ROCKET FROM THE CRYPT

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Live from Cuba

ROCKET FROM THE CRYPT sind alte Bekannte im Ox und eine der
wenigen Bands, auf deren Alben man sich als Fixpunkte in der Flut der Veröffentlichungen verlassen kann. Weil man eben immer Qualität bekommt und vor allem das, was man hören will: dichten, treibenden, ja, Punkrock, mal mit Bläsern, mal ohne, der seine Einflüsse aus allem zieht, was in der Rock’n’Roll-Geschichte gut und heilig ist. Mit „Live From Camp X-Ray“ ist jüngst das neueste Werk der Formation aus San Diego erschienen, wieder auf Vagrant Records, und ich nutzte die Gelegenheit, mit einem der offensten und freundlichsten Menschen in dieser Szene zu sprechen: mit Speedo, dem Frontmann von RFTC.

Hi Speedo, was macht ihr denn derzeit so?


Wir lassen es eher ruhig angehen. Jeder von uns hat auch noch ein Leben außerhalb der Band, das uns auch wichtig ist, da ist das schon okay. Wir werden mit dieser Platte erstmal in den USA touren, so ab März. Ich persönlich habe mich in letzter Zeit verstärkt um mein Label Swami Records gekümmert, und das macht echt viel Spaß.

Apropos Swami Records. Was lief da in letzter Zeit, was kommt in der näheren Zukunft?

Na, da kam das HOT SNAKES-Album, und dann das der SULTANS sowie eine EP. Dann gab’s eine LP von BEEHIVE & THE BARRACUDAS und dann natürlich die ROCKET FROM THE CRYPT-Wiederveröffentlichungen ‚Hot Charity’ und ‚All Systems Go, Vol. 2’. Und jetzt bereite ich die Releases für 2003 vor, da ist eine Menge geplant. Lass dich überraschen.

Wie muss man sich Swami Records und die Arbeit daran vorstellen? Machst du alles allein, hast du Hilfe?

Zu Beginn war es so, dass mein alter Freund Long Gone John von Sympathy For The Record Industry die meiste Arbeit erledigte. Ich suchte die Bands aus, kümmerte mich um die Aufnahmen und er machte die restliche Arbeit. Das war einerseits praktisch, andererseits hat es mich auch einfach nicht interessiert. Denn da kam eben auch viel von meiner eigenen Musik raus, und da finde ich es blöd, wenn man sich selbst promoten soll. Und der ‚Fun-Part’ am Plattenmachen ist für mich sowieso das Aufnehmen und was damit zusammenhängt. Mittlerweile hat sich das verändert: Ich bringe auch die Platten anderer Bands raus, und ich merke, dass die mit Swami als Label wohl nicht zufrieden wären, würde ich mich nach den Aufnahmen um nichts mehr kümmern. Ich habe deshalb seit Anfang 2002 Swami von SFTRI getrennt und mache das Label jetzt zusammen mit zwei Freunden. Die kümmern sich um den ganzen geschäftlichen Kram, denn mir war schon klar, dass andere Bands wie wir auch von ihrem Label erwarten, dass es ihnen sagen kann, wie viele Platten verkauft wurden und was davon ihnen zusteht. Das ist eine Frage der Ehrlichkeit.

Long Gone John hat ja auch die Linernotes für euer neues Album geschrieben – sehr unterhaltsam, wie der da vom Leder zieht. Witzigerweise hat euer deutsches Label einen Teil dieser Linernotes als Release-Info verwendet, dabei aber „vergessen“, die ersten Zeilen zu übernehmen, in denen John sich über die WHITE STRIPES und die HIVES lustig macht.

Das haben die gemacht? Haha, witzig, denn wenn man sich das Geschreibsel von John genau durchliest, merkt man ja schnell, dass er sich mehr über uns lustig macht, als über andere Bands. Aber dass die im Info diese ersten beiden Absätze weggelassen haben, das ist echt Bullshit. Wie kommen diese Leute dazu, dass sie glauben, sie könnten mit allem, was sie in die Finger bekommen, machen, was sie wollen?!

John lässt sich in diesen Linernotes auch über den immer noch anhaltenden „Rock’n’Roll is back“-Hype aus.

