RYKER’S

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Holy shit! The Germans are in the house!

Wenn es um die wohl erfolgreichste Hardcore-Band aus Deutschland geht, wird zwangsläufig der Name RYKER’S fallen. Seit über 25 Jahren ist die Band aus Kassel unterwegs, um Bühnen einzureißen und Oldschool-Fans wie mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Zum Gespräch mit Gründungsmitglied Chris Luft gesellt sich bei einigen Fragen auch Frontmann Dennis dazu, um ein wenig über das neue Album, das leidliche Thema Social Media und Tourerlebnisse zu plaudern.

Chris, du bist ja bekanntlich das letzte „Originalmitglied“ in der Band und es gab ja über die Jahre dann doch ein paar weitere Bandmates. Aber irgendwie gibt’s bei euch keine Schlammschlachten, keine schmutzige Wäsche – halt kein Trash-Talk. Jetzt wäre doch mal ’ne prima Gelegenheit dazu, also, schieß los ...

Chris:
Warum sollte ich? Wer interessiert sich für so einen Quatsch? Ich denke, jedes Line-up hatte zu seiner Zeit seine Berechtigung und wir hatten viel Spaß miteinander. Warum wer wann die Band verlassen hat, spielt doch in der Gesamtbetrachtung überhaupt keine Rolle – und warum soll man die gute Zeit, die man miteinander hatte, jetzt öffentlich und rückwirkend in Frage stellen? Es zählt einzig und allein das Hier und Jetzt.

Mit „The Beginning ... Doesn’t Know The End“ habt ihr eine neue Scheibe am Start, die zweite mit Dennis als Frontmann. Wenn du dir eine Sache aussuchen könntest, was würdest du zum neuen Album sagen?

Chris:
Einfach nur: Ist geil! Wir alle sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis, zumal wir uns dieses Mal richtig Zeit gelassen haben. Wir haben zusammen viel Material ausprobiert und jeder konnte seine Sachen einbringen, auf die er Bock hatte. Herausgekommen sind Songs, die genau so klingen wie eine RYKER’S-Scheibe 2019 klingen sollte.

Sind also RYKER’S auch 2019 noch relevant?

Chris:
Wie definierst du Relevanz? Wir gehen auf Tour, bekommen die Läden noch voll, verkaufen passable Stückzahlen, sind trotzdem bescheiden und freuen uns über gute Shows und positives Feedback. Zudem erhalten wir immer wieder Rückmeldungen von Menschen, denen wir wohl viel bedeuten, das ist ein sehr schönes Gefühl. Ist das Relevanz? Ich denke, solange wir motiviert sind, gemeinsam auf den Bühnen dieser Welt Spaß zu haben, sind wir für uns selbst relevant. Und wenn diese Flamme zu erlöschen droht – dann, genau dann, hören wir auf.

Dennis: In einer Zeit, in der die Relevanz einer Hardcore-Band an Klickzahlen und Likes statt an Musik und Message festgemacht wird, ist es mir ehrlich gesagt scheißegal, ob wir als relevant gelten oder nicht. Sobald es einen Menschen auf der Welt gibt, der aus unserer Musik oder unseren Texten Kraft, Zuversicht, Trost oder Hoffnung schöpfen kann, ist mir das relevant genug. Wir machen Musik, weil es unsere Leidenschaft ist und nicht, weil wir Likes und Klicks generieren wollen.

Apropos Klicks und Likes: Kaum wird eine Veröffentlichung publik gemacht, hagelt es in den sozialen Medien neben wohlwollenden, positiven Kommentaren mitunter auch massiv Kritik. Wie steht ihr dazu?

Chris:
Das ist nun mal so und ist auch per se erst mal okay. Aber ganz ernsthaft, ich freue mich natürlich über positive Kommentare und kann auch mit Kritik umgehen, aber ich gebe einen Scheiß auf irgendwelche Meinungen und unsachlichen Kommentare. Wir machen, was wir wollen und worauf wir Bock haben ... siehe auch beim Song „Let’s ruin the scene“. Mal ganz im Ernst: Wer interessiert sich für die Meinung von irgendwelchen kleinen Keyboard-Kriegern oder, noch viel schlimmer, für die von irgendwelchen verbitterten Mitgliedern erfolgloser Hardcore-Bands aus den Endneunzigern, die seit Jahrzehnten verzweifelt versuchen, im Fahrwasser ihrer einstigen Idole mitzuschwimmen und Begriffe wie „Oldschool“ als Entschuldigung für die eigene Unfähigkeit benutzen. Wenn ich mal Zeit habe, darüber nachzudenken, tun die mir – fast – leid. Lustig ist es allerdings, wenn auf einen negativen Post auch direkt eine „Freundschaftsanfrage“ folgt. Jungs, echt jetzt?

