SCHMUTZKI

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Glück mit Rotz

Vorurteile sind ein elementarer Verhaltensbestandteil, denn sie verhindern, alltägliche Situation ständig neu bewerten zu müssen. Aber sie können einen auch in die Irre führen, wie mir die Stuttgarter Band SCHMUTZKI vor Augen führte. Statt die übliche Szene-Karriere hinzulegen – selbstveröffentlichte Single hier, Platte auf coolem Label dort – machten sie sich mit einem Majorlabel-Einstieg „von oben“ verdächtig. Plastik-Punk, nicht der Rede wert, lautete mein Verdikt. Und dann kam das neue Album „Mehr Rotz als Verstand“ auf dem eigenen Label und ich ließ mich ein auf ein Interview mit Sänger und Gitarrist Beat.

Ihr habt ausweislich eures neuen Albumtitels „mehr Rotz als Verstand“. Das hätte ich gerne erklärt – vor allem, weil Rotz und Herumrotzen im wörtlichen Sinn seit den frühen Punkrock-Tagen gefürchtet ist. Manche Bands gingen damals total zugeschmoddert von der Bühne, Joe Strummer von THE CLASH fing sich durch Rotz aus dem Publikum sogar Hepatitis ein.


Klar, Rotz ist schon was Wichtiges im Punkrock! Für mich ist das die geheime Zutat, die aus Popmusik Rock’n’Roll macht. Aber Rotzen war in den späten Neunzigern auch eine der wichtigsten Beschäftigungen zwischen und während des Skateboardfahrens. Rotzen war asozial, also haben wir versucht, möglichst viel zu rotzen, was echt ekelhafte Ausmaße angenommen und ganze Spots unskatebar gemacht hat. Die Kids heute sind nicht mehr so asozial wie wir damals, hat man das Gefühl. Angerotzt wird man auf jeden Fall sehr selten. Für uns hier in Süddeutschland hat das Wort Rotz aber noch eine andere Bedeutung: Glück. Wenn du noch mal mit einem blauen Auge aus einer brenzligen Situation rausgekommen bist, hattest du „Rotz“. Und so bekommt der Titel eine schöne Doppeldeutigkeit: Einerseits lieben wir diese Musik und das intuitive Gefühl beim Spielen, Punkrock kannst du eben auch hinrotzen und er wird dadurch sogar besser. Bloß nicht zu viel nachdenken, übrigens genau wie beim Skaten. Und andererseits sind wir uns auch des Glücks bewusst, heute eine etablierte Band zu sein und montags ausschlafen zu können!

Gefühlt geht jeder, der als Musiker eine Kleinstadt verlässt, nach Berlin oder Hamburg. Von Konstanz ging es für euch einst nach Stuttgart. Was spricht für die schwäbische Hauptstadt, ihre Musikszene, die ihr ja im Titelsong des Albums verewigt habt?

Als wir damals nach Stuttgart gegangen sind, waren wir ja keine richtigen Musiker. Klar, wir hatten auch eine Band, aber eigentlich kamen wir zum Studieren und Partymachen. Aber als Bodenseekind hängst du einfach an dieser Pfütze und willst in der Nähe bleiben. Das war damals der Grund, nach Stuttgart zu gehen. Dass sich dann daraus SCHMUTZKI entwickelt hat, war ja eher ein Zufall und nie der große Masterplan. Rückblickend muss man aber schon sagen, dass Stuttgart gewisse Vorteile hat. Einerseits ist die Musik-Konzerte-Party-Szene ganz solide aufgestellt und es gibt einfach mehr Möglichkeiten zu spielen, anderseits ist es aber auch nicht wie in Berlin oder Hamburg, wo gefühlt jeden Tag eine neue Hype-Band entsteht und abgefeiert wird. In Stuttgart läuft alles langsamer, aber dafür stetiger, und wenn du mal eine paar Fans am Start hast, dann kommen die auch immer wieder und pushen dich auf das nächste Level. In dem Song „Mehr Rotz als Verstand“ thematisieren wir genau diesen Zusammenhalt, der aus uns drei faulen und versoffenen Gurken eine richtige Band gemacht hat. In Berlin wären wir doch, wie so viele, in der Masse der Möglichkeiten untergegangen. Gute Bands sind auch immer aus Langeweile entstanden und davon hast du in Stuttgart immer noch genug.

Mit eurem neuen Album habt ihr euer eigenes Label ins Leben gerufen, Bäm Records, nachdem ihr zuvor mit Four Artists quasi einen Majordeal hattet, bei dem eure ersten beiden Alben „Bäm“ und „Spackos Forever“ erschienen. Warum diese Entscheidung?

