FAVEZ

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Die Schweiz ist nicht gerade ein Land, das man mit interessanten Musikexporten verbindet. Umso verwunderlicher ist es, wenn eine Band namens FAVEZ in regelmäßigen Abständen schöne Alben hervorbringt. Was mit „A Sad Ride On The Line Again“ begann, einem unendlich traurigen Akustik-Album, fand in „Gentlemen Start Your Engines“ einen Nachfolger, der besonders das Emo-Klientel bediente. Anfang des Jahres ist „(From Lausanne, Switzerland)“ erschienen. Dieses Album sagt nicht nur ganz deutlich, wo die Jungs herkommen, es zeigt auch, wohin die musikalische Marschrichtung hingehen soll – zum Rock’n’Roll. Ich hocke mit der Band im Schlafgemach des Undergrounds in Köln, doch Gesprächspartner ist eigentlich nur einer, Sänger und Gitarrist Christian.

Warum habt ihr mit einem derart ruhigen Album debütiert, was ja eigentlich eher ungewöhnlich und mutig ist?


Wir spielten schon seit acht Jahren unter einem anderen Namen und veröffentlichten ein paar Rock-Scheiben, die nur in der Schweiz veröffentlicht wurden. 1997 haben wir dann den Schlagzeuger gewechselt und Fred stieß dazu. Wir stellten ihm unsere älteren Stücke vor, doch für ihn war das Rockding etwas ungewohnt, da er bis dato eher in soften Bands gespielt hatte. Also entschieden wir uns, eine Akustik-Platte aufzunehmen, da er mit der knüppeligen Spielweise noch nicht so vertraut war und eher einen weicheren Stil hatte. Die Songs besaßen ohnehin kleine feine Melodien, die wir gerne mal mit einem cleanen Soundgewand versehen wollten. Nun ja, deshalb haben wir die Akustik-Platte gemacht – es war also nicht wirklich ein Debüt. Als die Scheibe dann fertig war, gefiel sie uns so gut, dass wir sie zu einigen kleineren Labels schickten. Zwei von ihnen sagten zu.

Auf dem Begleitinfo steht, dass ihr die Songs „as slow and depressing as you (we) could“ gespielt habt. Warum?

Für uns war es dieses Mal eben was ganz anderes, wir wollten uns bemühen, auf keinen Fall eine Rockplatte zu machen. Wir wollten sie so anders wie möglich einspielen.

Wie kommt’s, dass man euch erlaubt hat, die Scheibe in einer Kirche aufzunehmen?

In der Schweiz gehören die Kirchen dem Staat, also den Menschen. Man braucht nur zu fragen, wenn man eine benutzen möchte. Natürlich ist das nicht so gewöhnlich, aber wir fragten den Pastoren, der zwar überrascht war, aber weil er unseren Gitarristen Guy Bee kannte, zusagte. Er meinte: ‘Okay, so lange niemand stirbt, gibt es auch keine Beerdigung, also könnt ihr sie benutzen’.

Ihr habt auf Doghouse in Amerika und hierzulande auf Sticksister veröffentlicht. Wie kam es zu dem Deal mit gleich zwei coolen Labels?

Ich arbeite in einem Plattenladen in Lausanne und daher mit dem Lumberjack-Vertrieb. Und Lumberjack ist im selben Gebäude wie Doghouse. Also habe ich unsere zweite Platte ‘Gentleman Start Your Engines’ zu den Jungs von Lumberjack geschickt, damit die sich dem Vertrieb der Platte annehmen. Die mochten die Scheibe aber viel zu sehr und fanden es zu schade, sie nur zu vertreiben, also lieferten sie sie im Doghouse-Büro ab. Zwei Tage später rief deren Chef mich an – und da wären wir.

Warum hat die Doghouse-Version ein anderes Artwork?

Ich hatte zwei verschiedene Versionen des Artworks angefertigt und die Plattenfirmen sollten sich eines aussuchen, zufälligerweise wollten beide Firmen eine andere Version. Das war dann auch recht praktisch, weil die beiden Firmen nicht so gut miteinander auskommen. Das unterschiedliche Artwork erspart da unnötige Streitereien.

