WINTERBRIEF

Brief Philly Synth-pop Duo Encounter

An einem lauen Sommerabend sitze ich mit Jan und Julian von WINTERBRIEF, zwei Mittzwanzigern aus Philadelphia, die live besser aussehen als auf allen Promophotos, in einem Berliner Biergarten und plaudere mit ihnen nett über sich und ihre Band. Bis jetzt hatte ich scheinbar immer Glück mit den Leuten, die ich interviewt habe, denn ausnahmslos waren sie alle nette Menschen. Gerade bei den Beiden hatte ich mir das aber schon gedacht, spielen sie doch so angenehmen Elektropoppunk, der zwar energetisch, aber keineswegs aggressiv daherkommt. WINTERBRIEF existieren seit 1998 und begannen als richtige Band. Aber auf ihrem zweiten Album waren sie schon auf Duo-Größe geschrumpft und hatten ihren Schlagzeuger durch einen Drumcomputer ersetzt (CARTER THE UNSTOPPABLE SEX MACHINE lässt grüßen).

Ihr aktuelles Album „Famous Shoppers„ (als Vinyl bei X-Mist, CD soll noch kommen) ist bis dato ihr bestes und hat mit „Scratch The Itch„ und „Barbed Wire Ceiling„ potentielle Floorfiller im Gepäck, die nur darauf warten, betanzt zu werden. An diesem Abend sollten die beiden für MIGNON eröffnen, von denen ich bis zu dem Zeitpunkt nie etwas gehört hatte. Nicht ohne Grund, wie sich herausstellte, denn die dargebotene Mischung aus Prollrock mit Gitarrengewichse und Ledermieze mit hochgesprayten Haaren als Sängerin erschien wie eine Fata Morgan aus den bewusst verdrängten Teilen der 80er. Das Wissen, vorher WINTERBRIEF live gesehen zu haben, entschädigte einen jedoch bestens, denn deren Mischung aus Punkenergie, den schneidenden Riffs von Julian, und der etwas kühlen Zurückhaltung von Jan, der Sängerin, kannte ich in der Form von Punkbands nicht. Schöner Kontrast, prima Musik, nette Leute. Außserdem sollte sich während unseres Gespräches herausstellen, dass unsere musikalischen Wurzeln zum Teil dieselben waren, da zumindest Jan und ich früher begeisterte Hörer von ERASURE waren (seitdem ich für’s Ox schreibe, wollte ich das schon einmal irgendwo unterbringen). Aber keine Panik, seitdem ist viel Wasser den Rhein, die Weser und viele weitere Flüsse hinabgeflossen und jeder hat sein musikalisches Spektrum nicht unwesentlich erweitert. Und Ox-Leser sind nun auch keine Harleyfahrer und offen für Neues, weswegen ihnen ein unironischer Ausflug Richtung Pop und WINTERBRIEF empfohlen sei.


Gefällt es euch in Europa?

Jan: Ja, auf jeden Fall! Vor allem Spanien und seine Lebenskultur hat uns gut gefallen. Ich glaube, dass die Menschen dort ein viel besseres Leben haben, als die Leute in den USA. Weniger angespannt und viel entspannter. Ich glaube, wir sollten alle entspannter werden...
Julian: Vor allem ich! Frankreich war auch großartig.
Jan: In Frankreich hat es bis jetzt am meisten Spaß gemacht, zu spielen. Es gibt dort eine große Underground-Szene und da machte es noch mal so viel Spaß.

