Dafür / dagegen: Reunions

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Das Rebellion Festival in Blackpool, das Anfang August wieder stattfindet, beschert seinen Besucher*innen immer wieder verblüffende Momente. „Wie ...? Die spielen da? Die sind doch seit 1979 aufgelöst?!?“ So lange noch ein Originalmitglied lebt, ist eine Reunion, eine Wiederbelebung möglich. Und bei den Fans jener Band beginnt das süße Gift der Nostalgie zu wirken ...

Dafür


Im Grunde bin ich ein Liberaler. Wenn das, was du tust oder tun willst, keinem anderen schadet, mach es. Wenn du – oder wer immer deine Band buchen will – der Meinung bist, nach 5, 10, 20 Jahren bestünde noch Interesse an dieser, dann trommel zusammen, wer von damals noch verfügbar ist, übt, was das Zeug hält, geht raus auf die Bühne und macht euch und eure alten und neuen Fans glücklich. Niemand wurde gezwungen, sich das anzuschauen und anzuhören, und wenn ihr gut seid, werden sie euch feiern, doch wenn ihr die alten Hits verkackt, habt ihr allen Spot und alle Häme der Welt verdient. Menschen entwickeln idealisierte Vorstellungen von einer Band, ihrem Auftreten, wie die Klassiker-Songs zu klingen haben – gebt der Meute, was sie will, stresst euch und andere nicht mit modernen Interpretationen eurer Hits. Über die Jahre habe ich unzählige Reunion-Bands gesehen, manche waren super (ARTICLES OF FAITH!) , andere nicht der Rede wert, aber nie wurde ich gewungen, im Falle von Teil- oder Totalversagen im Raum zu bleiben. Wer hingeht, wer sich ein Ticket kauft, weiß, was kommen kann. Wer nicht wagt, der gewinnt auch nie, was im Übrigen auch für jede neue Band gilt, deren Album der Hammer ist, wo man dann aber nach ersten Konzert entweder begeistert oder enttäuscht ist. Von daher: wer gar nicht erst aufs hohe Ross der Moral steigt, der muss auch nicht wieder runter. Ein Schulterzucken tut es als Reaktion, wenn es mal wieder heißt „Schon gehört? XY spielen wieder.“ und man sich nichts Unspannenderes vorstellen kann als ein Konzert einer damals schon nicht geschätzten Band. Moralisches Aburteilen, selbst wenn finanzielle Gründe für die Reunion als (Teil-)Motivation vermutet werden dürfen, helfen auch nicht weiter. Wer kennt schon die vielleicht prekären Lebensumstände jener Musiker. Mit einem sicheren Job unter dem Arsch lässt sich leicht lästern, aber Vorsicht: Man klingt da dann schnell wie die Spießernachbarn in der Einfamilienhaussiedlung.

Joachim Hiller

Dagegen

Hast du dich schon mal gefragt, welche Band man sich derzeit nicht live anschauen kann? Vor einiger Zeit waren zeitgleich zwei „Versionen“ von BLACK FLAG unterwegs, ähnliches gilt für die DEAD KENNEDYS, mit CJ Ramone tourt jemand seit Jahren unter dem ehrfurchterregenden Namen mit RAMONES-Songs, der nur in der Endphase etwas mitspielen durfte – nur mal, um die prominentesten Fälle zu nennen; von abgehalfterten, unverzeihlichen Shows in der Gegenwart von Bands wie POISON IDEA oder den ANGRY SAMOANS wollen wir an dieser Stelle mal gar nicht sprechen, denn jede Zeile würde einzig der Entweihung einstiger Denkmäler Nachschub liefern. Warum machen diese Leute das? Keine Ahnung, ich maße mir nicht an, die Motive dafür aufdecken zu können. Sollten diese Leute das machen? Ich maße mir an, darauf mit einem klaren „Nein!“ zu antworten. Warum? Nehmen wir mal die ADOLESCENTS, LEATHERFACE, POISON IDEA oder GANG GREEN als Beispiel. Beispiel wofür? Für diesen einen genialen Moment, den Moment eben, indem das Line-Up, die Stimmung und die Bedingungen stimmten, um das Album rauszuhauen, das jeweils ihren Status bis heute zementiert. Ohne diesen Bands etwas absprechen zu wollen (und ohne „das“ Album der Bands zu nennen, denn jeder wird wohl wissen, welches Album gemeint ist), kann man die leicht gewagt These aufstellen, dass alles vorher und nachher zwar ganz nett war/ist, aber dieser (Höhe-)Punkt unerreicht bleibt. In der (antiken) Philosophie gibt es den Begriff „Kairos“ für den günstigen Zeitpunkt, an dem alles um einen herum stimmt. Vielleicht ist es gerade auch im Punk/Hardcore-Bereich so, dass es für viele Bands genau einmal diesen Zeitpunkt gibt; die Leute passen, man ist (noch) unabhängig, jugendlich und naiv, idealistisch, furchtlos und voller Ideen. Daraus entsteht dann dieses eine Album, gefolgt von Gigs. Und irgendwann ist dieser Zeitpunkt überschritten. Dies zu erkennen und es dabei zu belassen, das sind Zeichen wahrer Größe.