HABLAN POR LA ESPALDA

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HABLAN POR LA ESPALDA auf Europa-Tour

HPLE kommen aus Südamerika, genauer: Uruguay. Dieses Land ist so klein, dass nicht einmal seine Einwohner wissen, dass es überhaupt existiert. So was ähnliches hat Fermín, der Sänger dieser bereits seit sieben Jahren existierenden Band mal auf einem Konzert gesagt. Das mag man glauben oder nicht, aber immerhin ist HPLE eine der ersten Bands aus diesem Land, die in Europa tourt. Und ich durfte diesem Spektakel exklusiv für dieses Magazin einen Monat lang hautnah beiwohnen.

Tag 0.

27.2.03. Sechs junge Herren treffen in Stuttgart ein. Nach einem kurzen Kulturschock-Abstecher zur schwäbisch-alemannischen „Fasnet“ ins nahe Rottenburg kehren wir in der Nacht nach Stuttgart, dem Startpunkt der Tour zurück. Beim Aussteigen aus dem Tourbus versucht Fermín, der eine knappe Flasche Whiskey getankt hat und infolgedessen ins Straucheln gerät, seinen Sturz mit dem Gesicht zu bremsen. Danach hat er zwei Schürfwunden im Gesicht mehr und einen Schneidezahn weniger. Noch bevor die mittourende Band TIDAL eingetroffen ist, steht es im Selfdestructo-Contest bereits 1:0 für HABLAN POR LA ESPALDA.

Tag 1.
Das erste Konzert für HPLE auf europäischem Boden. Das Konzert ist im Hi Club in Stuttgart, einer ehemaligen Strip-Bar, getrunken wird hauptsächlich Bier und Sambuca, letzterer vorzugsweise im Mund angezündet. Die von TIDAL eröffnete Show wird überschattet von technischen Defekten. Saiten, Instrumente und Verstärker segnen fast wie Lemminge das Zeitliche. Der Energie der beiden Bands tut dies keinen Abbruch. Während HPLE spielen, macht Gitarrist Valentín eine Flasche kaputt und zerschneidet sich damit die Brust. 2:0 für HPLE. Beim Tanzen fällt Fabe (TIDAL, Git.) ein Spiegel auf den Kopf. Finger und Gesicht sehen danach ziemlich kaputt aus. TIDAL verkürzt auf 2:1.

Tag 2.
Die Reise beginnt. Nalbach im Saarland wird angesteuert. Erst gibt es lecker Lasagne, dann betreten HPLE das Parkett, die heute nur vier Lieder oder so spielen und den Rest improvisieren. Dann spielen TIDAL bis der Strom ausfällt und danach sogar noch weiter. Beim letzten Lied rutscht Fabe mit den Knien auf dem Parkettboden rum und wird dabei von einer herausstehenden Stahlplatte jäh gebremst. Fünf Stiche später ist das 2:2, der verdiente Ausgleich, besiegelt.

Tag 3.
Uruguay ist eines der wenigen Länder, deren Ureinwohner komplett „ausgestorben“ sind. Wobei das Wort ausgestorben nicht so ganz richtig ist, denn tatsächlich trieben die spanischen Eroberer des Landes eines Tages vor ein paar hundert Jahren alle Uruguay-Ureinwohner zusammen und schossen sie tot, um mehr Platz zu haben, weil Uruguay ja nicht so groß ist. Blut klebt also an den Händen dieses Landes. Trotzdem lernte ich HPLE als sehr friedfertige Menschen kennen, die es nicht auf Ärger anlegen. Dennoch kam es an diesem Tag zu einem Eklat, der beachtliche Kreise nach sich zog:
Während des Konzerts in Köln auf dem Bauwagenplatz macht sich Sänger Fermín ein bissel nackig. Einigen Anwesenden scheint dies zu missfallen, und als er dann in das Publikum läuft und einer Dame über die Backe leckt, gerät der Stein ins Rollen. Eine Anti-Sexismus-Delegation, geführt von einem Mann, fordert Fermín auf, das Mikro abzugeben und sich wieder anzuziehen. Dieser weigert sich. Draußen wird unterdessen ein Sofortplenum abgehalten, bei dem beschlossen wird, der Band den Strom abzustellen. Während drinnen eine Jamsession im Gange ist (im Anschluss an eine Interpretation des VELVET UNDERGROUND-Klassikers „White Light/White Heat“), wird es dunkel. Pablo am Schlagzeug spielt weiter, wir alle (vom Tour-Tross) singen immer wieder „Have mercy“. Irgendwann werden wir gezwungen aufzuhören. Sofort entwickelt sich eine muntere und interessante Diskussion, die zu einem jähen Ende kommt, als die Auszieh- und Ableck-Gegner uns von „ihrem“ Grundstück verweisen.

Tag 4.
Day off in Köln, wir stellen fest, dass Karneval genauso Scheiße ist wie die schwäbisch-alemannische Fasnet. Circle Pits in der U-Bahn sind trotzdem toll.

Tag 5.
Braunschweig. Schönes kleines Konzert in einem staubigen Keller, Fermín drückt sich eine Kippe auf der Stirn aus. 3:2 HPLE. Da niemand die Konsequenzen weitergehender Selbstverstümmelungsversuche tragen will und kann, wird der Selfdestructo-Contest an diesem Punkt beendet.

