BLACK HEART PROCESSION

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Liebe unter Palmen

Sie zählen schon lange zu meinen Favoriten, allein mit einem Interview hatte es bisher nie geklappt: THE BLACK HEART PROCESSION.

Mit ihrem neuen, vierten Album "Amore del Tropico" hat die 1997 formierte Band um die Ex-THREE MILE PILOT-Leute Pall Jenkins und Toby Nathaniel nach drei düsteren Alben einen kleinen Richtungswechsel vollzogen: das Album ist erstmals nicht durchnummeriert, sondern trägt einen Titel, und irgendwie keimt da, wo sonst düstere Gedanken spukten, diesmal sogar etwas Hoffnung auf. Von fröhlicher Popmusik freilich ist die in wechselnden Besetzungen aufnehmende Band aus San Diego immer noch weit entfernt. Ich sprach mit Pall Jenkins über die neue Platte.

Eure bisherigen Alben waren ein ganzes Stück düsterer als das neue, wie ich finde. Siehst du das auch so?
Ja, ich weiß, was du meinst. Das neue Album ist etwas mehr up-tempo und vielleicht "tropischer", zum Teil aber immer noch sehr düster und traurig. Das Album ist aber insgesamt abwechslungsreicher als die anderen zuvor, wie ich finde.

Ich schätze an THE BLACK HEART PROCESSION, dass ihr eine ähnliche dunkle Stimmung verbreitet wie die Wave- und Goth-Bands der Achtziger, wohingegen diese ganzen Neo-Goth-Bands der Neunziger nur noch Schrott fabriziert haben.
Wir treten nicht in Latex-Klamotten auf und sind auch nicht geschminkt, so dass wir wohl keine Goth-Band sind, haha. Und mit Marilyn Manson haben wir auch nichts am Hut, sind aber Menschen, die einen Sinn für Traurigkeit und Schönheit zugleich haben. Wir zelebrieren dabei aber nicht ein künstliches Bild des Todes, das ist der wesentliche Unterschied. Wir sind uns der schlimmen Erfahrungen bewusst, die viele Menschen in ihrem Leben machen müssen, wie der Verlust von geliebten Menschen und von Tod. Zugleich empfinden wir aber auch Hoffnung und sehen die schönen Dinge im Leben. Uns liegt nichts daran, depressive und negative Gedanken zu verbreiten, sondern wir wollen ermutigen, die Dinge zu hinterfragen und echte Gefühle zuzulassen. Die Leute zur Selbstzerstörung zu ermutigen, ist nicht unser Ding. Unsere Musik ist wie das Leben: es gibt Tage, die sind schrecklich, andere sind großartig. Auch die bisherigen Platten waren nicht nur dunkel, aber ich stimme dir zu, die Neue ist auf jeden Fall bunter und heller.

Euer neues Album weicht von den bisherigen auch darin ab, dass es einen Titel und nicht nur eine fortlaufende Nummer trägt.
Ich weiß auch nicht, wie es dazu kam. Wir hatten uns schon vor den Aufnahmen darüber unterhalten, dass wir jetzt reif für einen ,richtigen Titel sind. Bei "One", "Two" und "Three" war es einfach so, dass wir kein Wort und keinen Satz finden konnten, der uns angemessen erschien und so nummerierten wir die Platten. Nach dem letzten Album waren wir uns aber schon darüber im Klaren, dass wir uns von dieser Selbstbeschränkung befreien wollen, bevor wir uns nicht mehr von ihr lösen können. Diesmal haben wir die Nummer übrigens im Artwork versteckt, auf der Inlaycard unter der CD. Auch musikalisch war unser Ansatz diesmal, die Grenzen zu verschieben, neues Terrain zu erkunden. Und das geht über Titel und die Musik hinaus, denn wir haben diesmal erstmals in unserem eigenen Studio aufgenommen, das wir erst unlängst in meinem Haus eingerichtet haben. Wir luden eine Menge Freunde ein, uns bei den Aufnahmen zu begleiten.

Im Titel der neuen Platte steckt sogar das Wort Liebe...
Ja, aber in einer anderen Sprache, wodurch es etwas geheimnisvoller wirkt. "Der Wendekreis der Liebe" wäre die Übersetzung, und das impliziert nicht nur die schönen Seiten der Liebe, sondern die Ups und Downs.

