LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN

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Ehrgeiz ist die Wurzel aller Hässlichkeit

Manche Dinge ändern sich nicht und das ist gut so. Im August veröffentlichen die Hamburger DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN, kurz auch DLDGG, mit „Fuck Dance, Let’s Art!“ das fünfte Album seit 2012. Sie sind weiterhin stilsicher in Musik und Mode, präsentieren nach wie vor kleine absurde Geschichten aus dem Alltag mit Verve und Esprit, verpackt in tanzbare, eingängige Pop-Beat-Punk-Soul-Perlen. Frontmann Carsten Friedrichs stellte sich unseren Fragen und beweist einmal mehr, dass er ein eloquenter und gescheiter Gesprächspartner ist. Und so geht es in dem Interview auch um Pickel, tätowierte Vollbärte, „Jerry Cotton“-Romane, Monaco Franze und große Hundehaufen.

Wenn ich das Interview mit einer Frage zum HSV eröffne, riskiere ich dann, dass du es abbrichst? Als bekennender HSV-Anhänger hat man es im Moment ja auch nicht so leicht.


Wer hat es schon leicht? Ob es der HSV dann schon wieder vergeigt, macht den Kohl auch nicht fett. Zumindest nicht für mich. Kein Grund, ein nettes Interview abzubrechen. Da bin ich ganz sportlich.

Auch auf eurem neuen Album gibt es wieder einen Song mit Fußballbezug. In „Hässlich und faul, Musik und der HSV“ geht es um die Achtziger Jahre. Was sind die größten Unterschiede zwischen damals und heute?

Zum einen habe ich seit den Achtzigern ein bisschen an Gewicht zugelegt. Dafür habe ich im Vergleich zu damals weniger Pickel. Manchmal liege ich nachts wach und grüble, was ich besser finde. Knifflig, ich bin da eher unentschieden.

Euer letztes Album „It’s OK To Love The DLDGG“ hat es in die deutschen Albumcharts auf Platz 60 geschafft. Verspürt ihr dadurch einen gewissen Druck für das neue Album? Droht euch eine Sinnkrise, wenn ihr mit der neuen Platte nicht reüssieren solltet?

Ich zitiere Oscar Wilde mit seinem Bonmot „Ehrgeiz ist die Wurzel aller Hässlichkeit“. Außerdem war das letzte Album schon unser viertes und dann nur Platz 60? Das ist doch der eigentliche Skandal. Das hätte in die Top 10 gemusst. Zumindest Platz 59. Mit diesen Charts bin ich persönlich durch. „Reüssieren“ ist übrigens ein tolles Wort, habe ich ewig nicht gehört. Vielen Dank!

Wenn man in die Charts schaut oder das Radio anmacht, dann boomen zur Zeit diese deutschen Befindlichkeits-Liedermacher mit ihren total seichten und oberflächlichen sentimentalen Pop-Songs. Nervt euch das auch so?

Da stehen wir drüber. Allerdings ist doch Popmusik fast immer seicht, oberflächlich und sentimental. Zumindest die gute Popmusik. Das sind wir auch. Ich meine, oberflächlicher und sentimentaler als in „I remember you“ von den RAMONES geht es ja wohl kaum. Und trotzdem großartig! Das Problem ist eher, dass die Befindlichkeits-Heinis gerade nicht seicht und oberflächlich sein wollen, sondern deep. Oder die Welt erklären wollen. Diese Typen und Typinnen sind einfach kein Fun. Furchtbar. Andererseits muss man sie sich ja auch nicht anhören, gibt ja genügend gute Musik.

Auch euer neues Album ist wieder extrem kurzweilig und abwechslungsreich. Da hört man in den einzelnen Songs unter anderem Folkrock-, Rock’n’Roll-, Garagen-, Soul- und Disco-Elemente und damit sehr unterschiedliche Einflüsse. Und trotzdem wirkt das Album am Ende doch wie aus einem Guss. Was ist die Klammer, die alles so stimmig zusammenhält?

Vielen Dank für das Kompliment, genau das wollten wir wieder: eine kurzweilige Platte machen. Ich bilde mir auf meinen Gesang nicht allzu viel ein, aber wiedererkennbar ist meine Stimme schon. Immerhin! Vielleicht ist das ja die Klammer.

