RADIO DAYS 2

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Punkrock und Hardcore im Hörfunk - zwei Interviews zur Situation

Rebecca, die wichtigsten biografischen Daten, bitte.

Also ich habe Abitur, was auch mein einziger richtiger Abschluss ist, weil mich das gleiche Schicksal ereilt hat wie dich, Joachim: Zwangsexmatrikulation! Zum Radio bin ich gekommen, als ich nach dem Abitur, 1991 war das, ein Praktikum gemacht habe bei der Ruhrwelle Bochum. Na ja, und da habe ich dann so Sachen gemacht wie das Jubiläum des Kleingartenvereins und so weiter. Damals fixte mich Radio aber nicht wirklich an, schon rein von den Themen her. Ich hatte dann etwas später das Glück, dass ich jemand kannte, der jemand kannte, der bei 1Live arbeitete. Die hatten damals gerade ihre Programmreform hinter sich, von WDR 1 zu 1Live, und die haben damals massiv junge Frauen im Musikbereich gesucht, denn die hatten nur alte Männer, Stichwort Popsession. Die haben mich damals als Moderatorin gecastet, aber dann nicht genommen, weil ich noch keine Berufserfahrung hatte. Sie waren aber von meinem musikalischen Wissen beeindruckt und haben mich deshalb als Musik-Autorin eingekauft. Und so habe ich da dann jahrelang Musikbeiträge gemacht, also diese zwei- bis dreiminütigen Berichte. Später wurde ich dann gefragt, ob ich nicht doch mal moderieren wolle, bin aber letztendlich wieder beim Casting gescheitert, weil der damalige Chef mich nicht haben wollte. Daraufhin kam ich mir etwas verarscht vor, war ziemlich desillusioniert. Zu diesem Zeitpunkt, 1998, aber machte der Hessische Rundfunk sein Jugendprogramm hr xxl auf. Die luden mich zum Casting ein und haben mich sofort genommen, und seit 1999 mache ich dort meine eigene Sendung ‚Meantime’.

Wie kamst du zu Punk und Hardcore?

Die ersten beide Platten, die ich mir selbst gekauft habe, waren ‚Meat Is Murder’ von THE SMITHS und ‚Our Favorite Shop’ von STYLE COUNCIL. Das ist zwar eher britischer Polit-Pop, aber immerhin. Das war so 1986/87, glaube ich. Ich hatte bei dieser Musik das Gefühl, dass sie von jemandem gemacht wird, der sich genauso wenig zugehörig fühlt wie ich. Ich hatte das Gefühl, dass mich diese Leute zwar nicht kennen, aber die gleichen Probleme haben wie ich. Ich bin dann irgendwie reingerutscht in diese Musik, war nie direkt Punk oder Wave, eierte zwischen verschiedenen Cliquen rum, die zwar mit diesen Attributen hantierten, wo ich mich aber nie so recht zugehörig fühlte. Musik war für mich das Einzige, wo ich mich aufgehoben fühlte, und das waren immer Musikrichtungen, die nicht dem Mainstream entsprachen.

Womit wir schon bei unserem “Problem” sind: Wenn deine Musikrichtung all das ist, was nicht Mainstream ist, hat man als Radiomacher heute ja viel schlechtere Karten als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wie gehst du damit um?

Ich unterscheide da ganz klar zwischen xxl und ‚Meantime’, was wirklich meine Sendung ist, und dem, was ich bei 1Live mache. Bei 1Live ist es so, dass mir der Job an sich einfach Spaß macht. Ich verstehe mich da nicht als reine Musikansagerin, sondern als Hörfunkjournalistin, denn das habe ich ja auch gelernt – zwar nicht auf der klassischen Schiene mit Studium und Volontariat, aber ich habe den Job eben von Grund auf gelernt. Ich mache ja bei xxl und 1Live das ganz normale Tagesprogramm und klammere die Musik dort völlig aus, denn für die bin ich ja nicht verantwortlich. Da läuft eben sehr viel, mit dem ich privat nicht das geringste anfangen kann, ja was ich sogar richtig schlecht finde, aber wie gesagt, das klammere ich aus, da ich mich auf meinen Job als Radiojournalistin konzentriere. Mich interessiert da dann das Gespräch etwa mit einem Korrespondenten irgendwo auf der Welt zu einer aktuellen Sache.