Ihr habt ja in voller Bandbesetzung angefangen. Warum seid ihr jetzt nur noch zu zweit?
Jan: Wir haben zu dritt angefangen, mit noch einem Schlagzeuger, und später kam noch ein Bassist dazu, aber die stiegen irgendwann aus, und auch andere neue Mitglieder verließen die Band nach kurzer Zeit. So haben wir uns dazu entschlossen, zu zweit weiterzumachen. Wir wollten dann auch mehr mit Drumcomputern und Keyboard machen. Es passierte eben so. Und es hat sich letztendlich als prima Sache herausgestellt.
Julian: Jan und ich haben immer Gitarrenmusik gemocht – Punkrock und Indiesachen –, aber als wir mit dem Drumcomputer angefangen haben, bemerkten wir, dass wir auch mehr in eine New Wave-Elektronik-Jungle-Drum’n’Bass-mässige Richtung gehen konnten. Es ist nicht so, dass wir das vorher gar nicht gemacht hätten, mit dem Drumcomputer kommt das nur mehr zum Tragen, als wenn man eine ganze Band hätte.

Hatte die Umstellung Einfluss auf euer Songwriting?

Jan: Mit zwei Leuten ist es auf jeden Fall einfacher, Songs zu schreiben.
Julian: Auf allen unseren Platten sind Stücke, die entweder Gitarren- oder Elektronik-lastiger sind. Und bei den eher elektronischen Sachen kann man schon sagen, dass es einfacher ist, sie zu schreiben.

Wie ist es denn, zugleich ein Punkrock- und ein Electronik-Act zu sein? Wie werdet ihr von beiden Seiten gesehen?
Jan: Das variiert. In beiden Bereichen gibt es Leute, die gut finden, was wir machen, und Leute, die damit gar nichts anfangen können. Manche erwarten von uns eine richtige Rockshow und empfinden es fast schon als Beleidigung, dass wir keinen Drummer haben. Auf der anderen Seite, finden es Leute aus der Elektronik-Szene anstößig, dass wir eine Gitarre haben. Und dann gibt es da eben Leute, denen das total egal ist. Uns würde es langweilen, nur eine Rockband oder eine Elektronikband zu sein. Die Hauptsache ist, dass wir an der Sache Spaß haben.
Julian: Bei manchen Shows springt deswegen der Funke aufs Publikum nicht über, und das ist auch okay so. Wenn man eine reine Rockshow macht, hat man es sehr viel einfacher. Wir lassen uns da immer überraschen, was auf uns zukommt. In Dresden war ein reines Punkpublikum da und es lief alles sehr gut. Heute Abend wird es wohl eher ein Elektronik-Publikum sein, mal sehen was da passiert...

Alec Empire meinte mal, dass beide Szenen für sich sehr konservativ seien.

Jan: Auf jeden Fall! Ich glaube, dass man von beiden Gruppen exakt das Gleiche zu hören bekommt, nur mit genau umgedrehtem Inhalt. Die einen mögen die Gitarren nicht, die anderen die Drumcomputer.

Was ist euch von den beiden Seiten jeweils wichtig?

Jan: Von der Punkseite auf jeden Fall der Ethos, aber nicht der Sound
Julian: Was ich soundmässig an Punkrock mag, ist, dass es schnell ist. Ich mag auch langsame Musik, aber tendiere immer zu der schnelleren Variante. Das gibt es natürlich auch bei elektronischer Musik: Digital Hardcore, guter Drum’n’Bass, schneller Jungle oder Gabba. Auch Hi-Energy-Popsongs, wie manche der PET SHOP BOYS... Aber unser Ethos kommt auf jeden Fall vom Punk.
Jan: Mein prägender Hintergrund ist auf jeden Fall Pop, das wird auch immer so bleiben. Wir wollen immer Lieder schreiben, die catchy sind. Und unseren Spaß wollen wir auf jeden Fall haben. Wir wollen nicht auf der Bühne steif hinter unseren Laptops stehen und auch nicht verbohrte Rocker oder Punker sein.

