PAVALLION

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Ganz viel Meta

Häppchenkultur versus Entschleunigung, Streaming versus Vinyl oder knackige Vier-Minuten-Songs versus ausladende Klangkonstruktionen mit Verweiskraft – dialektische Anordnungen, die dieser Tage viele, auch junge, Musiker dazu bewegen, sich an einem Sound zu versuchen, der seine Hochzeit hatte, als Punk noch in weiter weiter Ferne lag. Psychedelic Rock war zuerst da, in Deutschland spielte man irgendwann mit Anleihen davon, dann hieß es Kraut, wobei es ohnehin nicht der eine Sound gewesen ist. Irgendwo in diesem wiederentdeckten Kosmos lässt sich auch die Krefelder Band PAVALLION verorten. Etwas über Zeit oder so.

Zugegeben, die moderne Wissenschaft kritisiert am Gesamtwerk Sigmund Freuds insbesondere seine Arbeiten zur Traumdeutung. Dessen ungeachtet greift allerdings nach wie vor die Freudsche Vorstellung um sich, das Träumen organisiere sich in einem Karree aus Bewusstmachung von Unbewusstem, frühkindlicher Sexualität, Verdrängung sowie Verarbeitung verborgener Konflikte. Welcher Bereich nun welchen Anteil innehat, wie diese dann zusammenwirken und was überholt ist, spielt hier nun keine Rolle, denn komplett falsch ist das alles nicht. So stellt sich die Frage, wie ein erträumtes, vermeintliches Kunstwort wie „Pavallion“ zu verstehen ist. Erträumt, weil es laut Bandlegende dem Bassisten Andreas im Traum einfiel, der dann dem zu jener Stunde noch ungezeichneten Bandprojekt den Namen zuwarf. Vermeintlich – und das ist der kuriose, trauminhaltlich aufgeladene Teil an der ganzen Geschichte –, weil es eben doch keine Wortneuschöpfung ist. Dies aber erschloss sich der Band erst, nachdem sie Opfer auffallend vieler Likes aus Indien wurde. Eine kleine Recherche führte zu einem Einkaufszentrum mit dem Namen Pavallion. Was würde der alte Freud wohl dazu sagen? Mutmaßlich werden wir es niemals erfahren, wenngleich man diese Wunderlichkeit als Portal zum träumerisch-psychedelischen Schaffen der vier Krefelder PAVALLION lesen kann.

In der Selbstbeschreibung klingt das zwar ein wenig anders, ist vom Kern aber nicht allzu weit entfernt: Mit „viel Meta, viel Abstrakt“ liefert Gitarrist Steven einen Entwurf dessen, was bei vielen anderen Bands wohl Konzept genannt werden könnte. Dieses Konzept existiert spätestens seit der Gründungsphase der Band nicht mehr – ganz kurz versuchte man sich zu Beginn nämlich an etwas schnellerer, härterer Rockmusik, stellte aber fest, dass das nicht funktionieren kann –, und zwar insofern, als dass der Song- beziehungsweise auch Bandfindungsprozess „basisdemokratischen“ Charakters sei und das bestimmende Leitgefühl ein tiefes Bedürfnis nach Entzeitlichung ist. Logische Nachwehe dieses Ansatzes und zugleich Bannfluch für so manchen Hörer ist die Länge der Songs.

Der gerade erschienene Zweitling „Stratospheria“, auch so ein Meta-Konstrukt, auf das noch zu kommen sein wird, setzt sich aus drei Songs zusammen, die fünf, zehn und 25 Minuten lang sind. Über „Wir haben es eben nicht so mit dem Tempo“ zeichnet Drummer Piet einen Kreis um den bandinternen Antrieb, Zeit als bestimmenden Faktor zwar wahrzunehmen, aber nicht zu akzeptieren respektive sich an seiner musikalischen Dekonstruktion zu versuchen, was wiederum seine Spiegelung in der ganzheitlichen Handhabung der Musik erfährt. „Ein 25-Minuten-Song macht einfach was mit deinem Kopf, er entführt dich in ein anderes Leben“, berichtet Steven. Dies gelte gleichermaßen für den Musiker wie auch den Hörer, denn der Körper spiele „zwar einfach, aber das Gehirn ist ganz woanders, ganz weit weg eben“.

In ihrer ganz eigenen Matrix erheben PAVALLION den Anspruch, ihre Hörer „sozusagen in den Musikgenuss hineinzutricksen“, was neben Songlänge und Sound auch in der Veröffentlichungs- sowie der Aufführungspraxis ihre ganz eigenen Verweise findet. Indiskutabel, dass das bevorzugte Medium die schwarze Scheibe mit dem kleinen Loch in der Mitte ist, auch wenn das den Zweitling veröffentlichende Label Tonzonen Records von „Stratospheria“ ebenfalls einen Stapel CDs unters Volk zu bringen versucht. Ganz programmatisch führte die Band vor kurzem ihr Album auch live in einem alten Kino auf – sie spielten vor der Leinwand und im Hintergrund lief Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Warum nicht, wenn Zeit sowieso keine Rolle spielt? Im Übrigen ist der Film aus dem Jahr 1968, als der Psychedelic Rock im Zenit stand und John Peel, zumindest der Legende nach, den Begriff Krautrock ersann.

Und ob Zufall, Fügung oder traumwandlerische Unabsichtigkeit, es fand auch noch ein alter Stapel Fotos den Weg zur Band, der ebenfalls in diesem Zeitraum zu verorten ist. Rimini irgendwann in der Sechzigern oder so, das ist wohl der erste Gedanke beim Betrachten des Covers; ein grobkörniges Foto eines Urlaubstrands, einige, nicht näher erkennbare Personen tummeln sich im Wasser. Am Horizont geht – und darauf besteht die Band – nicht der Mond, sondern eine zweite Erde auf. Stratospheria eben, künstlich eingefügt, das nächste Meta-Ding, das in diesem Falle den Betrachter zum Anhalten zwingt, indem es mehr als eine Frage aufwirft. So weit, so gut, allerdings entstammt das Bild einer Kiste Bilder, die Drummer Piet vor vielen Jahren mal auf dem Sperrmüll gefunden hat. Und was würde Freud nun dazu sagen?