RATCHETS

Foto

Protestmusiker

Es ist besser, an kleinen Zielen festzuhalten, statt an großen Idealen zu scheitern. So in etwa könnte man die Herangehensweise von THE RATCHETS an ihre Musik in einem Satz beschreiben. Mitte der Nullerjahre schaffte es das Quartett aus New Jersey, musikalisch in die Fußstapfen von THE CLASH zu treten, ohne daran als Epigone zu zerbrechen. Sowohl Texte als auch Musik auf den ersten Releases haben Substanz und diese Art von Patina, die nur durch echte Reibung am Original entsteht. Nach zwölf Jahren Pause kommt jetzt unverhofft ein neues Album und ein Rerelease des kompletten Backkatalogs inklusive Deluxe-Box. Reggae-infizierter Punk’n’Roll ist geblieben, mehr Gelassenheit gekommen. Wie und warum erklärt Sänger und Gitarrist Jed Engine.

Jed, 2018 war ereignisreich für die Band. Was waren deine persönlichen Höhepunkte?


Musikalisch war es aufregend für uns, stimmt. Wir haben die Aufnahme und den Mix des neuen Albums „First Light“ mit Pete Steinkopf von den BOUNCING SOULS schon in der ersten Jahreshälfte abgeschlossen, zur Veröffentlichung hat es aber bis zum Herbst gedauert. Uns und unserem Labelchef Skippy bei Pirates Press Records war bewusst, dass wir etwas Besonderes hinbekommen hatten. Daneben ist das Highlight die Wiederveröffentlichung unseres kompletten Backkatalogs. Unsere EP „Heart Of Town“ war schon immer ein persönlicher Favorit von mir und sie war noch nie auf Vinyl oder digital erhältlich. Daher ist es ein tolles Gefühl, sie jetzt in der Hand zu halten. Die Platten gibt es separat auf Vinyl und als Boxset mit dem Titel „Essentials“. Wir haben unsere erste Show seit 2012 gespielt und unser erster Schlagzeuger Marc Ziccardi, der Mitte der Nuller Jahre ausstieg, ist wieder dabei. Insgesamt war es ein tolles Jahr!

Euer erstes Album von 2006 war eine kleine Offenbarung. Man dachte, da ist etwas Großes im Entstehen. Und dann seid ihr wieder von der Bildfläche verschwunden. Was war passiert?

THE RATCHETS begannen 2003. Wir kommen aus New Jersey und unser erster Proberaum war in Paterson, NJ, einer vergessenen Industriestadt. Auf der ersten EP „Heart Of Town“ ist dieser Proberaum in einem Song namens „Broadway 77a“ verewigt, der damaligen Adresse. Drei Jahre später kam dann auf Pirates Press Records unser Album „Glory Bound“ heraus. Wir waren mit Konzerten und Touren gut beschäftigt, aber es lief bei uns irgendwie nicht rund. Harmonie in der Band kann man nicht erzwingen. Deshalb entschieden wir uns für eine Auszeit, was sich im Rückblick als eine gute Idee entpuppt hat, denn beim neuen Album „First Light“ fühlt sich alles absolut richtig an. Unsere Freundschaften blieben erhalten, wir hatten durchgehend Kontakt zueinander. Es war wichtig, gemeinsame Ziele nicht zu verwässern oder die Ziele zu hoch zu stecken und dadurch Druck zu erzeugen. Zwischendurch spielten wir einzelne Gigs, etwas bei der Pirates Press Records Anniversary Show in San Francisco und einen mit den BOUNCING SOULS in Asbury Park. Zak und Dan gründeten während der RATCHETS-Pause DETOURNEMENT und später SMALLTALK. Ich habe weiterhin Songs für mich selbst geschrieben. Dazu das Übliche: arbeiten, Familien gründen. Und Barack Obama war acht Jahre lang unser Präsident – da war Punkrock nicht so notwendig wie jetzt. Ende 2017 ging es dann ernsthaft mit den RATCHETS weiter.

Euer Label hat euch dabei den Rücken gestärkt?

Absolut! Skippy von Pirates Press Records war schon immer ein großartiger Unterstützer der Band. Wir haben „First Light“ in Etappen aufgenommen, und als wir etwa die Hälfte fertig hatten, spielten wir ihm das neue Material vor. Er war so aufgeregt, dass er die Idee hatte, alles, was wir je veröffentlicht hatten, wieder aufzulegen – inklusive Bonusmaterial. So entstand die „Essentials“-Box. Zak ist Grafikdesigner. Er hat das Layout der neuen Platte und des Backkataloges gemacht. Wir legen großen Wert auf Details. Sowohl bei den Texten, den Arrangements als auch den Showpostern und den Covern. All das soll in sich stimmig sein, eine Linie haben. Musik ist eine verrückte Sache, besonders aus der Perspektive des Musikers. Sie versetzt einen immer an bestimmte Orte und Zeiten zurück. Das neue Album rückt die alten Songs wieder in ein neues Licht. Sie sind würdig gealtert und inhaltlich für mich immer noch relevant. Unsere Musik ist jetzt auf Vinyl und erstmalig digital verfügbar. Ich hoffe, dass wir damit neben den alten Fans auch ein neues Publikum erreichen.

