DAG NASTY

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DAG NASTY wurden 1985 vom ehemaligen MINOR THREAT/GOVERNMENT ISSUE-Bassisten/Gitarristen Brian Baker, der inzwischen bei BAD RELIGION seine Brötchen verdient, ins Leben gerufen. Sie kamen aus Washington, D.C. und veröffentlichten 1986 mit „Can I Say“ eine der besten Hardcoreplatten aller Zeiten. Damals machte erstmals der Begriff Emo oder Emocore die Runde, was vor allem daran lag, dass die Songs, bei aller Härte, immer einen melancholischen Touch hatten, was auch am Gesang des von den Bostoner Straight Edgern D.Y.S. zu DAG NASTY gewechselten Sängers Dave Smalley lag. Auf dieser bei Dischord Records erschienenen Scheibe gibt es nur Hits. Auch das ein Jahr später mit einem anderen Sänger veröffentlichte Album „Wig out at Denkos“ kann bedenkenlos zur sofortigen Anschaffung empfohlen werden. Dave Smalley wechselte nach einer Auszeit zu ALL, um später mit zwei Leuten von den CHEMICAL PEOPLE seine aktuelle Band DOWN BY LAW zu gründen. Brian Baker machte mit JUNKYARD zweifelhafte Rockstarkarriere und wechselte in den 90ern zu BAD RELIGION, mit denen er solche Durchhänger wie „Punk Rock Song“ verbrach. Am Rande des DOWN BY LAW-Konzertes im Oberhausener Zentrum Altenberg unterhielten wir uns mit Dave Smalley über die neue DAG NASTY-Platte (in der legendären „Can I Say“-Besetzung), über DOWN BY LAW und über Gott und die Welt. Dave entpuppte sich als netter Enddreißiger, der gerne und ausführlich zu unseren Fragen Stellung nahm. Das Ergebnis dieses Plausches könnt ihr jetzt hier und im nächsten Ox lesen.

Dave, wie läuft’s bislang auf der Tour?


Danke, gut! Wir waren eben noch in einer Punkrock-Radiosendung und konnten dort selber die Playlist bestimmen. Die Jungs waren völlig überrascht, als wir nur Sachen wie z.B. John Lee Hooker gespielt haben. Punk hatten wir gar nicht dabei, außer THE CLASH. Die hatten wohl erwartet, dass wir nur NOFX spielen würden. Aber unsere Fans sind meistens recht jung, aber wenn sie älter werden, lernen sie auch andere Musik kennen und schätzen. Als ich sechszehn Jahre alt war, na ja, da brauchtest du mir mit John Lee Hooker auch nicht kommen.

Auf eurer Website habe ich gelesen, dass du mal anderthalb Jahre in Israel gelebt hast. Wie kam es dazu?

Ich war von Mitte 1986 bis Ende 1987 dort, also gleich nachdem ich bei DAG NASTY ausgestiegen war. Ich hatte ein Stipendium bekommen und studierte dort eine Weile. Anschließend bin ich durch Ägypten und die Türkei gereist. Damals begann gerade die erste Intifada, es war noch nicht so schlimm wie heute und die Leute haben höchstens Steine auf Busse geworfen. Einmal, als ich gerade Bus fuhr, hat ein Palästinenser eine Scheibe eingeschmissen, die dann nur gesprungen ist. Nichts im Vergleich zu heute.

Hast du noch Freunde dort?

Nein, nicht mehr. Der Kontakt ist irgendwann abgebrochen.

Hattest du damals nicht noch eine andere Karriere im Kopf?

Klar. Mein Vater hätte es gerne gesehen, wenn ich im US-Außenministerium für einen Politiker gearbeitet hätte, so wie er es auch tat.

Also wollte er einen richtigen Job für dich?

Ja, aber ich muss sagen, dass meine Eltern, obwohl sie sehr konservativ eingestellt sind, auch politisch, mich immer bei dem unterstützt haben, was ich tat.

