BAD RELIGION

BAD RELIGION – Eine Bestandsaufnahme

1977 war ich noch nicht geboren.
1980 war ich zwei Jahre alt.
1992 kam ich zum Punkrock.


Ich hatte vorher schon von dieser Band gehört, doch 1992 erschien BAD RELIGIONS „Generator“ und wurde im meiner zur der Zeit favorisierten Musikzeitschrift, dem Metal Hammer, sehr gut bewertet.
Von einem Bekannten aus der Skaterszene bekam ich die Platte ausgeliehen und war begeistert. Bis dato hatte ich nicht gewusst, dass man solch wunderschöne Melodien mit verzerrten Gitarren und einem schnellen Schlagzeug kombinieren durfte. In der Rezension kam ein Wort vor, das ich in dem Zusammenhang sofort verstand, ohne zu wissen was es genau bedeutete: Drive. Ja, sie hatten drive!
Ich wusste zwar, dass es BAD RELIGION schon länger gab, nicht aber wie lange eigentlich schon. Ich besorgte mir die alten Platten und war fasziniert von der Musik. Über BAD RELIGION lernte ich sie alle kennen: NOFX, SICK OF IT ALL, PENNYWISE, AGNOSTIC FRONT, und von diesem Zeitpunkt an war ich jemand, der, wenn ihn jemand nach seinem Musikgeschmack fragte, „Punkrock und Hardcore“, antwortete. Und eines meiner schönsten Liveerlebnisse war es, die Band 1994 auf meinem ersten Bizarre-Festival als Co-Headliner zu sehen. Danke BAD RELIGION.
Sicher, bin ich niemand der von Anfang an dabei war. Sicher habe ich „Suffer“ erst fünf Jahre nach Erscheinen gehört und „We’re only gonna die from our arrogance“, kannte ich zuerst als Coverversion von BIOHAZARD. Sicher habe ich „Recipe for Hate“ und „Stranger than fiction“ gemocht, als alle anderen, die sie schon länger kannten endgültig abgeschrieben hatten. Sicher gehöre ich auch nicht zu den „Hardcorefans“ der Band, die letzten beiden Alben finden sich nicht mal mehr in meiner Plattensammlung. Aber zu meinem persönlichen 10jährigen Jubiläum, meiner geglückten Musiksozialisation und damit verbundener Einstellung zum Leben möchte ich mich bei Greg Graffin, Brett Gurewitz und den anderen Bandmitgliedern bedanken.


1 KÄSEKOPF

[/b]<font color="6B8E23">Als ich also gerade lernte, wie man auf dem Klo sitzt, gründeten sich im Jahre 1980 BAD RELIGION: eine Schülerband, alle um die 14, 15 Jahre alt. Man kann heute noch froh sein, dass sich dieser Bandname durchsetzte, denn mit einem der ebenfalls zur Auswahl stehenden Namen SMEGMA oder HEADCHEESE wären sie höchstwahrscheinlich nie ernstgenommen worden. Das durchgestrichene Kreuz als Logo macht doch einiges mehr her, und symbolisiert, dass es hier um Punkrock geht. SEX PISTOLS oder SOCIAL DISTORTION, in diese Reihe scheint der Name gut zu passen. Die Grundhaltung der Religion gegenüber muss natürlich bei jeder Punkrockband stimmen (da gab es noch keine Christenpunker wie MXPX oder Krishnabrüder wie SHELTER).
Nachdem das Demotape auf dem weltberühmten Radiosender KROQ aus Los Angeles in der Show von Rodney Bingenheimer gespielt wurde, wurden sie auf einen Schlag bekannt. 1981, Greg war fünfzehn und wusste nach eigenen Angaben gerade mal in ein Mikrofon zu singen (was eigentlich doch reicht), nahmen sie ihre erste, selbstbetitelte 7“ auf. Zum damaligen Zeitpunkt sah die Bandaufstellung folgendermaßen aus: Greg Graffin am Gesang, Brett Gurewitz aka Mr. Brett an der Gitarre, Jay Bentley am Bass und Jay Ziskrout am Schlagzeug. Um die Platte zu veröffentlichen, gründeten die Jungs eines der wichtigsten Label der Punkrockgeschichte: Epitaph, bei dem Brett als Labelmanager fungierte, ohne auch nur zu ahnen, was aus diesem Unternehmen mal werden würde.
1982 dann die erste „richtige“ Platte „How Could Be Hell Any Worse?“, jetzt mit Pete Fintstone am Schlagzeug. Produziert wurde das Ganze von James Mankey und kam nur durch eine großzügige Spende von Bretts Vater zustande. Die Produktionskosten beliefen sich nämlich auf 2.000 Dollar, ein Betrag, mit dem man Greg zufolge heutzutage „nicht mal mehr die Texte abdrucken“ kann. Jaja, gute alte Zeit. Die Platte verkaufte sich gut, über 10.000mal und enthielt unter anderem das Eingangs erwähnte Stück „We’re only gonna die“. Auf der LP spielte Greg Hetson, heute festes Mitglied der Band, damals noch Mitglied der göttlichen CIRCLE JERKS, bereits ein Solo ein. Nun folgte ein großes Durcheinander. Die Bandbesetzung wechselte oft und nach der Experimental-EP „Into the Unknown“ machten sich Bretts Drogenprobleme schon stark bemerkbar. Wie es sich für die 80er gehört, haben BAD RELIGION auf diesem Album mit einem Synthesizer herumexperimentiert und man kann von Glück sagen, dass sie 1984 „Back to the Known“ fanden...
Zwischen den beiden Alben war die Band kurzzeitig getrennt, und die „Back to the Known“-Besetzung liest sich irgendwie merkwürdig: Greg Graffin, Tim Gallego, Pete Fintstone und Greg Hetson. Brett produzierte das Album mit Epitaph, stieg dann auch wieder ein, doch es sollte vier Jahre dauern, bis das Comebackalbum die Punkwelt verändern sollte...


