SLOWRIDE

Dass Freunde ambitionierter Gitarrenmusik beim Namen Deep Elm Records gerne auch mal blind zuschlagen dürfen, haben uns Bands wie APPLESEAD CAST auf der anspruchsvollen und BRANDTSON auf der catchigen Seite ja schon gezeigt.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich neuerdings auch ein neuer Name, der auf den ersten Blick nicht recht ins oft zu eingleisig beschriebene Labelprogramm passen möchte: SLOWRIDE aus Texas. Grund genug, das Trio mal genau unter die Lupe zu nehmen...

Begonnen hat im Hause SLOWRIDE alles wie bei hunderten anderen auch. 1998 traf man sich zur ersten Probe, man könne ja mal ein wenig jammen und schwupps standen die groben Aufnahmen zum ersten Demo. Naiv wie Alice im Wunderland wurden diese ersten Tapes dann mit einem handbemalten Zettelchen verschickt.</b>

"Wir haben einfach alle Labels bemustert, deren Name uns in einer Minute eingefallen ist. Das war alles", erklärt Bassist Rob. Und so flatterte im Frühjahr 1999 hoffnungsvolle Post aus Texas auch auf den Tisch von John Szuch, dem Papa von Deep Elm Records, der sich anno dazumal gerade über den wachsenden Erfolg seiner "Emo Diaries"-Serie freuen durfte und nun endlich seinen Horizont vom provinziellen North Carolina über das ganze Land ausdehnte.

"Wir hätten nie gedacht, dass sich irgend jemand die Mühe machen würde, dieses Demo-Tape anzuhören, geschweige denn, es sogar für gut zu befinden", fügt Rob hinzu. Tja, denkste, denn nur kurze Zeit drauf klingelte im sonnigen Dallas das Telefon und mit lockerer Stimme kündigte John sein kommen zum folgenden Konzert an.

"Dieser Kerl musste verrückt sein, dachten wir uns: Er setzte sich in ein Flugzeug und flog 800 Meilen, nur um uns live zu sehen!"

Vor der sagenhaft-berauschenden Kulisse von vier Zuhörern – gelangweiltes Thekenpersonal und ein begeisterter John bereits inklusive – entpuppte sich das folgende Showcase zu einem tiefen Reinfall, doch Johns grenzenlose Euphorie war nicht totzukriegen: "Wir dachten, der Kerl würde uns seinen Flug in Rechnung stellen und uns nie wieder ansehen, stattdessen flatterte zwei Tage später der Vertrag ins Haus und wir konnten es nicht fassen."

Zunächst steuerten SLOWRIDE den Song "Daydream of a Future" auf der fünften Ausgabe der "Emo Diaries"-Compilation bei. "Das Feedback war gigantisch. Wir bekamen unzählige Zuschriften aus dem ganzen Land geschickt von Leuten, die unser Album ordern wollten. Das Problem war nur: Wir hatten gar keins!"

Nichtsdestotrotz wurde im Jahr 2000 eine erste ausgedehnte US-Tour gefahren und immer öfter kam die Frage nach mehr Songs auf, möglichst als Langrille. Doch endlich hatte Deep Elm auch hier für die Jungs vorgesorgt und für sie, wie schon für fast alle ihrer Bands zuvor, das renomierte Red House Studio in Kansas gebucht.

"Im ersten Moment dachten wir wieder: Das darf doch nicht wahr sein!" mischt sich Sänger Dan Phillips ein. "Ed Rose, unser Produzent in diesem Studio, war kein Geringerer als der Macher von Bands wie den GET UP KIDS oder SMALL BROWN BIKE, die wir zu unseren absoluten Lieblingsbands zählen. Als wir das Studio betraten, fühlten wir uns so verdammt klein und unwürdig. In Folge haben wir erstmal alle Songs über Bord geworfen, weil wir plötzlich merkten, dass das Zeug einfach nicht ausreicht und stark genug ist. Unser Problem war schon immer gewesen: Wir wussten, wo wir mit den Songs hinwollten und ihrem Sound, aber wir kannten den Weg nicht. Doch Ed war genau der Richtige dafür. Er schien zu ahnen, was wir wollen und hatte stets den passenden Einfall parat, der im für uns nebelumwaberten Feld der sechs Saiten eine echte Bereicherung war. Ein großartiger Mensch, ein Halbgott an den Reglern. Ich könnte Chuck Daley – den Promoter von Deep Elm Records – heute noch küssen, dass er uns in dieses gottverdammt geile Studio gesteckt hat!"

Nach zwei Wochen harter Arbeit kann sich das Resultat sehen lassen: "As I survive the suicide bomber" ist ein schlicht großartiges Werk, dass, wie schon erwähnt, den klassischen Emo-Kuchen mit einer Vielzahl an weiteren Einflüssen garniert. "Ja, das wurde uns auch schon oft gesagt" , übernimmt Basser Rob wieder die Position der Band. "Auf der einen Seite drücken wir eine Menge Emotionen und Gefühle in unseren Songs aus, doch andererseits sind wir viel kantiger und kickender als viele vergleichbare Bands. Wir haben mindestens ebenso viele Anspielungen auf JAWBREAKER in unserer Musik wie auf die FOO FIGHTERS. Das Lustige ist, dass bei uns in der Gegend viele Gruppen so klingen und man anderenorts sehr wenig davon mitbekommt."

