PALE

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Ja, es ist jetzt schon anderthalb Jahre her, dass ich PALE das letzte Mal interviewt habe. Damals habe ich die Vier extra in Herzogenrath vor den Pforten Aachens besucht. Doch diesmal sind die Jungs im Stress. Das neue Album „How To Survive Chance“ steht kurz vor der Veröffentlichung – und es wird wieder, wie schon der Vorgänger „Razzmatazz“, auf dem ständig wachsenden Kölner Label Defiance Records erscheinen.

Gerade wurden die Dreharbeiten zum Video für die neue Single „Goodbye Trouble“ abgeschlossen, in Bälde steht die Release-Party ins Haus und Konzerte gibt man sowieso ständig. Im Moment sind Schlagzeuger Stephan, sein Brüder Holger
(Gesang), Hilly (Bass) und Christian (Gitarre) fast jeden Tag im Proberaum. Doch heute Abend hat Stephan endlich Zeit für einen Plausch am Telefon.

Wann begann die Planung zum neuen Album und wo habt ihr diesmal aufgenommen?


Eigentlich wollten wir die neue Platte schon zum Ende des letzten Jahres aufnehmen, doch diese Planung wurde verschoben. Dann haben wir einen Studio-Termin für Anfang Mai festgesetzt, obwohl wir bereits Mitte Januar hatten und bis dato gerade einmal ein Stück für die neue Platte geschrieben war. Das war ‘Sex USA’, der jetzt allerdings ‘Let’s Get It On’ heißt. Allerdings existierte das Stück sowieso schon seit ‘Razzmatazz’-Zeiten. Wir haben dann Ende Januar angefangen, Stücke zu schreiben und es hieß, dass wir zweieinhalb Monate vor Release-Termin die Platte im Kasten haben müssten. Also waren wir ab dem 24. März im Studio und hatten anderthalb Monate Zeit, um die Stücke zu schreiben. Zu dieser Zeit wurde uns dann noch der Proberaum in Aachen wegrenoviert. Glücklicherweise haben wir dann in Köln im ENGRAVE-Proberaum Unterschlupf gefunden, weil deren Schlagzeuger für ein halbes Jahr ins Ausland ging.

Und was ist mit dem Proberaum in Aachen passiert?


Der Bunker war in Privathand von einem Typen aus Oberhausen, der eine Menge Proberäume in NRW besitzt. Der hat aber das Handtuch geworfen, weil es ihm zu lästig wurde. Dann hat sich die Musiker- E.V. dem Bunker angenommen. Die haben dann festgestellt, dass die Hälfte der Proberäume keine feuerpolizeiliche Betriebsgenehmigung haben, unserer aber dank Lüftung schon. Dann wurde es chaotisch, die anderen Räume sollten renoviert werden, wir sollten die Renovierung mittragen und hatten natürlich auch keinen Bock, zwangsweise in einen Verein einzutreten, bloß um Proben zu dürfen. Da hörte der Spaß dann auf, schließlich will ich ja auch keinem Schützenverein beitreten, um eine Wohnung zu beziehen. Im Endeffekt hätten wir dann ein Drittel mehr Miete zahlen müssen für zwei Drittel weniger Probezeit – kein guter Deal, zudem wir letztes Jahr höchstens zweimal geprobt hatten.

Wie sind denn dann die neuen Songs entstanden, die wurden ja schließlich nicht auf Tour geschrieben?

Neben haufenweise Einzelkonzerten haben wir zwei kleine Englandtouren mit JIMMY EAT WORLD und ELLIOTT gemacht, sowie 21 Tage mit SOULMATE getourt. Wir kommen also im Laufe des letzten Jahres auf 110 Shows.
Doch da die meistens Trips höchstens maximal zwei Tage am Stück dauerten, war da nicht viel mit Stücke schreiben auf Tour. Die meisten Songs wurden in der kurzen Zeit bis zum Studiotermin geschrieben, drei bis fünf Stücke dann direkt im Studio. Aufgenommen haben wir in Rhede im Noiseless Studio, das ist in Ostfriesland. Da haben auch kürzlich COALFIELD und ONE MAN AND HIS DROID, die ja auch beide auf Defiance sind, aufgenommen. Wir hatten dort eine eigene Wohnung, mitten auf dem Land, konnten also Tag und Nacht proben. 120 Quadratmeter Aufnahmefläche standen uns zur Verfügung. Also perfekte Bedingungen, um von der Außenwelt abgeschottet, eine Platte aufzunehmen. Das stört niemanden, wenn man morgens um fünf noch einen Song schreibt und probt. Im Gegensatz zur ‘Razzmatazz’, die wir in fünf Tagen durchgezogen haben, konnten wir diesmal halbwegs in Ruhe schauen, was im Studio passiert.

