MARTHA

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Veganer Straight Edge-Indiepop

Vegan, straight edge, queer und anarchistisch sind sie, aber eine Hardcorepunkband sind sie nicht. MARTHA aus Durham, England, spielen Indiepop, der sehr glücklich macht. Dabei geht es durchaus um ernste Themen. Auf dem aktuellen Album „Love Keeps Kicking“ zum Beispiel dreht sich alles um Herzschmerz. Dass MARTHA trotz der sehr cleveren, aber doch gefühligen Texte sehr politisch sind, erzählen Nathan und Daniel im folgenden Interview.

Wenn man den Song „Heart is healing“ hört, könnte man meinen, dass der Moment, wenn der Schmerz nachlässt, das Schlimmste ist. Aber ist dieser Moment nicht eigentlich der, nach dem man sich bei Liebeskummer am meisten sehnt?

Daniel:
Eigentlich könnte man endlich loslassen, man sträubt sich aber dagegen, weil dann noch einmal so richtig klar wird, dass es jetzt vorbei ist. Deshalb würde man sich vielleicht lieber noch ein bisschen im Gejammer suhlen.

Wieso befasst ihr euch so tief mit Kummer und Herzschmerz?

Nathan:
Die ganze Welt fühlt sich trauriger an. Speziell Großbritannien und der Rest von Europa machen gerade eine schreckliche Trennung durch und es fühlt sich an, als würden überall Dinge auseinanderbrechen. Das hat Einfluss auf die Geschichten, die wir schreiben. Die Charaktere darin befinden sich in schwierigen Situationen. Natürlich sind manche Aspekte auch direkt von unseren persönlichen Erfahrungen geprägt. Es geht aber nicht nur um romantische Beziehungen, sondern auch um Freundschaften, die sich auseinander entwickeln. Wir sind schon recht lange in dieser Band und haben viele Menschen kommen und gehen sehen, bemerkt, wie sie sich weiterentwickeln. All diese Dinge hatten Einfluss auf das Album.

Eure Songs vermitteln nicht direkt politische Botschaften. Trotzdem schwingt das immer mit. Auf welchen Wegen drückt ihr eure politischen Ansichten aus?

Nathan:
Darüber machen wir uns viele Gedanken. Daniel und ich spielen noch in einer anderen Punkband, ONSIND, die sehr direkte politische Songs hat. Mit MARTHA haben wir immer schon eher Geschichten erzählt und Charaktere entwickelt. Trotzdem gibt es so etwas wie einen unpolitischen Song einfach nicht. All unsere Stücke haben einen Kontext und haben einen politischen Unterton. Wir schreiben über gleichgeschlechtliche Beziehungen, über Menschen, die eher am Rand der Gesellschaft stehen. Die Songs sind vielleicht nicht offensichtlich anarchistisch, die Menschen in den Songs sind es aber ganz sicher. Wir als Band äußern uns aber auch so zu politischen Themen, online zum Beispiel. Wir halten uns da nicht zurück. Das gehört zum Gesamtpaket MARTHA.

Im Video zu „Love keeps kicking“ zeigt ihr ein apokalyptisches Szenario und in der Ankündigung auf Facebook habt ihr die aktuelle Weltlage als dystopisch bezeichnet. Seid ihr wirklich so pessismistisch?

Nathan:
Wenn man nach Hoffnung sucht, sollte man sich an die Menschen wenden, die sich im Widerstand engagieren, die sich wehren. Ich bin Anfang 30 und habe mein ganzes Leben unter einer neoliberalen, konservativen Regierung verbracht, die sich dem Kapitalismus und dem Markt unterwirft. Das sind jedoch Dinge, an die ich nicht glaube. Entscheidungen wie der Brexit vermitteln uns gerade jedoch das Gefühl, als würden diesem alten Wagen die Räder abfallen. Das politische Establishment scheint sich gerade selbst zu töten. Wir machen nicht nur Witze, wenn wir sagen, dass wir uns in einer Dystopie befinden. Aber es gibt gute Menschen, die hart arbeiten, die Gutes tun, die sich wehren. Daraus kann man Hoffnung schöpfen.

Nicht nur die Charaktere in euren Songs, auch euch selbst bezeichnet ihr gern als anarchistisch, queer, vegan und straight edge. Welchen Einfluss haben all diese Attribute auf euch als Band?

Daniel:
Das eine sind die Geschichten in den Songs, aber auch, wie wir ans Songwriting herantreten, ist sicherlich davon beeinflusst. Wir schreiben gemeinsam. Als wir uns das erste Mal als „vegan, straight edge ... “ und so weiter bezeichneten, taten wir das schon mit einem Augenzwinkern. Diese Begriffe sind eng mit der HardcorePunk-Szene verknüpft. Wir fanden den Gedanken, sich als blumige Popband so zu bezeichnen, charmant. Damals haben wir überlegt: „Ah, wir alle ernähren uns vegan, keiner von uns trinkt Alkohol ... wir sind eine vegane Straight Edge-Band!“ Haha. Heute trinke ich wieder, allerdings habe ich mich persönlich auch nie wirklich als straight edge bezeichnet.

