JON SPENCER BLUES EXPLOSION

Blues X-Men

Please welcome eine der dienstältesten postmodernen Garage-Rock’n’Roll-Bands der 90er, verkörpert durch das Zwei Gitarren-Schlagzeug-Trio Jon Spencer, Russell Simins und Judah Bauer, die nicht erst mit ihrem Eintritt in das neue Jahrtausend und einer erstaunlich cleanen, simpel gestrickten aktuellen Platte namens „Plastic Fang“ den Status einer regelrechten Rock-Institution erreicht haben. War ihr Debüt-Album von 1992 noch deutlich von der Anti-Rock-Haltung ihres Frontmanns Jon Spencer aus PUSSY GALORE-Zeiten geprägt, gehören ihre drei hierzulande bei Crypt erschienenen Platten „Crypt Style“, „Extra Width“ und „Orange“ sicherlich zum Feinsten, was das Garagen-Genre zu bieten hat.

Wer die BLUES EXPLOSION aber zu diesem Zeitpunkt immer noch für ein paar traditionslose New Yorker Sleaze-Typen hielt, der wurde spätestens durch ihre Zusammenarbeit mit „Legenden“ wie R.L. Burnside auf seiner 96er-Platte „Ass Pocket Of Whiskey“ oder mit Andre Williams auf „The Black Godfather“ (2000) eines Besseren belehrt. Vor allem im Fall von Fat Possum stellt sich wirklich die Frage, wer das Blues-Label aus Mississippi und ihre wundervollen Platten heute überhaupt kennen würde, wenn Spencer & Co. damals etwas weniger Wind gemacht hätten? Von diesen Erfahrungen war auch ihre wahrscheinlich bisher beste Platte „Now I Got Worry“ (ihre erste bei Mute) geprägt, eine extrem krachige, raue Verbeugung vor den wirklichen Wurzeln des Rock’n’Roll. Der Nachfolger „Acme“ ist dagegen eher Geschmackssache, aber mit dem aktuellen Werk haben sie sich wieder auf einen angenehm rückschrittlichen Basis-Rock’n’Roll besonnen.

Da nimmt man es den Jungs auch nicht übel, dass Herr Simins überhaupt nicht zum Interview auftauchte, Herr Bauer erst bei einem einige Wochen später geführten 20 MILES-Interview wirklich gesprächig wurde und sich Herr Spencer als ziemliche Diva entpuppte – übrigens erst vor kurzem von einem furchtbaren Vollbart befreit, wovon die ziemlich aufdringlichen Koteletten in seinem Gesicht zeugten. Aber wie heißt es doch so schön: It’s only Rock’n’Roll but I like it!

Zu Beginn möchte ich euch mit einer hypothetischen Frage konfrontieren, die euch ein Journalist wohl mal ganz gerne gestellt hätte und die lautet: If you really loved black music as much as you said you did, how come you could never get beyond making fun of it?

Jon: Das ist sicherlich eine clevere und auch sehr provokante Frage, aber ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, dass wir uns jemals über Schwarze Musik lustig gemacht haben. Ebenso glaube ich auch nicht, dass wir wirklich versuchen, Schwarze Musik zu spielen. In unserer Musik geht es vor allem darum, wer wir sind. Nämlich Weiße Jungs aus New York, die sich mal an Punkrock die Hörner abgestoßen haben. Wir mögen alle unterschiedliche Arten von Musik, das hat einen großen Einfluss auf das, was wir machen, aber wir versuchen dabei nicht unbedingt, etwas zu imitieren.

Dazu gehört auch, wie ich schon einige Male gelesen habe, der Genuss von Hip Hop und Rap.

Jon: Ja, manchmal, Sachen wie PUBLIC ENEMY, NWA bzw. Ice Cube, aber Russell ist wohl am meisten daran interessiert. Sicherlich ist das für mich ein Einfluss beim Schreiben einiger Songs gewesen, aber eigentlich ist das schon ein alter Hut, denn vor einigen Jahren war dieser Einfluss viel stärker.

Es gab ja von euch schon häufiger die Aussage, ihr würdet keinen Blues spielen, sondern Rock’n’Roll. Was bedeutet Rock’n’Roll denn konkret für euch? Können sich die Kids, die heute mit Bands wie BLINK 182 etc. aufwachsen, überhaupt noch etwas darunter vorstellen?

Jon: Rock’n’Roll ist die großartigste Musik, die es überhaupt gibt, ganz einfach. Für mich persönlich und die BLUES EXPLOSION generell ist das die grundsätzliche Motivation dafür, überhaupt Musik zu machen. Rock’n’Roll kann verrückt, bizarr, schockierend, revolutionär und sehr sexy sein. Für mich ist es auch nicht so wichtig, ob es einen konkreten Unterschied zwischen Blues und Rock’n’Roll gibt. Kategorisierungen spielen da keine Rolle. Dadurch dass es so viele Sachen wieder auf CD gibt und so viele Informationen durch das Internet präsent sind, ist es auch gar nicht nötig das z.B. den Kids zu erklären. Und auf BLUES EXPLOSION-Konzerten sind wirklich jede Menge jüngere Leute. Wenn du weißt, worauf wir uns musikalisch beziehen, ist es vielleicht unterhaltsamer, aber unbedingt notwendig ist es nicht. Die Leute wachsen mit 50 Fernsehkanälen auf und sie sind es gewöhnt, von einer Sache zur Nächsten zu springen. Spezielle Kategorisierungen sind dadurch vor allem eine Sache der Vergangenheit und spielen vielleicht für ältere Journalisten eine Rolle. Außerdem sind eine Menge Bands unterwegs, die ähnliche Musik wie wir machen und wesentlich jünger als wir sind. Deshalb mache ich mir keine Sorgen darüber, dass wir den Draht zu einem jüngeren Publikum verlieren könnten.

