CHUMBAWAMBA

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Auch nur eine Rock’n’Roll-Band

Ich bin Fan, ich mag CHUMBAWAMBA. Ich mochte sie damals, als sie sich Anfang der Neunziger von einer Polit-Punkband zur Agit-Pop-Formation entwickelt hatten, als sie Mitte und Ende der Neunziger zum chartkompatiblen „Act“ geworden waren, der aber (fast) nichts an Deutlichkeit und Aussageschärfe eingebüßt hatte.
Doch der Kapitalismus frißt eben seine Kinder, die dachten, sie könnten sich des Systems der Majorlabels und internationalen Medienkonzerne bedienen, um ihre Botschaft unter die Leute zu bringen. So lange die Verkäufe stimmten, waren CHUMBAWAMBA bei aller Radikalität und manchmal auch Plakativität ihrer Aussagen wohlgelitten, doch in einem System, das mittlerweile auch internationale Megastars kaltlächelnd und mit einem Millionenscheck als Schmerzpflaster abserviert, scheint heute kein Platz mehr zu sein für die Gruppe aus Leeds.
Ihr neues Album „Readymades“ nun haben sie nun nach einer recht langen Ruhephase auf dem eigenen Label Mutt Records veröffentlicht, die Medienpräsenz ist doch um einiges geringer, und man hat irgendwie das Gefühl, als habe da eine Band ihren Zenit überschritten.
Ich sprach vor dem Konzert in der Essener Zeche Carl, das sie dort anlässlich einer Tagung anarchistischer Gruppen spielten, mit Boff und Alice.

Ihr seid seit einer halben Ewigkeit dabei...


Boff: Zwanzig Jahre, um genau zu sein. Wir haben unlängst in unserer Heimatstadt Leeds ein Konzert zu unserem 20. Geburtstag gespielt.
Alice: Ich bin aber erst seit 1996 dabei, da war ich 18...

Ist das nicht manchmal ein komisches Gefühl, wenn man feststellt, dass man das, was man als Teenager angefangen hat, 20 Jahre später immer noch macht?

Alice: Ich finde es schön, wenn sich etwas als so langlebig erweist, und richtig großartig ist es, dass wir absolutes Vertrauen in diese Gruppe von Menschen haben, diese Band, mit denen man immer arbeiten kann, auch wenn es mal etwas schwieriger wird. Wir haben verstanden, dass das eine glückliche Fügung ist, etwas außergewöhnliches.

Hat Punk für euch heutzutage noch eine Relevanz?

Alice: Absolut! Punkrock war eine kreative Explosion, die bis heute so viele Leute antreibt und Unmengen von Menschen motiviert hat, etwas zu tun, was sie sonst nicht getan hätten. Punk war und ist eine Bewegung, die Leute zum Selbermachen bewegt hat, die von Wut getrieben war. Was ist denn heute? Such’ dir einen Job, mach Karriere, das ist die Maxime!
Boff: Schon 1976 aber gab es einen definitorischen Unterschied zwischen Punk und Punkrock, und wenn wir 2002 ein Album wie ‚Readymades’ machen, dann liegen dessen Wurzeln ganz klar im Punk, denn dessen Energie treibt uns heute noch an, bringt uns dazu, Dinge zu tun, die antiautoritär sind und die Autoritäten herausfordern. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass unsere Musik kein Punkrock ist. Und ich finde auch, dass viel vom heutigen Punkrock absoluter Müll ist.
Alice: Es ist teilweise völlig konservativ und hat mit dem Punk-Gedanken nichts mehr zu tun.
Boff: Eine Band wie FUGAZI ist sowohl Punk wie auch Punkrock, während viele Punkrockbands für mich völliger Müll sind.

Ihr spielt auf den Unterschied zwischen Punk als Geisteshaltung und Punk als Musikstil an.

Alice: Exakt, und Punk als auf drei Akkorden basierendes musikalisches Genre ist eben sehr konservativ geworden, und auch von der Geisteshaltung sind viele der Leute, die vielleicht nach Meinung ihrer Umwelt lustige Klamotten tragen, alles andere als offen für neue Ideen.

Wie denkt ihr, nehmen euch Leute wahr, die heute 20 oder 25 sind, die euch bislang nicht kannten und nichts über eure Vergangenheit wissen?

