MOVEMENT

Foto

Brüllen, zertrümmern und weg!

Bei dieser Band aus Kopenhagen muss ich jede Form objektiver Berichterstattung über Bord werfen. Wer sie auf der Ox-Party zur 50. Ausgabe live gesehen hat, weiß, was ich meine. Eine Band wie ein Flächenbrand, eine Gruppe wie der Splitter in deiner Fingerkuppe, dazu ein Hitgespür, wie das Gefühl nach Entfernen eines Magengeschwürs. Musikalisch wie textlich sind sie zurzeit unangefochtene Spitzenreiter in Sachen harte Rockmusik mit ernstem Inhalt. Meiner Meinung nach die Krönung einer Mischung aus THE CLASH, THE JAM, THE WHO, Punk und viel aggressivem Polit-Rock. THE MOVEMENT sind die größten Mod-Revival-Könige in unserem Sonnensystem. Mit Zick-Zack-Textohrfeigen pustet ihr Debütalbum „Move“ diese ganze Retro-Trend-Dicke-Hose-Werbeagenturscheiße weg. Hier wird Wut und fetter Gitarrensound noch ganz groß geschrieben. Aber fettgedruckt und unterstrichen dann, bitte! Jedes ihrer Lieder wirft neue Fragen auf, sollte Spuren hinterlassen und auf jeden Fall auch kritisch diskutiert werden. THE MOVEMENT haben die Weisheit wahrlich nicht mit Löffeln gefressen, das sollte man doch deutlich betonen. Zumal sie in Interviews, ein wenig den Hang dazu haben, belehrend aufzutreten. Doch in solch schwammigen Zeiten, wo ein freundliches und nichts sagendes Saubermann-Image im Trend liegt, sollten die Aussagen der drei Dänen als Aufhänger für eine Diskussion um ihren klaren Standpunkt, um ihre kleine Ideologie dienen, die sie doch ganz klar vertreten. Ich unterhielt mich mit Sänger/Gitarrist Lukas Scherfig.

Habt ihr zu irgendeinem Zeitpunkt damit gerechnet, dass so viele Leute in Dänemark und zunehmend nun auch in Deutschland zu euren Konzerten kommen?


Es ist großartig, dass so viele Leute uns mögen, aber wir erwarten noch viel mehr in den Großstädten, wenn unsere Platte erst einmal überall erhältlich ist. Aber es gibt wohl einige Leute, die die Mischung von Musik und Politik nicht mögen. Einige, weil sie nicht nachdenken, und einige, weil sie meinen, wenn wir über Politik reden wollen, sollten wir Politiker werden. Aber für uns ist klar, dass wir nicht nur über Politik singen wollen, sondern über alles in unserem Leben. Es würde für mich sehr seltsam sein, wenn wir nur über Liebe, Drogen oder Mädchen reden würden, wenn auf der Welt gerade ein Krieg abläuft.

Kennst du irgendeine andere, aktuelle Band, mit der du euch vergleichen könntest oder wo du Ähnlichkeiten siehst?

Keine neuen Bands, höchstens vielleicht THE INTERNATIONAL NOISE CONSPIRACY. Aber nicht aufgrund ihrer Musik. Wir sind eine Liveband. Wir spielen, wir jammen auf der Bühne. Wir verstecken uns nicht hinter einem großen, fabelhaften Sound. So wie wir auf Platte klingen, so spielen wir auch.

Was denkst du über euer Publikum, wenn sie nur wegen eurer Musik und euren eleganten Anzügen, aber weniger wegen euren Texten zu euren Shows kommen?

Das ist okay, Leute können sich ändern. Wir unterhalten sie, deshalb kommen sie. Wenn sie nur ein wenig auf unsere Musik hören, haben sie schon ein wenig mehr zu entdecken. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sie uns verstehen lernen. Auf der anderen Seite können die Leute, die nur wegen unserer Texte kommen, etwas über Rock’n’Roll lernen. Die Revolution darf nicht langweilig sein. In einer modernen, kapitalistischen Gesellschaft ist die Kultur eine sehr wichtige Waffe für uns.

Was hat sich für dich seit der Gründung der Band 1997 bis jetzt positiv wie negativ verändert?

Wir sind inzwischen mehr zusammengewachsen. Unsere Band ist zielstrebiger und unsere Zukunft ist viel offener. Wir können wirklich etwas bewegen, etwas auslösen, wenn wir es wollen. Ich denke, dass das jeden von uns betreffen wird. Wir besitzen jetzt etwas Besonderes.

Ihr kündigt den Song „Still An Echo“ immer damit an, dass ihr die europäische Union hasst. Nun seid ihr als Band viel unterwegs und auf durchlässige Grenzen angewiesen. Vereinfacht die EU nicht z.B. das Reisen ungeheuer?

Sicher ist es nun leichter, aber die Grenze um Europa herum ist nun noch mehr geschlossen. Wir haben sie nur verlegt. Ich bin gegen einen Staat, aber ich will nicht unseren Nationalstaat gegen irgendetwas Schlimmeres tauschen. Für die Leute, die für eine bessere Gesellschaft kämpfen, ist es schwieriger geworden, andere zu motivieren, weil die Entscheidungen nun in Brüssel getroffen werden. Es ist ähnlich wie in den USA. Schwarze, arme Leute wählen nicht, weil die Macht in Washington D.C. ist. Es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten. Wir wissen nur das, was uns unsere kapitalistischen Zeitungen erzählen wollen. Und die wirklich mächtigen Bankiers können es sich leisten, zu Gott zu beten. Das alles hat nichts mehr mit Demokratie zu tun. Es ist einfach die größte Lüge dieser Tage.

