ANTI-FLAG

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Zwei Europa-Touren gecancelt, im Mai endlich mit MILLENCOLIN hier gewesen: ANTI FLAG. Nachdem vor einem guten Jahr das Fat Wreck-Album „Underground Network“ für mehr als berechtigtes Aufsehen sorgte, war man in Pittsburgh keineswegs unaktiv. Eine Tour ins Leben gerufen, eine neue Platte auf eigenem Label raus und ein Soloalbum des Sängers Justin Sane gleich nebenher produziert. Selbiger ließ sich löchern, Vorhang auf: Der 11. September, Touren, Politik und nicht zuletzt ANTI FLAG...

Justin, eure erste Europa-Tour ist zu Ende, wie war’s?


Es war toll, ich liebe Europa. Die Kids waren unglaublich. Es ist wunderbar zu sehen, dass du als Band nach Europa kommst und die Kids können deine Texte singen mit und haben richtig Spaß. Wir haben auch mit vielen Kids auf Shows gesprochen und gemerkt, dass wir mit ihnen auf einer Wellenlänge sind. Es macht uns Mut für die Zukunft. Aber es war, wie du schon erwähnt hast, unsere erste Europa-Tour, und dass zwei Europatouren unsererseits gecancelt wurden und warum wir jetzt eine vergleichsweise große Tour spielen, das sind Fragen, die wir immer wieder gestellt bekommen. Die Sache ist: Ich vertrage kaum bzw. keinen Zigarettenrauch, ich wurde deswegen mehrere Male ins Krankenhaus eingeliefert. Die Sache mit kleinen Clubs ist nun, dass sie noch um einiges verrauchter sind als große Clubs. Der konkrete Grund, warum aber beide Europa-Touren ins Wasser fielen, war, dass ich in beiden Fällen kurz zuvor ins Krankenhaus musste und so auf keinen Fall touren konnte. Warum wir jetzt die ‘große’ Tour gemacht haben, hat damit zu tun, dass wir erst mal ein Gefühl dafür bekommen müssen, wie es in Europa läuft, um es selber einschätzen zu können um dann, hoffentlich nächstes Frühjahr, eine eigene Tour machen zu können.

Um den Bogen vom Touren in Europa zum Touren in Amerika zu schlagen: Wie war das mit der „Mobilize For Peace“ Tour?

Die war toll, wir haben sie mit AF-Records selber organisiert und gebucht. Die ‘AF-Records Mobilize For Peace Tour’ war in zwei Teile geteilt. Auf dem ersten Teil haben PIPEDOWN, VIRUS NINE, THRICE, AGAINST ALL AUTHORITY und ANTI FLAG gespielt, auf dem zweiten THE CODE, THOUGHT RIOT, GOOD RIDDANCE, STRIKE ANYWHERE und ANTI FLAG. Beide Teile der Tour waren absolut super. Das Ziel der Tour war es, neue Ideen zu entwickeln, um die Probleme der Welt zu lösen, und dass genau diese Ideen, so wie wir und die anderen Bands sie sehen, den Leuten vermittelt werden. Denn offemkundig ist es keine Problemlösung, Menschen zu töten und unter Bombenteppichen zu begraben. Dazu ist es aber nötig, dass nirgendwo in der Welt Armeen stehen. Das war unsere Hauptidee, die wir auf der ‘Mobilize For Peace’-Tour vermitteln wollten. Es sollte unserer Ansicht nach illegal sein, dass irgendein Land eine Armee besitzt und es sollte internationale Gesetze geben, die es verbieten, eine Armee zu haben.
Ich denke, dass das gemacht werden muss. Denn die USA sind z.B. der führende Produzent und Exporteur von Waffen weltweit. Für uns ist das unakzeptabel, da auf der anderen Seite die USA immer davon reden, dass sie internationalen Frieden und internationale Gerechtigkeit wollen. So was kannst du als weltweit größter Waffenhändler und Fabrikant nicht behaupten. Wenn man das will, was die USA bzw. ihre Regierung oft behaupten, dann muss man ein Exempel statuieren und danach handeln. Aber besonders seit dem 11. September 2001 wird dieser Widerspruch immer mehr öffentlich anerkannt und akzeptiert.

Was hat sich nach dem 11. September deiner Meinung nach konkret verändert bzw. oder nicht verändert?