Ist vielleicht eine blöde Frage, aber ich bin Lehrer für Englisch und würde gerne wissen, welches deiner Lieder deiner Meinung nach geeignet ist, um es im Unterricht zu analysieren?

Das ist mal eine gute Frage. Ich denke da an ein Lied, welches jetzt nicht auf der ‘Best of...’ ist. Es heißt ‘Concrete Times’ und ist auf ‘Last of the Sharpshooters’ und handelt davon, wie es ist heute in den USA aufzuwachsen. Als ich ein Kind war, bin ich den ganzen Tag mit meinem Fahrrad unterwegs gewesen, und meine Eltern mussten sich keine Sorgen machen. Heute kennt man noch nicht mal den Namen seines direkten Nachbarn, soviel Verbrechen überall. Ich würde meine Kinder niemals weglassen ohne zu wissen, wo sie hinwollen. Davon handelt der Song.

Du hast Kinder?

Ja! Drei!

Drei?!

Ja, aber sie sind noch sehr klein.

Würdest du deinen Kindern erlauben, Punkrocker zu werden?

Auf jeden Fall! Aber ich würde sie nicht dazu zwingen! Einige Bekannte meinten bei ihrer Geburt, dass ich ihnen jetzt kleine Lederjacken kaufen müsste und ich sagte nur: Auf keinen Fall! Wenn die Kleinen Britney Spears hören möchten, super! Das beste am Punkrock war für mich, ihn zu entdecken. Und es war nur meine Sache, bei der mir keiner reingeredet hat. Ein Schulfreund von mir, es war 1977, meinte, dass er eine Platte von THE CLASH hätte. Ich hatte doch keine Ahnung wer THE CLASH waren. Ich habe mir die Platte ausgeliehen, legte sie auf und... ha, der Himmel tat sich auf. Für mich ist also alles ok, was sie machen möchten, solange es nicht zerstörerisch ist.

Wie alt sind deine Kinder?

7, 5 und 1! Aber du solltest nie einen Vater nach seinen Kindern fragen! (Dave holt Bilder seiner Kinder aus der Tasche und zeigt sie uns) Das hier mag ich besonders. Wir haben Madeleine erzählt, dass Pflanzen Stimmen hören können, und hier liest sie einer Pflanze eine Geschichte vor. Sie hat sich übrigens darüber beschwert, dass ich wieder fünf Wochen auf Tour bin.

Hat sich durch die Kinder dein Leben verändert?

Klar, ich gehe jetzt nicht mehr 6-8 Monate im Jahr auf Tour. Allerdings werde ich nicht wegen der Kinder alles andere aufgeben, damit würde ich ihnen auch nicht gerecht werden. Sonst denkt man in 20 Jahren vielleicht: Oh, hätte ich doch mal weiter Musik gemacht, und man wird dann depressiv. Man muss einfach der bleiben, der man ist. Wenn ich jetzt denken würde, es ist Zeit aufzuhören, dann wäre das okay, aber es muss mein Wunsch sein.

Lass uns mal über DOWN BY LAW reden. Das neue Album auf Epitaph ist ein „Best of...“ Album, und in der Regel ist solch ein Album eine Art Abschied von einem Label, wo man lange war, eventuell sogar, um einen Vertrag zu erfüllen.

Verstehe, aber für mich ist es mehr ein Willkommens-Album. Unsere letzte Platte ist ja nicht auf Epitaph, sondern auf Go-Kart erschienen. Ich habe es schon vermisst, auf Epitaph zu sein, und als die Anfrage zur neuen Platte kam, habe ich mich gefreut. Es hat uns hoffentlich wieder eine Tür geöffnet.

Also kommt die nächste DOWN BY LAW-Platte wieder bei Epitaph raus?