Es hat sich schon länger abgezeichnet, dass SCHMUTZKI und Majorlabel auf Dauer nicht funktionieren wird. Damit wir uns nicht falsch verstehen, der Deal hat uns damals die große Tür geöffnet, ohne Four hätten wir diese Anfangszeit vielleicht nie überstanden, weil es natürlich schon super ist, wenn dir jemand deine Band vorfinanziert und dir damit eine gewisse Sicherheit gibt, dass du nächsten Monat noch deine Miete bezahlen kannst. Denn das Geschäft ist echt rauh geworden, und ich glaube heute, sieben Jahre später, ist es für junge Gitarrenbands noch unfassbar viel schwieriger geworden, diesen ersten großen Schritt zu gehen. Deswegen spielen ja überall nur die immer gleichen Bands, weil der Nachwuchs zu Recht sagt, ich bin doch nicht blöd und versaue mir mein Leben! Wir hatten das Glück, diese ersten Jahre relativ komfortabel überstehen zu können, und dass das Label trotz schlechter Verkäufe über eine EP und zwei Alben zu uns gehalten hat. Aber klar, der Erwartungsdruck wurde natürlich immer höher und irgendwann 2017 haben wir angefangen zu spüren, dass das nicht ewig halten wird. Und ab einem gewissen Punkt, war das Ganze dann auch nicht mehr förderlich für die Arbeit am nächsten Album, weil das Label immer unzufrieden war mit dem Material. Ein Hit musste her, aber wir haben uns geweigert, mit irgendwelchen uns unbekannten Songwritern zu arbeiten. Was bleibt dir überhaupt noch übrig, wenn du nicht mal mehr deine eigenen Songs spielst? War uns zu wenig. Und dann kam irgendwann der Tag, an dem wir gesagt haben, das Album ist jetzt für uns fertig und geil. Label, friss oder stirb! Und als es dann tot war, haben wir direkt gemerkt, wie die Lebensgeister wieder in SCHMUTZKI zurückgekehrt sind und wir wieder Bock bekommen, haben zu „huzzlen“ und das Ganze jetzt alleine auszuchecken. Letztendlich können wir jetzt frei gestalten und unsere Zukunft selbst bestimmen. Wir sind deshalb schon gespannt, wie das nächste Album wird, das dann unter ganz anderen Voraussetzungen entstehen wird.

Als Punkband, die ohne den „Stallgeruch“ von Releases auf coolen kleinen Labels direkt „oben“ eingestiegen ist, hatte ich euch ignoriert und unter „majorlabelgeneriertem Plastik-Punk“ abgehakt. Das muss ich jetzt wohl revidieren ...

Wir wissen und verstehen natürlich, dass dieser „Stallgeruch“ für die Szene immer extrem wichtig war und sein wird. Uns war es ab einem gewissen Punkt aber egal, was die Szene von uns hält, weil wir sowieso nie Teil davon waren. Der Punkt ist aber: Wir waren auch beim Major immer DIY. Wir haben unsere Songs selbst geschrieben, unser Marketing selbst entwickelt, Artworks und Videos selbst konzipiert und oft zu dritt mit einem Kumpel umgesetzt. Wir verschicken unser Merch bis heute selbst. Das Einzige, das wir nicht selbst machen, ist die Steuererklärung. Ich würde mal behaupten, dass es in Deutschland gar nicht so wahnsinnig viele Künstler gibt, die ihren kompletten Auftritt so krass unter Kontrolle haben wie SCHMUTZKI. Wir haben das alles selbst gemacht und das Label hat meistens nur abgenickt. Man kann uns vorwerfen, dass wir zu poppig sind, nicht radikal genug, schlechte Musiker oder alberne Videos drehen ... aber generiert haben wir uns zu 99,99% selbst. Man könnte so weit gehen, dass wir den Major nur benutzt haben, um unser Ding durchzuziehen. Klar, haben wir auch tausend Fehler gemacht, aber das waren immer unsere eigenen, das Label können wir dafür nicht verantwortlich machen. Es muss auch keiner hoffen, dass SCHMUTZKI jetzt plötzlich total cool und szenemäßig werden, weil uns der Major nicht mehr im Nacken sitzt. Den Blödsinn haben wir schon selbst so verbrochen, und zwar mit Ansage!

Mit „Gut so“, „Komaliebe“, „Jeder Kater“, „Sturmfrei“, „Zu jung“ habt ihr gleich fünf Songs, in denen mal mehr, mal weniger reflektiert dem Alkoholgenuss und Partymachen gehuldigt wird. Sieht so dein/euer Leben aus oder sind das eher Momentaufnahmen, und der Rest ist grauer Alltag?

Das ist definitiv die Welt, aus der SCHMUTZKI ursprünglich kommen. Als wir angefangen haben, waren es echt fünf Tage die Woche Party. Der Donnerstag wurde zum neuen Freitag und bald war der Dienstag der kleine Donnerstag. In dieser Zeit ist die DNA von SCHMUTZKI entstanden. Und ja, wir saufen heute nicht mehr fünfmal die Woche. Aber wenn’s drauf ankommt, können wir immer noch mit den Kids konkurrieren! Was unseren Alltag angeht, der ist recht gut organisiert, schließlich leiten wir eine kleine Firma namens SCHMUTZKI, die jetzt auch noch ihr eigenes Label hat. Langweilig wird uns da erst mal nicht und Spaß macht es auch, weil es ja unser Ding ist. Und wenn die Tour losgeht, dreht sich plötzlich alles um und du musst eher aufpassen, dass das Saufen nicht langweilig und zur Routine wird. So hat sich eigentlich ein recht gutes Gleichgewicht zwischen echter Arbeit und echter Eskalation eingestellt.