SEIDENMATT

Wasserluft CD

In Berlin entsteht wieder was. Mussten in den letzten Jahren meistens Bands aus Hamburg oder aus dem Weilheim-Umkreis als Referenzen für innovative Klänge und Sound herhalten, entwickelte sich in Berlin langsam und behutsam eine sehr eigenständige Indie-Musikszene.

Fernab von dumpfen Technobeats, homophoben HipHop-Crews und 80er Jahre Ret(r)ortenbands etablierten sich Labels wie City Slang oder Kitty Yo und veröffentlichten Bands wie CONTRIVA oder TARWATER wunderschöne, wegweisende Alben.

Irgendwo dazwischen schuf sich Sinnbus eine eigene kleine Nische. Nicht dass man sich speziell auf einen vermeintlichen "Berlin-Sound" einigen wollte, vielmehr war es wohl so, dass Sinnbus als Ventil für jegliche Kreativität dieser Gemeinschaft herhalten sollte.

Sowohl Postrockbands, Elektrokünstler oder auch so called Emobands vereinigten sich, alles ganz weit weg von Massenströmen und Flaniermeilen. So will sich auch die Musik von SEIDENMATT nicht zwangsweise an bestehende Formen anpassen.

Ich finde mich sowohl in München oder eben Weilheim, als auch in Chicago, Washington DC, Glasgow oder auch in Island wieder. Nicht ohne Grund heißt es im Bandinfo: "Berlin is between Chicago and Island".

Musikalisch zitiert man MOGWAI und BILLIE MAHONIE, verehrt SLINT und TORTOISE. Auch Hamburger Bands wie OCKER und JULLANDER kommen mir in den Sinn. Aber SEIDENMATT kann man Eigenständigkeit zu keinem Zeitpunkt abzusprechen.

Melodien bahnen sich ihren Weg, versuchen sich schüchtern hinter Soundteppichen zu verstecken und werden trotzdem aufgespürt. Standardisierte Strukturen werden größtenteils ad acta gelegt und trotzdem entdeckt man immer wieder die Liebe zum Song.

Hinhörmusik - aber deluxe! Ach, und ohne Sprache funktioniert das hier ganz hervorragend. Die Tracks haben Titel wie "Inseln", "Die drei und sechs Fläche" oder "Luc(as)" und erzählen vielleicht Geschichten über das Leben in der Stadt in einer Großstadt wie Berlin, über die Schnelllebigkeit unserer Zeit, über den Trick selbst atmen zu können, wenn man es will.

Gleichzeitig träumt man von unbewohnten Landstrichen und wäre gern dort. Jedenfalls dann, "wenn dir in der Stadt plötzlich die Luft wegbleibt". Ein Freund, der seit mehr als vier Jahren in Berlin wohnt, erzählte mir vor kurzem, dass er immer noch nicht seinen Frieden mit der Stadt gemacht hätte.

Vielleicht hilft ihm dieses Stück Musik, es doch noch zu schaffen... Ich werde ihm wohl ein Tape machen! (38:03) (9/10)