BOTANICA

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It’s A Voodoo Thing...

Paul Wallfisch ist bei FIREWATER der Mann an der Orgel und steht dort etwas im Schatten von Frontmann Tod Ashley – und ähnlich ist es auch mit seiner Band BOTANICA, die mit „Malediction“ vor über drei Jahren ein zwar exzellentes, aber nicht sonderlich beachtetes Debüt-Album veröffentlicht hat.
Dabei ist der Mann schon seit Ewigkeiten im Geschäft, hat 1996 als PAUL WALLFISCH & HIS BAND ein Album gemacht, mit Kid Congo Powers an CONGO NORVELL gearbeitet, für LOVE & ROCKETS und GENE LOVES JEZEBEL produziert und gemischt und und und... Im Anschluss an die FIREWATER-Tour im Frühjahr nutzte Paul die Chance, eine kurze BOTANICA-Konzertreise auf die Beine zu stellen, auf der man sich von den unglaublichen Livequalitäten dieser Ausnahmeband überzeugen konnte – sofern man denn zu den wenigen Besuchern zählte...
Jetzt ist endlich auf Subway Records das zweite BOTANICA-Album „With All Seven Fingers“ erschienen, ein kleines Meisterwerk, dem nun hoffentlich im Sog der anziehenden FIREWATER-Beliebtheit etwas mehr Aufmerksamkeit zuteil wird.
Ich lockte den Herrn Wallfisch mit leckerer (natürlich vegetarischer) Pasta und gutem Rotwein ins Ox-HQ, und mit gelockerter Zunge wurde schließlich dieses Interview geführt – auf Englisch, weil Paul sich da sicherer fühlt, und dabei spricht er fließend Deutsch...

Seit dem ersten BOTANICA-Album, sind drei Jahre vergangen – eine ganz schön lange Zeit.


Eine viel zu lange Zeit! Das neue Album war schon im Januar fertig, aber es hat eben eine Weile gedauert, bis klar war, dass die Platte in Europa auf Subway erscheint. Mit der nächsten Platte wird es nicht so lange dauern, versprochen, und ich habe auch schon wieder zwei, drei Songs fertig. Ich könnte mir auch vorstellen, ein Cover-Album zu machen. Auf ‚Malediction’ haben wir ‚Fancy’ von den KINKS gecovert, und klanglich war das auch mein Lieblingssong auf dieser Platte. Ich habe übrigens Ray Davies später mal getroffen und ihm ein Tape mit diesem Song zugesteckt, aber leider nie etwas von ihm gehört.

Erklär mir doch mal das Verhältnis von BOTANICA zu FIREWATER. Ich frage, weil ich den Eindruck habe, dass du bei FIREWATER zwar mit ganzem Herzen mitspielst, aber BOTANICA „deine“ Band ist.

Ganz klar, so ist es, aber es ist auch ein inzestuöses Verhältnis. Ich denke, weder FIREWATER noch BOTANICA sind Teil einer bestimmten Szene, und als ich damals in Los Angeles lebte, hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, bei einer Band aus New York einzusteigen. Tod schickte mir dann diese CD seiner Band, die letztendlich sein Solo-Album war. Mir gefiel das sehr gut, weil das alles sehr nahe an ‚meiner’ Musik dran war. Anfangs waren wir nur angeheuerte Musiker in Tods Band, die er brauchte, um auf Tour zu gehen. Über die Jahre sind FIREWATER dann zu einer richtigen Band geworden, und ich habe für das letzte Album sogar Songs geschrieben. Ich hatte schon vor FIREWATER unter dem Namen PAUL WALLFISCH & HIS BAND in L.A. Musik gemacht und in meinem Studio Bands produziert. ‚Malediction’ nahm ich zusammen mit Abby Travis, der vorher auch mit Beck und ELASTICA gespielt hat, und Ivan Knight, der mal in der Band von Stan Ridgway war, auf. Als sich FIREWATER dann in einem kleinen Tief befanden, arbeitete ich gerade im Studio an neuen BOTANICA-Songs, bei denen der Basser und der Drummer von FIREWATER mitgespielt haben, die auch sehr gute Freunde sind, und daraus ergab sich dann ein festes Line-Up. Sowieso ist das der wichtige Punkt an einer Band, es muss eine Gang sein, wobei das mit 18 sicher wieder was anderes und viel stärker ist als mit 35. Wir hatten also diese Songs zusammen gemacht, kamen sehr gut klar – und so beschlossen wir einfach, der Sache einen Namen zu geben. Und so war BOTANICA geboren.