Und was hat es mit dem Albumtitel „Fuck Dance, Let’s Art“ auf sich?

Diesen Titel fanden wir lustig, der hat keinen tieferen Sinn. Ich hätte die Platte gerne „Musik für alte Leute“ genannt, konnte mich aber wie so oft nicht durchsetzen. Außerdem passt der Titel super zu dem grandiosen Covermotiv von Hank Schmidt in der Beek, unserer Meinung nach das beste Cover nach dem „Weißen Album“!

DLDGG – eine Anhäufung von stilsicheren Bonvivants, die auch schon mal im feinen Zwirn anzutreffen sind, auf Platte und Bühne tiefsinnige kluge Weisheiten von sich geben und dabei auch als begnadete Multi-Instrumentalisten punkten können. Warum ist das trotzdem doch irgendwie immer auch noch Punk?

Wenn ich nachts wachliege und nicht darüber grüble, ob ich, wenn ich die Wahl hätte, noch mal Gewichtszunahme gegen weniger Pickel eintauschen würde, sinniere ich darüber, was Punk ist, was Punk war und was Punk sein wird. Und was ich damit überhaupt zu tun habe. War Punk am Ende „nur“ ein Londoner Mode-Gag, der sich verselbstständigt hat? Oder haben die Struppis aus dem AJZ recht und es ist eine Weltanschauung? Und wenn ich dann schweißgebadet aufwache, stelle ich fest: Ich weiß es nicht. Punk is a very broad church. Glaube ich.

Welche Würdigung würdet ihr lieber über euch in der Zeitung lesen: „DLDGG – eine Band mit Stil“ oder „DLDGG – eine Band mit hoher Musikalität“?

Ich bin leider einer der unmusikalischsten Menschen, die es gibt. Und hat es mir geschadet? Immerhin mal Platz 60 in den Charts! Zum Glück sind meine Freunde extrem musikalisch. Aber ich denke, ich spreche für uns alle, wenn wir Stil der Musikalität vorziehen. Normal. Wir sind ja keine Spießer.

Wenn man euch auf der Bühne sieht, ist auffällig, dass es kein sichtbares Tattoo gibt. In Zeiten, in denen sich Großeltern die Namen ihrer Enkel großflächig tätowieren lassen, haben Tattoos irgendwie ihre Wildheit eingebüßt. Stimmst du der Einschätzung zu, dass es heute eher schon lässig ist, wenn man kein Tattoo hat?

Dem würde ich eigentlich grundsätzlich zustimmen. Wenn ich nachts wachliege und nicht über Pickel und Punk nachdenke ... aber lassen wir das. Ich bin gerne antizyklisch. Inzwischen sind Tattoos so out, dass ich überlege, mich selber piken zu lassen. Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, ob ich mir lieber einen Vollbart tätowieren lasse oder ein großflächiges Porträt meiner Wenigkeit auf die Wade. Im Moment tendiere ich zum Vollbart, den könnte ich mir selber mit einem alten Geha-Füller vorm Badezimmerspiegel stechen, da komme ich günstig bei raus.

Auch auf eurem neuen Album präsentiert ihr wieder diese kleinen absurden Geschichten aus dem Alltag. Mit „Der letzte große Bohemien“ und „Der kleine Matratzenmarkt“ habt ihr zwei Hymnen im Angebot, die schon auch wieder im Segment „kleine Kapitalismuskritik“ verortet werden können. Oder siehst du das anders?

Der Kapitalismus ... er nimmt so viel, er gibt so viel. Ich weiß nicht, ob ich mich gerne als Kapitalismuskritiker sehen möchte. Viele, die sich so bezeichnen, sind ausgemachte Hornochsen. Ich beschreibe einfach, was ist. Eben war der Matratzenmarkt noch da, nun ist er weg. Hat mich eben beschäftigt und wir haben da einen Powerpop-Doo-wop-Song drüber gemacht, mit einem tollen Beat und tollen Harmonien. Ich kann jedem nur raten, unsere neue Platte zu kaufen.

Auch „Neue Zähne für meinen Bruder und mich“, die Hymne von eurer Vorgängerband SUPERPUNK, hat über die letzten Jahre nichts an Aktualität eingebüßt. Habt ihr den Song nach wie vor in eurem Live-Programm?

