BAD BREEDING

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Auf die Barrikaden

Riesenarschlöcher in der Politik wie Donald Trump, Nigel Farage oder in den Achtzigern Ronald Reagan prägen nicht nur dunkle Phasen des Weltgeschehens – sie treiben auch politische Punkbands zu inhaltlichen Höchstleistungen. Bands wie die kalifornischen DEAD KENNEDYS in den Achtzigern oder eben jetzt gerade BAD BREEDING aus Großbritannien. Die vier Anarchopunks kommen aus Stevenage, einer Kleinstadt 50 km nördlich von London, und machen mit ihrem dritten Album „Exiled“ ihrer Wut über die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation in ihrer Heimatstadt Luft. Und das auf einem literarisch extrem hohen Niveau, wie sich im Interview mit Sänger Christopher Dodd herausstellt.

In den letzten Jahren ist viel passiert in Großbritannien. Wie viel England steckt in eurer Platte?


„Exiled“ ist eine Platte, die versucht, die bittere Realität der Arbeiterklasse in Großbritannien einzufangen. Diese Menschen wurden durch eine unbeugsame neoliberale Agenda bestraft, die von unterwürfigen Politikern und einer selbstbewussten Unternehmerelite unterstützt wird. Wir wollten eine Platte machen über die Situation der Arbeiterklasse in Stevenage während einer längeren Zeit der Sparmaßnahmen. Diese Politik sollte die am stärksten gefährdeten Teile unserer Gesellschaft in die Knie zwingen. Die Arbeiterklasse wird in Großbritannien oft durch eine liberale Perspektive beobachtet und als Reaktion darauf wollten wir eine Platte machen, die angesichts der etablierten kapitalistischen Kräfte als Kampfansage dient.

Welchen Einfluss auf die Musik hatte die Tatsache, dass du aus Stevenage kommst, einer kleinen Stadt in der Nähe von London? Kannst du mir das tägliche Leben in Stevenage schildern?

Stevenage war eine der ersten neuen Städte in England nach dem Zweiten Weltkrieg und galt ursprünglich als Beispiel sozial fortschrittlicher Stadtplanung. Sie zielte darauf ab, Menschen umzusiedeln, deren Häuser während des Luftkriegs zerstört wurden. Jahre, in denen die Wirtschaft auf verheerende Weise ihre Eigeninteressen durchsetzte, was sich während der Regierung Thatchers, unter Premierminister Blair und unter dem Deckmantel der Konservativen verschärfte, hatten katastrophale Folgen für die Stadt. Es ist manchmal ein schwieriger Ort zum Leben, aber er beherbergt auch eine Reihe von gesellschaftlichen Gruppen, die trotzig dem Durcheinander standhalten, das der Spätkapitalismus innerhalb der Arbeiterklasse verursacht hat. Unsere Ambition mit der Band war es, etwas zu erschaffen, das diesen beständigen Widerstand spiegelt, ohne dabei in die Werteprojektion und Nabelschau abzurutschen, die man oft im Mediendiskurs wiederfindet, wenn es um die Identität der Arbeiterklasse geht.

Wie denkst du über den Brexit und die Konsequenzen für die Briten?

Wie auch immer du zu dieser Entscheidung stehst, du kannst dich den Auswirkungen der Macht des Kapitals, des verzerrten Bilds in den Medien und der Rolle der politischen Fehlleitung während der Debatten im Jahr 2016 nicht entziehen. Dieses Jahr wurde durch so viel Eigeninteresse vergiftet, dass es schwer war, einen wirklichen Überblick über alle Argumente der Mainstream-Presse zu bekommen. Es fühlte sich so an, als ob Angstgefühle in Zusammenhang mit Fragen der Rasse, Fremdenfeindlichkeit und Einwanderung manipulativ erzeugt wurden und Vorrang vor allen materiellen Fragen zur Rolle der EU als neoliberale Kraft hatten. Die unmittelbaren Folgen waren besonders besorgniserregend, als wir einen Anstieg von Hassverbrechen erlebten, bei denen eine Reihe verschiedener Communities ins Visier genommen wurden. Die Art und Weise, wie das Referendum diskutiert wurde, spielte in die Hände einer anscheinend ermutigten Rechten und versorgte die faschistischen Kräfte mit frischer Munition. Es leitete in der britischen Politik eine Periode ein, in der Verzerrung und Fehlleitung zu den bestimmenden Modi des öffentlichen politischen und wirtschaftlichen Diskurses geworden sind.