Textlich dagegen scheinen SLOWRIDE einfachere Wege einzuschlagen und offensichtliche Hinweise auf die Beweggründe der Band zu geben. "Wenn du dich da mal nicht täuschst", berichtigt mich Sänger Dan, der auch für die Lyrics zuständig ist. "Es ist richtig, dass wir einfache Songtexte verwenden, doch dahinter steckt stets mehr. Nimm zum Beispiel den Song "Montana". Auf den ersten Blick handelt es sich um eine simple Beschreibung dieses Bundesstaates; eine Art Reisebericht. Wenn ich dir jetzt aber sage, dass keiner von uns je in Montana war – und wir eigentlich auch nie dahin wollen –, dann nimmt das andere Formen an. Wir wollen damit ausdrücken, dass es immer Sachen gibt, mit denen du noch keine Erfahrungen gesammelt hast, doch irgendwann bist du gezwungen, Neuland zu betreten und dich neuen Herausforderungen zu stellen. Natürlich kann man das nicht auf alle unsere Texte anwenden, doch im groben und ganzen schreiben wir unsere Gedanken nicht direkt auf, sondern unsere Hörer sollen danach suchen. Das fördert aber leider auch oft Missverständnisse herauf, denn viele Leute finden tiefgründige Metaphern in Songs, bei denen wir in einer Bierlaune einfach Worte aneinandergereiht haben, die sich toll anhören. Bewertet also auch nicht alles über, Folks, was in den Songs vorgeht."

Im Song "Money" werden die Aussagen dann aber doch direkt und eindeutig. "Das ist der einzige Song auf dem Album, der eine solche "auf-die-Fresse-Mentalität" hat", stimmt mir Dan zu. "In dem Song geht es um Leute, die dich tagtäglich verarschen und ihr Umfeld täuschen. Jeder hat sowas schon erlebt. Dass wir den Bezug zum Geld herstellen, hat einen einfachen Grund: Geld kannst du mit dutzenden von Möglichkeiten bekommen und es ist weitestgehend "wertfrei". Ob du nun 100 Dollar durch Betteln oder durch Betrug bekommst, es sind und bleiben 100 Dollar. Wenn wir uns aber mal der Idee hergeben, dass du nur dann Geld bekommst, wenn du ehrlich bist und reinen Herzens, dann würden sich die Machtverhältnisse in diesem Land schnell ändern!"

Klingt ja fast so, als würde es gerade in diesen Zeiten der ur-patriotischen, amerikanischen Geschlossenheit, einige Abzüge in der B-Note geben, oder nicht? "Wir sind natürlich alle geschockt von den Ereignissen im September und den daraus folgenden Konsequenzen", meint Dan nachdenklich. "Wir haben Mitleid mit den Familien der Opfer und verspüren eine blinde Wut gegen diejenigen, die so etwas tun konnten und in Zukunft vielleicht wieder können werden. Doch lass uns doch realistisch sein: Das, was am 11. September passierte, ist nur die Konsequenz jahrelanger, verdeckter Schicksale, deren Bilder nicht bei den Nachrichtensendern in der Primetime laufen. Das sind täglich nicht fünf- oder zehntausend. Das sind weit mehr. Wenn du mit offenen Augen durch die Welt gehst und dir die Vergangenheit ansiehst, dann mußt du kein Hellseher sein, um vorauszusagen, was noch alles passieren kann und leider wohl auch wird. Es ist doch schrecklich!"

Fürwahr. Doch beim Themawechsel auf die Zukunft der Band wird Dan gleich wieder optimistischer: "Wir sind stolz auf das, was in Kürze bei uns passieren wird. Denn neben weiteren landesweiten Konzerten werden wir eine Split-EP mit einer unserer absoluten Lieblingsbands herausbringen. Die Rede ist von RED ANIMAL WAR, die praktisch bei uns um die Ecke wohnen. Diese Jungs sind einfach fantastisch. Wir haben sie schon geliebt, als wir selbst keine Band hatten, und dass wir nun auf einem gemeinsamen Label sind und sogar eine gemeinsame Veröffentlichung haben werden, ist unglaublich. Hinzu kommt, dass resultierend aus unserer Studio-Erfahrung, die wir bei Ed sammeln konnten, die neuen SLOWRIDE-Songs noch besser sein werden. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals etwas schöneres unter meinem Namen herausbringen würde als dieses Album, doch jetzt, wo ich die Vorproduktion der neuen Stücke tagtäglich auf meinem Autoradio höre, könnte ich einfach schreien vor Freude. Es ist unbeschreiblich."

Schön zu wissen also, dass Texaner so leicht zu begeistern sind. Und auch gut zu hören, dass aus dem Land der Cowboys mal wieder etwas kommt, das seine Karriere nicht auf Öl oder politische Abstammung baut.