TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN

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Vergänglichkeit und Ohnmacht

Gerade ist das von vielen langersehnte zweite Album „Zwischenwelt“ der fünf Jungs von TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN aus Nordrhein-Westfalen erschienen. Es handelt sich um ein gelungenes Konzeptalbum auf allen Ebenen und vermag vor allem musikalisch zu überraschen. Warum das so ist, hat mir Sänger Matzo per Skype erklärt.

Momentan hat es den Anschein, als wachse gerade eine neue Umweltschutzbewegung heran, ausgelöst von der 16-jährigen Schwedin Greta Thunberg. Jeden Freitag gehen Tausende Kinder und Jugendliche auf die Straße. Du selbst schreibst detaillierte Texte zur Umweltzerstörung wie im neuen Song „Geister“ oder in „Babel“ auf der letzten LP. Spontan fällt mir keine andere Band ein, die das macht.


Mehr als dass da ein 16-jähriges Mädchen seit Monaten sehr aktiv unterwegs ist, weiß ich darüber nicht. Ich beschäftige mich mit den Dingen um mich herum und nehme diese als Beobachter wahr – und das mit der Umweltzerstörung kann man schließlich nicht nicht wahrnehmen. Wir wissen ja eigentlich, dass das mit der Erde nicht so weitergehen kann. Meine Schwester wohnt seit rund 15 Jahren in Namibia und ich habe dort auch schon Monate verbracht. Da hatte ich ganz andere Naturerlebnisse, etwa wenn ich einfach losgelaufen bin und allein war mit mir selbst und der Natur. Da merkte ich, welch kleinen Teil wir ausmachen in der Welt und wie abhängig wir eigentlich sind. Während wir uns aber als die großen Könige aufspielen und meinen, alles verwalten zu können.

Wie kam das Thema Umweltzerstörung auf „Zwischenwelt“?

Bei der neuen LP stand für uns fest, dass es ein Konzeptalbum werden sollte. Was mich anfangs total blockiert hat. Ich habe es dann andersrum gemacht und einfach damit angefangen, Texte zu schreiben, und aus den ersten hat sich dann ganz schnell ein Konzept entwickelt, das sich eben mit der Vergänglichkeit beschäftigt.

Deutlich wird dies auch durch euer Covermotiv, dem Gemälde „Memento Mori“ von Carstian Luyckx aus dem 17. Jahrhundert.

Diese Vanitas-Sachen sind oft solche Stillleben, dort zum Beispiel der Altar, auf dem die verschiedenen Sachen abgelegt wurden. Das Besondere hier ist das stehende Skelett, wie ein lebendiger Toter, der mit der Hand die Kerze ausdrückt. Das hat aus allen Bildern und Gemälden, die wir uns angesehen haben, herausgestochen und wir haben es genommen, da es genau zu unserem Konzept gepasst hat.

Inwieweit ist es neben Bild und Text auch musikalisch ein Konzeptalbum geworden, habt ihr euch konkret etwas vorgenommen?

Ja, wir haben uns vorher hingesetzt und besprochen, wie es zu der düsteren Stimmung passen soll. Wir haben zum Beispiel die Gitarren runtergestimmt. Wir hatten viel Zeit, die Dinge so zu arrangieren, dass es am Ende stimmig ist, da wir im Studio unseres Gitarristen Basti aufgenommen haben.

Und inhaltlich?

Generell geht es um dieses Gefühl der Ohnmacht, mit dem die meisten Menschen heute zu kämpfen haben. Man weiß nicht, wo man bei der Vielzahl an Schieflagen anfangen soll und was man ändern kann. Auf das Album bezogen ist es beim Protagonisten so, dass er am Anfang, im Song „Stillstand“, sagt, dass ihn alle erst mal in Ruhe lassen sollen mit der ganzen Fülle an Informationen und er selbst darüber nachdenken möchte, was für ihn wichtig ist. Darüber, was er in seinem Leben eigentlich haben möchte, welche Informationen er will und welche nicht. Das sind natürlich Parallelen zu mir selbst, ich muss selbst Grenzen setzen und schauen, was ich an mich heranlassen möchte, da wir heutzutage ja eigentlich auf alles Zugriff haben. Was sich auf dem Album dann aber wieder ins Positive dreht und der Protagonist sieht und entscheidet, was ihm wichtig ist, eine Freundschaft beispielsweise.

Erwartet man heute als Band nicht zu viel mit einem Konzeptalbum? Das Streamen müsste ja eigentlich zur Folge haben, dass sich die Leute weniger mit den Texten und schon gleich gar nicht mit dem Artwork beschäftigen.

