehen. Wäre schön. Und eine spanische, italienische, russische Version. Und eine auf Swahili, Polnisch und Mandarin. Eine japanische nicht zu vergessen!

Du betreibst in Kreuzberg das Ramones-Museum. Wie hat sich das seit dem Umzug 2017, dem zweiten Umzug nach 2008, entwickelt, was geht derzeit so, und hält dich das tagein, tagaus auf Trab?

Das Museum stagniert seit Jahren auf okayem Niveau. Als wir 2005 eröffnet haben, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass dieser Witz auch 13 Jahre später noch funktioniert. Aber dank der Bands, die uns in den letzten Jahren besucht haben, ist das Museum mittlerweile mehr als nur ein obskures Freak-Kabinett mit Relikten ein paar toter Musiker, sondern ziemlich lebendig. Es ist immer was zu tun. Ich muss auch gleich los. Joey Cape spielt heute akustisch und ich muss noch die P.A. verkabeln.

Wirst du mit dem Buch eigentlich auf Lese- und Multimediashow-Reise gehen?

Ich hoffe! Aktuelle Entwicklungen gibt es auf den gängigen Social-Media-Seiten des Ramones-Museums. Oder ihr ruft an oder kommt vorbei. Wir haben immer ein kühles Bier da und Bock auf einen Schnack mit Gleichgesinnten!