Ihr habt mir schon ganz früh erzählt, dass euer nächstes Album sehr poppig werden wird, was es letztendlich auch geworden ist. Ihr habt sogar gemeint, dass es ein Doppelalbum wird, mit Streichern und Bläsern. Okay, ein Doppelalbum ist es nicht geworden, die Streicher und Bläser kommen aber vor.

Nach dem ‘Razzmatazz’-Marathon war uns klar, dass wir so nicht mehr arbeiten möchten, in nur fünf Tagen ein ungestümes Sixties-Album einzuspielen. Wir haben ‘Teenage Heaven’ samstags geschrieben, bevor wir sonntags ins Studio gingen. Am Erfolg des Stücks haben wir gemerkt, dass sich die Popregel ‘Sag alles, was du zu sagen hast, in drei Minuten’ bewahrheitet. Also auch, wenn wir diesmal mehr Zeit hatten, sind wir eine Band, die unter Druck arbeiten muss, sonst kommt bei uns nichts zustande. Und nächstes Mal gibt’s definitiv ein Doppelalbum. Wenn wir diesmal drei Wochen mehr Zeit gehabt hätten, dann hätten wir das sogar jetzt schon gemacht, aber irgendwann rennt einem auch das Geld weg.

Bassmann Hilly ist riesiger RAMONES-, ALL- und DESCENDENTS-Fan, aber gerade du und Holger, ihr seid große Popfans, gerade englischer Couleur, was man jetzt auch definitiv raushören kann. Und auch, wenn ihr in den Emo- oder Collegerock-Kontext gar nicht mehr reinpasst, sprecht ihr trotzdem diese Klientel an. Aber woher kommt denn der Popeinfluss?

Also ich höre Hardcore, Punk, PIXIES und Pop seit ich 13 bin. Die Popeinflüsse waren definitiv schon auf ‘Razzmatazz’ vorhanden, nur sind wir es da poltriger und hardcoriger angegangen. Der Pop-Einfluss scheint ja z.B. auch beim JAM-Cover ‘Town Called Malice’ durch.

Warum verratet ihr auf Konzerten eigentlich nie, dass das kein Song von euch ist?

Also, von mir selber kenne ich das so, dass ich eine Platte gehört habe und manchmal erst viel später gemerkt habe, das dieses oder jenes Stück eigentlich eine Cover-Version ist. Vorausgesetzt man studiert nicht die Linernotes.

Stand es bei euch in den Linernotes?

Ja, aber ziemlich versteckt in den Credits, so dass nicht unbedingt jeder drauf kommen konnte. Es ist nicht so, dass wir den Song als unseren ausgeben wollten, aber wir wollten eher mit Zitaten spielen und die Leute nicht direkt mit der Nase draufstoßen.Viele Leute, die selber Musik machen, dürften sich an der Pophistorie bedienen. Auf der neuen Platte würde ich sagen, sind noch mehr Anspielungen auf bereits Dagewesenes zu entdecken.

Mit Maximilian Hecker ist ja echte Prominenz an Bord.

Maximilian spielt Klavier beim Stück ‘Everytime You Say Hey’ und wir kennen ihn daher, weil wir letztes Jahr mit ihm in Paderborn auf einem Uni-Fest gespielt haben. Man hat sich dort ein wenig angefreundet und dann hat sich das so ergeben. Wir haben ihm den Song geschickt und er hat die Midi-Spur dazu eingespielt. Wir wussten, dass wir für diesen orchestralen, poppigen Song noch eine Klavierspur haben wollten und fragten dann einfach bei ihm nach.