Weiß ich noch nicht. Fände ich aber toll, obwohl noch ein paar andere Labels Interesse gezeigt haben. Wir haben 1992 bei Epitaph unterschrieben. Seitdem ist eine Menge passiert. OFFSPRING wurden Stars und Epitaph waren einem ganz anderen Druck ausgesetzt.

Epitaph haben aber auch eine Menge guter Bands vor die Tür gesetzt, als diese nicht genug verkauft haben, die DWARVES oder NEW BOMB TURKS zum Beispiel.

Ja, das ist wohl war. Ich habe noch nie ein Label betrieben und weiß nicht, ob ich jemandem da reinreden würde. Der Erfolg eines Labels hängt aber oft von der Cleverness der Leute ab, die dahinter stehen. Brett Gurewitz ist zum Beispiel jemand, den ich als Genie bezeichnen möchte. Er ist hochintelligent. Mit ihm kannst du übers Business reden und im nächsten Augenblick über Griechische Kunst oder so. Ganz so, als ob man beim Autofahren die Gänge wechselt. Er weiß, was er tut.

Warum gibt es ein neues DAG NASTY-Album?

Weil wir uns ausverkaufen, Millionen von Dollars scheffeln und Kokain schnupfen wollen!

Danke für die ehrliche Antwort!

Nein, der eigentliche Grund ist unspektakulär. Was mir an der neuen Platte gefällt ist der Umstand, dass niemand sie machen musste. Brian ist in der größten Punkband der Welt, ich bin in einer erfolgreichen Band, Roger und Colin führen jeder ein wunderbares Leben, jeder ist glücklich.

Ist Colin noch bei THE MARSHES?

Nein, die haben sich aufgelöst. Er hat in Portland eine neue Band gefunden, die aber in den Kinderschuhen steckt. Ich selbst hasse Reunionbands, bei denen die Leute es machen mussten, weil sie verzweifelt oder pleite sind, oder sei es, um noch mal vom alten Ruhm zu zehren. Ich denke, wir haben den richtigen Weg beschritten. Wir haben vor einiger Zeit ein Lied für eine Benefizscheibe namens ‘Disarming Violence’ aufgenommen, weil der Betreiber des Labels es sich sehr gewünscht hat, dass DAG NASTY dabei sind. Also habe ich alle angerufen und gefragt, ob sie Lust hätten und alle sagten: Sicher! Und so haben wir den Song aufgenommen. Das Lied war klasse und alle meinten, dass es ihnen Spaß gemacht hätte und wir eine neue Platte machen sollten. Und wir haben es richtig gemacht, indem wir uns nicht gehetzt haben. Es hat zwei Jahre gedauert, bis Brian die Songs geschrieben hatte. Ich habe ebenso lange für die Texte gebraucht, weil ich sie richtig gut machen wollte. Brians Songwriting ist meiner Meinung nach fantastisch...

Ich muss gerade grinsen, weil vor einer halben Stunde haben wir alle hier unabhängig von einander gesagt, dass einige Lieder der neuen Scheibe irgendwie nach BAD RELIGION klingen.

Du meinst die Musik?

Ich weiß nicht, die Melodien und die Gitarrensoli.

Die Gitarrensoli? Klar, ist ja auch derselbe Gitarrist.

Es scheint auch so, dass Brian seine Art Gitarre zu spielen geändert hat.