Nathan: Es gibt einen Song auf dem Album, „Into this“, den Naomi geschrieben hat. Da geht es darum, nüchtern zu sein und sich in einer Welt zu bewegen, in der es selbstverständlich ist, dass alle trinken. Wir nehmen uns solcher Themen an. Wir sind alle vegan, wir würden uns alle als Anarchisten bezeichnen. Naomi und ich sind immer noch straight edge. Wenn man diese Labels fünf Jahre lang mit sich herumgetragen hat, gewinnt man sicherlich eine etwas andere Einstellung dazu. Insgesamt glaube ich aber, dass all das noch gut zu uns passt – mal abgesehen von straight edge. Tierrechte und Veganismus liegen uns allen jedoch noch immer sehr am Herzen.

Im Ox spielt Veganismus eine recht große Rolle. Habt ihr Rezepttipps für uns?

Daniel:
Wir hatten ein sehr gutes Blumenkohl-Kartoffel-Curry.

Nathan: Ich hatte sehr gute vegane Fish’n’Chips in einem Pub in Newcastle, das heißt „The Ship Inn“. Das habe ich aber nicht selber gekocht. Neulich hatte ich vegane Buffalo Wings, aus Blumenkohl. Den schmierst du mit der typischen Buffalosauce ein und backst ihn ihm Ofen. Das ist richtig lecker.

Daniel: Ich habe veganes Mac’n’Cheese gemacht neulich. Das gehört zu meinen Lieblingsgerichten. Es ist sehr einfach, erst recht, wenn du jemanden zum Essen einlädst, der nicht vegan lebt. Die können das immer nicht so richtig glauben.

Was benutzt du als Käseersatz?

Daniel:
Ich koche Sojamilch und Mehl auf, dann gibst du Hefeflocken dazu, das ergibt eine cremige Sauce. Dazu nehme ich aber auch veganen Käse, dann wird es richtig käsig.

Nathan: Dafür kannst du auch scharfe Sauce und Tomatensoße nehmen. Ich bekomme jetzt übrigens Hunger.

Ja, ich auch, lasst uns schnell das Thema wechseln. Ihr alle lebt in Durham, genauer gesagt kommt ihr aus dem Stadtteil Pity Me. Was ist der beste Witz, den ihr euch dazu anhören musstet? Da gibt es doch bestimmt ein paar.

Nathan:
Als ich noch ein Kind war und im Bus von der Schule nach Hause gefahren bin, musste ich beim Fahrer ein Ticket kaufen und sagte „Pity Me, please“. Neun von zehn Fahrern sagten dann immer „Awwwww ... “, haha.

Daniel: Ja, der kommt einem immer zuerst in den Sinn. Tatsächlich fällt mir aber kein Witz ein, in dem die Pointe „Pity Me“ ist.

Nathan: Es gibt aber einen über Durham: „Where does Pink Panther live? – Durham, Durham, Durham, Durham, Durham, Durhaaaa ...“. Funktioniert vielleicht geschrieben nicht so.

Ich schreibe einfach dazu, dass du es zur Pink Panther-Erkennungsmelodie gesungen hast.

Nathan:
Aber selbst dann frage ich mich, ob das wirklich so lustig ist.

Bei Instagram habt ihr ein Foto von einer Plakette gepostet, auf der steht „Move To Durham And Never Leave – Martha – Solidarity Forever“. Was hat es damit auf sich?

Daniel:
Durham und der Nordosten in Großbritannien allgemein haben eine sehr starke Working-Class-Community. Es gab sehr viele Kohlminen in der Gegend.

Nathan: Mit dem Kauf der Münze haben wir Geld gespendet für die „Red Hills Miner’s Hall“. Dort haben sich die Delegierten der ganzen Minen in der Gegend getroffen. Diese Halle wird gerade renoviert. Hier im Nordosten haben hunderttausende Menschen in den Minen gearbeitet. Heute sind die Minen zwar geschlossen, aber es ist noch immer ein wichtiger Teil der Kultur. Daniels Großvater hat in den Minen gearbeitet, Jesses auch. In den 1980er Jahren waren unsere Eltern aktiv in der Solidaritätsbewegung mit den Bergarbeitern, die damals ein Jahr lang gestreikt haben. Für uns ist es wichtig, die Working-Class-Mentalität, dieses Erbe sozusagen, weiterzutragen, die Flamme brennen zu lassen.

Daniel: Durham und die ganze Gegend scheinen oft vom Rest des Landes vergessen worden zu sein. Vor allem, wenn es um die Förderung von Kunst und kreativer Arbeit geht. Wir sind ein bisschen stolz und wollen zeigen, dass wir aus Durham, aus dem Nordosten kommen ...

Nathan: ... ja, seht her, wir machen Kunst, wir machen Musik! In diesem Teil des Landes passieren coole Dinge, trotz der schwachen Infrastruktur und auch wenn niemand Geld für die Kulturszene gibt.