Glaubt ihr, dass es überhaupt so was gibt wie eine „Leiche im Keller„, wenn man von seinem Musikgeschmack redet?
Julian: Ich mag einige Bands, die z.B. so cheesy wie THE CARS sind...
Jan: Oh, ich hasse die CARS.
Julian: ...mag aber genau so Bands wie CRASS, die für viele dann wieder zu krachig sind. Ich mag ihren Ethos. Und ich kann gar nicht verstehen, warum man nicht zugleich eine Band wie die PET SHOP BOYS mögen kann.
Jan: Gerade die PET SHOP BOYS sind in ihren Texten oft sehr zynisch, was mit Punk wunderbar zusammen funktioniert. Ich sehe auch nicht, wie solche Bands da nicht reinpassen sollten.
Julian: Wir und auch viele Emobands mögen DURAN DURAN, was einige vielleicht überraschen wird. Gerade deren frühen Platten sind sehr schnell und punkig. Okay, die Frisuren drehen einem heutzutage natürlich den Magen um...
Jan: ...aber da war früher auf jeden Fall eine Rotzigkeit dabei, die wunderbar zu Punk passt.

Eure Wurzeln scheinen sehr in den 80ern zu liegen...
Julian: Ja und nein. Meine Lieblingsmusik entstand Mitte der 90er. BLUR ist meine Lieblingsband. Wenn man von denen alle Alben hat, hat man stilistisch alles mögliche: Punk, auch Hardcore-mäßige Sachen, Indierock oder Indiepop, Dance- und Synth-Pop, New Wave, Sixties, Mod usw. Und ich mag es selbst, diese Stile zu mischen.
Jan: Alles was auf Guided Missile Records in England rauskam, ist großartig: THE YUMMY FUR oder LUNGLEG sind total aufregend und hören sich zum Teil so wie THE FALL an, nur mit einem fetten Discobeat unterlegt und dabei total Indie und thrashig.
Julian: Natürlich mögen wir auch Bands wie FUGAZI, was einige vielleicht von WINTERBRIEF nicht erwarten.
Jan: Wir versuchen jetzt nicht auf Teufel komm raus retro zu klingen!

Ihr wollt auch nicht mit LE TIGRE verglichen werden...
Jan: Nein, nicht wirklich. Wir klingen nicht so wie LE TIGRE und auch unser politischer Hintergrund ist ein anderer. Wenn ich Texte schreibe, dann schreibe ich natürlich aus einer weiblichen Sicht, aber nicht so feministisch wie andere.

Warum starten nicht mehr Leute eine Band wie ihr? Eigentlich ist das doch sehr einfach.

Julian: Viele Leute fragen sich, für wie viele Shows sie gebucht werden können. Von daher ist es zum Beispiel für vier weiße Jungs aus Deutschland oder den USA einfacher eine Emoband zu gründen, als für zwei weiße Kids eine Elektropunkband zu starten. So einfach erscheint mir das oft. Jetzt habe ich dummerweise immer ‚weiß’ dazugesagt, aber so sieht die Szene unglücklicherweise immer noch aus.
Jan: Man fragt sich, in welche Szene man passen möchte und geht danach, welche Musik man machen will. Trotzdem gibt es immer mehr Leute, die eine Band wie wir starten. Es ist auch mehr eine Frage der Rezeption in der Öffentlichkeit, als der Anzahl der Bands, die es in dieser Richtung tatsächlich gibt. Wenn man sich die Rockpresse mal ansieht, dann ist die oft noch schlimmer als die Leute, wenn es um Szenedenken geht. Als wir in England unterwegs waren, haben wir so viele Bands getroffen, die auch einfach mit Drumcomputern und so was arbeiten, aber die werden nicht genug unterstützt von der Presse. Leute wie du sind dafür verantwortlich, haha!

Habt ihr deswegen mit eurem eigenen Label angefangen?

Jan: Auf jeden Fall! Viele gründen ja ein Label, um die Musik herauszubringen, von der sie denken, dass die Leute sie hören sollten, und das steckte bei uns auf jeden Fall dahinter. Man sollte sich nicht die ganze Zeit über die Szene beschweren, weil sie sich nicht hinter bestimmte Sachen stellt und unterstützt. Genau das sollte man dann nämlich selber machen. Und damit haben wir mit Intellectos Records angefangen.

Das kann ich nur unterstreichen! Vielen Dank für das Interview!