Guter Song, würde ich gerne noch spielen. Aber erst wollte Tim den aus sentimentalen Gründen nicht spielen und dann haben wir beim Proben immer diesen einen Break versaut. Trotz der hohen Musikalität von vier Fünfteln der Liga. Und dann dachten wir: Scheiß drauf, wir habe ja genug eigene Hits.

Wie die AERONAUTEN habt ihr jetzt auch einen „Tunnel“-Song im Programm. Aber während die Schweizer feststellten: „Da ist immer ein Tunnel am Ende des Lichts“, lautet eure Botschaft: „Das Licht am Ende des Tunnels ist ein ICE“.

Eine tolle Zeile der großartigen AERONAUTEN. Tunnel scheinen für soulige Garagenbeat-Bands ein tolles Thema zu sein.

Wie kommt man auf die Idee, die eigene Situation mit einem Kronkorken auf dem weiten Meer oder einem BIC-Feuerzeug, das keine Flamme mehr gibt, zu vergleichen?

Das ist ein bisschen bei diesem BEACH BOYS-Song auf „Surf’s up“ entlehnt. Und dann war ich vor Jahren mal auf einem sehr traurigen Flohmarkt und wollte eine rauchen und hatte kein Feuerzeug. Da war ein armer Mensch, der BIC-Feuerzeuge feilgeboten hat. Da habe ich ihn gefragt: „Gehen die?“ Und da hat er gesagt: „Nee, sind leer.“ Und das ging mir wie Bremsen im Kopf herum, das hat mich beschäftigt. Und dann ist es in dem Song gelandet.

Überhaupt seid ihr mit hoher Schlagzahl und ausgeprägter Kreativität unterwegs. Das neue Album ist das fünfte seit 2012. Keine Abnutzungserscheinungen in Sicht? Keine Angst vor einem Kreativ-Stau?

Doch, davor habe ich immer Angst. Aber ich habe eigentlich vor allem Angst. Vor Pickeln, davor, dass der HSV in die zweite Liga absteigt und dass ich mich für die falsche Tätowierung entscheide. Aber bisher hat es ja immer geklappt. Popmusik ist keine Raketentechnik sondern eher so wie „Jerry Cotton“-Romane schreiben. Kann eigentlich jeder. Wenn ich schon von Bands höre: Wir brauchten eine kreative Pause, haben uns erst mal drei Jahre zurückgezogen, um im Himalaja zu meditieren, haben mehrere Produzenten ausprobiert, bla, bla, bla. Dann weiß ich schon, dass Band und Platte scheiße sind. Mist, jetzt habe ich gerade Angst, selber so zu werden. Oder dass die recht haben.

In der Vergangenheit habt ihr bei jedem Album meist auch einen Song auf 7“-Vinyl herausgebracht. Wie sieht es dieses Mal aus? Können wir zum Album auch wieder mit einer klassischen Single rechnen?

Ist wirklich schwer, Singles heutzutage noch zu verkloppen. Und die kosten eine Menge. Gunther und ich arbeiten ja für unser Label Tapete Records und wir würden das gerne noch länger tun. Aber wenn wir das bisher immer so gemacht haben ... Schon Monaco Franze wusste: „Der Mensch braucht Kontinuität“. Gunther, wie sieht es aus?

Carsten, du bist auf der Bühne dafür bekannt, zwischen den Songs als charmanter, witziger und geistreicher Plauderer und Geschichtenerzähler zu unterhalten. Einige deiner Musikerkollegen aus anderen Bands haben ihre Entertainerqualitäten schon dazu genutzt, erfolgreich Kurzgeschichten und Romane zu veröffentlichen. Wann können wir mit deinem ersten Buch rechnen?

Mann, danke, das sind aber wieder tolle Komplimente. Klar, das ist der nächste logische Schritt. Wenn die das können, kann ich das auch. Ich habe schon mal angefangen. Es geht um die Nachkriegsgeschichte der BRD und beginnt mit den Schwabinger Krawallen, welche ausgelöst wurden, weil ein Polizist in einen großen Hundehaufen getreten ist. Um genau zu sein, in einen Dobermann-Haufen. Aber eigentlich bin ich Sänger und Tänzer. Und Büroangestellter. Das genügt mir. Wie gesagt, Ehrgeiz ist die Wurzel aller Hässlichkeit and all that Jazz.