Boff: Das ist schon seltsam... Also wir sind uns absolut bewusst, dass der Rock’n’Roll ein Markt für die Jugend ist, und wenn wir ein Produkt herstellen, das auf diesem Markt verkauft werden soll, dann haben wir als ‚rebellische Jugend-Rockband’ eigentlich keine Chance mehr. Wir müssen die Sache also anders angehen, uns bewusst sein, dass unser Publikum etwas älter ist. Andererseits haben wir durchaus sehr junge Fans, die erst vierzehn oder fünfzehn sind, und es ist uns sehr wichtig, mit denen einen Dialog zu führen, nicht nur persönlich, sondern auch übers Internet. Das ist uns wichtig, denn das sind oft Jugendliche, die wirklich etwas über das Leben herausfinden wollen. Wir wollen für die nicht nur eine weitere Band sein.

Und wie geht ihr damit um, dass ihr es alten Fans gerade auch mit eurem neuen, sehr pop-orientierten Album, das musikalisch eigentlich keine Verbindung mehr zum „Underground“ aufweist, nicht gerade einfach macht?

Alice: Ich denke, dass in musikalischer Hinsicht eine Underground-Szene so gut wie nicht mehr existiert. Sobald eine Band scheinbar Potential hat, schlagen heute die Majors zu und weiden die Beute aus. Einen wirklichen Underground, wie es ihn noch in den Achtzigern gegeben hat, sehe ich heute nicht mehr. Politisch sieht das etwas anders aus: die Menschen haben im Gegensatz zu den Achtzigern kein Interesse mehr daran, politisch im Underground zu arbeiten, Subkulturen haben nicht mehr die Relevanz, die sie früher hatten. Nimm die Anti-Globalisierungsbewegung, die ist nicht interessiert daran, so naiv wie die Radikalen der Achtziger unter ihresgleichen zu bleiben. In Zeiten der Globalisierung müssen auch deren Gegner global denken und handeln. Und in diesem Kontext sehe ich auch unser Album: Wir sind nicht an Nischenmärkten interessiert. Und doch denke ich nicht, dass wir ‚kommerziell’ klingen.
Boff: Ich kann dabei gut verstehen, wie Leute, die auf Rock’n’Roll stehen, alles ablehnen, was softer und ‚kommerzieller’ ist. Dabei ist ‚kommerziell’ so ein ungenaues Wort, denn auch wenn wir mit unserer Musik möglichst viele Leute erreichen wollen, so sind wir doch nicht bereit, uns zu verkaufen, alles zu tun für den kommerziellen Erfolg. Nimm Bands wie KORN, LIMP BIZKIT oder MARILYN MANSON, deren kommerzieller Instinkt ist unglaublich ausgeprägt, die wiederholen ihr einmal erprobtes Konzept bis zum bitteren Ende. Die haben keinen Mut, die machen in fünf Jahren Geld ohne Ende und danach sind sie kreativ am Ende.
Alice: Wenn unsere Platten sich in den Mainstream einfügen, dann nur zu unseren eigenen Bedingungen und weil wir das so wollen. Wir haben aber auch kein Interesse daran, immer wieder die gleiche Platte zu machen.
Boff: Für uns spricht auch, dass wir seit zwanzig Jahren zusammen Musik machen. Dabei denke ich, dass sich unsere Musik an sich nicht weiterentwickelt hat, sondern dass die Alben sich verändert haben, weil wir das wollten - das ist ein aktiver Vorgang, den wir steuern.
Alice: Wir haben das schon immer gesteuert, wie auch unsere politischen Anliegen.

Um solche Veränderungen konsequent durchzuziehen, braucht es starke Persönlichkeiten – wie habt ihr diese entwickelt?

Boff: Punk hat uns dazu gemacht. Wir setzen uns vorher hin und überlegen, was wir machen wollen, bevor wir eine Platte machen, hinterfragen uns und unsere Absichten: Warum machen wir die, für wen, um was geht es? So haben wir das von der ersten Single an gemacht, und diese Vorgehensweise lassen so viele Bands vermissen.
Alice: Wir folgen nur unserem Drang, ständig zu hinterfragen, was wir da eigentlich machen. Und wenn etwas einmal geklappt hat, verlassen wir uns nicht darauf, dass das noch mal klappt, fragen uns, ob das kreativ Sinn macht.

Ihr habt seit euren internationalen Charterfolgen immer wieder Songs zur Verwendung in TV-Werbeclips freigegeben, dann aber das damit eingenommene Geld an verschiedene linke Gruppen gespendet. Wie kamt ihr auf diese Idee?