John ist nicht nur ein wirklich witziger Typ, sondern auch ein begnadeter Zyniker. Und wenn man dann weiß, dass er die ersten Platten der WHITE STRIPES veröffentlicht hat, kann man sich ja denken, wie er das alles meint. Er weiß eben genau, wie das mit den Trends und Hypes läuft, wie schnell es gehen kann, wenn eine Band plötzlich zum Mainstream gehört. Ich glaube auch nicht, dass sich irgendjemand von dem, was John da schreibt, beleidigt fühlen muss, und am meisten macht er sich ja sowieso über uns lustig. Wir seien nicht mehr so gut wie früher, seit wir unseren alten Drummer verloren hätten und so was.

Das Ding ist ja, dass die A&R-Typen derzeit reichlich neue Bands signen, die meist nur das kopieren, was Bands wie ihr schon seit über zehn Jahren machen – und die Leute fahren drauf ab.

So war das doch schon immer. Wer sich über Musik nur über die Mainstream-Kanäle informiert, glaubt eben auch, was ihnen da vorgesetzt wird. Das ist der große Unterschied zwischen dem Underground und dem Mainstream. Leute, die sich wirklich leidenschaftlich für Musik interessieren, die sind neugierig und wissbegierig, die wollen mehr über die Bands wissen, die sie mögen, was der Gitarrist für ein Instrument spielt, wo und wie sie ihre Platten aufnehmen. Ich bin so ein Typ, und auf diese Weise habe ich die Musik entdeckt, die ich heute höre. Du stößt auf eine Band und verfolgst sie dann, ihre Herkunft, ihre Entwicklung, ihre Einflüsse. Ich meine, MC5 habe ich nicht mit 14 entdeckt, da war ich dann schon etwas älter, das braucht seine Zeit. Und als ich MC5 kannte, habe ich mich begonnen für Ornette Coleman zu interessieren, und ganz alten Rock’n’Roll, und so weiter. Und so geht man immer weiter zurück, und, haha, irgendwann bist du beim Höhlenmenschen angelangt, der mit einem Knochen auf einen Stein trommelt. So war das schon immer, und es mag sein, dass wir als Band derzeit keine große Anerkennung erfahren, aber vor uns hätten das sowieso noch andere verdient, die SONICS und so weiter. Das macht mir aber alles keine Sorgen, so ist der Musik-Mainstream eben.

Wie läuft’s denn überhaupt so? Als wir uns das letzte Mal unterhielten, hattet ihr gerade bei Vagrant unterschrieben.

Also bisher sind wir wirklich zufrieden, aber über die Zukunft kann ich nicht viel sagen. Vom Gefühl her würde ich aber sagen, dass wir noch eine ganze Weile auf Vagrant sein werden. Alles läuft sehr relaxt, wir machen, was wir wollen, und Vagrant bringt die Platte dann raus. Klar, die Firma ist sehr schnell gewachsen und schon nicht mehr dieselbe wie damals, als wir unterschrieben haben, aber das hat sie in der Lage versetzt, auch eine für ihr sonstiges Programm eher untypische Band wie uns zu unterstützen. Die Leute, mit denen ich dort zu tun habe, sind okay, und so stimmt für uns alles. Die geben uns einen Vorschuss, lassen uns in Ruhe und wir nehmen die Platte auf, wie wir wollen und sie bringen sie raus. Die wissen eben, wie eigensinnig wir sind und dass man uns besser nicht reinredet.

Auf dem Cover eures neuen Albums finden sich jede Menge Gabeln. Was hat es denn damit auf sich?

Es ist unser erstes Albumcover, das komplett von jemandem designt wurde, den wir nicht mal vorher kannten. Es ist ein Kollektiv bestehend aus drei Leuten aus Montreal in Kanada, und ich habe einen von denen in Toronto getroffen, als wir dort mit den HOT SNAKES spielten. Er hatte das Poster für das Konzert gemacht, und es gefiel mir richtig gut. Die machen das alles in Handarbeit im Siebdruckverfahren, nicht am Computer, vor allem Siebdruck-Poster. Mir gefiel das, und so kam die Idee, sie das Cover machen zu lassen. Und ich bin wirklich zufrieden, wie das Artwork ausgefallen ist. Und vor allem ist es anders, als die bisherigen Cover. Ich meine, es war ja schon so, dass ich mir den Kopf darüber zerbrach, welches Tier wir als nächstes auf das Cover packen, haha.

Die Gabel?!

Ja, mein Lieblingstier.

Wie kamt ihr dazu, das Album „Live From Camp X-Ray“ zu nennen? Das ist doch die Armeebezeichnung für das Gefangenenlager auf Kuba, wo sie die angeblichen Al Qaida-Leute aus Afghanistan festhalten.