Erkläre mir mal bitte den Plattentitel eures neuen Albums – seid ihr besonders stolz, aus der Schweiz zu kommen?

Das war eher als Witz gedacht, weil es als Rockband eher ungewöhnlich ist, aus diesem Ort zu stammen.

Nun ja, ich kenne ehrlich gesagt auch keine andere Band, die aus irgendeinem Ort aus der Schweiz kommt!


Tatsächlich? Hast du nie von HONEY FOR PETZI gehört? Oder CHEWY?

Ja doch, die sind „verwandt“ mit euch oder nicht?

Deren Sänger Mathieu ist mein Bruder. Die bringen bald eine neue Platte raus namens ‘Tomanydynamos’. Aber zurück zum Titel, es war eben ironisch gemeint, so wie manche Bands damit kokettieren oder angeben, dass sie aus Gainesville, Florida oder Cleveland, Ohio kommen. Manche Bands denken eben, dass es cool wäre, anzugeben, wo sie herkommen, nach dem Motto: ‘Ho ho, das ist der Ort aus dem wir kommen, geil exotisch. Gainesville, Florida – HOT WATER MUSIC, TOM PETTY, wie glamourös!’ Also, es ging uns nur um den Spaß!

Auf dem letzten und auch dem neuen Album arbeitet ihr mit John Agnello zusammen, der ja schon mit MADRUGADA, DINOSAUR JR., NEBULA und so vielen anderen zusammengearbeitet hat. Wie habt ihr den Kontakt bekommen?

In den letzten zehn Jahren hat er mit so vielen tollen Bands so viele schöne Platten aufgenommen. Anfang der Neunziger z.B. BUFFALO TOM, später dann Indie-Kram wie APPLESEED CAST und jedes Mal, wenn man dachte, dass die Platte gut klingt und man nachsah, wer sie produziert hatte, ist man auf John Agnello gestoßen. Er entwickelte sich also zu einem unserer Lieblingsproduzenten. Also schickten wir ihm ein Demo, glaubten aber nicht daran, dass er es sich überhaupt anhören würde. Doch er kontaktierte uns. Als wir dann das erste Mal bei ihm zu Gast waren, hat er sich als unglaublich netter Kerl herausgestellt.

Ihr habt „(From Lausanne, Switzerland)“ im September 2001 in New York aufgenommen – ich kann mir vorstellen, dass das nicht so eine tolle Zeit war.

Definitiv nicht. Beim ersten Mal war es wirklich lustig und wir haben viel Spaß gehabt, aber beim zweiten Mal haben wir uns dann auf das Arbeiten beschränkt. John war nicht gerade glücklich über die Situation in New York, höchstens darüber, dass er nicht in den Twin Towers war – er hatte nämlich ein paar Stunden später dort einen Termin. Nach zwei Tagen nahmen wir die Arbeit im Studio in Downtown Manhattan wieder auf. Doch wenn man dann vor dem Mischpult sitzt und sich über den Sound unterhält, merkt man, dass das in dieser Situation wirklich wenig Sinn macht. Er war erleichtert, dass er es bei uns nur mit einer einfachen Rockband zu tun hatte und nicht beispielsweise mit MADRUGADA, die an jeder Kleinigkeit wie Besessene arbeiten.

Hatte die Katastrophe einen Einfluss auf eure Aufnahmen?

Ich denke, wir haben es aggressiver und rockender hinbekommen. Direkter auf den Punkt. Aber die Songs waren ohnehin schon vor dem 11. September geschrieben.

Ich muss ehrlich sagen, dass mich die neue Scheibe manchmal an FU MANCHU erinnert, besonders das Stück „Son Of Steve McQueen“, das ganz eindeutig an deren „Evil Eye“ angelehnt ist.