Dennis: Es ist absolut okay, wenn man uns nicht mag. Nicht jeder hat einen guten Geschmack.

Auf dem Album habt ihr wieder einige Gäste dabei, sowohl eher unbekanntere wie den Trompeter Christian Manni beim Opener als auch Szenelegenden wie Roger Miret oder Matt Henderson. Gibt es darüber etwas Interessantes zu erzählen?

Chris:
Geil, dass du Manni mit der Trompete ansprichst, der ist eigentlich ein Bandkollege von unserem Produzenten Andy Classen. Zusammen spielen sie bei den BEATBURNERS, einer Reggae-Skapunk-Combo. Als wir die Idee mit der Trompete bei „Let’s ruin the scene“ hatten, rief ihn Andy kurzerhand an und er hat ein paar Trompetensalven abgelassen. Die Sachen mit Roger und Matt sind einfach nur unfassbar. Da sind wir alle in der Band wieder kleine Fanboys, die mit zitternden Händen die zugeschickten Tonspuren öffnen und diese dann ungläubig anhören. Ich hab mir damals „Victim In Pain“ gekauft und davon geträumt, mal mit Roger Miret zu sprechen. Dass er dann mal auf einem Album von uns singt, ist ein Traum. Ähnlich wie bei Matt Henderson. Er ist für die legendäre metallische Gitarrenarbeit bei „One Voice“ von AGNOSTIC FRONT oder „Set It Off“ von MADBALL verantwortlich.

New York findet sich bei euch auch relativ häufig, ihr steht dem NYHC sehr nahe und habt dort auch schon gespielt, etwa auf dem Black N’ Blue Fest vor drei Jahren. Der Rausschmeißer des aktuellen Albums „Sightseeing in the age of BBQ“ greift eure Erlebnisse im Big Apple auf. Warum diese Hommage an NYC?

Chris:
Der Song ist fast von ADRENALIN O.D. geklaut und im Titel kann man die CRO-MAGS erkennen ... Ansonsten hast du schon recht, dass wir mit dem Song unsere Verbundenheit und Liebe zu NYC ausdrücken wollen. Seit ich 1992 zum ersten Mal die Stadt besucht habe, bin ich immer wieder dort gewesen. Zudem haben sich viele Freundschaften drüben entwickelt, auch zu einem meiner besten Kumpels, Mike Dijan. Die Storys, die wir in dem Song ansprechen, sind nur einige Geschichten, die in der Stadt, die niemals schläft, passiert sind. Und wenn du da mit den richtigen New Yorkern einen draufmachst, sind das Situationen, die dein Leben unglaublich bereichern.

Auf dem neuen Album covert ihr euch ja auch selber, mit „Cold lost sick“ ist ein Song von der gleichnamigen Single aus dem Jahr 1997 dabei. Damals ein Mitgröltrack im Eurocore-Gewand. 22 Jahre später kommt das Stück als melancholische Ballade mit Frauengesang daher. Warum ein derartiger Stilbruch?

Chris:
Warum nicht? Unserer Meinung nach ist es einfach ein guter Song, und gute Songs sind in allen Variationen gut. Unser Drummer Flo hatte die Idee schon lange im Kopf und als ich dann durch Mike die Sängerin Rebecca Haviland in New York kennenlernte, fragte ich einfach, ob sie sich einen Song von uns singen würde. Als dann das fertige Stück zum ersten Mal im Proberaum lief, wurde schon die eine oder andere Träne vergossen. Sie singt mit einer derartigen Melancholie, da wird das Herz sofort weich. Eigentlich war die Nummer als Hidden Track geplant, aber wir haben ihn dann direkt mit auf das Album gepackt – Scheuklappen waren gestern!

Stichwort „gestern“: Verfolgt ihr die aktuelle Szene? Welche neuen Bands gefallen euch, welche nicht?