2 HEY SIT DOWN AND LISTEN …

[/b]<font color="6B8E23">1988 erschien „Suffer“, ein Album, das völlig zu Recht Punkrockgeschichte schrieb. Gerade läuft es wieder im Hintergrund und ich fange an nervös herumzuwackeln. Auf den Punkt gebrachte ein- bis zweiminütige Kracher, schnell, melodiös, anarchistisch, humanistisch, rational... geil! Greg studierte zu diesem Zeitpunkt Biologie, verarbeitete seine wissenschaftlich-sachliche Denkweise in den Texten, während sich die Anwesenheit von Brett und Jay bei jedem Ton bemerkbar machte und eine unfassbare Spielfreude transportierten. Man beschimpfe mich oder gebe mir Recht: Hier war gerade der moderne Punkrock geboren!
So ging es erst mal Jahr für Jahr weiter: Es folgten „No Control“ (1989) und „Against the Grain“ (1990), ihr bis dato erfolgreichstes Album. Die Lieder wurden teilweise ein bisschen länger, teilweise ein bisschen poppiger, aber das war okay. 1991 erschien dann die Compilation „80-85“, auf der die nicht mehr erhältlichen frühen Stücke der Band zu finden waren.
Epitaph hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon erheblich gemausert und mit PENNYWISE und NOFX zwei Bands am Start, die das Potential hatten, ihren Patenonkeln den Rang abzulaufen. Eine neue Generation von Punkrockern war geboren, noch bevor MTV den Post-Grunge-Punkrockboom einläutete.


3 COME OUT AND PLAY

[/b]<font color="6B8E23">Mit dem Erscheinen von „Generator“ (1992), der Zeitpunkt, zu dem ich sie kennenlernen durfte und dem Einstieg von Bobby Shayer am Schlagzeug, begann sich der Erfolg von BR erstmals in den Verkaufszahlen niederzuschlagen, die Kritiker begannen aber von nun an jedes BAD RELIGION-Album als ihr schwächstes zu bezeichnen. Die Band selbst hatte sich zu einer gut geölten Maschine entwickelt: Jeder ging seiner Profession nach (Brett bei Epitaph, Greg unterrichtete mittlerweile Biologie, die anderen Mitglieder machten größtenteils mit anderen Projekten Musik) einmal im Jahr traf man sich zur Aufnahme eines neuen Albums und einer Tour...
Der Bekanntheitsgrad stieg von Jahr zu Jahr. Das folgende Album „Recipe for hate“ (1993) konnte mit PEARL JAMs Eddie Vedder als Backgroundsänger aufwarten und mit „American Jesus“ einen amtlichen Hit landen, leider jedoch viele alte Fans nicht wirklich überzeugen.
Dann kam der Wechsel zu Atlantic. BAD RELIGION bei Sony Music?
Der böse Major hatte zugeschlagen! Ein großes Angebot, zu Zeiten, als Punkrock gerade mal wieder salonfähig gemacht wurde. „Stranger than fiction“ (1994) war die teuerste aller Bandproduktionen, verkaufte sich 1 Million mal und hatte mit dem Titelsong ein Stück am Start, das sogar des öfteren auf MTV zu bestaunen war... Klar, man war mitten im „Ausverkauf“, hatte sogar unverständlicherweise mit „21st Century Digital Boy“ ein Stück von der „Against the Grain“-Platte neu, aber unwesendlich verändert mit auf das Album gepackt.
Doch mit BAD RELIGION ging es weiter und die Fans, die sie durch diesen Bruch verloren hatten, schienen sie durch den steigenden Bekanntheitsgrad zu verdoppeln. Brett, mit Greg zusammen das eigentliche Kreativ-Gespann, verließ die Band erneut, seine Drogenprobleme waren mal wieder stärker, außerdem konnte der Erfolg der Epitaph-Bands ihm wahrscheinlich einen mehr als gediegenen Lebensabend verschaffen. Brian Baker, Legende geworden als MINOR THREAT- und DAG NASTY-Mitglied übernahm die frei gewordene Gitaristenstelle. 1995 erschien dann auf Epitaph „All ages“, eine Art Best-of Album mit fadem Beigeschmack.
Das folgende Album „The grey race“ (1996) enthielt neben dem Hit „Punkrocksong“ in unseren Landen noch eine deutsche Version dieses Liedes, welche als Geschenk für die Fantreue gedacht war, jedoch vielleicht besser nie veröffentlicht worden wäre, weil doch irgendwie extrem, äh, peinlich. Zu diesem Zeitpunkt herrschte kein Kontakt mehr zwischen der Band und Brett, die Fronten schienen verhärtet. Greg äußerte sich in Interviews traurig, aber war sich durchaus darüber im Klaren, wieso kein Kontakt mehr zwischen Band und dem ehemaligen Freund bestand.
Leider setzte sich fort, was sich bereits seit einigen Jahren andeutete: Den folgenden Platten schien (nicht nur meiner Meinung nach) der richtige Esprit zu fehlen, und eben auch der Anfangs gelobte „drive“.


