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MILLENCOLIN

SOS

Sie sagen zwar, ihr Anspruch sei, sich nicht zu wiederholen, so richtig gelingt MILLENCOLIN das aber nicht. „SOS“ klingt genau so, wie man ein neues MILLENCOLIN-Album erwartet: Seit mehr als 25 Jahren kann man sich darauf verlassen, auf ihren Alben Ohrwürmer zu finden, Refrains, die man nach zweimal hören mitsingen kann, und ja, es kribbelt auch in den Füßen.

Für den sommerlichen Festivalpit gibt’s auf „SOS“ viel neues Futter. Als Weiterentwicklung wird ein Kinderchor beim Titeltrack angepriesen und im Song „Yanny & Laurel“ findet sich ein etwas schräger Effekt im Refrain.

Das sind hübsche (der Chor) und weniger hübsche (der Effekt, auf wessen Mist ist das bitte gewachsen?) Spielereien – das erstaunte: „Hui!“ bleibt aber aus. Textlich sieht das etwas anders aus.

MILLENCOLIN sind politischer geworden. Der Titel „SOS“ lässt das schon vermuten. Auf dem Cover sieht man einen alten Bekannten, den niedlichen gelben Vogel, reichlich mitgenommen über einem Weltuntergangsszenario.

Statt sich in den großen Reigen der auf Trump schimpfenden Punkrock-Bands einzureihen, bleiben MILLENCOLIN allgemeiner. Nur einmal erwähnen sie die 18% Idioten in der Gesellschaft – ein Hinweis auf das letzte Wahlergebnis in ihrer Heimat Schweden? – und rassistische Gedanken.

Ansonsten geht es um das allgemeine menschliche Miteinander: Der erste Blick am Morgen richtet sich aufs iPhone und nicht auf den Menschen neben einem im Bett, man macht seinen Job, vergisst darüber aber, was wirklich wichtig ist („Do you want war?“).

In „Let it be“ (nein, das ist kein BEATLES-Cover) geht’s um das Karussell der täglichen Nachrichten und wie sehr man sich vielleicht wünscht, sie einfach abzuschalten – endlich Ruhe im Karton! Ach, und die Suche nach einem Sündenbock, dem einen bösen Typen, wird in „Dramatic planet“ ebenfalls zum Thema.

Erfreulich, dass politische Gedanken in die typischen MILLENCOLIN-Knaller-Melodien verpackt sind und so vielleicht auch noch den einen oder anderen erreichen, der Punk tatsächlich eher mit dem erwähnten Festivalpit und Dosenbier als Politik in Verbindung bringt – falls es so jemanden im Ernst noch gibt.

Wer sich jedoch erhofft, dass MILLENCOLIN nach all den Jahren vielleicht ein bisschen Altersweisheit angesammelt haben und etwas tatsächlich Neues in die Diskussion bringen, wird enttäuscht.

Spannender sind die Songs, in denen es um die gute alte Liebe geht („Reach you“), das Bandleben („Trumpets & poutine“) und die Entwicklung alter Freundschaften, nachdem einer sein Glück gefunden hat und der andere noch immer im Gestern lebt („Gone for yesterday“).

„SOS“ ist ein unterhaltsames Album mit guten und wichtigen Botschaften und mit Identifikationspotenzial. Eine Offenbarung allerdings ist es nicht.