Ihr habt die Songs ohne bestimmte Reihenfolge auf die Scheibe gepackt, lediglich das Intro „Girl Afraid“ und das abschließende Titelstück seien bestimmt positioniert worden.

Wir hatten verschiedene Mixes vorbereitet, die uns alle aber nicht so zusagten. Naja, die ganze Platte ist durch Zufall entstanden, das ganze letzte Jahr war durch Zufälle geprägt, also haben wir den Rechner die Reihenfolge vorgeben lassen und nur das erste und letzte Stück vorgegeben. Wir hatten einen halben Tag überlegt, wie denn die beste Reihenfolge aussehen würde und kamen auf keinen grünen Zweig. Im Endeffekt hat der Rechner meiner Ansicht nach den besten Verlauf durch Zufall erstellt.

Eure neue Single wird „Goodbye Trouble“ werden, der Song, denke ich, ist ideal, um an den Erfolg von „Teenage Heaven“ anzuknüpfen. Doch während ihr damals eher durch Zufall die Spitze der ehemaligen VIVAII-2Rock-Charts angeführt habt, könnt ihr ja mittlerweile gezielt auf Erfolg setzen. Zumindest ist die Band ja mehr als nur ein Hobby und Geld damit zu verdienen, kann ja nicht schaden.


Nun ja, wir hatten letztes Jahr, wie bereits erwähnt, 110 Shows gespielt. Das ist ein Drittel des Jahres. Also ist das mittlerweile ein Job, von dem man aber nicht leben kann. Deshalb arbeiten wir ja auch weiterhin. Holger und ich haben mit Half-On-Art eine Grafikagentur, Christian macht Nachtdienst im Krankenhaus und Hilly geht so arbeiten, doch einen richtigen Job kriegt man irgendwann nicht mehr auf die Reihe. Mit der Musik Geld zu verdienen ist verdammt schwierig und das wird auch so bleiben. Wir machen die Musik garantiert auch nicht, um damit Geld zu verdienen. Das Video, das wir zur Single gedreht haben, ist primär auch nicht entstanden, um großartige Erfolge zu feiern, sondern um mit unserem Freund Pascal zusammen zu arbeiten. Es ist interessant, zu sehen, was bei so einem Dreh entsteht, genauso wie es interessant ist, ein Album entstehen zu sehen, um sich nachher am Ergebnis zu erfreuen. Die Voraussetzungen für die jetzige Platte waren andere als bei der ‘Razzmatazz’, aber vom Grundtenor ist es einfach wichtig, die Platte in der Hand zu haben und sich darüber zu freuen, dass man sie aufgenommen hat. Genauso ist das auch bei dem Video. Vorgestern habe ich zum ersten Mal ‘Goodbye Trouble’ im Radio gehört und das ist ein Moment, da erinnerst du dich noch in zwanzig Jahren dran, wo du warst, als du das erste Mal von dir einen Song im Radio gehört hast.

Aber ihr hättet nichts dagegen, wenn der Song wieder in die Charts einsteigen würde.

Natürlich hätten wir nichts dagegen, doch genauso wie wir letztes Jahr nicht damit rechnen konnten, können wir das diesmal auch nicht.

Auf einem Konzert meinte Holger: „So, jetzt spielen wir wieder den verdammten Song“, in Bezug auf „Teenage Heaven“.

Da hast du wahrscheinlich eine der drei Shows erlebt, wo das der Fall war. Na, vielleicht vier Shows, denn es ist höchstens jedem von uns einmal auf den Sack gegangen, das Stück zu spielen. Das hat jetzt nicht unbedingt etwas mit dem Song an sich zu tun, aber es gab Shows, bei denen man gemerkt hat, dass die Leute auf diesen einen Song gewartet haben. Das war natürlich eine ganz neue Erfahrung für uns, an die man sich ersteinmal gewöhnen muss. Letztendlich bleibt die große Prämisse, dass man mit dem zufrieden sein muss, was man macht und was drumherum passiert. Man muss auch mit dem Video und allem, was danach passiert, zufrieden sein. Nur, je mehr drumherum passiert, desto abstrakter wird’s und desto weniger liegt in deiner Hand.