Exakt, das ist das gleiche Riff. Wir wollten eben eine straighte Rockscheibe machen, weil wir immer gerne THE WHO oder LED ZEPPELIN gehört haben, oder eben KYUSS und FU MANCHU. Wir dachten, dass unsere Liveshows ohnehin immer mehr in Richtung Rock-Entertainment drifteten. Aber ich muss zugeben, dass vielen Leuten nicht aufgefallen ist, dass es sich um ein FU MANCHU-Riff handelt!

Hinter dem abschließenden Stück „Troubled Life Blues“ steckt eine Geschichte, oder?

„Ja, das stimmt. Wir hatten vor einen akustischen Song für das Album zu schreiben, aber als das mit dem Flugzeugcrash passierte, wollten wir einen Song aufnehmen, der vom Leid dieser Welt erzählt. Bassmann Yvan Lechef hörte zu dieser Zeit oft eine Fat Boy Rodgers-Compilation, die auf Rhino erschienen ist. Und da ist eben dieser ‘Troubled Life Blues’ drauf, in einer poppigeren Version. Das ist der einzige Song, für den wir uns nach dem Anschlag entschieden. Er passte einfach gut zur Stimmung und soll uns für immer daran erinnern.“

Warum hat Artie Sheppard von ERRORTYPE:11 einen Gastauftritt bei euch?

„Sie spielten ‘98 mit SAMIAM in Lausanne. Nach dem Gig hatten wir viel Spaß miteinander, weil die Band und besonders Artie supernette Kerle sind. Ein Jahr später lasen wir auf ihrer Website, dass auch sie mit John Agnello aufnehmen. Als wir dann letztes Jahr drüben waren, fragten wir ihn, da er ohnehin in New York lebt, ob er mit seiner coolen, heiseren Stimme nicht bei ein paar Backings mitmachen wolle. Leider war er ziemlich mies drauf, weil durch den Twin Tower-Einsturz auch die bevorstehende Vertragsunterzeichnung bei der EMI im Schutt versank.“

Ich habe mal gehört, dass ihr live mit drei Gitarren spielt, aber wie es aussieht, habt ihr euch das abgewöhnt.

„Wir haben das kurz nach dem ‘Gentlemen’-Album aufgegeben. Das einzige Mal, dass wir mit drei Gitarren in Deutschland auf der Bühne standen, war, als wir 1999 mit FIRESIDE tourten. Das Problem mit dem dritten Gitarristen war, dass er gleichzeitig auch unser Manager war. Außerdem dachte er, dass er musikalisch nicht reinpasst, weil er THE CURE und THE WEDDING PRESENT mochte, haha. Nein im Ernst, wir wollten, dass er sich ganz auf das Management konzentriert. Wir haben in letzter Zeit aber darüber nachgedacht, tatsächlich wieder einen dritten Gitarristen einzustellen, weil das sehr cool ist.“

Auf einer Sticksister-Compilation ist der Song „Coming Home“ drauf, genauso wie auf dem zweiten Album und auf einer Promo-EP, auf der ansonsten nur Coversongs sind. Was hat es mit dem Song auf sich?


„Wir haben den Song zu der Zeit aufgenommen, als wir das Akustik-Album fertig stellten. Da wir ihn mochten, haben wir ihn mit drei Coversongs von GIRLS VS. BOYS, UNSANE und CHOKEBORE versehen und Stickman hat dann für Promotion-Zwecke diese EP rausgeschickt, damit die Leute merken, dass wir eine Rockband sind und nicht nur Akustik-Balladen in Kirchen aufnehmen. Eine andere Version des Songs packten wir dann auf das ‘Gentleman’-Album und als Stickman uns fragten, welchen Song wir zum Sampler beisteuern wollten, entschieden wir uns für die ältere Version.“

Den zweiten Song, den ihr beigesteuert habt, „Don’t Want To Be No Solitary Man“, dürfte dann wohl im Zuge des letzten Johnny Cash-Albums entstanden sein.

„Ja, das ist definitiv der Fall.“

Woher kommt eigentlich euer Name, der ist doch spanisch oder nicht?

„Der Name ist aus dem Film ‘Le Mans’ mit Steve McQueen. Der ist Rennfahrer und sein Mechaniker heißt Favez. Aber er ist kein tragender Charakter in dem Film.“