Bei 1Live moderierst du ja auch die Sendung “Kultkomplex”.

Ja, und dahinter steckt das Konzept, dass man abends, abseits des Tagesprogramms, mit dieser Sendung alle Sparteninteressierten bedient. Die Idee ist, dass jeder, der da zufällig reinschaltet, das Gefühl haben soll, es könne heute auch seine Musik da laufen. Da genieße ich es dann schon auch, dass ich thematisch nicht so festgelegt bin. Klar, mein Herz hängt vor allem an harter Gitarrenmusik, aber mich interessiert auch mal eine gute HipHop-Platte oder gute Pop-Musik, die ich in dieser Sendung dann spielen kann.

Bei “Meantime” ist das ganz anders.

Klar, das ist ja auch mein Baby. Die Sendung läuft jeden Dienstag im Rahmen einer Musik-Spezialschiene, die von Montag bis Freitag immer von 22 bis 24 Uhr geht, die sich mit den verschiedensten Musiksparten auseinandersetzt: HipHop, Indie/Alternative, Drum & Bass – und eben Metal und Hardcore, wofür ich zuständig bin. Zuerst war an diesem Termin eine Techno-Sendung, die aber nicht gut lief, und durch Zuhöreranfragen wusste man, dass da eigentlich Bedarf besteht an einer Sendung mit härterer Gitarrenmusik. Ich war in dem Laden die einzige, die sich überhaupt mit dieser Musik auseinandersetzte, stand aber eigentlich gar nicht selbst zur Diskussion. Ich habe die eher beraten, wen man da überhaupt fragen könnte, doch es zeigte sich das Problem, dass in der deutschen Radiolandschaft so gut wie niemand existiert, der sich mit dieser Musik auskennt. Und die Leute, die sich auskennen, kommen aus dem Printbereich und haben noch nie Radio gemacht – das ist ein totales Niemandsland. So rein im Scherz sagte ich dann irgendwann, sie könnten mich ja mal fragen, wenn sie niemand finden, und so haben sie mich gefragt und ich sagte natürlich nicht nein.

Wie war bzw. ist denn dein Konzept?

Anfangs war die Sendung nur einstündig, da war nicht viel zu überlegen. Da kann man zwölf Titel spielen, darunter ein paar Klassiker und eben Neuvorstellungen. Ich habe das halt einfach gemacht, und wenn es sich ergeben sollte, dass eine Band zum Interview kommen will, dann geht das auch. Tja, und dann habe ich eben angefangen, ganz einfach. Im Laufe der Zeit hat sich dann so ein Konzept herauskristallisiert, so habe ich verschiedenen Rubriken wie ‚Die fiesen Fünf’, wo ich über mehrere Sendungen von diesen Bands jeweils einen anderen Album-Song spiele, weil man eben sehen muss, dass es eigentlich nix bringt, einen Song einmal zu spielen. Dann habe ich jede Woche einen ‚Evergreen’, so einen Klassiker eben, und es gibt die ‚Garage’, wo jede Woche eine Demoband vorgestellt wird. Ich versuche auch meine persönliche Meinung zurück zu nehmen, spiele auch mal KORN und LIMP BIZKIT, denn ich will nicht elitär daherkommen und so tun, als wäre ich die Einzige, die Ahnung hat von guter Musik.

Wie sieht es mit Feedback aus? Hast du den Eindruck, die Leute wissen es zu schätzen, was du da machst?

Also beim Radio hat man ein ganz einfaches Kritikprinzip: Die Leute, die dich Scheiße finden, die schalten das Radio einfach aus. Natürlich bekomme ich auch Mails von Leuten, die begeistert sind, aber das sind die Leute, die sowieso zuhören. Dann gibt es zwar die Einschaltquoten, aber die beziehen sich pro Sender auf eine durchschnittliche Sendestunde am Tag, das heißt, es gibt keine verlässlichen Quoten für diese Spezialschiene am Abend. Allerdings lässt sich wohl feststellen, dass ganz allgemein diese Abendsendungen eine steigende Zuhörerzahl aufweisen. Und dann gibt es noch so eine Radiomacher-Faustregel, dass auf 100 Hörer ein Anrufer kommt – oder waren es 1000? Keine Ahnung. Aber es würde mich schon interessieren, wie viele Leute meine Sendung wirklich hören, denn sie ist über Antenne zwar nur in Hessen zu empfangen, über Satellit, über Astra-Digitalradio oder dbox, jedoch bundesweit, und wir wissen ja, dass man gerade mit so einer Spezialsendung wirklich interessierte, engagierte Hörer hat.