Von einem Standpunkt her gesehen kann ich die ‘Solidarität’ vieler Länder mit Amerika bis zu einem gewissen Grad verstehen, denn letzten Endes sind wir alle Menschen. Also, vom menschlichen Standpunkt her gesehen. Aber die Tatsache, dass Amerika seitdem so nationalistisch und fanatisch geworden ist bzw. noch viel mehr, als es vorher war, ist schlecht. Ich meine, wenn es soweit geht, dass du als Kritiker mit einem Mörder etc. gleichgesetzt wirst, und Leute anfangen, dir zu drohen, dann ist es endgültig vorbei. Tatsache aber ist, dass Amerika eine Menge Probleme hat. Dass es die Angriffe gab, heißt noch lange nicht, dass George Bush nicht noch immer ein rechter Faschist ist. Es heißt nicht, dass die amerikanische Regierung nicht immer noch von Firmen bestochen und somit aufgekauft wird. Alle Probleme, die vor dem 11. September 2001 existent waren, sind es immer noch.
Wir glauben darüber hinaus, dass die Angriffe ein Ergebnis vieler verschiedener politischer Entscheidungen in der Vergangenheit waren, die von der amerikanischen Regierung in die Tat umgesetzt wurden. Die amerikanische Regierung hat Diktaturen und faschistische Regime unterstützt – weltweit. Wenn ein Land solche Regime oder Regierungen unterstützt, dann bringt sie automatisch Leute gegen sich auf. Und die Leute fangen selbstverständlich an zu suchen, von wo der Druck kommt, der gegen sie arbeitet, um zu schauen, was sie dagegen tun können. Kommt dieser Druck aus Amerika, direkt oder indirekt, wie es in vielen Fällen in der Vergangenheit war, dann liegt es nahe, dass sie etwas gegen Amerika unternehmen. Ich will nichts schön reden, für mich waren die Attacken des 11. September schrecklich, da ich Freunde und Familie in New York habe, aber ich war auch nicht überrascht, dass etwas passiert ist, da die amerikanische Regierung genau diese genannten Dinge getan hat. Und alle westlichen Mächte und Regierungen waren weltweit immer wieder daran beteiligt, verschiedene, ihr Volk unterdrückende Regime zu unterstützen.
Wenn du so willst, haben die Regierungen selber Terrorismus gefördert. Der einzige Grund, warum sie nicht bestraft wurden, ist, dass sie eben so mächtig sind, wie sie sind. Nimm Sadam Hussein, als er pro-westlich war, konnte er unter den Augen der USA so viel morden, wie er wollte. Jetzt, wo er den USA bzw. dem Westen den Rücken zugekehrt hat, ist er ein Feind. Es ist schon komisch, jeder, der mit den westlichen Mächten und speziell mit den USA gut steht, kann fast alles machen, was er will. Letzten Endes geht es auf allen Seiten meistens nur um die eigene Macht und das eigene Kapital. Und genau deswegen versuchen wir den Leuten die unabhängigen Medien wie z.B. indymedia.org nahezulegen. Die Mainstream-Medien gehören meistens Firmen, welche die Regierung stark beeinflussen, so bekommst du nur die eine Seite der Geschichte zu hören, zu sehen oder zu lesen, und das ist meistens nicht die Wahrheit. Genau diese Propaganda hattest du auch nach dem 11. September, was gefährlich an der Sache ist. Darauf versuchen wir als ANTI FLAG und mit AF Records aufmerksam zu machen.

Apropos AF Records, geh doch mal etwas näher auf das Label ein.


Wir haben AF vor ca. vier Jahren gegründet. Der Grund dafür war, dass wir kein Label hatten, auf dem wir Musik rausbringen konnten, die wir gerne rausbringen wollten. Es war der DIY-Gedanke: wir haben es selber gemacht. So fing alles an. Das erste Release war dann ‘Their System Doesn’t Work For You’ von ANTI FLAG. Als es dann so langsam weiter ging, haben wir verschiedene Bands und Leute getroffen, deren Musik wir mochten und die wir gerne unterstützen wollten. AF Records baut auf diesem Prinzip auf und arbeitet nach wie vor danach. Es gibt uns zudem die Möglichkeit, Musik rauszubringen, unabhängig von anderen Labels. Das heißt aber nicht, dass wir daran denken würden, Fat Wreck zu verlassen oder so. Wir haben die letzte ANTI FLAG ‘Mobilize For Peace’ auf AF rausgebracht. Es ist zwar ein reguläres Album, aber es besteht zur Hälfte aus acht neuen Studiotracks und zur anderen Hälfte aus acht Livestücken. Diese haben wir in der Zeit um den 11. September herum aufgenommen.
Die nächste ANTI FLAG-Studioplatte wird aber wieder auf Fat Wreck erscheinen. Neben ‘Mobilize For Peace’ erschien noch mein Soloalbum auf AF. Ich spiele Gitarre und singe dazu. Fat hat einen guten Vertrieb und wir sind sehr gut mit allen bei Fat befreundet – wir wollen viele Menschen erreichen von daher ist es schön, auf Fat zu sein.
Ähnlich war es, als RAGE AGAINST THE MACHINE uns gefragt haben, ob wir mit ihnen touren wollen. Die Tour war toll, wir hatten dabei ideale Voraussetzungen. Wir reden in den USA auf der Bühne viel über aktuelle Geschehnisse und Strukturen. Wir haben dann vor sehr vielen Leute über Dinge gesprochen, die uns wichtig sind, das gab uns als Band Mut und hat darüber hinaus Spaß gemacht. Es war eine tolle Tour, nicht zuletzt, weil eine Band wie RATM uns einfach gefragt hat, ob wir nicht mitfahren wollen. Aber warte, was mir einfällt: Das nächste ANTI FLAG-Album wird doch nicht auf Fat sein, sondern unsere Split mit den BOUCING SOULS. Wir werden darauf neben drei oder vier eigenen Stücken noch ‘Freaks, Nerds & Romantics’ von den BOUNCING SOULS und ‘Ever Fallen In Love’ von den BUZZOCKS covern. Sie wird im Herbst erscheinen.