Dennis:
Ja, auf jeden Fall. Ich bestelle noch immer regelmäßig Platten und informiere mich auch kontinuierlich über neue Bands. Das Internet macht es einem ja ziemlich leicht heutzutage. Unfassbar, wie viele gute Bands es da draußen gibt. Eigentlich unfair, hier nur einen Teil aufzuzählen, aber ein paar Bands, die mich auf ihre Art besonders geflasht haben, sind zum Beispiel LIFT, WILD SIDE, ILLUSION und DOMINANT FORCE.

Chris: Na, ich stecke schon eine Menge Energie in RYKER’S ... Shows, Recording, Merch, etc. und pflege die Kontakte mit meinen Freunden weltweit, die im Laufe der Jahre so entstanden sind. Ab und an helfe ich auch noch mal, eine Show zu buchen oder so, ansonsten verfluche ich die Tatsache, dass der Tag nur 24 Stunden hat.

Dennis: Ich gehe auch noch regelmäßig auf Konzerte und habe mein eigenes kleines Label, auf dem ich in unregelmäßigen Abständen etwas rausbringe. Vielleicht hat der eine oder andere schon mal von Ready To Fight Records gehört. Da sind die ersten beiden STILL SCREAMING-LPs, die erste TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN-7“ und die EYES OF TOMORROW-7“ rausgekommen. Wenn ich nebenbei noch ein bisschen mehr Zeit hätte, würde ich das Ganze auf jeden Fall etwas intensiver betreiben und öfter mal was rausbringen. Als Nächstes ist eine Split-7“ mit RYKER’S und einer amerikanischen Band geplant. Lasst euch überraschen, wird toll! Ich freue mich jetzt schon auf das Wochenende, an dem ich jede einzelne Single stempeln, nummerieren und die schönsten Farbkombinationen für mich zur Seite legen werde.

Ihr habt ja schon einiges an Touren hinter euch gebracht. Natürlich drängt sich da die Frage auf, was euer coolstes Erlebnis auf einer Hardcore-Show war?

Dennis:
Ich bin ja bekanntermaßen ein großer Fan von INFEST. Vor ein paar Jahren hatte ich endlich die Gelegenheit, sie live zu sehen, als sie auf dem Netherland Deathfest in Tilburg gespielt haben. Da wirklich keiner aus meinem Freundeskreis Bock, Zeit oder Geld hatte, habe ich mich am Freitagnachmittag direkt nach der Arbeit ins Auto gesetzt und bin alleine nach Holland gefahren. Dort angekommen, musste ich feststellen, dass INFEST in der großen Halle auf einer gefühlt zwei Meter hohen Bühne spielen sollten, was überhaupt nicht meiner Vorstellung von meiner ersten Show entsprechen wollte. Als es losging, war ich trotzdem direkt vorne im Moshpit, aber so richtig wollte der Funke nicht überspringen, weil der Abstand zwischen Band und Publikum einfach zu groß war. Das ist Joe Denunzio, dem Sänger, wohl auch aufgefallen, denn nach dem zweiten oder dritten Song war er nur noch unten im Pit und die Show war endlich so, wie ich sie mir gewünscht habe: totales Chaos und wildes Mitgebrülle. Ich bin ja mittlerweile in einem Alter, in dem man sich eine Show auch gerne mal entspannt von hinten gibt, aber hier gab es kein Halten mehr. Und der eigentlich magische Moment war der, als Joe Denunzio ausgerechnet mir das Mikro bei „Sick-O“, ausgerechnet dem Song, den wir damals schon mit BRIGHTSIDE gecovert haben, in die Hand drückt und in der Menge untertaucht. So kam es, dass ich den kompletten Song gesungen und nachts auf dem Rückweg stundenlang alleine selig vor mich hin gegrinst habe.

Chris: Da gab es natürlich im Lauf der Zeit einige Anekdoten. Man hat über die Jahrzehnte einfach tolle Personen kennen und schätzen gelernt. Ich war vor ein paar Jahren in Las Vegas auf einer Show von SUICIDAL TENDENCIES, MUNICIPAL WASTE und CREEP DIVISION, ja, genau die mit Craig Setari von SICK OF IT ALL. Craig springt also mit Hoodie in bester Youthcrew-Manier über die Bühne und traut offensichtlich seinen Augen nicht, als er mich in der ersten Reihe erspäht – der Rest des Publikums hat bei seinem „Holy shit! The Germans are in the house!“ auch ziemlich blöd geschaut. Keine Ahnung, ob das cool ist, aber ich fand’s lustig.