Findest du wirklich? Interessant... Ich weiß nicht, ob ich mit dir übereinstimme. ‘Can I Say’ haben wir 1986 geschrieben, was lange her ist, und wir wären schön blöd, wenn wir versuchen würden eine Platte zu machen, die genauso klingt wie ‘Can I Say’. Das wäre doch der Versuch, die alten Zeiten aufleben zu lassen. Ich sehe es eher so, dass die zweite Platte so geklungen hätte wie jetzt die neue, wenn ich damals nicht ausgestiegen wäre. Unsere neue Platte hat eine Menge Energie. Es ist eine ehrliche Platte von ein paar Kerlen in den Mittdreißigern, die inzwischen, hoffentlich, gute Musiker geworden sind und sich vorgenommen hatten, eine starke Platte zu machen. Aber ich denke nicht, dass Brian anders Gitarre spielt. Ich finde, wenn man ihn hört, weiß man sofort, dass es Brian Baker ist. Als ‘Four on the Floor’ erschien, konnte er seinen richtigen Namen nicht benutzen, weil er vertraglich noch an Geffen Records gebunden war, sondern nannte sich Dale Nixon – genauso wie Greg Ginn sich nannte, als er bei BLACK FLAG seinen Namen nicht nehmen konnte, kleiner Punkinsiderwitz. Und einige Leute schrieben in den Reviews, dass dieser Dale Nixon scheiße wäre, im Vergleich zu Brian Baker, oder das genaue Gegenteil, und dabei war es die ganze Zeit Brian. Sein Gitarrenspiel ist ziemlich einzigartig und ich liebe es sehr. Auch Sam, der bei DOWN BY LAW Gitarre spielt, ist ein prima Gitarrist, vor dem ich mich nur verbeugen kann.

Wie stark war denn dein Einfluss auf „Can I Say“ im Gegensatz zu den anderen beiden DAG NASTY-Platten, auf denen du singst? Die meisten Songs wurden ja bereits mit deinem Vorgänger Shawn Brown aufgenommen.

Ich habe den Songs eine straightere Richtung und etwas mehr Melodie gegeben. Ich singe ja völlig anders als Shawn, keine Ahnung, ob das jetzt besser oder schlechter ist. Mit ‘Four on the Floor’ war das anders. Brian hatte all diese Songs, aber er war bei JUNKYARD, wo er sie nicht verwenden konnte. Ich besuchte ihn damals, hörte die Songs – er hatte sie als Demos aufgenommen – und sagte: Hey, verdammt, das müssen wir aufnehmen. Das taten wir dann auch ziemlich schnell. In der neuen Scheibe steckt viel mehr Arbeit. Was ich ziemlich lustig finde bei einer Band, die eigentlich gar nicht existiert.

Also habt ihr nur die Platte gemacht, habt aber keine Konzertpläne?

Ach, ich weiß nicht. Ich würde schon gerne touren, aber wenn ich mit DOWN BY LAW dieses Festival spiele, ist Brian mit BAD RELIGION auf jenem Festival und es ist fast unmöglich, passende Termine zu finden. Und genau wie wir keine beschissene Reunion-Platte machen wollten, machen wir auch keine beschissene Reunion-Tour, ganz einfach. Wir wollen richtig gut sein, weil die Leute hohe Erwartungen an DAG NASTY haben, und wir wollen weder die Fans, noch uns enttäuschen. Wenn wir es machen sollten, dann wollen wir die Leute wegblasen. Es reicht nicht aus, drei Tage zu proben und dann auf Tour zu gehen. Wir alle müssten die Songs erst wieder richtig lernen, sonst wäre das ein Schuss in den Ofen!

Wie sehen denn deine Erwartungen an solch eine Show aus? Was für Leute würden heutzutage kommen, um DAG NASTY zu sehen?

Leute wie du und ich, also alle, die hier am Tisch sitzen, haha!

Wir sind aber alle in den 30ern, also die Generation, die mit den ersten DAG NASTY-Alben aufgewachsen ist.

Es ist schon lustig. Viele der jüngeren Kids kennen nur ‘Four on the Floor’, weil das Album halt auf Epitaph veröffentlicht wurde. Als wir vor ein paar Jahren mit DOWN BY LAW auf Tour waren, haben wir immer ‘Under your influence’ als Zugabe gespielt. Ich habe es dann immer angekündigt, dass wir jetzt ein Stück von DAG NASTY spielen werden und die jungen Leute im Publikum riefen dann ‘S.F.S.’ oder ‘Million Days’. Sie kannten die älteren Platten gar nicht...

Teil 2 des Interviews gibt’s im nächsten Ox!