Es wird niemanden geben, der nach einem Mal Hören alles verstanden haben wird. Wir fordern es tatsächlich auch heraus und sehen das Konzeptalbum als Gegenentwurf zu den heutigen Hörgewohnheiten an – als Aufruf, sich damit auf einer Metaebene zu beschäftigen. Das ist wie bei den „Simpsons“, die auf zwei Ebenen funktionieren – du schaust dir das an und findest es cool. Und auf der anderen Ebene hast du eben verstanden, auf was die alles verweisen.

Musikalisch gesehen hat sich der Metal-Anteil erhöht und deine Stimme ist tiefer und rauher geworden.

Ja, das ist so, und wir hatten uns auch vorgenommen, den Metal-Anteil raufzufahren. Das liegt auch daran, dass wir alle Metal gehört haben. Wir wollten auch nicht nur beim reinen Hardcore bleiben, weil da einfach die Variationsmöglichkeiten geringer sind. Die Metal-Elemente, wie ein längeres Intro oder mal zweistimmige Gitarren, sind für unsere Gitarristen auch eine gute Abwechslung vom eher reduzierten Hardcore-Sound. Unsere erste EP „Licht“ hatten wir einfach eingespielt, ohne uns groß was dabei zu denken. Das Feedback war unter anderem, dass es besser wäre, wenn man die Texte besser versteht. Bei der letzten LP „Machtwort“ habe ich deshalb viel Wert darauf gelegt, dass man mich gut verstehen kann. Und jetzt ist es so eine Art Mischung aus beidem. Ich habe mir zum ersten Mal wirklich Gedanken gemacht, wie der Gesang klingen soll. All das hat auch damit zu tun, dass unser Anspruch an das zweite Album recht hoch war und wir nicht einfach so weitermachen wollten wie bei „Machtwort“.

Euer Vinyl wird auf dem sehr feinen, aber kleinen Label Unity Worldwide Records veröffentlicht, die CD auf Swell Creek Records.

Wir haben uns auch darüber im Vorfeld gemeinsam mit Billy, dem Labelchef von UWW, Gedanken gemacht. Wir haben ein Jahr an dem Album gearbeitet und wollten eine entsprechende Reichweite haben. Billy betreibt sein Label mit 100% Einsatz und viel Herzblut, hat aber auch einen Vollzeitjob. Deshalb hat er mit Bauke von Swell Creek Records gesprochen und die begleiten das parallel mit CD und digital. Die beiden ergänzen sich super und sind wahnsinnig integer. Die Kommunikation zwischen uns allen klappt sehr gut und wir sind richtig froh und glücklich über die Situation.

Kauft überhaupt noch jemand CDs neben dem Streamen und Vinyl?

Ja, ich habe auch gefragt, wozu man CDs noch braucht, ob die noch gekauft werden – und wurde zwei Mal eines Besseren belehrt, es gibt wohl sogar noch viele Leute, die sie kaufen. Deshalb habe ich es jetzt gar nicht mehr hinterfragt.

Ihr seid ja nicht mehr die Allerjüngsten. Ich habe sowieso den Eindruck, dass man als Band heutzutage bekannt wird, wenn man schon älter ist. So etwas wie einen Haufen 16- bis 18-jähriger Youthcrew-Kids, die mit ihrer Band abgehen, wie früher gibt es nicht mehr, oder?

Ich nehme es auch so wahr. Würde aber auch die Frage stellen, ob wir sie nur einfach nicht sehen oder nicht mehr entdecken? Ich bin tatsächlich nicht auf solchen Shows, bei denen vier 16-Jährige die Band sind – bei uns zu Schulzeiten damals war das dagegen normal bei den ersten Shows. Es wäre schön, wenn es so was doch noch gibt.

Beim letzten Interview wart ihr gerade auf einem Festival zu Gast, bei dem auch Rapper aufgetreten sind. Ende der Woche spielt ihr eine Show mit den Crossover-Helden DOG EAT DOG, den Ska-Punkern 100 KILO HERZ und der Deutschpunk-Band CIVIL COURAGE. Nehmt ihr alles mit, was geht, oder steckt etwas dahinter?

Wir wählen natürlich aus, was vor allem damit zu tun hat, alle unter einen Hut zu bekommen, da wir fünf Leute sind. Generell sind wir aber musikalisch sehr offen und wollen nicht nur in einer Szene präsent sein. Auf unserer letzten Headliner-Tour waren neben Hardcore-Anhängern auch Punks und Metaller da. Es ist also keine Hardcore-Show sondern eine „Tausend-Löwen-unter-Feinden-Show“. Wenn man eine Message hat, ist es ja auch schön, diese nicht nur in der eigenen Szene zu verbreiten. Ich habe früher einmal die DOG EAT DOG-Nachfolger NASTASEE als Vorband von SHELTER gesehen und mich vorher darauf gefreut. Nur wurden die dann von SHELTER-Fans mit Tomaten beworfen, da gab es wohl keine Offenheit – bloß weil da eine Band jemanden mit Saxophon dabeihatte. Da ist es uns wirklich lieber, wenn es mehr open-minded ist.