MADRUGADA

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Freie Liebe und Schweinerock

„Madrugada“ ist die spanische Bezeichnung für die blaue Stunde kurz vor Sonnenaufgang. MADRUGADA ist aber auch eine der interessantesten Bands Norwegens, die in diesen Tagen ihr drittes Album vorlegt. Mitte der Neunziger gegründet, vereinigt die Truppe um den charismatischen Sänger Sivert die Melodien von COLDPLAY mit der urwüchsigen Power der frühen STOOGES. Dies ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit mit Iggy Pop, wie mir Sivert und Gitarrist Robert erklärten.

Eure Plattenfirma sagt, euer neues Album „Grit“ handle im Wesentlichen von Frauen und freier Liebe. Das müsst ihr mal erklären.


Sivert: Das stimmt sogar. Es geht um Beziehungen, Beziehungsstress und Frauen, die dich einfach nerven. Allesamt Themen, die den meisten vertraut sein dürften und die im übrigen das widerspiegeln, was einzelne von uns in letzter Zeit mitgemacht und erlebt haben. Und was die freie Liebe angeht: Das ist doch eine tolle Sache, solange man dafür nicht bezahlen muss, haha. Jeder sollte so viel wie möglich davon bekommen.

Auf jeden Fall. Lass uns trotzdem über eure Musik sprechen. Aus Skandinavien kamen in den letzten Jahren zwei große musikalische Trends: Zum einen die Schweinerock-Fraktion um Bands wie GLUECIFER und zum anderen die „Quiet Is The New Loud“-Bewegung. Ihr gehört weder der einen noch der anderen Richtung an. Wo seht ihr euch selbst?


Sivert: Wir sind in gewisser Weise Außenseiter, obwohl wir mit vielen Bands aus beiden Lagern befreundet sind. Mir gefällt übrigens der Ausdruck ‘Schweinerock’. Hoffentlich werden wir auch mal so bezeichnet.
Robert: Wir waren eigentlich noch nie einer bestimmten Richtung angehörig und auch das neue Album ist nicht nur ‘Schweinerock’, sondern weist zum Beispiel auch Blues- und Souleinflüsse auf. Bei uns geht es nicht um ‘quiet’ oder ‘loud’, sondern um gute Musik.

Auf „Grit“ lassen sich viele frühe Punkeinflüsse ausmachen, die auf den beiden ersten Alben weitgehend fehlten. Habt ihr in letzter Zeit vermehrt Bands wie die STOOGES gehört?

Robert: Kann man sagen. Die STOOGES begleiten uns schon seit der Gründung von MADRUGADA, schimmerten aber auf den beiden Vorgängeralben nur gelegentlich durch. Für ‘Grit’ hatten wir uns vorgenommen, deutlich rockiger zur Sache zu gehen. Meine Wurzeln liegen eindeutig im Punk- und Heavy-Bereich. Ich kann mich gut erinnern, wie mich als Zwölfjährigen, der zum ersten Mal eine Gitarre in den Händen hielt, die Riffs von irgendwelchen Heavy Metal-Gruppen beeindruckten. MOTÖRHEAD gehören immer noch zu meinen Lieblingsbands und auch das erste GUNS N´ROSES-Album ist klasse. Allerdings hatten wir bei MADRUGADA eine Phase, in der wir viele Singer/Songwriter hörten, was dann natürlich unsere Songs beeinflusste. Im Grunde genommen sind die neuen Stücke gar nicht so viel anders, nur schneller und härter. Gute Musik kann man halt nicht auf nur ein Genre beschränken.
Sivert: Ich habe als Jugendlicher abgesehen von Punk viel Schrott gehört, von schrägem Progressive Rock bis zu IRON MAIDEN und EUROPE.

EUROPE? Das ist wirklich schlimm. Ihr habt euer neues Album „Grit“ in Berlin aufgenommen. Warum?

Sivert: Wenn ich mich richtig erinnere, waren die beiden ersten Alben von EUROPE noch vor ‘The Final Countdown’ übrigens gar nicht so schlecht. Unser Bassist Frode und ich leben seit einiger Zeit in Berlin. Außerdem wollten wir ohnehin nach Berlin gehen, weil die Stadt eine dieser Metropolen ist, die dich mit ihrer Geschichte und ihrem Vibe vereinnahmt und beeinflusst, so wie das schon in den Siebzigern bei David Bowie und Iggy Pop der Fall gewesen ist. Berlin drängte sich da einfach auf, nachdem wir das vorherige Album in New York aufgenommen hatten. Wenn Norweger Großes vollbringen wollen, dann gehen sie nach Berlin. Deshalb leben in Berlin viele norwegische Künstler und Musiker. Den Sänger der KINGS OF CONVENIENCE zum Beispiel treffe ich regelmäßig beim Einkaufen.

Alles klar. Würdet ihr denn sagen, dass die Platte so etwas wie einen „Berlin Vibe“ aufweist?

Sivert: Ich denke schon. Berlin hat uns auf jeden Fall mehr beeinflusst als New York, weil die Stadt einfach sehr direkt, aber auch dunkel und manchmal sogar angsteinflößend auf Besucher wirkt. Die Songs auf dem Album reflektieren diese Stimmungen sehr gut. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass wir ‘Grit’ im Studio der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN aufnahmen, spielt in dem Zusammenhang sicherlich auch eine Rolle.

Letzte Frage: Wann meint ihr ist die beste Tageszeit, um MADRUGADA zu hören?

Sivert: Einen Teil der Songs kann man sich am besten samstagabends kurz vor dem Weggehen anhören, andere vielleicht eher zu anderen Tageszeiten.
Robert: Ein Freund von mir meinte neulich, dass ‘Grit’ unser erstes Album sei, welches man sich sowohl nachts als auch tagsüber anhören könne. Da ist mit Sicherheit was dran. Am liebsten wäre es mir, wenn die Platte vor dem Weggehen angehört wird, aber auch morgens um vier, wenn man wieder zurück ist.

Jungs, danke für das Interview.