Wie sieht es denn mit der Radiolandschaft in Sachen “unserer” Musik bundesweit aus? Irgendwo sitzt ja bei fast jedem der öffentlich-rechtlichen Sender jemand, der sich damit beschäftigt. Ich will damit jetzt nicht die Arbeit der Leute als geringer einschätzen, die im Offenen Kanal und bei den Lokalradios ihre Sendungen machen, aber sie haben eben eine recht geringe Reichweite.

Also ich schätze, dass es bundesweit höchstens zehn Leute sind, die sich bei den großen Sendern mit solcher Musik beschäftigen. Beim SWR zum Beispiel gibt es auch so eine Sendung, ‚Das Ding’ heißt die, aber mehr weiß ich darüber auch nicht. Da gibt es keinerlei Vernetzung, und Jakob Kranz, der bei Radio Fritz die Sendung ‚Stahlwerk’ gemacht hat, habe ich auch nur zufällig in einem ganz anderen Zusammenhang kennengelernt. An mangelndem Willen zur Kommunikation mangelt es dabei aber meiner Meinung nach gar nicht, die fehlende Vernetzung hat vielmehr was damit zu tun, weil es keine Tradition bei solchen Sendungen gibt. Fanzines gibt es eben schon eine Weile, da kennt man sich und tauscht sich untereinander aus, während von den Radioleuten jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Wie siehst du die deutsche Radiolandschaft gegenüber der amerikanischen mit ihren Hunderten von College Radios? Dort ist Radio-Promotion für ein Indielabel wie etwa Jade Tree durchaus wichtig, da gehen hunderte CDs raus, während man in Deutschland die Sender, die was von diesem Label spielen, wohl an einer Hand abzählen kann.

Das hat meiner Meinung nach etwas damit zu tun, dass in den USA eine ganz andere Musikkultur vorhanden ist. Rock ist dort ein ganz fester Bestandteil der Mainstream-Radiobeschallung, und das gibt es in Deutschland einfach nicht so. Und seit in den Neunzigern dieses ganze Dance-Ding so fett geworden ist, kannst du das eh vergessen, denn viele Sender haben stark auf diesen Sound gesetzt. Ich muss mir bis heute Sprüche anhören wie ‚Rockmusik? Das interessiert doch keinen!’. Und das in Zeiten, wo sogar Bands wie SYSTEM OF A DOWN auf Platz 1 der Charts kommen, ganz ohne Radio-Airplay. Da fragt man sich echt, wo diese Leute leben! Rock, ganz klar, wird bis heute konsequent von den Sendern ignoriert.

Noch mal: Warum ist das so? Du hast doch mit den Leuten zu tun, die bei den Sendern das Sagen haben und die Klangfarbe bestimmen.

Das ist wirklich ein ganz, ganz schwieriges Thema, wirklich.

Inwiefern? Sagen die einfach “Die Leute wollen das nicht hören”?

Die Öffentlich-Rechtlichen Sender haben per Gesetz ja diesen Bildungsauftrag und deshalb die Möglichkeit, auch solche Spartensendungen zu machen. Die Privaten können das meist nicht. Trotzdem wird bei den Öffentlich-Rechtlichen Sendern heute verstärkt Wert auf eine ordentliche Einschaltquote gelegt, und da ist man dann ganz schnell gefangen zwischen dem Anspruch an das Programm und eben diesem Bildungsauftrag einerseits und Massenkompatibilität andererseits. Und in diesem Zusammenhang habe ich in den letzten Jahren immer wieder ein Wort so oft gehört wie kein anderes: Ausschaltimpuls.

Rebecca, du gibst zu viele Ausschaltimpulse!