Siehst du bei all der Negativität auch irgendwelche positiven Dinge in der aktuellen Situation?

Ich denke, das hängt vom Ausgang der nächsten Parlamentswahlen ab. Weitere konservative Jahre wären angesichts deren Bindung an das Kapital und der fortgesetzten Ausbeutung der Arbeiterklasse katastrophal. Ein wirklich aufstrebender sozialistischer Fortschritt könnte jedoch einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union voll ausschöpfen, indem er sich mit einer Arbeiterklasse befasst, die frei von den Fesseln der neoliberalen Kontrolle ist. Die Aussicht auf eine Rückverstaatlichung und Rückbesinnung auf die Menschen in allen Bereichen, von den Schienennetzen bis hin zu den einzelnen Fertigungsindustrien, könnte für Millionen von uns eine stark transformierende Perspektive darstellen.

Singst du auch über persönliche Probleme oder hauptsächlich über soziale Ungerechtigkeit und die Regierungspolitik? Betrachtest du „Exiled“ als eine explizit politische Platte?

Auf früheren Platten habe ich sicherlich auch über persönliche Themen gesprochen, aber „Exiled“ ist ausschließlich eine Platte über das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. Es ist das Porträt eines Stevenage, das versucht, sich gegen die verheerende Wirtschafts- und Sozialpolitik durchzusetzen, gegen verächtliche Regierungen und unerschütterliche Kapitalkräfte.

Was oder wen meinst du mit „Exiled“? Wer wurde verbannt?

Das übergeordnete Thema der Platte ist die Auswirkung des Neoliberalismus auf Orte wie Stevenage, wo große Teile der Einwohner ignoriert, aber auch aus ideologischen Gründen bestraft wurden. Seit Thatcher und ihrem Angriff auf die Gewerkschaften in den Achtzigern hat die Arbeiterklasse immer wieder die Rahmenbedingungen geschaffen, die es ihr ermöglicht, ihre politischen Frustrationen zu diskutieren und zu zerstreuen. Der Einfluss des Neoliberalismus auf das Alltagsleben, gepaart mit einer in die Tasche gesteckten Medienlandschaft, hat dazu geführt, dass ganze Bevölkerungsgruppen wie unsere ausgeschlossen und vom entscheidenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Diskurs abgeschnitten wurden. Die Verwendung des Wortes „Exiled“ als Titel der Platte dient als metaphorischer Punkt, der dafür steht, sich politisch abgeschnitten und ausgeschlossen zu fühlen.

Der Guardian beschreibt euch als „die beste neue Punkband Großbritanniens“ und nennt euch einen der aufregendsten Live-Acts des Landes. Wie denkst du darüber?

Um ehrlich zu sein, haben wir nicht allzu viel darüber nachgedacht. Mainstream-Medien verwenden immer bestimme Schlagworte, um für ihre Leser relevant zu bleiben, deshalb wird man in die eine oder andere Kategorie eingeordnet. Es ist ermutigend zu wissen, dass die Menschen unsere Band zur Kenntnis nehmen, aber es war nie unsere Absicht, die Leute zu beeindrucken. Wir versuchen, etwas zu schaffen, das Musik, Kunst und Literatur verbindet und sich auf die Idee der Gemeinschaft und die kollektive Macht der Menschen konzentriert, anstatt auf das Vorteilsstreben des Einzelnen.

Was macht eine BAD BREEDING-Show so besonders? Welche Idee steckt hinter eurer Performance?