Auf „Heart Of Sound“ von 2013 covert ihr „Johnny too bad“ von den SLICKERS. Darin erscheint der Begriff „ratchet“, also Messer. War dieser Song die ursprüngliche Inspiration für euren Bandnamen?

Ja, so ist es. „Johnny too bad“ ist immer noch einer meiner ewigen Lieblingssongs! Ich hatte eine Kassette mit dem Soundtrack von „The Harder They Come“ in meinem Auto, als wir nach einem Namen suchten. „Johnny too bad“ war das Gegenstück zu Chuck Berrys „Johnny be good“ und er rannte mit einem Messer im Hosenbund herum. Dieses Bild hatte ich ständig vor Augen und daher hat dieser Name schließlich das Rennen gemacht.

Lass uns über das neue Album sprechen. Euer ursprünglich von THE CLASH und Roots Reggae inspirierter Sound hat sich weiterentwickelt und ihr seid ruhiger geworden. Aber deine Texte wirken so wütend wie eh und je. Altersmilde wirst du nicht, oder?

Nein, ich bin immer noch ziemlich empört über alles, was auf der Welt passiert! Mit zunehmendem Alter wird es sogar schlimmer. Das sollte doch eigentlich genau umgekehrt sein. Die Probleme der Menschen scheinen sich zu wiederholen und wir suchen immer wieder die Ursachen bei anderen. Die Entwicklung der Technologie hat den Konsumismus verstärkt und wir werden dadurch immer abgelenkter. Ein selbstgefälliger Eskapismus. Sind Medien wirklich so viel unserer Zeit und Aufmerksamkeit wert? Außerdem stehen wir uns ständig im Weg mit unserem Bedürfnis nach Erfolg und Anerkennung. Ich will das nicht mehr. Kleinere Erfolge, langsamerer Fortschritt, weniger Profit – das sind meine Ziele. Aber die meisten Menschen wollen anscheinend das Gegenteil.

Im Song „Drone control“ singst du: „Now that there’s nothing to believe in / Moms have kids and they grow up cruel / I wonder who they will look up to?“ An was oder wen hast du als Teenager geglaubt? Und wofür lohnt es sich heute noch zu kämpfen?

Ich bin aus New Jersey, also hatten wir Bruce Springsteen. Und der sprach immer voller Ehrfurcht von Woody Guthrie. Also saugte ich alle Details über Woody auf. Dann stieß ich auf Joe Strummer und THE CLASH und sah, dass es auch da den direkten Bezug zu Woody gab. Die Parallelen zwischen Woodys Folk-Philosophie und den überlieferten Traditionen aus jamaikanischem Reggae liegen auf der Hand. Darüber hinaus geht es in dem Song um die Rolle des Protestmusikers. Stellen wir nur gelabelte Hüllen mit phrasenhaften Texten dar oder können gut gemeinte Texte auch in gutes Handeln münden? Wir müssen Dinge ansprechen, die die Leute nicht hören wollen. Ich werde auch langsam zu alt, um nur wohlmeinende Ratschläge zu verteilen. Also muss man den Hintern besser heute als morgen hochbekommen. Das ist auch die Kernbotschaft von Woody Guthrie, somit schließt sich hier der Kreis. Schnelles Handeln bewirkt auch eine schnelle Veränderung.

Im Song „Stray emotions“ beziehst du dich auf das Albumcover, das zwei Liebende im Auto zeigt, die auf einen Atompilz schauen. Was ist deine Idee dahinter?

Lasst uns das Beste aus dem Mist machen, in dem wir uns befinden. Unsere Kultur und unsere Gesellschaft haben uns eine Last auferlegt. Nämlich das Gewicht von 10.000 Jahren schlechten Verhaltens und Egoismus, das unsere Vorfahren Tradition genannt haben. Wir glauben, diese respektieren zu müssen. Wir sind umgeben vom Lärm des modernen Lebens und der Rastlosigkeit unserer eigenen Gedanken. Wir zelebrieren unsere eigenen Ideen und Meinungen und verschwenden Zeit mit Kleinigkeiten. Und das in dem Wissen, nur eine begrenzte Zeit hier auf der Erde zu haben. Musik ist für mich eine Möglichkeit, Zeit und Emotionen zu teilen und eine brüchige Welt erträglich zu machen. Ich werde ein Leben lang die gleichen Akkorde spielen und dabei die Stille zwischen den Songs genießen.