PUNK IN ISLAND

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Ein halbes Jahr Dunkelheit

Island – spätestens seit der letzten Fußballweltmeisterschaft ist das kleine Eiland mitten im Nordmeer nicht mehr nur als Geheimtipp unter Wandertouristen bekannt, die die einzigartigen Kraterlandschaften und Gletscher des Landes besuchen. Ein einzigartiger Ort wurde dabei aber bislang gern übersehen: Mitten in Reykjavik befindet sich nämlich das Punkmuseum Islands – in einer stillgelegten, unterirdischen öffentlichen Toilette! Ja, richtig gehört! Was es damit auf sich hat und wie der Punkrock Island eroberte, erzählt Gunnþór Sigurðsson, der unter anderem bei Q4U, Islands bekanntester Dark-Punkband, spielt.

Was genau kannst du mir über den Ort sagen, in dem wir uns gerade befinden?


Bevor diese Räumlichkeiten ein Museum wurden, waren sie eine öffentliche Toilette, bis in die 60er Jahre. Aber wie du sicher schon bemerkt hast, gibt es hier überhaupt kein Belüftungssystem. Wenn hier also jemand geschissen hat, stank es in ganz Reykjavik für mindestens eine Woche. Irgendwann war hier später dann mal eine Untergrund-Kunst-Szene drin, aber schlussendlich verkam der Ort zu einem Schlupfwinkel für die örtliche Drogenszene.

Und dann zogen die Punks hier ein?

Nicht direkt. Erst mal gab es in der Stadtverwaltung eine Besprechung, was mit den Räumen hier geschehen soll. Es sah dann zuerst so aus, als würde es einfach zu einem Abriss kommen – Zement rein und fertig. Allerdings gab es dann eine Wortmeldung eines mysteriösen Mannes, dessen Identität uns bis heute nicht klar ist. Der hatte die Idee, hier ein Museum über isländischen Punk reinzusetzen. Dieser Vorschlag stieß nicht auf viel Gegenliebe, man dachte, wir wären nicht in der Lage, so ein Museum länger als eine Woche zu führen – aber wir sind immer noch hier. Uns gibt es seit 2016 und es läuft nach wie vor gut. Manche Leute kommen, weil sie wissen, dass Björk auch mal eine Punkband hatte. Aber Björk steht nicht im Zentrum dieses Museums, das enttäuscht manchmal die Leute. Oh, und es gibt auch jede Menge Menschen, die tatsächlich denken, dass das hier nach wie vor eine Toilette ist. Die sind in der Regel dann etwas gefrustet, wenn sie unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen – verständlich.

Ihr habt keinen Schimmer, wer in der Stadtverwaltung die Idee hatte, so ein Museum ins Leben zu rufen?

Nein, das ist Island, ein Land voll rätselhafter Geschichten und Mysterien. Das Punk-Museum hat von Beginn an seine eigene Saga!

Es waren also gar keine Leute aus der Szene, die an der Gründung des Museum beteiligt waren?

Die Idee kam nicht aus der Szene, aber wir waren von Anfang an beteiligt. Du brauchst ja Sachen, die du ausstellen und zeigen kannst. Daher haben wir alles mögliche gespendet, um Ausstellungsstücke zu haben: T-Shirts, Kutten, Fotos, Video-Mitschnitte und auch „historische“ Instrumente, von Gitarre bis Schlagzeug. Das Drumset, das hier steht, setzt sich zusammen aus Einzelteilen diverser Sets, da sind auch Trommeln von Q4U drin. Jeder Gast darf übrigens darauf spielen. Es ist ja ein Punk-Museum!

Stichwort Q4U – wann ging das mit Punk für dich los?

Bevor ich von Punk etwas mitbekam, war ich Glamrocker. Besonders SLADE mochte ich sehr, allerdings störte mich der Ausverkauf. Die Musik wurde für meinen Geschmack zu sehr auf den amerikanischen Massenmarkt zugeschnitten, das sprach mich nicht mehr an. Punk kam natürlich recht spät nach Island, wir sind hier ja im Nirgendwo. Aber 1978 kamen die STRANGLERS – ich war dabei, oberkörperfrei in der ersten Reihe! Dann sah ich Bilder von Sid Vicious und es ging richtig los. Klamotten usw. mussten wir natürlich selber machen. Lederjacken konnte sich keiner leisten. Crazy Colours für die Haare hatten wir immerhin, aber ich habe das Zeug zu lange einwirken lassen und wurde erst einmal kahl! Dann sah ich Billy Idol und wollte meine Haare blondieren, aber sie wurden karottenrot. Was für ein Desaster!

Wie fanden die „normalen“ Isländer diese neue Subkultur?