4 SUBSTANZ?

[/b]<font color="6B8E23">Die folgenden Platten waren nicht unerfolgreich: Nach dem offiziellen Livealbum „Tested“ (1997) konnte mit dem Stück „Raise your voice“ von „No Substance“ (1998) wieder ein Singlehit gelandet werden, mit dem die Band es sich aber auch mit einer Menge Fans verscherzte.
Der Duettpartner an Gregs Seite war kein anderer als Campino von den TOTEN HOSEN. Bei deutschen Punkrockfans nicht unbedingt ein Zugewinn an Credibility...
Doch mit dem BAD RELIGION 4/4-Rhythmus ging es weiter – jedes Jahr ein neues Album. Zwischenzeitlich nahm Professor Graffin, als hätte er neben Evolutionsforschung, Bandsongwriting und Präsidentenambitionen im Jahre 2018 nicht genug zu tun, auf Atlantic ein Soloalbum mit dem Titel „An american lesson“ (1998) auf. Auf dem vorletzten Bandalbum „The New America“ (1999), deutete sich bereits an, was alle erhofft hatten: Brett steuerte die Riffs zu „Believe it“ bei und unter Fans wurde über eine glückliche Vereinigung spekuliert.
Das Ansehen der Band drohte allerdings weiter zu verblassen, denn das Album wurde größtenteils als belanglos und uninspiriert bewertet. Natürlich gab es wieder eine Single bzw. ein Video, diesmal im lustigen Tricktechnikstil, aber eigentlich gingen BAD RELIGION am Musikgeschehen größtenteils vorbei.


5 THE PROCESS

[/b]<font color="6B8E23">Doch dann der Wendepunkt: Schon zu „The New America“-Zeiten ging das Gerücht um, dass BAD RELIGION wieder zu Epitaph wechseln würde, und Brett wieder einsteigen würde. Dieser hatte sich drogentechnisch wieder berappelt und inzwischen unter anderem eng mit PENNYWISE zusammengearbeitet, mit ihnen sogar den Song „Who’s on your side“ fürs aktuelle PENNYWISE-Album aufgenommen und damit gezeigt, dass er das Songwriting nicht verlernt hatte. Dann endlich die Gewissheit: Football’s coming home!
Die Reunion war perfekt und die Band wieder beim richtigen Label. Was nicht heißen sollte, dass ein anderer Gitarrist das Handtuch werfen müsste, man sah sich einfach als Punkrockband mit drei Gitarristen und tut nun so, als sei das normal: Greg, Jeff, Greg, Brian, Brett und Brooke Wackerman, seines Zeichens ehemaliger SUICIDAL TENDENCIES und INFECTIOUS GROOVES-Trommler, denn Bobby Shayer musste die Band aus gesundheitlichen Gründen verlassen. So ist alles zwar endlich alles wieder beim alten, aber trotzdem irgendwie anders.
Das neue Album wurde groß angekündigt, doch ich wollte den Worten nicht wirklich glauben, die da groß verkündeten, BAD RELIGION hätten zu ihrer alten Stärke wiedergefunden (denn das wurde seitens der Plattenfirmen seit Jahren von jeder neuen Platte behauptet), doch als ich „The Process of Believe“ (2002) bzw. das Stück „Sorrow“ zum ersten Mal hörte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen und das alte Wackeln durchfuhr auch mich...
Ja, da war wieder was, irgendwas erinnerte an eine Zeit, die längst vergangen war. Naja, die Kritiken (und Joachim) scheinen auf die Platte bezogen der gleichen Meinung zu sein wie ich, jedenfalls kann man mit einem erfolgreichen „Comeback“ rechnen und vielleicht werden verlorene Sympathien wiedergewonnen. Wie ich der ganzen Sache gegenüberstehen werde, weiß ich noch nicht. Kritisch wahrscheinlich, das habe ich nämlich gelernt – von BAD RELIGION. Danke noch mal dafür!

<font color="0066ff">Jens Mayer