Du spieltest damals noch Gitarre, richtig?


Ja, wir hatten anfangs keinen festen Gitarristen, sondern mal spielte ich, mal diverse Gäste, wie etwa Daniel Ash von LOVE & ROCKETS, Frankie Infante von BLONDIE oder Kid Congo Powers. Dann lernte ich Oren Kaplan kennen, der gerade erst aus Israel in die USA gekommen war, und er stieg nicht nur bei FIREWATER, sondern auch bei BOTANICA ein.

Ich finde aber auch, dass über personelle Überschneidungen hinaus FIREWATER und BOTANICA schon rein von der Klangfarbe her recht ähnlich sind.

Uns verbindet ein ähnlicher Spirit und wir haben alle den gleichen Background, diese Indie-/Punkrock-Attitude. Mit beiden Bands haben wir die Einstellung, dass nichts dabei ist, wenn man seine Instrumente beherrscht, man möglicherweise mehr Leute als nur die üblichen aus der Szene erreicht und an guter Popmusik nichts auszusetzen ist. Meine Rolle ist bei FIREWATER aber eine andere als bei BOTANICA: dort spiele ich Keyboards und schreibe auch an den Songs mit, doch letztendlich ist es Tods Projekt. BOTANICA nun sind mein Ding und auf jeden Fall mehr eine Band als FIREWATER. Ich habe auf dem neuen Album alle Texte geschrieben und die Hälfte der Musik, aber ansonsten ist das schon eine richtige Band. In jeder Band gibt es natürlich einen Boss, der bin ich, aber ich bin kein Diktator.

Ihr alle habt aber neben BOTANICA noch andere, nun, Verpflichtungen.


Ja, jeder von uns spielt noch in anderen Bands, man muss ja auch von etwas leben. Aber BOTANICA ist für uns der Freiraum, in dem wir völlig entspannt zusammen Musik machen können. Unser Drummer Matt Flynn spielt jetzt zum Beispiel mit den B 52’s, das ist natürlich was ganz anderes. Wenn du in einer kleinen Band spielst und zusammen in einem kleinen Bus auf Tour bist, dir nachts das Zimmer teilst, dann zählt jeder Witz, jeder Satz, jeder Takt, jedes Konzert – das ist überhaupt nicht zu vergleichen. Wir kennen uns auch alle schon lange, unseren Basser Christian Bongers etwa, der aus Deutschland kommt, traf ich vor sechs Jahren, und wir sind schon so was wie eine kleine Familie bei BOTANICA. Keiner ‚muss’ bei BOTANICA spielen, das ist das Wichtige.

Du bist unlängst von Los Angeles nach New York gezogen.

Also erstmal hat New York nichts mit dem Rest der USA zu tun. Ich bin froh, zurück in New York zu sein, nachdem ich völlig zufällig in Los Angeles gelandet war. Ich hatte zuvor lange in Paris gelebt, hatte dort meine eigene Band und spielte in der Band der französischen Sängerin Anne Pigalle. Sie wollte irgendwann in die USA, um sich dort zu versuchen, ich hatte sowieso genug von Frankreich, und was anfangs nur ein paar Monate werden sollten, wurde zu Jahren. Los Angeles ist einfach unglaublich, das ist keine Stadt, sondern ein Abenteuerpark. Mir kam das immer so vor, als liefe ich durch eine Filmkulisse. Das Gute ist aber, dass irgendwann scheinbar jeder mal durch Los Angeles kommt, und man kann dort die unglaublichsten Leute treffen. Und außerdem herrscht in Los Angeles ein alles andere überlagerndes Klima der Angst. Da Angst nun mal einer der Ur-Antriebe der Menschheit ist, der Ursprung aller Religion, sitzt du in L.A. im Zentrum der Angst. Jeder schaut dort ständig über seine Schulter, das ist eine der primitivsten Gesellschaften, und da treffen sich dann Menschen aus aller Welt, du hast die mexikanische Gang-Kultur, aber das Wetter ist gut, die Landschaft drumherum wunderschön, die Stadt ist billiger als fast alle anderen Städte in den USA – und die Filmindustrie ist allgegenwärtig. Sie schafft die Illusion, dass dein Leben sich in jeder Sekunde ändern kann. Und das alles ist auch die Antriebskraft der Musikszene.

Was hast du während deiner Zeit in Los Angeles so gemacht?