Sie haben uns gehasst! Wir Island-Punks hingen Anfang der 80er in einem verlassenen Luxushotel herum, das eigentlich von Hippies bevölkert wurde. Wir schmissen alles raus – aus dem Fenster, ohne dieses vorher zu öffnen, versteht sich. Wir haben die Hippies gehasst, sie haben nichts gemacht, nichts aufgebaut, immer nur gelabert. Die erste größere Punkband aus Island waren dann die OUTSIDERS, die hatten eine recht gute Anlage für damalige Verhältnisse. Die hatten sogar einen Manager. Dann gab es noch die ebenfalls sehr guten FRÆBBBLARNIR. Aber die Auftritte waren schwierig, weil wir keine eigenen Auftrittsorte hatten. So wurden isländische Bands manchmal als Teil normaler Rockshows gebucht, was dem Publikum oft nicht gefiel. Es kam durchaus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Aber nach einer Weile beruhigte sich das wieder. Die Leute gewöhnten sich dran. Ich fing als Roadie für die OUTSIDERS an, bevor ich Q4U gründete, und bekam alles hautnah mit.

Gibt es heute noch eine aktive Punk-Szene in Island?

Ja, die starb nie aus. Es gibt immer noch Leute, die auf schnelle, schnörkellose Rockmusik stehen und sich einbringen und keinen Bock auf PINK FLOYD und so weiter haben. Wenn dein Song länger als drei Minuten geht, dann spiel nicht in einer Band, sondern arbeite in einer Buchhandlung! Wir haben nach wie vor gute, junge Bands hier, die das genauso sehen.

Wie vernetzt war die Island-Szene damals mit Punks aus anderen Ländern?

Es gab kaum feste Kontakte, aber wir haben in den 80ern versucht, so oft wie möglich nach London zu kommen. Heute gibt es günstige Airlines, aber damals konnten wir die Insel schon deshalb selten verlassen, weil es einfach zu teuer war. Wenn ein Kumpel aus England zurückkam, wurden erst mal alle LPs, die mitgebracht worden waren, auf Tape überspielt. Unsere Plattenläden hier importierten keine Punk-Platten und diese Art Musik wurde auch nicht im Radio gespielt. Buttons aus London waren auch sehr begehrt und erschwinglicher als Tonträger.

Auf Island hatte das amerikanische Militär ja lange einen größeren Stützpunkt. Habt ihr das Truppen-Radio hören können?

Ja, deswegen haben hier viele aus meiner Generation einen amerikanischen Akzent, wenn sie Englisch reden. Wir haben das amerikanische Militär-Radio durchaus viel gehört, aber Punk spielten die auch nicht, sondern die damaligen Charts, also gewöhnliche Pop- und Rockmusik. Es gab eine Sendung, die „Flower Hour“ hieß, da habe ich ein einziges Mal die RAMONES gehört. Gesehen haben wir die Soldaten übrigens recht wenig. Sie lebten ja abgeschottet in ihren Kasernen in Keflavík. Aber sie saßen auf einer Art Goldader – nämlich Bier. Wir hatten in Island ein Bier-Verbot. Die Amis waren begehrte Handelspartner, um an Bier zu kommen.

Island hat das Image, ein ziemlich friedlicher Ort zu sein.

Ja, wir sind auch relativ entspannt durch den Zweiten Weltkrieg geschlittert. Die Deutschen wollten Island besetzen, aber die Briten kamen ihnen zuvor. Churchill hat mal gesagt, wenn Hitler Island bekommen hätte, hätte er den Krieg gewonnen. Die Wehrmacht hatte dann aber genug mit Norwegen zu tun. Und dann kamen die Amerikaner und blieben aufgrund des Kalten Krieges hier. In Sachen Tourismus lief lange nicht viel. Nur die Deutschen waren irgendwie immer fasziniert von Island. Wahrscheinlich wegen ihrer Liebe zu Wagner und den Walküren, haha! Island ging es übrigens wirtschaftlich nicht immer gut, auch weil wir bis 1944 eine Kolonie Dänemarks gewesen sind. Heute gibt es eine Art Hype um unsere Insel, das liegt auch an entsprechenden Fernsehserien wie „Vikings“ oder auch „Game of Thrones“. Finanziell geht es dem Land jetzt verhältnismäßig gut, unter anderem wegen unserer Steuersätze. Alkohol, Zigaretten usw. sind unglaublich teuer. Früher haben die Isländer unfassbar viel Schnaps gesoffen, schon aus Langeweile. Die Kids aus Reykjavik von heute rauchen und trinken am wenigsten im europäischen Vergleich. Es hat sich alles also sehr verändert. Aber zu meiner Zeit mussten wir gut aufeinander aufpassen. Ich erinnere mich noch an die „Schlacht am Osloer Weihnachtsbaum“.

Was war die „Schlacht am Osloer Weihnachtsbaum“?