Für uns ist es wichtig, möglichst ehrlich aufzutreten, hart zu spielen und alles, was wir auf der Bühne haben, einzubringen. Für unsere Shows ist es wichtig, die vermeintliche Barriere zwischen dem „Künstler“ und Leuten, die kommen, um eine Show zu sehen oder daran teilzunehmen, zu überwinden. Dieses ganze Konzept der „performativen Kunst“ erscheint uns zu narzistisch. Es ist von entscheidender Bedeutung, Menschen in den gleichen Raum zu bringen und auf diesem Gefühl der kollektiven Identität aufzubauen, damit es mehr eine Gruppe von Menschen gibt als eine Hierarchie zwischen Performer und Publikum. Angesichts der Kommerzialisierung des Punk und einiger Konzertveranstaltungen ist es entscheidend, dass wir nach den effektivsten Möglichkeiten suchen, um dieses Kapitalelement zu entfernen. Das Schaffen von Räumen für Gleichgesinnte ist entscheidend für die Solidarität innerhalb der Szene. Unser Ziel ist es, die Idee von Zugehörigkeit und Identität außerhalb dieser Profitlogik zu fördern.

Wie lebendig ist Punkrock in Großbritannien? Ich habe den Eindruck, es gibt nicht viele große Bands, aber etliche in dieser DIY-Underground-Szene. Was ist der Grund dafür?

Die Leute haben beschlossen, das kapitalistische Element zu untergraben, das die Idee des Punk infiltriert hat. In einigen Fällen wurde die Idee des Widerstands durch Musik auf den neuesten Stand gebracht, so dass die Menschen sich der Gemeinschaft zuwenden und etwas schaffen, das außerhalb der fest verankerten Wege des Kapitals autark ist. Hier und in Europa gibt es unzählige blühende DIY-Szenen, in denen sich ausgegrenzte Menschen in unkommerziellen Zusammenhängen ausleben können. Es sind unglaublich wichtige Freiräume, in denen sich Bands gründen, Shows spielen und auf einen offenen Diskurs einlassen können, der nicht von finanziellen Eigeninteressen oder fragwürdigen ideologischen Motiven bestimmt wird.

Wie habt ihr das Album aufgenommen, hattet ihr einen Produzenten?

Wir waren auf einem Boot auf der Themse, das in Ost-London vor Anker lag. Das war Ende November 2018, nachdem wir von einer ziemlich langen Europatrour zurückgekehrt waren, die von September bis Oktober dauerte. Ben Greenberg, der in der Band UNIFORM aus New York spielt, hat die Songs im Laufe einer Woche mit uns aufgenommen – er hat auch schon die „Abandonment“-EP und die „Divide“-LP betreut. Wir arbeiten gerne schnell und ohne zu viel nachzudenken. Es geht vielmehr darum, die Unmittelbarkeit einer Live-Situation einzufangen, damit wir nicht zu viel mit mehreren Spuren und ähnlichen Dingen herumspielen müssen. Wir hatten nur eine Woche gebucht, damit wir etwas erschaffen konnten, das den Augenblick authentisch wiedergibt, ohne in Perfektionismus zu verfallen.

Betrachtet ihr euch als explizit politische Band?

Ja, wir sind definitiv eine politische Band, besonders wenn man bedenkt, was auf dieser Platte diskutiert wird. Wir haben alle die DEAD KENNEDYS gehört, als wir jung waren, obwohl unsere Musik stärker von den materiellen Realitäten unseres heutigen sozialen Klimas geprägt ist. Wir haben immer versucht, den Rahmen für das Songwriting zu sprengen. Wir möchten keine Songs schreiben, die nicht mehr als eine Hommage an frühere Bands darstellen. Ich würde sagen, dass sich unsere Einflüsse hauptsächlich in der frühen Anarcho-Bewegung und bei Künstlern wie CRASS, FLUX OF PINK INDIANS und RUDIMENTARY PENI finden.

Könnt ihr von den Einnahmen der Band leben? Oder habt ihr regelmäßige Jobs, um euren Lebensunterhalt zu finanzieren?