Alice: Unser erster Reflex bei so einem Angebot war natürlich, es abzulehnen, denn wir kommen aus der puritanischen Denkschule der Achtziger, hatten Angst um unsere Credibility. Aber wir haben dazugelernt, haben gemerkt, dass es nichts bringt, immer so engstirnig an eine Sache heranzugehen. Als wir dann das erste konkrete Angebot erhielten, bei dem es um Renault-Werbung in Italien ging, wollten wir zuerst nein sagen, aber nach kurzem Überlegen war uns klar, dass das auch eine große Chance ist. Also kontakteten wir antikapitalistische Gruppen in Italien und boten ihnen das Geld von Renault an – und machten sie damit zu unseren Komplizen. Das Geld, das uns die Kapitalisten geben, wird so gegen sie selbst eingesetzt. Natürlich ist das alles nicht frei von Widersprüchen, das wissen wir, aber es ist besser, als nichts zu tun, oder?
Boff: Vor allem ist es unglaublich, was da für Summen gezahlt werden, man ist sich gar nicht bewusst, wie viel Geld Leute wie MOBY mit so was verdienen. Wir haben mal 250.000 Dollar für 15 Sekunden von einem Song von uns bekommen, den man wahrscheinlich nicht mal erkannt hat. Das ist völlig krank! Und es wäre blöd, das Geld nicht zu nehmen, wenn man sich vorstellt, wie viel Gutes man damit machen kann.

Ihr seid ja in der Vergangenheit, gerade zu Beginn der Neunziger, allenthalben des Ausverkaufs bezichtigt worden...

Boff: Oh ja, allen voran das MaximumRocknRoll hat uns damals sehr scharf angegriffen. Das kam aber fast nur von Leuten, die uns nicht wirklich kannten. Die Leute aus Leeds, die uns schon ewig kennen, die freuten sich mit uns, als wir nach dem Erfolg von ‚Tubthumping’ nach Japan fliegen und uns erstmals Touren in einem richtigen Bus leisten konnten. Aber die ganzen Szenetypen, die aus besseren Familien kamen und ach so politisch waren, die haben uns wegen unseres Nightliners total angepisst. Wenn es nach denen gehen würde, hätten wir auf ewig mit unserem alten, kleinen Lieferwagen touren müssen. Eine Zeit lang hat uns das total runtergezogen, doch mittlerweile können wir das ganz nüchtern sehen. Und vor allem: die ganzen Leute, die dich des Sell-Outs bezichtigen, waren selber noch nie in der Position, sich für oder gegen das Sich-Verkaufen entscheiden zu können oder müssen.
Alice: Coca Cola haben uns 750.000 Dollar geboten, und Nike beinahe eine Million, wir haben aber abgelehnt, denn in diesen Fällen wären wir Teil einer Kampagne gewesen und das hätte unsere Integrität auf jeden Fall beschädigt. Und wir haben konkret gemerkt, dass Geld zwar sehr hilfreich sein kann, aber auch Grenzen hat. Wir haben uns von dem Geld, das wir mit unserer Musik verdient haben, Häuser kaufen können, und das ist natürlich schön und macht das Leben einfacher, aber du brauchst eben nur eine bestimmte Menge Geld im Leben, und die muss man kennen und kann dann auch nein sagen.
Boff: Letztendlich sind wir eben doch auch nur eine Rock’n’Roll-Band, die zwar was zu sagen hat, aber auch vor allem Spaß haben und Spaß bringen will. Und wir wussten, worauf wir uns bei unserem Deal mit EMI einlassen, wir sind ja nicht blöd und haben die Verträge bis ins kleinste Deal gecheckt, damit wir nicht zu irgendwas gezwungen werden können, das wir nicht wollen.
Alice: Wir waren aber mal dumm, denn wir dachten, als Anarchisten müssten wir nichts unterschreiben und ein Handschlag reiche aus. Und natürlich wurden wir abgezockt.

Was ist es, das euch von anderen Bands unterscheidet?

Boff: Wir haben die Band noch nie als unsere Karriere angesehen. Ich wache immer noch jeden Morgen auf und wundere mich, dass ich meinen Lebensunterhalt mit einer Rock’n’Roll-Band verdiene.
Alice: Und ich wache auf und denke, wenn das mal vorbei sein sollte, dann muss ich mir einen richtigen Job suchen. Vielleicht liegt das ja daran, dass ich mich immer noch wie 19 fühle.

Alice, Boff, ich danke euch
für das Interview.