Kommen wir mal zur neuen Platte, die ist erstaunlich clean ausgefallen, vor allem, wenn man dabei im Hinterkopf hat, wie etwa die meisten Fat Possum-Platten klingen.

Jon: Stimmt, sind klingt vergleichsweise sanft, aber das wollten wir auch so haben. Wir wollten nicht mit diesen ganzen Lo-Fi-Produktionen verwechselt werden. Nimm z.B. die Sachen, die Elvis in den späten 50ern für RCA aufgenommen hat. Das ist auch kein Lo-Fi-Sound. Oder vieles aus den späten 60ern und frühen 70ern, was in richtig guten Studios entstand – die Aufnahmen sind zwar simpel, aber die Soundqualität ist sehr klar. Und unsere Platte ist immer noch sehr rau, vor allem hinsichtlich der Gitarren ist sie sehr direkt.
Judah: Ich glaube nicht, dass die Platte unbedingt mehr produziert ist als die anderen, sie klingt einfach sauberer, mit einem deutlich unterscheidbaren Klang. Die Sachen sollten einfach richtig gut klingen, quasi eine bessere Wiedergabe unseres individuellen Stils. Wir hatten diesmal auch wesentlich mehr Zeit für die Aufnahmen.

Vielleicht entsteht dieser Eindruck, weil euer Songwriting diesmal etwas konventioneller ist?

Jon: Das sagen komischerweise viele Leute, was mir seltsam vorkommt, weil wir eigentlich schon immer sehr konventionelle Songs geschrieben haben - Songs mit sehr typischen Elementen. Vielleicht ist diesmal ja wirklich alles konventioneller, aber es ist immer noch eine typische BLUES EXPLOSION-Platte.

Jon, du hast früher mal gesagt, deine Texte wären dumm. Wie war das gemeint?

Jon: Keine Ahnung, ich kann mich nicht erinnern, das mal gesagt zu haben. Sollte ich es gesagt haben, glaube ich mittlerweile nicht mehr daran. Aber es gab eine Zeit, als ich dachte, der Sänger und die Texte wären nur ein weiterer Bestandteil des Sounds, und dass es nur um den Klang des Gesangs ging, nicht aber darum, dabei wirkliche Geschichten zu erzählen oder Gefühle zu transportieren.

Was ist an der neuen Platte in technischer Hinsicht eigentlich wirklich „live“?

Jon: Eigentlich alles. Was du da hörst, das sind wir, wie wir im Studio live spielen. Sicher gibt es da auch einige Overdubs, z.B. was zusätzliche Instrumente betrifft, aber die Basis ist eine wirkliche Live-Performance.

Wäre es für euch momentan erstrebenswert, eine Platte im Stil einer Fat Possum-Produktion aufzunehmen, ohne großartigen Studio-Schnickschnack?

Jon: Wir haben das ja bereits mal mit R.L. Burnside auf ‘Ass Pocket Of Whiskey’ gemacht. Das wäre aber nicht wirklich authentisch für uns, wenn wir nach Mississippi fahren würden, um dort eine Platte aufzunehmen. Die neue Platte ist dagegen sehr authentisch für uns, wir benutzen darauf unser eigenes Equipment und produzieren die Sounds, die uns interessieren, und die deshalb auch so klingen.
Judah: Fat Possum ist natürlich ein großartiges Label. Wir haben ja auch immer wieder mit diversen Leuten zusammengespielt wie z.B. T Model Ford. Was mich betrifft, ist es das einzig wirkliche Blues-Label. Es ist nach wie vor erstaunlich, was sie für Leute ausbuddeln.

Aber auch Fat Possum öffnen sich musikalisch, was man ja an diesen Remix-Geschichten von R.L. Burnside sehen konnte.

Judah: Grundsätzlich hat alles, was mit R. L. in Verbindung steht, auch mit Blues zu tun, dazu gehört auch der Dance-Kram, wobei ich mir diese Remix-Sachen aber nicht anhöre. R.L. ist sowieso ihr größter Erfolg, aber der Remix-Kram lief wohl auch ganz gut.

Von euch gab es ja vor gar nicht so langer Zeit auch eine Art Remix-Platte namens „Xtra Acme“, ein Nachfolger zu „Experimental Remixes“ von 1995.

Jon: Ja, wir haben da durchaus unseren Spaß dran. Zumal wir bei ‘Acme’ all diese unterschiedlichen Mixer und Produzenten hatten, die verschiedene Fassungen der Songs aufgenommen hatten. Es gab soviel überschüssiges Material, weshalb wir diese Platte herausbrachten.

Gerade bei den ersten BLUES EXPLOSION-Platten war die Demontage von Blues- und Rock’n’Roll-Klischees ein bestimmendes Element eurer Arbeitweise. Was ist davon noch übrig geblieben?

Jon: Wenig, die Band hat sich über die Jahre sehr verändert. Ich glaube, uns ging es auch nicht wirklich um die ‘Demontage’ von etwas, es ging immer um Rock’n’Roll wie eben auch bei Elvis Presley. Das war für mich immer das wichtigste und nicht irgendwelche postmodernen Verrenkungen.
Judah: Viele Leute glauben nach wie vor, wir würden das vorsätzlich betreiben, aber eigentlich wollen wir einfach nur bestimmte Sachen auf den Punkt bringen, was anscheinend für ein ausgeklügeltes Konzept gehalten wird. Dabei ging es auch bei der Zusammenarbeit mit R.L., das war eine ganz natürliche Entwicklung für uns, über die wir nicht großartig nachgedacht haben, sondern es einfach in die Tat umgesetzt haben. Ich war schon immer ein Fan von spontanen Sachen.