Nein, wir können es uns nicht leisten, von der Band zu leben. Das war aber für uns nie wirklich ein Ziel – wir möchten Kunst schaffen, die zu politischen Diskussionen beiträgt und die Menschen dazu ermutigt, ihre eigenen Interessen zu vertreten in einem desorientierten Klima. Wir arbeiten alle im Handwerk oder Dienstleistungssektor hier in Großbritannien. Ich bin Lieferwagenfahrer, während die anderen im Baugewerbe oder in der Metallverarbeitung tätig sind. Arbeiten ist für uns nur ein Mittel zum Zweck. Unsere wahre Freude ist es, nach der Arbeit im Proberaum Songs zu schreiben oder auf Tour zu gehen. Und die Gelegenheit zu bekommen, Leute zu treffen und mit ihnen über die Songs und die Bewegung zu diskutieren.

„Exiled“ ist euer erstes Album für One Little Indian Records. Wie wichtig ist der DIY-Gedanke für die Band?

Wir haben immer versucht, den effektivsten Weg bei der Veröffentlichung unserer Tonträger zu finden, um sicherzustellen, dass sie die Menschen so kostengünstig wie möglich erreichen. Bei den frühen Releases haben wir mit ein paar unterschiedlichen Ideen gespielt. Wir haben eine Single auf dem Hate Hate Hate-Label eines Freundes gemacht, dann haben wir selbst eine Vinyl-Single veröffentlicht und auch unsere erste Platte haben wir selbst herausgebracht. „Divide“ erschien dann bei La Vida Es Un Mus und Iron Lung, zwei unglaublich wichtigen Labels in der DIY-Szene, die immer wieder großartigen Leuten die Möglichkeit geben, ihre Platten zu veröffentlichen. Für uns ist es wichtig, die volle Kontrolle zu behalten und keine Kompromisse einzugehen zu müssen. One Little Indian ermöglicht uns das und gleichzeitig sorgt das Label dafür, dass wir die Schallplatten so preisgünstig wie möglich verkaufen können. Das entscheidende Argument, uns für One Little Indian zu entscheiden, ist die Geschichte des Labels. Es wird betrieben von ehemaligen FLUX OF PINK INDIANS-Leuten, die bereits mit Spiderleg Records viele unserer Lieblingsbands wie SUBHUMANS, AMEBIX oder THE SYSTEM veröffentlicht haben. Es ist ein Label, das unsere Verpflichtung, Dinge so zugänglich und billig wie möglich zu machen, versteht, aber auch unsere ideologischen Standpunkte.

Wer hat das Artwork für das Album entworfen? Sieht aus wie von Anfang der Achtziger ...

Unser Freund Nicky Rat hat die meisten unserer Platten bis heute gestaltet und ist auch für sämtliche Collagen von „Exiled“ verantwortlich. Für das Frontcover der Platte hat er Fotos aus Stevenage verwendet, die die Schwester unseres Bassisten Charlie in den letzten Jahren aufgenommen hat. Bei der Vinylversion gibt es ein großes, ausklappbares Poster, das die Schallplatte enthält und auf dem viele verschiedene Collagen zu sehen sind, zusammen mit einem Essay eines Freundes von uns, was der Schallplatte einen noch politischeren Kontext verleiht. Nicky ist ein fantastischer Künstler und gestaltet immer wieder Sachen für Bands. Er spielt eine zentrale Rolle in der DIY-Szene in Großbritannien und auch in Europa. Er hat in den letzten Jahren so viele großartige Artworks geschaffen.

Auf eurer Homepage veröffentlicht ihr nicht nur Musik, sondern auch Essays. Wie wichtig ist das für euch?

Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, dass wir unseren Platten mehr politischen Kontext verleihen können. Unser Ziel ist es, wirklich zukunftsweisende politische Diskussionen über die Kräfte, die unser Leben bestimmen, anzustoßen. Dazu brauchen wir klare Ziele, die über das reine Schreiben von Songs hinausgehen. Diese Essays können Interessierten hoffentlich als Einstieg dienen, um sich über Städte wie Stevenage und die Probleme der Arbeiterklasse in Großbritannien zu informieren. Sie sollen auch Debattenbeiträge sein und denjenigen Argumente liefern, die bereits mit dem Thema vertraut sind.