Die verschiedensten Sachen. Ich habe Aufnahmen gemacht für Roger Corman, billigen Soundtrack-Kram, habe in meinem Studio – das war ein gigantischer Raum – LOVE & ROCKETS produziert, da war ich ganz zufällig rangekommen, und ich habe gegen gutes Geld meine Autos verliehen, einen ‘56er Studebaker und einen ‘56er Plymouth Valiant. Ich war aber dann sehr froh, nach New York zurückkehren zu können, dort herrscht einfach ein viel besserer Spirit. Als ich damals noch in Paris gelebt habe, kam ich auch ein, zwei Mal im Jahr nach New York, und ich habe mich dort immer gleich wie Zuhause gefühlt, die Stadt verschluckt dich einfach. New York ist eine der wenigen richtigen Städte in der Welt, das ist der Unterschied.

Paris, New York, Los Angeles, ständig auf Tour – was für ein Leben führst du?

Ich bin in so ein Leben hineingeboren worden, und gerade, wenn ich in Deutschland bin, die Touren, ist das das Leben, das ich von meinen Eltern kenne. Die sind Berufsmusiker im Klassik-Bereich aus Rumänien, wobei man Vater halb Deutscher ist und in Frankfurt geboren wurde. Daher auch mein Name, Wallfisch. Ich bin dann rein zufällig in Basel in der Schweiz zur Welt gekommen. Meine Eltern waren ständig unterwegs, und erst als sie in den USA Lehraufträge erhielten, kamen sie etwas zur Ruhe. Im Sommer allerdings bin ich mit ihnen immer unterwegs gewesen, gerade auch in Deutschland als Zentrum der Klassischen Musik. Und jetzt, 30 Jahre später, mache ich das genauso. Mir gefällt das, aber ich bin auch gerne in New York.

Hast du die Entscheidung, in dieser Form zu leben, bewusst getroffen oder ist das so passiert?

Nein, das war keine bewusste Entscheidung. Als ich zwölf war, wollte ich Fotograf werden, doch mit 14, 15 sah das ganz anders aus: ich konnte Orgel spielen, also klaute ich eine Orgel aus dem Musikzimmer meiner Schule und gründete so meine erste Band. Und wenn du das Musikerleben eine Weile mitmachst und nicht aussteigst oder draufgehst, dann geht das einfach immer so weiter. Um dann irgendwie über die Runden zu kommen, braucht es aber eine ganze Reihe glücklicher Zufälle, und sowieso ist dieses Leben nichts für jemanden, der Geld verdienen will.

Ich schätze aber trotzdem, dass dich eine Menge Leute, die das jetzt lesen, beneiden werden.

Kann ich verstehen, es ist ja auch beneidenswert. Und das größte Problem unserer Welt heutzutage ist meiner Meinung nach auch, dass die meisten Leute ihr Leben hassen. Entweder sie denken nicht darüber nach, oder sie denken darüber nach und hassen ihren Job und sonst auch alles. Und warum leben sie dann? Dabei denke ich, ist das gar nicht notwendig, denn es ist genug Fortschritt gemacht worden, gerade in den sogenannten zivilisierten Ländern des Westens, dass jeder glücklich sein könnte. Schau dir die Werbung in den USA und hier in Europa an: Die Leute bekommen vorgeführt, dass sie abends oder am Wochenende oder im Urlaub ‚leben’, dass sie dem Alltag entfliehen können mit diesem oder jenem Produkt. Klar, mein Leben ist auch nicht immer rosig und leicht, aber was wäre die Alternative? Und ich weiß auch, dass mein Reden lächerlich ist gegenüber den Ländern der so genannten Dritten Welt, die vom Westen sowieso längst abgeschrieben wurden.

Und wo siehst du da deine Position als Musiker, als Künstler?

Ich will jetzt nicht anmaßend klingen, aber als jemand, der sich auf eine Bühne stellt, will ich versuchen, irgendwie auf die Menschen einzuwirken, die zu unseren Konzerten kommen und unsere Platten kaufen, und etwas Schönes und Inspirierendes zu ihrem Leben beizutragen. Nur darauf kommt es an, und wenn wir Feedback bekommen, dass wir genau diesen Einfluss hatten, dann weiß ich, dass ich das Richtige tue.

Würdest du sagen, dass ihr in diesem Rahmen eine politische Band seid?