Auf Tour lebt ihr eure kleine Revolution. Aber was sagen eure Freundinnen in Kopenhagen dazu, wenn ihr jedes zweite Wochenende unterwegs seid und fremden Leuten immer wieder das Gleiche über die Fehler im kapitalistischen System erzählt?

Erst einmal steht fest: Wir wollen jedes Wochenende spielen. Unser Schlagzeuger Kalle hat eine feste Freundin. Ich habe mich gerade vor ein paar Tagen von meiner getrennt. Tja, darüber wird es wohl auch einen neuen Song geben, ich verarbeite damit meistens alles. Und unser Bassist Lars hat keine Freundin. Es ist so, dass wir alle Zeit der Welt haben, wenn wir nicht touren oder auftreten. Wir können lange schlafen, mit unseren Freunden ins Kino gehen und tun, was wir wollen.

Was habt ihr zu tun, wenn ihr nicht auftretet oder eine Platte mit THE MOVEMENT aufnehmt? Irgendwelche Berufe?


Wir haben nicht wirklich ‚echte’ Jobs. Wir alle spielen ein wenig mit anderen Bands. Kalle hat seine eigene wilde Jazz-Rockcombo und spielt in Bands wie FURILLO. Lars jammt ein wenig herum und er macht auch für andere Bands den Sound. Ich habe gerade ein Album mit einer neuen, jungen Bands mit dem Namen THE BREAKERS aufgenommen, und wir wollen demnächst auch ein paar Auftritte in Angriff nehmen.

Wir haben zurzeit viele Konflikte auf der Welt. Wenn der Irak-Krieg endgültig beendet sein sollte, wird es andere schwachsinnige Diktatoren und verrückt gewordene US-Cowboys ohne jegliches Rechtsbewusstsein und Ordnung geben. Welche Meinung, welche Stimme hat die breite Masse für dich? Bei Demonstrationen zum Beispiel.


Die Masse geht meistens falsch vor. Dänemark ist dadurch in den letzten fünf Jahren so rassistisch geworden. Du kannst normalen, nett aussehenden Menschen zuhören, wie sie abfällig über Schwarze reden. Das ist der neue Trend in unserem Land. Ich habe kein Vertrauen in eine kapitalistische Demokratie. Ich meine, wenn die Mehrheit dir erklärt, dass 2 + 2 = 5 ist, ist dies trotzdem nicht richtig. Mich kümmert es nicht, wie groß die Masse ist. Aber es ist sehr wichtig, eine starke Bewegung zu haben, welche die Organisation übernehmen kann. Wir wollen der kulturelle Teil dieser Bewegung sein.

Hast du dein Vertrauen in die „professionellen“ Politiker völlig verloren? Oder siehst du eine Chance für die einfache Politik von der Straße?

Ich glaube, dass wir gegen jeden kämpfen müssen: In den Behörden, auf der Straße, in den Häusern ... Aber wir mögen natürlich große Straßenschlachten. Das bringt jedes Mal Spaß, wenn man sieht, wie das Gewaltmonopol der Polizei gebrochen wird. Aber am meisten vertrauen wir in die Arbeiter, die das organisieren müssen.

Über das Thema mit dem Arbeiteraufstand wurde ja schon im ersten MOVEMENT-Interview in der Ox-Ausgabe #46 gesprochen. Du bist in deiner Jugend in sehr schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Welchen Stellenwert, welche Folgen hatte das auf eure Musik und eure Texte?

Ich halte es nicht für wirklich bedeutend. Auf diesem Sonderschul-Internat, wo ich herkomme, waren einige wirklich durchgedrehte, kriminelle Kinder. Doch sie waren meine Freunde und sind es teilweise immer noch. Jetzt habe ich gelernt zu spielen und Texte zu schreiben. Aber ich glaube, dass diese Leute auf dem Internat jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen. Die Jugend wurde mit Heuchelei betrogen und versucht nun das Beste aus ihrer Lage zu machen, womit sie wieder und wieder durch das Raster der Gesellschaft fällt, weil dort kein Platz für alle ist. Anständig und ehrlich zu bleiben ist ein verdammt schweres Geschäft.

Was sagst du dazu, dass so unterschiedliche Leute zu euren Konzerten kommen? In Berlin waren es Skinheads, Punks, Hippies, Studenten, ganz gewöhnliche Leute und natürlich einige Mods, dies jedoch in fast gleichen Verhältnissen. Wir kennen diese Situation ohne Ärger, wenn genauso viele Skins wie Punks wie Studenten zu einer kleinen Clubshow kommen, nur ganz selten, weil unsere Szenen doch recht getrennt nebeneinander laufen.

Das ist dumm. Unser Konzept ist, alle zu vereinen. Wenn jemand kämpfen will, soll er für seine Klasse kämpfen. Einigen Leuten ist ihre Identität wichtiger, als ihre Gemeinsamkeiten zu erkennen und sich zu verbünden.

Letzte Frage: Mögt ihr euer Outfit mit den Anzügen auf der Bühne noch, wenn es dort so warm wird, oder hasst ihr es mittlerweile schon?

Es ist heiß, aber wir lieben es immer noch. Wir wollen gut aussehen, weil wir vom linken Flügel kommen. Wir wurden unter schwierigen Umständen geboren und wir wollen nun zurückschlagen. Wir müssen sauber aussehen und uns auf die Zukunft konzentrieren.

Fotos: Joachim Hiller