Um es ganz simpel zu sagen: Es klingt erstmal sehr gut. Und der Name umschließt das Album ganz gut, er bringt es in einen zeitlichen Kontext: Guantamo Bay, Gefangenenlager, Käfige – das sind die Konnotationen, die Camp X-Ray bei mir auslöst. Mittlerweile haben die Militärs zwar einen anderen Namen gefunden, aber der Name ist trotzdem durch die Weltpresse gegangen. Wer uns als Band kennt, der weiß aber auch, dass wir keinen politischen Anspruch haben, oder zumindest, dass wir nicht explizit eine bestimmte politische Meinung äußern. Und trotz des Namens ist auch das neue Album nicht direkt politisch. Andererseits ist das derzeit eine ganz verrückte Zeit für die ganze Welt: unsere Regierung macht Sachen, mit denen ich und viele andere nicht einverstanden sind, und auch sonst gehen Sachen ab, die uns alle in verschiedenster Weise betreffen. Auch stellt sich uns privat die Frage, was zum Teufel hier vor sich geht und wo wir stehen, auch als Band. Wenn es ein durchgehendes Thema bei der Platte gibt, dann dieses. Und um auf den Titel zurück zu kommen: damit ist die Platte auch in einigen Jahren noch exakt datierbar, ist klar, in welcher Zeit und unter welchen Bedingungen sie eingespielt wurde. Ich habe derzeit auch ein gutes Gefühl, was die Band anbelangt: das war sicher nicht die letzte Platte, uns wird es noch eine ganze Weile geben.

Am Ende des Albums gibt es ein ganz fieses Geräusch, so als ob jemand einen Stapel Teller fallen lässt oder so.

Haha, das ist eine Bandmaschine. Wir haben eine richtig alte Bandmaschine, die sehr gut klingt und deshalb verwenden wir sie immer noch. Aber sie hat keinen Zähler, weshalb du nicht mitbekommst, wenn das Band zu Ende ist. Und so waren wir gerade dabei, ein Video im Studio zu drehen, als das Band zu Ende war und dann kam plötzlich dieses Flapflapflap. Wir haben das Geräusch dann von der Audiospur des Videobandes genommen und haben es ans Ende des Albums gehängt. Wir fanden das passend, denn es zeigt, wie wir arbeiten – wir sind eben so uncool, verstehst du?

Was hat es denn mit diesem Statement „Long live the dead“ auf der Rückseite des Albums auf sich?

Man macht sich eben manchmal so seine Gedanken, und das ist so ein kleiner Joke von mir. Ich behaupte nicht, der Einstein des Punk zu sein und genau zu wissen, was Punkrock ist, aber ich weiß, dass es auch darum geht, keine Regeln aufzustellen. Und dann sollte man auch keine künstlichen Grenzen ziehen. Punk jedenfalls ist tote Musik, sie ist 1978 gestorben, und wir sind nur so was wie die Schockwelle, die damals ausgelöst wurde. Andererseits ist es unser Leben, es bedeutet uns was, und so ist Punk eben doch keine tote Musik. Deshalb ‚Long live the dead’. Und sowieso ist Punk für mich schon immer mehr gewesen als ein Rhythmus, das ist eine Einstellung, und die ist keine Frage des Alters und des Musikstils. Mir bedeutet Punk eine Menge, da hat sich nicht viel geändert seit ich das für mich entdeckt habe: es ist meine Hauptinspiration, es hat eine ganze Menge Kraft, auch nach all den Jahren noch, und es bringt mich dazu, morgens aus dem Bett zu kriechen. Ich habe mich verändert, die Musik hat sich verändert, aber die Mentalität ist die Gleiche geblieben.

Was ist dir sonst noch wichtig im Leben? Gutes Essen, Gartenarbeit, Haustiere?

Wie wohl jeder nach einem Blick auf meine Statur erkennen kann, habe ich nichts gegen gutes Essen. Dabei bin ich aber eher ein guter Esser als ein guter Koch. Ich versuche mich zwar hin und wieder am Kochen, aber mein Problem ist, dass ich immer zu viele Zutaten in ein Gericht reinpacke und Sachen kombiniere, die nicht passen. Aber wenn ich hungrig bin, passt das auch. Ansonsten ist Musik schon meine Hauptbeschäftigung, ob nun auf der Bühne oder im Studio oder mit meinem Label. Und natürlich sammle ich Platte, ich kaufe wie ein Verrückter. Und eine Weile hatte ich hier in San Diego auch eine Radiosendung, die ich wohl demnächst wieder machen werde.

Speedo, ich danke dir für das Interview.