Ja! Rockmusik erfüllt eben für viele Redakteure das Kriterium des Ausschaltimpulses. Das ist echt ein Problem, denn sobald die Gitarre zu schräg zerrt, wird das für zu hart gehalten. Bis zu einem gewissen Punkt kann man das auch nachvollziehen, denn das Radio läuft ja nicht nur bei den Leuten zu Hause, sondern im Auto, im Büro, im Friseursalon, in der Eisdiele, und so weiter. Und wenn da tagsüber SYSTEM OF A DOWN läuft, da fliegen den Damen im Friseursalon eben die Lockenwickler raus.

Wovon hängt es denn ab, und wer beurteilt das, ob ein Song gesendet werden kann oder nicht?

Also bei der ‚Meantime’ denke ich nicht weiter nach, da sende ich, was mir gefällt, und wenn das 20 Minuten GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR ist. Und klar, da gehen dir wohl ein paar Hörer verloren, aber egal, so lange man mich die Sendung machen lässt, mache ich das auch. Was das Tagesprogramm von 1Live anbelangt, so kann ich das an Beispielen wie LINKIN PARK oder PAPA ROACH festmachen. Das ist ja keine softe Musik, aber die haben so einen gewissen Pop-Appeal, und deshalb geht das auch tagsüber. Und vor allem ist das Musik, die gerade auch Mädchen anspricht. Auf die trifft zu, was mal jemand über die QUEENS OF THE STONEAGE gesagt hat: ‚Heavy enough for the guys, sweet enough for the chicks’. Und nach diesem Prinzip funktioniert das, es muss einfach ein guter Pop-Song sein, dann geht auch mal eine harte Gitarre.

Ist Radio außerhalb der Spartenprogramme am Abend überhaupt etwas anderes als Hintergrundbeschallung?

Nein, das ist Beschallung. Der Hauptbestandteil eines erfolgreichen Senders ist heute Musik, und um die Musik zu unterbrechen, musst du schon einen verdammt guten Grund haben – so läuft das Spiel. Du darfst den Leuten nicht auf den Nerv gehen mit deinem Gelaber, deshalb werden die Wortanteile immer kürzer und man komprimiert das, was gesagt werden soll, auf zwei bis zweieinhalb Minuten konzentriert. Und du musst alles so formulieren, dass du den Leuten einen Grund gibst dir zuzuhören.

In deiner Sendung ist das ganz anders.

Richtig, denn da schalten die Leute ein, weil sie die Sendung wirklich hören wollen, das ist ein fundamentaler Unterschied. Da sitzen die Leute wirklich um zehn Uhr vor dem Radio, weil sie das hören wollen. Die schneiden das teilweise sogar mit und tauschen die Tapes untereinander, das bekomme ich ja über das Forum auf unserer Website mit.”

In gewisser Weise machst du mit deiner Sendung ja nichts anderes als jemandem ein Mixtape aufzunehmen.

Ja, das sehe ich auch so. Ich spiele in so einer Sendung die Sachen, die ich für ein imaginäres Mixtape aufnehmen würde. So nehmen die Leute die Sendung auch wahr, das bekomme ich ja mit. Dass die Leute mein Geschwätz zwischen den Songs rausschneiden, das weiß ich aber auch, haha. Das ist schon okay.

Was sind denn deine wirklichen Favoriten?

Dazu gehören auf jeden Fall HOT WATER MUSIC. Die hab ich einfach lieb. Dann die QUEENS OF THE STONEAGE, weil das für mich die ultimative Form von extrem cooler, erwachsener Rockmusik ist. Die bedienen sich zwar richtig cheesier Klischees, sind dabei aber verdammt cool. Die neue SNAPCASE-Platte finde ich super, und die EP von BOYSETSFIRE, obwohl ich die Typen für Arschlöcher halte. MILEMARKER weiß ich zu schätzen, seit ich sie neulich live gesehen habe. Und dann gibt’s da noch unzählige andere, so Klassiker wie SICK OF IT ALL, SLAYER, METALLICA, QUICKSAND, DEAD KENNEDYS, RAMONES... – und natürlich HELMET, deshalb heißt meine Sendung ja auch ‚Meantime’.