Also, erst mal musst du wissen, dass wir auf Island im Grunde keine Bäume haben. Daher müssen zur Weihnachtszeit Tannen aus Norwegen importiert werden. Das ganze Holz ging bereits im Mittelalter drauf für den Bau von Booten und um die Öfen zur Eisenherstellung beheizen zu können. Irgendwann in den 80ern kam es zu einer Auseinandersetzung der übleren Art mit einem gewöhnlichen Proleten. Der Spinner zog ein Messer und ging damit auf uns los! Wir haben ihn überwältigt und mit unseren Gürteln an einen großen Weihnachtsbaum – aus Oslo importiert – gebunden, der in der Stadt aufgestellt war. Als der Typ wieder zu sich kam, haben wir einen Kreis um ihn gebildet und Weihnachtslieder gesungen. Da er gefesselt war, konnte er nicht weg und rief um Hilfe. Aber die Polizei hat so getan, als würden sie nichts mitbekommen. Sie hatten gesehen, dass er vorher mit einem Messer herumhantiert hatte und sahen keinen Grund, dieses Arschloch aus seiner peinlichen Lage zu befreien.

Hattet ihr auch Differenzen mit Leuten aus anderen Szenen?

Es gab keine Subkultur-Kriege, denn es gab nur unsere Szene. Abgesehen von den Hippies, aber die spielten keine Rolle mehr. Das ist anders gelaufen als in England oder Deutschland. Die normale Bevölkerung war klar gegen uns, aber andere Außenseiter hatten in der Regel keinen Stress mit uns. Die DIY-Ethik, die die Grundlage von Punk ist, sprach auch Leute außerhalb des reinen Musikspektrums an. Es geht nicht darum, was du kannst, sondern was du machst. Diese Haltung hat alle möglichen Leute zusammengeführt. Heute gibt es diese Konflikte sowieso nicht mehr. 2017 waren RAMMSTEIN hier, 25.000 Leute waren da. Das genießt heute alles eine andere Akzeptanz. Übrigens, wo wir gerade bei Deutschland sind, Nina Hagen fand ich damals richtig gut!

Die würde meiner Einschätzung nach gut nach Island passen. Ich glaube, sie würde es schaffen, sehr schnell mit den Elfen in Kontakt kommen.

Haha! Die vielen Drogen, die sie genommen hat, dürften das möglich machen. Sie ist sehr durch den Wind.

Insgesamt nehmen die Isländer die Sache mit den Wesen aus der „Anderswelt“ aber schon ernst.

Es gibt eine historische Erklärung für all das. Die Wikinger nahmen viele Sklaven aus Irland mit, die das Christentum mitbrachten. Um das Jahr 1000 christianisierte sich Island, aber Aspekte des heidnischen Glaubens wurden weiter praktiziert, ohne dass es zu Verfolgung oder Ausgrenzung geführt hätte. So bildete sich zwar eine christliche Mehrheitsgesellschaft, die aber Facetten des Heidentums viel stärker als anderswo beibehielt, wo es zur gewalttätigen Glaubenskonflikten gekommen war. Das besteht bis heute fort. Es gibt Orte auf Island, die nicht angerührt werden dürfen. Da darf kein Haus und keine Straße gebaut werden, denn es gehört den Elfen oder den Trollen. Klingt vielleicht komisch für Nicht-Isländer, aber wenn du die Hälfte des Jahres in Dunkelheit verbringst, wirst auch du Elfen sehen, ob du willst oder nicht!

Du hast es bereits erwähnt: Island hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Bekommst du davon viel mit?

Ja, es wird sehr viel Englisch in den Straßen gesprochen und die Leute trinken plötzlich Latte Macchiato mit Hafermilch. Natürlich spielt der Fußball eine große Rolle. Die Leute mögen einfach Underdogs, unabhängig von woher sie kommen. Islands Mannschaft ist ein schöner Kontrast zu dem durchkommerzialisierten Sport. Die Menschen finden das authentisch. Außerdem hat das ganze einen romantischen Touch: Wenn ein 300.000-Einwohner-Land ohne nennenswerte Rasenflächen England im Fußball bezwingen kann, dann ist alles möglich.

 


The Icelandic Punk Museum
Pönksafn Íslands,
Bankastræti 2
101 Reykjavík, Island

Auf engstem Raum finden sich kollagenartig an den Wänden angebrachte Informationen zur Entstehungsgeschichte des isländischen Punk, wobei auch Künstler berücksichtigt werden, für welche Punk eher ein Sprungbrett war und die anderweitig Karriere gemacht haben. Wie etwa Björk, deren frühe Band SPIT AND SNOT auch in der Ausstellung vertreten ist. Neben Videomaterial, das historische Auftritte dokumentiert, gibt es auch die Möglichkeit, isländische Punkmusik zu hören. An der Decke sind Kopfhörer angebracht, mit denen man sich eine Vielzahl von Tracks anhören kann. Parallel kann man die dazugehörigen Plattencover bestaunen. Wer will, kann sich auch selber im Musizieren versuchen. Alle im Museum ausgestellten Instrumente dürfen benutzt werden.