Ich denke, jeder Mensch ist automatisch auch ein politisches Wesen, und alles, was du tust, ist auch politisch. Das meine ich nicht im Sinne von Stoiber oder Bush, sondern insofern, als jede Entscheidung, die du in deinem Leben triffst, politische Auswirkungen hat. Das zu ignorieren ist völlig verrückt. Und das ist auch der Unterschied zwischen Kunst und Entertainment: es gibt großartige Unterhaltung, ich selbst liebe Madonna, und das ist eben einfach schöne Unterhaltung, die rein gar nichts provoziert. Wenn du aber einen gewissen künstlerischen Anspruch hast, musst du das Publikum herausfordern, provozieren, schocken – so definiert sich Kunst, sie ist aktiv, nicht passiv. Und sobald du mehr als nur eine andere Person anstachelst, ist das eine politische Aktion.

Der Unterschied liegt für mich dabei auch in den Worten Show und Concert. Viele Bands, gerade amerikanische, spielen eine Show, sie inszenieren etwas, das nicht echt ist.

Die Bands, die mich davon überzeugt haben, dass ich selbst in einer Rockband spielen will, waren in dieser Reihenfolge: THE JAM, SEX PISTOLS, Lou Reed und VELVET UNDERGROUND, THE KINKS, Tom Waits. Davor jedoch habe ich die Kammermusik kennen gelernt, von klein auf. Und wenn du einem Klassik-Musiker sagen würdest, dass er eine Show spielt, würde er dich sofort erschießen. Klar, das ist eine snobistische Sicht der Dinge, und natürlich haben die NEW YORK DOLLS eine Show abgezogen, und die RAMONES auch, die waren eine Pop-Band. Das Problem: ‚Show’, das impliziert eine Distanz zwischen der Band und dem Publikum, und ‚Konzert’ bedeutet, dass das Publikum mit einbezogen wird. Und ich bin auch der Meinung, dass die KINKS und VELVET UNDERGROUND die Kammermusik des 20. Jahrhunderts waren. Und BOTANICA sind Kammermusik für das 21. Jahrhundert, das ist unser Spirit.

Ich habe gehört, dass jemand seinen Hund nach eurer Band benannt haben soll...

Mann, das ist auch so eine verrückte Geschichte! Als unsere erste Platte erschien, haben wir ein bisschen versucht, uns darüber zu verkaufen, dass Daniel Ash von LOVE & ROCKETS daran beteiligt war. Und so kam es, dass all diese BAUHAUS- und LOVE & ROCKETS-Fans auf uns aufmerksam wurden, mich mit eMails bombardierten, darunter auch diese Frau aus Minneapolis. Als wir dann in Minneapolis spielten, tauchte diese Frau beim Konzert auf, sie lud uns zu sich nach Hause ein, hatte für uns gekocht, war unglaublich freundlich zu uns. Ihren Lebensunterhalt verdient sie, das fanden wir bei dieser Gelegenheit heraus, als professionelle Züchterin von Dobermännern, ja sie besitzt sogar die beste Zuchthündin der USA. Als Champion Edna, so der Name dieser Hündin, dann Anfang des Jahres Nachwuchs bekam, taufte sie einen der Welpen Botanica. Doch leider, leider, leider, hahahaha, sorry, wenn ich lachen muss, das ist nicht witzig, ich weiß... Also leider hat sich Botanica im Alter von ein paar Wochen das Genick gebrochen, wir sind alle untröstlich...

Willst du mir zum Schluss noch verraten, was es mit den Namen BOTANICA auf sich hat?

Gerade in New York und Los Angeles mit dem hohen südamerikanischen Bevölkerungsanteil gibt es jede Menge ‚Botanicas’, das ist so eine Art Voodoo-Apotheke. Du kannst dort jede Menge Mittelchen und Zauberpulver kaufen, und gerade in Los Angeles sind diese Läden eine krude Mischung aus Buddhismus, Hinduismus, südamerikanischer Kultur, katholischer Versatzstücke und, und, und. Ich denke zwar nicht, dass wir eine Weltmusik-Band sind, aber wir verarbeiten doch die unterschiedlichsten Einflüsse, und es ist für mich immer noch ein magisches Gefühl, wenn ich plötzlich und unvermittelt den Einfall zu einem neuen Song habe. Wenn du dir übrigens das Cover und Booklet von ‚Malediction’ genauer anschaust, wirst du feststellen, dass wir die ganzen Fotos in einer echten Botanica gemacht haben. Das war eine ziemliche Aktion, denn die wollten uns zuerst nicht fotografieren lassen und wir mussten denen erstmal ordentlich Geld auf den Tisch legen. Und weil man im Internet bei der Suche nach ‚Botanica’ fast nur auf solche Seiten stößt, bekomme ich immer wieder eMails von Leuten, die uns auch für eine Voodoo-Apotheke halten...

Paul, ich danke dir für das Interview.