Das Album besticht auch durch schönes Comic-Artwork. Wer ist dafür verantwortlich?
Äh, ich. Ich zeichne gerne, nicht regelmäßig, aber doch konstant, und ich hatte auch schon ein paar Bilder auf Ausstellungen. Ich bin sicher kein "richtiger" Maler oder Zeichner, sondern mache das aus einer Laune heraus, oder wenn eine 7" oder ein Album ansteht. Es macht mir Spaß, und es ist der letzte Schritt für mich, meine Musik in Bilder umzusetzen.

Was machst du sonst noch?
Ich schreibe, ich produziere andere Bands und habe gerade eine DVD gemacht. Es wird in Kürze eine DVD mit Videos zu unserer Musik geben, für die ich das Script und das Drehbuch geschrieben habe.

Wie muss man sich das im Detail vorstellen?
Auf der DVD wird die Musik des Albums in genau dieser Reihenfolge enthalten sein, und dazu erzählen wir die geheimnisvolle Geschichte eines Mordes in den Tropen, wobei jeder Song ein Kapitel dieser Geschichte ist. Wir erzählen diese Geschichte wie einen ganz normalen Film, nur ohne Dialoge, was die Sache zu einer noch größeren Herausforderung macht, denn wir müssen alles sehr bildhaft anlegen, so dass der Mord auch ohne Dialoge gelöst werden kann. Außerdem arbeiten wir mit ganz verschiedenem Filmmaterial und verschiedenster Technik. Der Zuschauer wird dabei auf jeden Fall stark gefordert.

Das klingt nach einem immensen Projekt. Wie lässt sich so was finanzieren?
Alle Beteiligten arbeiten umsonst. Es sind alles Freunde von mir, darunter Leute, die in San Diego eine Filmproduktionsfirma haben. Wir mussten uns um das Set-Design kümmern, um die Synchronisation der Bilder zur Musik und müssen den Schnitt machen, da sitze ich gerade zuhause am Computer dran. Es ist eine Menge Arbeit, viel mehr als ich anfangs dachte und ich bin stolz, dass ich die Produktionskosten für einen Film von 65 bis 70 Minuten Länge auf unter 4.000 Dollar halten konnte. Letztendlich unterscheidet sich die Arbeit am Film nicht von der Arbeit an der Platte, da jede Menge Freunde bereitwillig geholfen haben. Und es ist ein schönes Gefühl, sich darauf verlassen zu können, wobei es auch in kreativer Hinsicht hilft, denn jeder kommt mit neuen, eigenen Ideen an.

Hattest du vor diesem Projekt schon Erfahrung mit dem Medium Film?
Ich habe vorher schon Videos gemacht und auf Tour auch immer eine Kamera dabei, aber es war mein erster Film.

Du machst das Artwork, du machst den Film, du bist unterwegs, um Interviews zu geben ist THE BLACK HEART PROCESSION "deine" Band?

Ja, also ich bin schon die zentrale Person in der Band, aber Toby, der Pianospieler, ist auch sehr wichtig. Mit ihm zusammen habe ich die Band gegründet, wir schreiben die Musik zusammen, entscheiden die wichtigen Dinge gemeinsam und ohne ihn wäre die Band nicht, was sie ist. Die anderen Musiker beteiligen wir dabei aber auch als vollwertige Mitglieder, legen Wert auf ihre Ideen und Meinung. Und wenn meine Freunde schon ihre Zeit und Kreativität für meine Band zur Verfügung stellen, ist es an mir, ihre Gefühle zu respektieren. Auch wenn ich letztendlich der Kopf bin, so bin ich doch kein diktatorischer Herrscher.

Ihr kommt aus San Diego. Inwiefern spielt eure Herkunft eine Rolle?
Die Stadt hat bzw. hatte ja in den Neunzigern mit all den Bands aus dem Umfeld des Headhunter-Labels neben deiner alten Band THREE MILE PILOT zählten dazu unter anderem auch DRIVE LIKE JEHU und ROCKET FROM THE CRYPT einen guten Namen.