Tag 6.
Dresden. An diesem Abend ist Fermín ganz nackt, der Sexismusvorwurf bleibt diesmal jedoch aus. Liegt das an der sexuell offeneren Erziehung der Ostdeutschen? Jedenfalls werden die Leute im Laufe des Konzerts so warm mit den Jungs aus Uruguay, dass sie irgendwann Fermín hochnehmen und über ihre Köpfe schweben lassen. Auf einmal fällt er von ziemlich weit oben auf den Boden und bewegt sich nicht mehr. Irgendwie wird er auf die Bühne getragen, der Rest der Band ist kurz davor, abzubrechen, als er auf einmal wie besessen wieder aufsteht und weiter singt. Als die Jungs dann „Rock’n’Roll Damnation“ von AC/DC zum Besten geben, ist im AZ Conni kein Halten mehr. Nach dem Konzert kann man allerorts glückliche Gesichter sehen.

Tag 7.
Leipzig. TIDAL müssen pausieren, Sänger Boris hat sich erkältet. Wie sich später herausstellen wird, ist er das erste Opfer des gemeinen Hablan-TIDAL-Virus. HPLE rocken dafür diesmal doppelte Portion. Außerdem noch an diesem Abend: THE ENEMIES aus Cali-fuckin-fornia und zwei osteuropäische Bands. Danach trinken wir tschechischen Absinth im Tourbus mit Leuten, die in berühmten Bands spielen.

Tag 8.
Berlin. Die planmäßig letzte gemeinsame Show der Tour. Boris ist leider immer noch krank. TIDAL entschließen sich, dennoch zu spielen, ohne Sänger. Die Show endet in einer mindestens 40-minütigen Jamsession. Die Leute bleiben zu unser aller Erstaunen hartnäckig bis zum Schluss im Raum.

Tag 9.
Der Abschied. TIDAL fahren heim, ich bleibe bei den Jungs und begleite sie auf ihrer Reise durch Europa.

Tag 10 bis Ende.
Wir fahren nach Holland. HPLE, die inzwischen fast vollständig vom Hablan-TIDAL-Virus infiziert sind, spielen tapfer bei einer Matinee-Show in Alkmaar. Danach fahren wir nach Amsterdam, die Stadt, in der gutbürgerliche 60-jährige Katalanen Space Cake in Coffeeshops essen. Zwei heftige Tage später geht es dann in 24 Stunden über Straßburg und fast komplett ohne Autobahn, dafür aber mit ca. drei Millionen Mal durch französischen Kreisverkehren, sozusagen straight to Barcelona. Es folgen vier Konzerte im Norden Spaniens, wir schmecken den mediterranen Frühling, genießen die wunderbare Natur, und sind zu Kriegsbeginn live am Fernseher dabei. In derselben Nacht machen wir uns auf den Weg nach Tours/Frankreich zur nächsten Show. Die Bühne teilen HPLE sich diesmal mit den vorzüglichen französischen Noise-Rockern WEEPING MINDS OF SILENCE. Weiter geht’s in die Schweiz zu zwei gut besuchten Shows mit CRUSH MY CALM und COME CLOSER, die die spritpreisgeplagte Tourkasse wieder auf Vordermann bringen. Beim Stadtbummel in Zürich erspähen wir Mariah Carey bei einer Autogrammstunde. Der Tourfotograf Pedro nimmt seine Kamera und seinen Führerschein (er meint, der sehe aus wie ein Presseausweis), und versucht mit Fermín als Journalistenpärchen zu Mariah zu gelangen. Sie scheitern bereits kläglich an den rigorosen Türstehern. Keine Presse. Dafür sehen wir jetzt ein Mitglied des Schweizer Pendants der NO ANGELS, stürzen uns auf sie und machen jede Menge toller Erinnerungsfotos.
Die Tour liegt nun in ihren letzten Zügen. Die Schweizer Beamten an der Grenze zu Deutschland lassen uns wider Erwarten ohne Kontrolle passieren und fragen, ob die Jungs in einer Band namens LA VELA PUERCA spielen. Die sind nämlich auch aus Uruguay, machen (laut HPLE) schlechten Ska und sind kurz nach HPLE auf Europatour. Es folgt eine Show in Freiburg und schließlich das Abschiedskonzert in München, bei dem sich TIDAL auch noch spontan entschlossen hatten mitzuspielen. Insgesamt waren wir dort mit einer Crew von ca. 20 Leuten vertreten, und so konnten uns die spärlichen Besucherzahlen (5-10) kein bisschen vom Feiern abhalten. Ein rundum schönes Konzert, jedoch mit einer kleinen Träne im Knopfloch, denn das Ende der Tour nahte unaufhaltsam. Am nächsten Tag fiel der allgemeinen Abschiedsstimmung noch eine grüne Schaufensterpuppe zum Opfer (Diagnose: getreten, gesteinigt, „La Vela“ draufgeschrieben, am Baum aufgehängt, ans Auto gebunden und mit 50 durch die Spielstraße geschleift bis die Bullen kommen – in dieser Reihenfolge). Und auf einmal machte sich die Reisegruppe aus Uruguay, die durch den Besuch ihrer Freundinnen inzwischen auf neun Köpfe an- und uns allen wahnsinnig ans Herz gewachsen war, wieder auf in Richtung Südamerika. Zum Abschied gaben Pablo, der HPLE-Drummer, und ich uns die Hand darauf, dass wir uns so lange die Haare nicht schneiden werden, bis wir, TIDAL und HABLAN POR LA ESPALDA, zusammen in Japan touren. Nachzulesen in ein bis zwei Jahren an dieser Stelle. Oder sonst wo.