Ich denke, unsere Herkunft und derzeitiger Wohnort haben nichts damit zu tun, was wir sind und wo wir stehen. Unterbewusst mag das eine Rolle spielen, denn mein ganzes soziales Umfeld ist natürlich in San Diego. Aber ich hatte noch nie das Gefühl, dass meine Musik etwas mit meinem Aufenthaltsort zu tun hat. Andererseits gehören wir zur Musikszene in San Diego, gehen zu den Konzerten der anderen Bands und die kommen zu unseren. Wir haben aber nie zu einer bestimmten Szene gehört, waren schon immer die irgendwie "komische" Band in der Stadt, auch schon mit THREE MILE PILOT. Ich finde das okay.

Und wie war das früher?
Zu Headhunter-Zeiten war das anders, da spielten wir oft mit DRIVE LIKE JEHU, die Kids kamen zu den Shows und so weiter. Aber damals schon war die Szene von Rockbands dominiert, und wir waren die einzige Band, die nicht diesem Rockband-Klischee entsprach. Wir sind, bzw. waren mit all den anderen Bands befreundet, gehörten aber damals wie heute nie so richtig dazu. Von Leuten von außerhalb wurden wir jedoch immer voll zu dieser Szene gezählt. Das Coole an San Diego ist aber bis heute, dass die Musikszene sehr vielseitig ist.

Welche Bands haben dich, euch über die Jahre beeinflusst?
Tony hört viel Klassische Musik aus dem 20. Jahrhundert. Ich selbst bin mit Punkrock aufgewachsen, mit den Bands von Dischord und Touch & Go. Ich stand auf BLACK SABBATH, BAD BRAINS, die BUTTHOLE SURFERS und AC/DC. Die Leute denken immer, ich würde auf jeden Fall NICK CAVE & THE BAD SEEDS nennen, aber ich war damals nie ein Fan. Wenn ich freilich heute Nick Cave höre, dann finde ich seine Sachen schon ziemlich cool, aber ich kaufe mir die Platten nicht. Mein Ding waren damals eher EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN. Aktuelle Bands, die ich gerne mag, sind etwa PORTISHEAD oder BLONDE REDHEAD. Ich war schon immer so drauf, dass ich mich nie auf einen Stil festlegen konnte und wollte, auch nicht in Sachen Kleidung. Ich lief rum wie eine Mischung aus Punk, Mod und Gangster. Ich war ziemlich verpeilt, das musste ich mir ständig anhören: "Pall is so confused!" Und ja, ich war verpeilt, weil ich mich nicht auf eine Sache festlegen wollte. Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie ich mit meinen Punk-Einflüssen da hingelangt bin, wo ich heute mit meiner Musik stehe das ergibt für mich auch keinen rechten Sinn, haha.

Witzigerweise haben die Leute, die ich kenne und die deine Band mögen, exakt den gleichen Background.
Ich denke, unsere Musik ist in gewisser Weise auch Punkrock. Wir machen zwar nicht den Sound, den man damit verknüpft, aber die Attitüde dahinter ist die gleiche. Punkrock heißt für mich, von der Norm abzuweichen, "Fuck you!" zu sagen. Ich sage zwar nicht direkt "Fuck you", aber ich versuche mich an etwas Neuem, das meine Grenzen erweitert. Die Leute sollen bei meiner Musik etwas fühlen: Trauer, Freude, Unbehagen, was auch immer, und solche Gefühle hervorzurufen, war auch immer das Anliegen von Punkrock. Und ich denke auch, dass wir durchaus politische Songs haben, auch wenn sie allgemein als Love-Songs wahrgenommen werden. Politisch heißt für mich dabei, dass wir damit ein gesellschaftliches Thema ansprechen, etwa Entfremdung. Wenn wir live spielen, dann mag unsere Musik erstmal sehr ruhig erscheinen, aber es liegt dem eine gewisse Unruhe zu Grunde, eine Wut, die sich aus Trauer nährt, und im nächsten Augenblick können wir plötzlich laut werden. Diese Ungewissheit, denke ich, mögen die Leute an uns. Und vor allem spielen wir unsere ruhigen Songs live ziemlich laut, während viele andere ruhige Bands auch live eher zaghaft sind.

Pall, ich danke dir für das Interview.